„Troublemakers“

Mit dem Stockholmer Programm hat die EU-Kommission einen weiteren Arbeitsauftrag gefasst. Sie soll „prüfen, wie am besten darauf hingewirkt werden kann, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Informationen über reisende Gewalttäter, u.a. solche, die an Sport- oder sonstigen Großveranstaltungen teilnehmen, austauschen können.“ Auch dieser Punkt wurde in letzter Minute ins Programm aufgenommen. Und er geht ebenfalls auf eine deutsche Initiative zurück.

Die EU hatte sich bereits 2001-2004 bei der Planung des Schengener Informationssystem (SIS) der zweiten Generation mit dem Thema befasst, es dann aber fallen lassen. Im Oktober 2007, wenige Monate nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm, startete die deutsche Delegation einen erneuten Vorstoß im Artikel 36-Ausschuss, dem höchsten Gremium der Dritten Säule.[1] Der Ausschuss reichte das Thema an die SIS-Arbeits­gruppe des Rates weiter. Die entschied im März 2008, eine Durchführbarkeitsstudie erst in Auftrag geben zu wollen, wenn eine rechtliche Definition des Begriffs „troublemaker“ vorläge und klar wäre, welche Maßnahmen die Polizeien der Mitgliedstaaten zu treffen hätten, falls sie bei einer Kontrolle auf eine solche im SIS ausgeschriebene Person stoßen. Damit sollte sich nun die Polizeiarbeitsgruppe befassen.

Die startete eine Umfrage unter den Mitgliedstaaten. Im Januar 2009 lagen Antworten von insgesamt fünfzehn Delegationen vor, Ende Februar waren es 24. Das Ergebnis blieb das gleiche: Außer in Deutschland und Dänemark existiere dieses Konzept nicht. Spezielle Datenbanken über „gewalttätige Störer“ führe nur Deutschland. In Dänemark würden solche Personen im nationalen Polizeiregister „markiert“. In anderen Mitgliedstaaten existierten Listen über „Hooligans“ und teilweise auch über „gewalttätige (politische) Extremisten“ bei Spezialeinheiten.[2]

Nach der Feststellung, dass es das rechtliche Konzept des „violent troublemakers“ nur in zwei der 27 Mitgliedstaaten gibt, hätte die Arbeitsgruppe die Diskussion eigentlich beenden müssen. Stattdessen vermerkt das Resümee des (tschechischen) Vorsitzes schon im Januar, dass „alle Delegationen die Notwendigkeit des Austausches von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten über gewalttätige Störer als präventive polizeiliche Maßnahme bei nationalen und internationalen (Massen-)Ver­an­stal­tungen bestätigen.“ Der bisherige Austausch gestatte „den kontrollierenden Beamten vor Ort keinen einfachen Zugriff auf solche Informationen.“ Der sei aber mit dem SIS möglich.

„Die letzten Vorkommnisse während des Nato-Gipfels (im April) zeigten in drastischer Weise die Notwendigkeit eines Datenaustauschs über Personen, die die öffentliche Ordnung stören und/oder die öffentliche Sicherheit gefährden“, schrieb der Vorsitz Ende Mai 2009 in einer No­tiz für die SIS-Arbeitsgruppe. Eine neue SIS-Personendatenkategorie „Informationsaustausch“, worunter auch die „troublemakers“ gefasst wer­den könnten, sei „denkbar“.[3] Die Arbeitsgruppe solle aber auf die Resultate aus der Polizei-AG warten. Deren Diskussion vom 9. Juni über einen (nicht öffentlich vorliegenden) neuen Definitionsversuch der Präsidentschaft blieb ergebnislos: „Einigen Delegationen“ waren die Begriffe „schwe­res Gewaltdelikt“ und „hinreichende Gründe“ (für die Annahme, dass die betref­fende Person eine solche Straftat begehen könnte) zu ungenau. Schwe­den, das ab Juli den Ratsvorsitz übernahm, empfahl nun auf einen Bericht der Experten für Großveranstaltungen zu warten.[4] Auch dieser liegt öffentlich nicht vor, reichte den Staats- und Regierungschefs aber offenbar, um den Datenaustausch über „reisende Gewalttäter“ im Stockholmer Programm förmlich zu einem Projekt der EU-Innenpolitik zu erheben.

(Heiner Busch)

[1]      Ratsdok. 15079/07 v. 13.11.2007; Bürgerrechte & Polizei/CILIP 89 (1/2008), S. 84 f.
[2]     Ratsdok. 5450/09 v. 16.1.2009 und 5450/1/09 v. 27.2.2009
[3]     Ratsdok. 7558/1/09 v. 27.5.2009 und 7558/2/09 v. 16.6.2009
[4]     Ratsdok. 11176/09 v. 22.6.2009