BVerfG: Rasterfahndung verfassungswidrig

Die Rasterfahndungen nach dem 11. September 2001, mit denen sog. „Schläfer“ aufgespürt werden sollten, waren verfassungswidrig. Das stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Beschluss vom 4. April 2006 klar:[1] Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung sei mit der informationellen Selbstbestimmung nur dann vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter gegeben sei. Im Vorfeld von Gefahren sei eine Rasterfahndung nicht zu rechtfertigen. Denn es handele sich um eine Maßnahme von erheblichem Gewicht, weil sämtliche durch sie betroffenen Informationen einen Personenbezug hätten und ihre Verknüpfung mit anderen Informationen persönlichkeitsbezogene Einblicke erlaubten. Tatsächlich hatte der damalige Innenminister Schily bei jeder sich bietenden Gelegenheit festgestellt, dass in Deutschland keine konkrete Anschlagsgefahr bestehe.

Zwar bezieht sich die Entscheidung unmittelbar nur auf die durchgeführten Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen – dort hat der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz und die konkrete Maßnahme ihre Rechtsgrundlage im Polizeirecht. Die Entscheidung ist aber für die Rechtmäßigkeit der in den anderen Bundesländern ab Herbst 2001 durchgeführten Datenabgleiche ebenso relevant wie für die dortige Rechtslage.

Während der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein an die Verfassungslage angepasstes neues Polizeigesetz verabschiedete (siehe nächste Meldung), vergaßen andere angesichts der verfassungsrechtlichen Nachhilfestunde den Respekt vor dem BVerfG fast völlig: Der bayerische Innenminister Beckstein etwa sprach vom Tag des Beschlusses als einem „schwarzen Tag für die wirksame Terrorismusbekämpfung“ und sein hessischer Kollege titulierte die Entscheidung gleich als „nachhaltig falsch“. Die Aufregung war wenig verwunderlich, denn die Karlsruher RichterInnen hatten die Gelegenheit genutzt, die InnenpolitikerInnen an ein rechtsstaatliches Essential zu erinnern: „Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Das schließt nicht nur die Verfolgung des Ziels absoluter Sicherheit aus, welche ohnehin praktisch kaum, jedenfalls aber nur um den Preis einer Aufhebung der Freiheit zu erreichen wäre“.[2]

(Frederik Roggan)

[1]      www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060404_1bvr051802.html
[2]     ebd., Abs. 128