Literatur

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Wenn die Behauptung „Wissen ist Macht“ je zutrifft, dann für den, der neben der Macht auch noch jede Menge Wissen hat. Das gilt zuvörderst für den Staat(sapparat): Ihm hilft sein Wissen, sich gegenüber den BürgerInnen durchzusetzen. Bezogen auf den Einzelnen bedeutet staatliches Wissen Kontrolle, Überwachung und Beeinträchtigung von Handlungsfreiheit. Informationsfreiheit als Zugang der BürgerInnen zu Informationen über das „Wissen des Staates“ sowie Einsichtsrechte Betroffener in die über sie staatlich gesammelten Informationen sind deshalb für die demokratische Qualität einer Gesellschaft zentral. Im Allgemeinen wird diesem Argument heute weniger denn je widersprochen. Im Besonderen – wenn es um die staatliche Sicherheit und um den Schutz wirtschaftlicher Interessen geht – werden die Grenzen von „mehr Transparenz“ schnell sichtbar.

Ziekow, Jan; Debus, Alfred, G.; Musch, Elisabeth: Bewährung und Fortentwicklung des Informationsfreiheitsrechts. Evaluierung des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes im Auftrag des Deutschen Bundestages, Baden-Baden (Nomos) 2013, 594 S., 119,– EUR

Diese umfassende Untersuchung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) des Bundes versucht im Auftrag des Innenausschuss des Bundestages eine erste Bilanz des Gesetzes zu ziehen. Die Studie, die sich wegen der Reichweite des Gesetzes nur auf Bundesbehörden bezieht, basiert auf der Auswertung statistischen Materials, auf einer Fragebogenerhebung und auf Interviews mit ausgewählten BehördenvertreterInnen. In der problemorientierten Darstellung werden die Regelungen des IFG mit denen in anderen Ländern verglichen. Die Logik der Problemlösungen wird jeweils dargestellt und mit den Befunden der eigenen Erhebung abgeglichen. Am Ende steht eine Reihe von Empfehlungen für den Gesetzgeber, die auf eher technische Nachbesserungen des Gesetzes zielen. Für den Sicherheitsbereich sind dem Bericht einige Hinweise zur Inanspruchnahme zu entnehmen. Die fehlende Systematik bei den Ausnahmen vom Informationszugang bei angeblicher Sicherheitsrelevanz wird kritisiert; dass die Geheimdienste generell vom IFG ausgenommen sind, wird als eine jener „politischen Entscheidungen“ benannt, „die außerhalb des Rahmens der vorliegenden Evaluation liegen“. Die AutorInnen legen nahe, zukünftig die Auskünfte kostenlos zu gewähren, zumal bislang bei nur 20 Prozent der Anfragen überhaupt Kosten in Rechnung gestellt worden seien und mit der Beseitigung des Kostenrisikos die Schwellen der Inanspruchnahme des Informationsrechts sinken würden. Dass das auch für den Band selbst gilt, haben die Verantwortlichen bei der Preisgestaltung für das Buch – oder bei der Wahl des Verlages – leider übersehen.

Schoch, Friedrich: Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, in: Jura 2012, H. 3, S. 203-212

In diesem Aufsatz wird das Recht der Informationsfreiheit auf wenigen Seiten dargestellt. An zehn Fällen wird die praktische Bedeutung zentraler Bestimmungen ausgeführt. Bei der Darstellung der Ausnahmen vom Auskunftsanspruch kommt mehrfach der Sicherheitsbereich zur Sprache. Im Hinblick auf Dokumente mit besonderem Geheimnisschutz weist Schoch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2010 hin, demzufolge die bloße Klassifizierung eines Dokuments als Verschlusssache (mit diesem Verweis hatte sich bis zu diesem Urteil auch der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit zufrieden gegeben) nicht als Grund für die Zugangsverweigerung ausreicht; es komme vielmehr auf die „materielle Richtigkeit der Einstufung“ an. Als „weithin akzeptiertes rechtspolitisches Ziel“ sieht der Autor „die weitere Verbesserung der Transparenz der Verwaltung (bei gleichzeitiger Wahrung legitimer Geheimhaltungsinteressen des Staates und privater Dritter).“

Gusy, Christoph: Informationszugangsfreiheit – Öffentlichkeitsarbeit – Transparenz, in: Juristen Zeitung 2014, H. 4, S. 171-179

Das Hamburgische Transparenzgesetz von 2012, das die Landesbehörden zu einem zentralen Informationsregister verpflichtet, ist der Ausgangspunkt dieses Aufsatzes. In verwaltungsrechtlicher Ausrichtung wird das „Umfeld“ staatlichen Informationshandelns ausgeleuchtet. Gusy skizziert ein tendenziell veraltetes „Zwei-Säulen-Modell“, bestehend aus staatlicher Öffentlichkeitsarbeit auf der einen, individuellen Auskunftsbegehren auf der anderen Seite. Mit den Transparenzgesetzen trete eine weitere Säule hinzu, die das „Verwaltungsinformationsrecht“ weiter verkompliziere. Neben der Aufgabe für VerwaltungsrechtlerInnen, dogmatische Ordnung in dieses Rechtsgebiet zu bringen, sieht der Autor Klärungsbedarf im Hinblick auf die „Legitimation von Transparenz der Verwaltung“ – merkwürdig, wäre es nicht umgekehrt plausibler: Intransparenz der Begründungspflicht zu unterwerfen?

Schaar, Peter: Hat der Staat eine eigene Privatsphäre?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2013, H. 15/16, S. 41-45

Der damalige „Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ gibt in diesem kurzen „Essay“ die herrschende datenschützerische Lesart wieder: Man ziehe eine lange Linie von der bürger­lichen Aufklärung über das Volkszählungsurteil bis zur Herleitung einer „immanenten Transparenzpflicht“, der sich der Staat unterwerfen müsse und aus der ein „proaktives Informationsangebot“ resultiere. Der Aufsatz ist deshalb für eine bestimmte Diskussion des Themas symptomatisch, weil er an naiv-verharmlosende Vorstellungen von staatlicher Herrschaft anknüpft, die gewünschte Passivierung der BürgerInnen ignoriert und die Informationsfreiheit als Allheilmittel demokratisch gewandeter Herrschaftstechnik preist: „Transparenz … begründet Vertrauen …, das für die Akzeptanz … unerlässlich ist. Akzeptanz und Vertrauen stärken Legitimität, Loyalität und inneren Frieden.“

Transparency International: Classified Information. A review of current legislation across 15 countries & the EU, London 2014

Traditionell hat Transparency ein Interesse an der Informationsfreiheit: denn Offenheit gilt als Mittel zur Offenlegung und zur Verhinderung von Korruption. Im vorliegenden Bericht, der durch den Verteidigungsbereich motiviert ist, werden durch den internationalen Vergleich Standards für Informationszugangsregelungen entwickelt. Neben den vielen materiell-rechtlichen und prozeduralen Vorkehrungen verlangt der Bericht eine zeitliche Begrenzung von Geheimhaltungsvorschriften und deren periodische Überprüfung.

Curtin, Deirdre: Overseeing Secrets in the EU: A Democratic Perspective, in: Journal of Common Market Studies 2014, pp. 1-17

In der herrschenden Lehre sind die Parlamente die StellvertreterInnen des Volkes. Sie sollen nicht nur dessen Willen formulieren, sondern auch in seinem Namen den Staatsapparat kontrollieren. Es ist offenkundig, dass in dem Maße, wie das Informationsrecht des Parlaments beschnitten wird, eine den Namen verdienende Kontrolle nicht möglich ist. Das gilt auf der nationalen Ebene (siehe zu den regierungsamtlichen Strategien, Auskunft und damit Kontrollmöglichkeiten zu versagen, den Beitrag von Albrecht Maurer und Matthias Monroy in diesem Heft). Das gilt aber auch auf der europäischen Ebene. Das europäische Demokratiedefizit ist ein altbekanntes Strukturmerkmal der EU-Einigung. Deirde Curtin richtet ihr Augenmerk in diesem Aufsatz auf die Definitionsmacht der EU-Bürokratien: Indem sie Dokumente als (vertraulich, geheim etc.) klassifizieren, entziehen sie Themen und Entscheidungen dem demokratischen Prozess. Verlangt wird eine Debatte über Kriterien und (zeitliche) Begrenzungen von Geheimhaltung und über wirksame Kontrollmechanismen.

Bunyan, Tony: Constructing the secret EU state: “Restricted” and “Limite” documents hidden from view by the Council (statewatch analysis), London 2014

Die Statewatch-Untersuchung zeigt das Ausmaß der Geheimhaltung in der EU: Obgleich eine Richtlinie von 2001 das Prinzip der Öffentlichkeit für EU-Dokumente vorschreibt, wird bereits deren Existenz in erheblichem Umfang unterschlagen: In den Jahren von 2001 bis 2012 wurden mehr als 100.000 als „RESTRICTED“ (= unterste Geheimhaltungsstufe) klassifizierte Dokumente nicht in den jährlichen Berichten des Rates erwähnt. Hinzu kommt die eingeschränkte Zugänglichkeit von Dokumenten, die sich auf den Verkehr zwischen Rat, Mitgliedstaaten und einzelnen Behörden beziehen und die als „LIMITE“ eingestuft sind. Seine Politik der Geheimhaltung setzte der Rat auch gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs fort. Nur 40 Prozent der Dokumente, die im Rahmen der EU-Rechtsetzung anfielen, wurden während dieses Prozesses öffentlich zugänglich. „In welcher Art von Demokratie“, so der Bericht, „befinden sich die BürgerInnen und die Gesellschaft, denen der Zugang zu 60 Prozent der Informationen verweigert wird, die in Gesetzgebungsprozessen anfallen?“

Open Society Foundations; Open Society Justice Initiative: The Global Principles on National Security and the Right to Information (Tshwane Principles), New York 2013 (www.opensocietyfoundations.org)

Die 50 „Tshwane-Prinzipien“ (benannt nach dem Ort ihrer Verabschiedung in Südafrika) formulieren Grundsätze, die möglichst weitreichende Zugänglichkeit und möglichst wenig Geheimhaltung gewährleisten sollen.

Aus dem Netz

https://fragdenstaat.de

Die als Projekt der gemeinnützigen „Open Knowledge Foundation“ betriebene Seite bietet einen doppelten Service. Zum einen hilft sie beim Stellen von Anfragen (ob mit oder ohne Bezug zum Informationsfreiheitsgesetz), indem sie ein entsprechendes Formular bereitstellt, das in wenigen Schritten ausgefüllt werden kann. Zum anderen gibt die Seite Auskunft über den Stand der Anfragen, und sie gibt die Antwort – sofern erteilt – wieder. Bis Dezember 2014 waren über 4.000 Anfragen an über 5.000 Behörden via „Frag den Staat“ gestellt worden. Mit einer freien Stichwortsuche ist der Frage-Antwort-Bestand schnell und leicht durchsuchbar.

https://netzwerkrecherche.org

Der Zusammenschluss recherchierender JournalistInnen unterhält einen Generator „Frag den Dienst“, mit dem es erleichtert wird, bei den Geheimdiensten Auskunft über zur eigenen Person gespeicherte Daten zu beantragen. Die Seite enthält keine Angaben zu den bereits gestellten Fragen.

https://datenschmutz.de/cgi-bin/auskunft

Der von der Roten Hilfe angebotene Generator bietet ein Formular, mit dem Auskunft bei Sicherheitsbehörden im Inland und bei einigen europäischen beziehungsweise internationalen Behörden über die zur eigenen Person gespeicherten Dateien beantragt werden kann. Die Seite ist ein wenig textlastig; warum der Bundesnachrichtendienst in der Liste der Behörden fehlt, ist nicht klar. Aber der Generator funktioniert tadellos und umgehend. Die Startseite verweist auf zwei Wikis: Jenes zu „Überwachung und Datenschutz“ stellt sehr informativ die „Datenbanken der Sicherheits- und Repressionsbehörden“ sowie die verschiedenen Formen und die Rechtsgrundlagen von Auskunftsrechten dar. Auf der „Wiki-Seite zum Auskunftsersuchen“ lassen sich die Erfahrungen von 15 AntragstellerInnen – teilweise mit Faksimile der Antwort – nachlesen. (sämtlich: Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Meinl, Susanne; Hechelhammer, Bodo: Geheimprojekt Pullach. Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND, Berlin, Ch. Links Verlag, 2014, 288 S., 34,90 EUR

In den Jahren 1936-38 als Mustersiedlung für die Führungs-Clique der NSDAP errichtet, zog Ende 1947 die „Organisation Gehlen“ – der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND) – in den Pullacher Gebäudekomplex ein. Im ersten Teil des Buches (S. 12-138) beschreibt die Ge­schichts- und Politikwissenschaftlerin Susanne Meinl diesen Entstehungs- und Entwicklungsgang der späteren langjährigen Geheimdienstzentrale.

Hier wichtiger ist jedoch der zweite Teil (S. 140-241), der sich mit der Übernahme der Siedlung durch die „Organisation Gehlen“ und deren führende ProtagonistInnen sowie der weiteren Entwicklung hin zum BND befasst. Hierfür zeichnet Bodo Hechelhammer, ebenfalls Historiker und seit 2002 hauptamtlicher BND-Mitarbeiter, verantwortlich. Seit 2010 ist er zudem als Leiter der Forschungsgruppe „Geschichte des BND“ zuständig für das Geschichtsprojekt des deutschen Auslandsgeheimdienstes. So stand ihm neben Privatnachlässen im In- und Ausland auch das BND-Archiv offen. Dafür erfährt man in diesem Teil dann erstaunlich – oder eben gerade nicht erstaunlich – wenig von tatsächlichem Interesse aus dem geheimen Innenleben in Pullach. Dass etwa Reinhard Gehlen, der ehemalige Chef von Hitlers Geheimdienst „Fremde Heere Ost“, sich rechtzeitig vor Kriegsende mit einem guten Teil seines Archivs in den Alpen versteckte, sich später den Amerikanern er- und sein Archiv übergab und dafür erneut geheimdienstlich installiert wurde, ist hinlänglich bekannt. Ebenso, dass er anschließend einen Teil seiner unappetitlichen Truppe alter Nazi-Offiziere nachzog. Immerhin über diese, von denen später einige in der Bundeswehr und im Bundeskriminalamt Karriere machten, erfährt man einiges Nähere. Ebenso darüber, dass und wie die neue Gehlen-Truppe auch auf dem Gelände wohnte, dort komfortabel aus amerikanischen PX-Läden versorgt wurde, eigene Kindergärten und Schulen unterhielt und den Kontakt mit der übrigen Pullacher Bevölkerung meiden sollte. Solche Schnurren lassen sich heute eben problemlos erzählen. (Otto Diederichs)

Gen-ethisches Netzwerk (Hg.): Identität auf Vorrat. Zur Kritik der DNA-Sammelwut, Berlin (Assoziation A), 2014, 136 S., 14,– EUR

Die DNA-Analyse gilt als „Wundermittel zur Aufklärung von Straftaten“ (S. 25). 1998 wurde die zentrale DNA-Datenbank – eine Verbunddatei zwischen Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalämtern – eingerichtet. Laut BKA kommen jeden Monat rund 8.500 neu gespeicherte DNA-Profile hinzu. Der Bundestag verabschiedete im Sommer 2005 das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse, mit dem die Eingriffsbefugnisse der Ermittlungsbehörden massiv erweitert wurden.

Das Gen-ethische Netzwerk skandalisierte 2011 und 2012 mit einer Kampagne die „DNA-Sammelwut“ der Ermittlungsbehörden. Im Nachklang dazu ist dieser Sammelband erschienen. In kurzen prägnanten Beiträgen erklären die AutorInnen, was ein DNA-Profil ist, wie die Rechtslage in Deutschland aussieht; sie zeigen das Irrtumspotenzial der DNA-Analyse, sie schildern Beispiele für polizeiliche DNA-Massen­gen­tests und stellen den Ausbau des europäischen DNA-Datennetzes dar.

Sie kritisieren, dass bereits bei Bagatelldelikten DNA-Material entnommen und gespeichert wird. Der Beweiswert dieses Materials werde vor Gericht überschätzt. DNA-Analyse sei eine biostatistische Aussage, die nichts über Tathergang oder Täterschaft aussagt. Nach Ansicht der HerausgeberInnen wird vor allem die DNA von unterprivilegierten und rassistisch diskriminierten Gruppen überproportional in Polizeidatenbanken erfasst. So macht die Journalistin Heike Kleffner in ihrem Beitrag deutlich, wie der polizeiliche Umgang mit der DNA-Spur im Fall der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter zu rassistisch geprägten Ermittlungen gegen Roma und Sinti führte. Das Profil einer am Tatort gefundenen Probe stimmte mit der DNA einer an 29 Tatorten von Gewalt- und Straftaten im In- und Ausland gefundenen überein. Die Polizei ermittelte infolge gegen eine „reisende Person“ aus dem „Zigeunermilieu“. Die Plausibilität der DNA-Spur, die sich im Nachhinein als Ergebnis eines Herstellungsfehlers der Wattestäbchen erwies, stellten die Polizist­Innen nicht infrage.

Die Beiträge des Bandes stellen spektakuläre Fälle der „DNA-Sammelwut“ dar und berichten von internationalen Protestkampagnen und Strategien der Gegenwehr. (C. Schröder)