Verfassungsschutz gegen Abgeordnete

In der letzten Legislaturperiode waren alle 53 Abgeordnete der Linksfraktion sowie einige ihrer MitarbeiterInnen in einer „Sachakte“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erfasst. Um dazu ansatzweise brauchbare Auskünfte zu erhalten, bedurfte es einer Vielzahl Klei­ner Anfragen von Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen[1] sowie eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das die Position der Bundesregierung, nur das Parlamentarische Kontrollgremium, nicht aber das Bun­destagsplenum hierüber informieren zu wollen, für verfassungswidrig erklärte.[2] Auch nach der BVerfG-Entscheidung blieben die Angaben der Bundesregierung jedoch ausgesprochen mager.

Sie erachtet die Überwachung von Abgeordneten der Linksfraktion für „grundsätzlich zulässig“. Die „Sachakte“, in der sich diese „Beobachtung“ niederschlägt, diene der Bewertung der Partei Die Linke als Ganzer.[3] Dafür sei „deren gesamtes Auftreten in der Öffentlichkeit maßgebend“. Zu den relevanten Informationen gehörten selbstverständlich auch Informationen über die ParlamentarierInnen oder genauer: „die Einstellung der Partei zum Parlamentarismus oder deren Verhalten im Parlament, gegebenenfalls dessen Instrumentalisierung“. Von den Abgeordneten würden daher einerseits parlamentarische Tätigkeiten und Funktionen, andererseits „Informationen, die im Rahmen der Beobachtung der Gesamtpartei angefallen sind und zugleich in verfassungsschutzrelevanter Weise die Bundestagsfraktion der Partei betreffen“, festgehalten: „Funktionen in der Partei, Mitgliedschaften in extremistischen Zusammenschlüssen der Partei bzw. frühere Mitgliedschaften in extremistischen Personenzusammenschlüssen sowie Kontakte zu in- und ausländischen extremistischen Parteien und Gruppierungen.“ Über 27 Abgeordnete lägen Informationen vor, die über die Angaben im Amtlichen Handbuch des Bundestages hinausgehen. Welche das sind, wollte die Bundesregierung nicht sagen.

Sie versichert zwar, dass das BfV keine „nachrichtendienstlichen Mittel“ (Abhören, V-Leute etc.) gegen die Partei einsetze, sondern lediglich öffentlich zugängliche Quellen auswerte. Dies schließe aber „nicht aus, dass sich in der Sachakte des BfV auch im Einzelfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen befinden“, die vom BfV selbst oder den Landesämtern stammen können.

Die Fragen von Bündnis90/Die Grünen zielten auf die Speicherung von Informationen über Bundestagsabgeordnete aller Parteien durch sämtliche Geheimdienste, und zwar seit Gründung der BRD. In Bezug auf den Verfassungsschutz überprüfte die Bundesregierung, ob ParlamentarierInnen während ihrer Amtszeit in dessen Informationssystem NADIS erfasst waren. Eine erste Antwort bezog sich auf die Zeit ab der 9. Legislatur, die von 1987 bis Dezember 1990 dauerte und an der ab Oktober 1990 auch Abgeordnete der aufgelösten DDR-Volkskammer beteiligt waren.[4] Dabei ergaben sich 40 Treffer, 30 davon zur Partei Die Linke bzw. zur früheren PDS. Die zehn weiteren verteilten sich auf SPD und CDU/CSU und betrafen „Verdachtsfälle im Zusammenhang mit geheim­dienstlichen Tätigkeiten.“

Mit einer erneuten detaillierten Nachfrage (acht Seiten mit 16 Fragen und insgesamt 80 Unterfragen) forderte Bündnis90/Die Grünen Informationen über die Zeit vor der Vereinigung. Auf ganzen elf Zeilen verwies die Bundesregierung nun auf ihre bisherigen Antworten und teilte ansonsten mit, dass für die 4.-6. Wahlperiode (1961-1972) ein SPD-Abgeordneter in NADIS aufgeführt war – wiederum wegen Verdachts geheimdienstlicher Tätigkeit.[5]

Die mageren Mitteilungen brachten immerhin ein erstaunliches Ergebnis: Abgeordnete werden heute in weitaus höherem Maße und intensiver vom Verfassungsschutz „beobachtet“ als zu den Hochzeiten des Kalten Krieges.

(Albrecht Maurer)

[1]      u.a. BT-Drs. 16/1590 v. 23.5.2006, 16/3964 v. 22.12.2006 und 16/4502 v. 5.3.2007, 16/1520 v. 30.6.2006, 16/2098 v. 30.6.2006, 17/372 v. 28.12.2009
[2]     BVerfG: Urteil v. 1.7.2009, Az.: 2 BvE 5/06
[3]     BT-Drs 16/13990 v. 7.9.2009
[4]     BT-Drs. 16/14159 v. 27.10.2009
[5]     BT-Drs. 16/14160 v. 27.10.2009