Die EU auf dem Weg nach Stockholm

Nachdem die informelle „Future Group“ im Sommer 2008 mit ihrem Bericht die Marschrichtung für die Zukunft der europäischen Innenpolitik vorgegeben hatte,[1] legte im Juni 2009 die Kommission ihre Vorschläge für das „Stockholm Programm“ vor. Nach Tampere und Haager Programm wird das Stockholm Programm das dritte Fünf-Jahres-Programm zur Weiterentwicklung des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ sein. Dieser soll, folgt man der Rhetorik der Kommission, fortan „im Dienste der Bürger“ stehen.[2]

Das Papier speist sich nicht nur aus den Ideen der „Future Group“, sondern ebenfalls aus dem parallel dazu erstellten Bericht zur Justizpolitik und sieht z.B. auch Handlungsbedarf bei der Weiterentwicklung von Zivil-, Handels- und Strafprozessrecht oder – die Dienstleistungsrichtlinie lässt grüßen – der grenzüberschreitenden Anerkennung von Personenurkunden. Auch widmet es mit dem Kapitel „Förderung der Rechte der Bürger“ den Grundrechten der UnionsbürgerInnen – namentlich dem Recht auf Freizügigkeit, Kinderrechte und Schutz vor Diskriminierung sowie Datenschutz und Wahlrecht – knappe vier Seiten.

Den eigentlichen Schwerpunkt des Kommissionsvorschlags macht allerdings mit zehn Seiten das Kapitel „Ein Europa, das Schutz bietet“ aus. Detailliert wird – eng angelehnt an den Bericht der „Future Group“ – eine Vision für eine „Strategie der inneren Sicherheit“ entwickelt. Als wesentliche Ziele zur Realisierung einer verstärkten Polizeikooperation und eines „integrierten Grenzmanagements“ werden damit erneut die Entwicklung einer „gemeinsamen Sicherheitskultur“ sowie „leistungsfähiger Systeme für den Informationsaustausch“ und die „Mobilisierung“ neuer Technologien genannt. Schwerpunkte sollen in „Pilotaktionsbereichen“ gesetzt werden, die als „Ideen- und Methodenschmiede“ Vorbildfunktion für weitere Felder haben sollen. Als Kandidaten hierfür werden genannt die Bekämpfung des Menschen- und Drogenhandels, der Kinderpornographie, der Cyber- und Wirtschaftskriminalität sowie des Terrorismus. Auf der Wunschliste der Kommission für diese Bereiche stehen u.a. „auch nachrichtendienstliche Tätigkeiten“, eine verstärkte Überwachung des Internet sowie verbesserte Möglichkeiten der Website-Zensur auch in Drittstaaten. Auffällig ist zudem die immer wieder beschworene „Mobilisierung“ der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft.

Der Vorlage der Kommission folgte die Konsultation des Europaparlaments. Am 2. September 2009 präsentierte die schwedische Justizministerin Beatrice Ask, stellvertretend für die Ratspräsidentschaft, ihre Pläne im Innenausschuss, sichtlich bemüht, Sorgen um die Zukunft der Bürgerrechte zu zerstreuen. Nach weiteren Beratungen in den Ausschüssen will das Parlamentsplenum dann Ende November eine Resolution verabschieden, die allerdings einzig beratenden Charakter hat.[3]

Eingeschaltet in die Diskussion haben sich mittlerweile auch der deutsche Bundesrat und die Konferenz der DatenschützerInnen.[4] Während sich ersterer insbesondere um die Kompetenzen der Länder sorgt, auf Wahrung des Subsidiaritätsprinzips pocht und z.B. entsprechende Kritik an Plänen für einen „Europäischen Katastrophenschutz“ formuliert, fürchten letztere u.a. mit Hinweis auf die geplante zentrale Datenbank über Ein- und Ausreisen in die EU den „gläsernen Unionsbürger“.

Das letzte Wort aber haben die Exekutiven der Mitgliedstaaten. Anfang Dezember werden die Innen- und JustizministerInnen zusammenkommen, um den Feinschliff am „Stockholm Programm“ vorzunehmen, damit die Staats- und Regierungschefs das Dokument dann auf dem EU-Gipfel am 10./11. Dezember 2009 verabschieden können.

(Matthias Monroy und Eric Töpfer)

[1]      s. Busch, H.; Stolle, P: Leuchtende Zukunft. Nächste Runde beim Aufbau des EU-Staates, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 91 (3/2008), S. 4-18
[2]     KOM(2009) 262 endg. v. 10.6.2009
[3]     EDRI-gram v. 9.9.2009
[4]     BR-Drs. 616/09 v. 18.9.2009, Pressemitteilung zu den Ergebnissen der 78. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 8./9.10.2009 in Berlin