Auf dem Weg zu einem EU-Geheimdienst?

„Die Zukunft der EU-Intelligence und Inneren Sicherheit“, das war der Titel einer Anhörung, die die Europäische Volkspartei, die konservative Fraktion im Europäischen Parlament (EP), am 30. März 2011 in Brüssel organisierte. Auch angesichts des Aufbaus des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) sollte die künftige Form nachrichtendienstlicher Kooperation unter dem Dach der EU ausgelotet werden.[1] Hintergrund der Veranstaltung waren zum einen die laufende Revision der EU-Terrorismus-Bekämpfung und zum anderen die Pläne für die Umsetzung der EU-Strategie für die Innere Sicherheit (ISS). Sowohl die im Frühjahr 2010 verabschiedete ISS als auch die wenig später veröffentlichte Bestandsaufnahme der Kommission zur Terrorismusbekämpfungsstrategie von 2005 betonen die Notwendigkeit einer stärkeren Abstimmung von „Innen- und Außendimension“.[2] Um das in der ISS formulierte Ziel einer „ständigen Aufspürung und Prävention der Bedrohungen und Risiken“ zu erreichen, plant die Kommission – flankiert durch ein „tragfähiges Gesamtkonzept zum Schutz geheimer Informationen“ – die engere Vernetzung der existierenden Lagebeobachtungszentren, „sei es im Gesundheitswesen, beim Zivilschutz oder in der Atom- und Terrorüberwachung“.[3]

Als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Domänen dürfte dem EU-Lagezentrum (Situation Centre, SITCEN) dabei eine Schlüsselrolle zufallen. 1999 im Generalsekretariat des Rates zur Unterstützung der neuen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingerichtet, hat es sich mit mehr als 100 MitarbeiterInnen nicht nur zu einem wichtigen Meldezentrum, sondern auch zu einem veritablen Analysedienst gemausert. Im Dezember 2010 wurde SITCEN in den neu geschaffenen EAD eingegliedert. Dort arbeitet das Zentrum, geleitet von Ilkka Salmi, dem ehemaligen Chef des finnischen Geheimdienstes, in enger Kooperation mit dem Intelligence Directorate des EU-Militärstabs direkt der EU-Außenbeauf­tragten Catherine Ashton zu. Gefüttert werden SITCENs Analysen durch diplomatische Informationen, die Auswertung öffentlicher Quellen, den Zugriff auf das EU-Satellitenzentrum, eigene „Fact-finding“-Missionen sowie durch direkte und indirekte Kontakte zu den Auslands- und Militärgeheimdiensten der Mitgliedstaaten. Seit 2005 unterhält SITCEN auch Verbindungen zu den Inlandsgeheimdiensten sowie zu Europol und Frontex, nachdem es im Haager Programm beauftragt worden war, „strategische Informationen“ zur Terrorabwehr zu lie­fern. SITCEN ist an der Erstellung diverser Lagebilder der EU-Agenturen für In­neres ebenso beteiligt wie an der Politikberatung in Ratsarbeitsgruppen zu den Themen Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Bevölkerungsschutz.[4]

Auf einer gemeinsamen Anhörung durch die EP-Ausschüsse für Inneres, Äußeres und Verteidigung betonte SITCEN-Chef Salmi am 11. Ap­ril 2011, dass sein Zentrum nur „strategische Informationen“ handhabe, keine „eigenen Quellen“ führe und somit kein Geheimdienst sei. Allerdings war es das erste Mal im Laufe seines zehnjährigen Bestehens, dass ein SITCEN-Direktor dem EP Rede und Antwort stand. Diese blieben aber oft vage, und wirklich Neues war nicht zu erfahren.[5]

(Eric Töpfer)

[1]      www.eppgroup.eu/Press/peve11/eve015_en.asp; http://euobserver.com/18/32104
[2]     Ratsdok. 5842/2/10 v. 23.2.2010; KOM(2010) 386 endg. v. 20.7.2010
[3]     KOM(2010) 673 endg. v. 22.11.2010
[4]     Van Buuren, J.: The Secret Truth. The EU Joint Situation Centre, Amsterdam 2009; Bagdonas, G.: Evolution of EUMS Intelligence Directorate and a way ahead, in: Impetus 2010, No. 9, p. 16; Ratsdok. 7261/07 v. 28.5.2009 und 7154/10 v. 5.3.2010; Antworten v. 26.1.2010 und 28.9.2010 auf Parlamentarische Anfragen E-5998/2009 bzw. E-4121/2009 des MdEP M. Ehrenhauser
[5]     EP Mediathek, LIBE-Ausschuss: Anhörung v. 11.4.2010, 15:11 bis 16:18 Uhr