Verfassungsgericht zu Sitzblockaden

„Sitzblockaden grundsätzlich erlaubt“ hatte die Süddeutsche Zeitung am 31. März 2011 getitelt. Am Tag zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Entscheidung veröffentlicht, die allerdings nur auf den ersten Blick einen Sieg der Friedensbewegung darstellt. Gegenstand waren die Sitzblockaden, die die „resist the war“-Kampagne anlässlich des bevorstehenden Irak-Krieges 2002/2003 vor der US-Airbase in Frankfurt/M. initiiert hatte.[1] Der Beschwerdeführer hatte gegen seine Verurteilung durch das Landgericht (LG) Frankfurt geklagt.

Das Positive: Das Verfassungsgericht weist das Verfahren an das LG zurück, weil dieses das Grundrecht der Versammlungsfreiheit bei der Verwerflichkeitsprüfung nicht hinreichend berücksichtigt habe: Das LG „hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft … mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint.“ Es habe das Erregen von Aufmerksamkeit, das zum Kern von Versammlungen gehöre, negativ angerechnet. Auch müsse der Kommunikationszweck der Aktion bei der Verwerflichkeitsprüfung eine Rolle spielen. Das Argument des LG, die von der Blockade mitbetroffenen US-Soldaten hätten keinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen gehabt, lässt das BVerfG nicht gelten.

Das Negative: Das Gericht sieht bei der Blockade den Gewalttatbestand des Nötigungsparagrafen (§ 240 StGB) verwirklicht. Noch 1995 hatte das BVerfG selbst den vergeistigten Gewaltbegriff abgelehnt: Es müsse eine Kraftentfaltung vorliegen, eine psychische Einwirkung auf Andere reiche nicht.[2] Jetzt folgt es dagegen der „Zweite-Reihe-Recht­spre­chung“ des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach bei einer Sitzblockade zwar der erste Fahrzeugführer nur psychisch, der des darauf folgenden aber physisch genötigt werde, weil er der Gewalteinwirkung des ersten Autos ausgesetzt sei. Mit diesem Konzept hatte der BGH auf die BVerfG-Entschei­dung von 1995 reagiert. Blockadeaktionen sollten kriminalisiert bleiben und dem „aus dem Ruder gelaufenen“ Verfassungsgericht Grenzen aufgezeigt werden. Das BVerfG hat sich dem nun gefügt.

(Martin Singe)

[1]      BVerfG: Entscheidung v. 7.3.2011, Az.: 1 BvR 388/05
[2]     BVerfG: Entscheidung v. 10.1.1995, Az.: 1 BvR 718/89

Bild: Indymedia