Grenzüberschreitendes Spitzelwesen

Neue Enthüllungen über den gegenwärtig bekanntesten Ex-Spitzel haben in Großbritannien für Aufsehen gesorgt: Der Undercover-Polizist Mark Kennedy hatte gegenüber der Presse erklärt, er sei damit beauftragt gewesen, den von ihm infiltrierten Aktivisten Tatvorwürfe wie „conspiracy“ (entspricht der deutschen „Vereinigung“) anzuhängen.[1] Die britische Polizei wollte gegen die Ausgeforschten nicht mehr nur wegen kleinerer Delikte wie Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch ermitteln.

Kennedy behauptet weiter, er habe Gespräche von Treffen auf der Speicherkarte seiner Digitaluhr aufgezeichnet. Es handelte sich dabei um eine 7.000 Euro teure, aber handelsübliche Uhr der Marke Casio. Die Existenz dieses Audio-Materials hat die britische Polizei sowohl der Staatsanwaltschaft als auch Verteidigern in einem Verfahren gegen Klimaaktivisten verschwiegen – wahrscheinlich, weil sich dort nur Entlastendes findet. Kennedy gab jetzt zu Protokoll, keine Hinweise auf die von seinen Vorgesetzten gewünschte „conspiracy“ geliefert zu haben.

Dies wirft die Frage auf, ob Kennedy und die anderen rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm eingesetzten britischen Spitzel auch in Deutschland Gespräche per Lauschangriff aufgezeichnet haben. Dies wäre nicht nur hinsichtlich fehlender richterlicher Beschlüsse problematisch. Das Mitschneiden der Vorbereitung von Demonstrationen, wie es Kennedy in Großbritannien praktizierte, dürfte hierzulande einen erheblichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellen. In Polizeikreisen heißt es, dass allein zum G8-Gipfel in Heiligendamm rund ein Dutzend ausländische verdeckte Ermittler zugegen war, darunter auch Privatpersonen.[2]

Zuletzt hatte sich die Innenministerkonferenz in Frankfurt mit dem Nachholen rechtlicher Grundlagen zur grenzüberschreitenden Ausleihe verdeckter Ermittler befasst.[3] Befugnisse, Meldepflichten oder Berichtswesen werden bislang nach Gutdünken der ausländischen Spitzel bzw. ihrer mitreisenden „Führer“ gehandhabt. Ähnlich kollegial verfährt das für die internationale Koordination zuständige Bundeskriminalamt (BKA) bei der eigentlich notwendigen strafrechtlichen Verfolgung ausländischer Polizisten: Obgleich kein Polizist eine Straftat begehen darf, hatte Mark Kennedy in Berlin eine Mülltonne angezündet, um seiner Legende Glaubwürdigkeit einzuhauchen. Die Bundesregierung erklärt lapidar, sie habe „die Angelegenheiten (neben der Brandstiftung in Berlin auch eine Straftat in Rostock, d.Verf.) mit den zuständigen Stellen auf britischer Seite erörtert.“[4]

Laut dem BKA-Chef sollen die Spitzel sogenannte „Euro-Anarchi­sten“ aufspüren. Neben dem BKA unterhält auch das Bundesamt für Verfassungsschutz Dateien zu „Euro-Anarchisten“: Im Juni informierte der Berliner Ermittlungsausschuss, dass das Amt mehrere Betroffene deshalb nachträglich von einer Telefonüberwachung in Kenntnis gesetzt hatte.[5] Die Beschnüffelten seien als „Mitglied bzw. Unterstützer eines linksextremistischen Personenzusammenschlusses“ verdächtig ge­wesen.

Jetzt gibt es Gegenwehr im verdeckten Ermittlungsdickicht: Unter dem Titel „Maßnahmen gegen Observation“ kursiert im Internet eine Broschüre mit Handreichungen zum Erkennen und Vermeiden von heimlicher Überwachung.[6] Das beeindruckende Werk beruht laut den Verfassern neben Recherchen und Erfahrungsberichten auch auf „Insiderinformationen“.

(Matthias Monroy)

[1]      Daily Mail v. 12.6.2011
[2]     Telepolis v. 27.6.2011
[3]     http://euro-police.noblogs.org/files/2011/06/IMK-TO.pdf
[4]     BT-Drs. 17/5736 v. 6.5.2011
[5]     http://ea-berlin.net/berlin-der-vs-verschickt-briefe#content
[6]     http://media.de.indymedia.org/media/2011/06//310342.pdf