Gefährliche Orte und die Definitionsmacht der Polizeibehörden

von Florian Krahmer

„Gefährliche Orte“ sind polizeilich eingerichtete Sonderzonen, die es Polizist*innen ermöglichen, Maßnahmen gegen Personen auch ohne konkreten Tatverdacht durchzuführen. Sie zeigen sich immer wieder als Austragungsort für politische Konflikte und bilden darüber hinaus auch ein Experimentierfeld für neue polizeiliche Maßnahmen.

Polizeibeamt*innen kommt bei der Bewertung von Gefahren und der damit verbundenen Entscheidung über die (aus ihrer Sicht) notwendigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr ein hohes Maß an Definitionsmacht zu. Feest und Blankenburg zeigten in ihrer Arbeit, dass diese Entscheidungen nicht nur von der konkreten Gefahrenlage, sondern auch durch andere Aspekte, wie zeitökonomische Erwägungen, Erfolgsdruck durch Vorgesetze sowie eigenen Karriereambitionen geprägt sind.[1] Bisherige Arbeiten zur Definitionsmacht der Polizei beziehen sich auf das Handeln einzelner Polizeibeamt*innen. Wenig Beachtung fand unterdessen die Definitionsmacht der Polizist*innen in der Verwaltungsebene, die den Vollzugsbeamt*innen übergeordnet sind. Nachfolgend soll anhand verschiedener Beispiele zu sogenannten Gefährlichen Orten in Sachsen ein Beitrag dazu geleistet werden, den Blickwinkel auf Verwaltungsentscheidungen innerhalb der Behörde Polizei zu erweitern, die mit ihrer Definitionsmacht Einfluss auf die Festlegung von Kontrollbereichen und die öffentliche Wahrnehmung „Gefährlicher Orte“ nehmen.

Bei „Gefährlichen Orten“ handelt es sich zunächst um Kontrollbereiche der Polizei, an denen verdachtsunabhängige Kontrollen von Personen mit eventuell weiteren Folgemaßnahmen möglich sind. Zur Festlegung eines Kontrollbereiches bedarf es einer polizeilichen Erkenntnis, dass dieser Ort im besonderen Maße von Kriminalität betroffen ist. In der wissenschaftlichen Literatur wurde bereits vielfach thematisiert, dass es sich bei den festgestellten Delikten oft um opferlose Straftaten handelt (z. B. Verstöße gegen das Betäubungsmittel- und das Aufenthaltsgesetz).[2] Ein „Gefährlicher Ort“ bedeutet somit noch nicht, dass man hier automatisch Gefahr läuft, Opfer einer Straftat zu werden. Vielmehr wird mit einer abstrakten Gefahr argumentiert. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass es an Orten, an denen sich erfahrungsgemäß Drogendealende und Konsumierende aufhalten, wahrscheinlich ist, dass es zu Begleitstraftaten kommt, die so die Anzahl von Straftaten prognostisch erhöht. „Gefährliche Orte“ haben also viel mit Annahmen und Prognosen zu tun. Diese können sich auch als selbsterfüllende Prophezeiungen manifestieren. Das klassische Beispiel hierfür sind Kontrolldelikte. Dort, wo angenommen wird, dass es zu vermehrten Straftaten kommt, kann die Kontrolltätigkeit der Polizei erhöht werden, was wiederum die Feststellung von Straftaten ansteigen lässt. Durch direkte Anweisungen der Behördenleitung, einen Ort gesondert zu bestreifen und Großkontrollen durchzuführen, kann somit Einfluss auf die polizeiliche Statistik genommen werden. Es unterliegt zudem einer Interpretationsfrage, welche Straftatenarten geeignet sind, um eine überdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung festzustellen. In der Regel sind dies keine Wirtschaftsdelikte, sondern Taten der sogenannten Alltagskriminalität, was aber nicht zwingend so sein muss.

Die Festlegung eines Kontrollbereichs

Schon die Vorgaben bezüglich der statistischen Erfassungskriterien von Straften prägen die weiteren Interpretationsmöglichkeiten zur Be-gründung für Kontrollbereiche. Zu nennen wäre hier z. B. die Initiative der Innenministerkonferenz, zukünftig Messer als Tatmittel statistisch einheitlich zu erfassen, nachdem medial immer wieder thematisiert wurde, ohne dies belegen zu können, dass Straftaten unter Verwendung von Messern stark zugenommen haben. Aber auch ganze Phänomenbereiche von Deliktarten können neu geschaffen werden, wenn die bisherigen Straftatenarten keine ausreichende Begründung für polizeiliche Maßnahmen liefern. Die Evaluation der Waffenverbotszone im Bereich des „Gefährlichen Ortes“ in der Leipziger Eisenbahnstraße, konnte z. B. statistisch nicht nachweisen, dass die Waffenverbotszone einen positiven Effekt auf das Kriminalitätsaufkommen hatte. Dies lag u. a. daran, dass zu den Straftaten unter Verwendung von Waffen keine aussagekräftigen Statistiken existieren. Zudem hatte sich die Anzahl der Rohheitsdelikte nicht verändert.[3] Aus diesem Grund wurde von den Autor*innen des Evaluationsberichtes der Waffenverbotszone kurzer-hand ein neuer Straftatenphänomenbereich erfunden: „Mit Waffen geführte kollektive Auseinandersetzungen“. Im Evaluationsbericht wurde dieser jedoch nicht weitergehend beschrieben. Dies erfolgte erste auf Nachfrage durch das Sächsische Innenministerium, welches diesen wie folgt definiert: „Mit Waffen geführte kollektive Auseinandersetzungen sind öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen in Form von Gewaltstraftaten zwischen mindestens zwei größeren Personengruppen, in der Summe ab circa 40 Personen, unter Einsatz von Waffen und/oder gefährlichen Gegenständen.“[4] Der Erfolg der Waffenverbotszone wurde im Nachgang damit belegt, dass Straftaten des neu geschaffene Phänomenbereichs zurückgegangenen seien.[5]

Zusätzlich erfand die Polizeidirektion Leipzig noch „Leuchtturmstraftaten“, die vom Sächsischen Innen-ministerium wie folgt definiert wird: „Leuchtturmstraftaten sind verwirklichte Straftaten im Bereich der Waffenverbotszone, die im konkreten Einzelfall ein breites mediales Interesse hervorriefen und zudem geeignet sind, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung negativ zu beeinflussen“.[6] Während die sogenannte kollektive Auseinandersetzung bei einer Anzahl von 40 Tatbeteiligten beginnt und damit zwar ein willkürlich festgelegtes, aber dennoch überprüfbares Kriterium besitzt, obliegt die Einordnung als „Leuchtturmstraftaten“ gänzlich der Definitionsmacht der Polizei. Mit der beliebigen Festlegung von Phänomenbereichen, bei denen einzelne Straftatenarten zusammengefasst werden, besitzen Polizeibehörden die Möglichkeit, Deliktzahlen nach Belieben zu kombinieren, um somit den erwünschten statistischen Effekt zu erhalten.

Neben den Erfassungskriterien und Interpretationen von Delikten existiert ein weiterer nicht unerheblicher Definitionsspielraum der Polizeibehörden; nämlich in Bezug auf die Frage, welche räumliche Ausdehnung ein Kontrollbereich haben soll. Die polizeilichen Daten allein ermöglichen es in der Regel nicht, eine klare räumliche Grenze zu ziehen, bis wohin eine besondere Kriminalitätsbelastung vorliegt. Häufig wird sich deshalb an geographischen Merkmalen, wie bspw. Straßenverläufen, orientiert. Es können aber auch andere Erwägungen, wie z. B. öffentliche Erwartungen, eine Rolle spielen. So umfasst der Kontrollbereich der Leipziger Eisenbahnstraße auch eine größere Parkanlage, das Rabet. Dieser Park wird in der Berichterstattung über Gefährliche Orte in Leipzig immer wieder als ein Beispiel angeführt. Eine aufwendige Sonderauswertung der Polizei zur Vorbereitung der Einführung einer Waffenverbotszone ergab jedoch, dass es in diesem Park nicht vermehrt zu Gewaltstraftaten gekommen ist. Aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Berichterstattung wäre es für die Bevölkerung jedoch nicht nachvollziehbar gewesen, wenn dieser Park nicht Teil der Waffenverbotszone geworden wäre, auch wenn dies durch die Datenlage nicht begründbar war. Das Innenministerium begründete die Einbeziehung der Parkanlage hingegen damit, dass man aus polizeilicher Erfahrung wisse, dass es hier zu Drogenhandel komme und dass dieser weitere Delikte nach sich ziehe, auch wenn gerade keine diesbezüglichen Straftaten erfasst werden.

Vom Kontrollbereich zum „Gefährlichen Ort“

Dass ein Ort zu einem polizeilichen Kontrollbereich erklärt wurde, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass er auch als ein „Gefährlicher Ort“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. In diesem Kontext ist es vor allem die mediale Berichterstattung über besonders aufsehenerregende Straftaten, die eine Grundlage für eine solche Wahrnehmung bietet. Über gezielte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit besitzt die Polizei ein zentrales Gestaltungsinstrument, um bestimmte Orte in den medialen Fokus zu rücken. Diese Kommunikationsmacht wird von den Polizeien durchaus strategisch eingesetzt. In einem internen Dokument der Bund-Länder-Projektgruppe „Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität“, welches an die Öffentlichkeit gelangte und im Netz nun frei zugänglich ist, ist im Kapitel 6.1, „Ziel der Öffentlichkeitsarbeit“, zu lesen: „Es ist eine proaktive Medienarbeit anzustreben“ und: „Neben der Erfüllung pressegesetzlicher Informationspflicht kommt es daher darauf an, insbesondere folgende Ziele zu erreichen: (…) Schaffung von Verständnis und Akzeptanz für polizeiliche Maßnahmen, (…) Betonung der Handlungsfähigkeit des Staates und der Maxime, rechtswidrigem Verhalten konsequent entgegen zu treten“.[7] Die polizeiliche Medien- und Pressearbeit wird hier nicht zentral als ein Medium zur Information der Bevölkerung genutzt, sondern vor allem als Mittel für eine positive Außendarstellung der Wirksamkeit polizeilicher Arbeit.

In den Bereich der gezielten Öffentlichkeitsarbeit gehören auch konzertierte Großkontrollen, an denen häufig unterschiedliche Behörden, bspw. die Polizeien, Ordnungsämter oder der Zoll, beteiligt sind und die aus diesem Grund eine auf der Leitungsebenen angesiedelte Planung und Koordinierung bedürfen. Diese Großrazzien zielen dabei in den seltensten Fällen auf schwere Straftaten ab, sondern sind hauptsächlich im Bereich des Gewerbe- und Steuerrechts angesiedelt.[8] Das Ziel solcher Großeinsätze besteht nicht zuletzt in der Demonstration staatlicher Stärke und Handlungsbereitschaft, die unter der öffentlich kommunizierten Devise stehen, dass man keine rechtsfreien Räume dulde. Für eine Wirkung auch über das Stadtviertel hinaus sorgen nicht nur die sichtbaren Kontrollen, z. B. durch weiträumig abgesperrte Straßen, sondern zusätzlich eine proaktive Pressearbeit, bei der Medienvertreter*innen (teils) vorab über die anstehende Razzia informiert werden. So erfüllt ein „Gefährlicher Ort“ eine wichtige Funktion in der Legitimierung staatlicher Ordnung durch ein demonstrativ dargestelltes funktionierendes Gewaltmonopol.

Wie sehr ein Kontrollbereich als „Gefährlicher Ort“ wahrgenommen wird, steht auch im Zusammenhang mit den politischen Reaktionen und der dahinterliegenden Strategie. Ein Ort kann entweder als gefährlich akzeptiert werden und es werden dementsprechend Maßnahmen zur Bekämpfung der Gefahr angekündigt, um so Handlungsstärke zu demonstrieren, – oder die Gefährlichkeit eines Ortes wird zurück-gewiesen, dann besteht die Strategie darin, den verlorengegangenen Ruf wiederherzustellen. Welche von beiden Strategien gewählt wird, hängt auch davon ab, welche stereotypen Vorstellungen von einem „Gefährlichen Ort“ existieren. In der medialen Thematisierung von „Gefährlichen Orten“ erscheinen diese fast ausschließlich als urban und migrantisch geprägt. Ländliche Räume, die genauso gut im Verhältnis zur Umgebung eine besondere Kriminalitätsbelastung aufweisen können, kommen so gut wie nie in der öffentlichen Berichterstattung vor. Als dies in Sachsen doch einmal durch Zufall geschah, bestand die einhellige Reaktion der Bürgermeister*innen und der Kommunalverwaltung sowie der Kommunalpolitiker*innen der betroffenen Gemeinden darin, die Gefährlichkeit der Orte zu verneinen. So veröffentlichte das Sächsische Staatsministerium des Inneren 2018 in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage eine Liste von polizeilichen Kontrollbereichen.[9] Neben Gebieten wie der Leipziger Eisenbahnstraße fanden sich auf der Liste auch bisher unbekannte Orte im ländlichen Raum, wie der Busbahnhof in Burgstädt oder der Marktplatz in Rochlitz. Die Veröffentlichung dieser Übersicht wurde von der sächsischen Presse breit rezipiert. Die Reaktion der Kommunalpolitiker*innen und der Gemeindeverwaltung der bisher unbekannten, ruralen „Gefährlichen Orte“ fiel im weiteren Verlauf der Berichterstattung sehr verärgert aus: Man fürchtete z. B. eine Schädigung des Rufes der Gemeinde und wollte sich beim Innenministerium dafür stark machen, wieder von der Liste gestrichen zu werden. Auf Forschungsanfragen des Autors wurde u. a. die Antwort gegeben: Man könne hierzu nichts sagen, hier gäbe es nichts Gefährliches und man solle sich an die Polizei wenden, die seien dafür zuständig.

Der „Gefährliche Ort“ in der Strategie des Polizierens

„Gefährliche Orte“ können in drei Formen kategorisiert werden: a) „Gefährliche Orte“, bei denen die Gefahren von außen hineingetragen werden, b) „Gefährliche Orte“, die es zu befrieden gilt, und c) „Gefährliche Orte“ als Experimentierfeld und Projektionsfläche. Ein anschauliches Beispiel des ersten Typs sind „grenznahe Räume“, die von einer sogenannten „grenzüberschreitenden Kriminalität“ betroffen sind. Für die Anwohner*innen dieser Orte stellt die Feststellung einer besonderen Kriminalitätslage keine Stigmatisierung dar, denn die Bedrohung kommt von außen und sie sehen sich selbst als Opfer der Bedrohung. Mit dem Opferstatus kann auch eine gewisse Anspruchshaltung einhergehen, die besonders in Wahlkämpfen aufgegriffen wird. So war die „Grenzüberschreitende Kriminalität“ im sächsischen Landtagswahlkampf 2019 ein großes, von der AfD forciertes Thema. Zusätzliche Relevanz erhielt es dadurch, dass der jetzige sächsische Ministerpräsident, Michael Kretschmer, zuvor direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz war und bei der Bundestagswahl 2017 sein Direktmandat an den AfD-Kandidaten verlor. Im Jahr 2019 wurden dementsprechend, unter Begleitung intensiver Öffentlichkeitsarbeit, mehrere Videokameras auf der Fußgängerbrücke zwischen Görlitz und der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec installiert. Im gleichen Jahr wurde zudem die Kontrolltätigkeit der Polizei im grenznahen Raum massiv erhöht. Dies lässt sich anhand der Zahl der Unterstützungseinsätze der Bereitschaftspolizei für Kontrollen in der Polizeidirektion Görlitz sehr gut belegen: 2017 fielen 340 Einsatzstunden für die Polizist*innen an, nach der verlorenen Bundestagswahl 2018 waren es schon 12.575 Stunden und 2019, im Jahr der Landtagswahl, waren es 45.056 Einsatzstunden, die ein Jahr später wieder auf 32.224 Stunden zurückgingen.[10]

Bei der zweiten Kategorie eines „Gefährlichen Ortes“, bei der es darum geht, die vermutete Gefährlichkeit zu reduzieren, spielen häufig ökonomischen Interessen eine wichtige Rolle. Dabei zeigt sich eine paradoxe Situation. Zum einen ist es von Immobilienunternehmer*innen und Gewerbetreibenden nicht gewollt, dass der Ort als zu gefährlich dargestellt wird, denn dies würde Kundschaft und Mieter*innen abschrecken. Zum anderen sind aber gewisse Aufwertungsprozesse erwünscht, die z. B. mit der Verdrängung des sogenannten Trinkermilieus einhergehen. Zur Legitimierung einer Bekämpfung leichterer Ordnungsstörungen erscheint es praktikabel, diese als eine Gefahrenquelle darzustellen, ohne sie jedoch zu dramatisieren. Als Kommunikationsstrategie ist deswegen häufig zu beobachten, dass verschiedene politische wie polizeiliche Akteur*innen betonen, dass der betreffende Ort im Grunde sicher sei, es aber dennoch Ordnungsstörungen gebe, die das subjektive Sicherheitsgefühl beeinträchtigten. In der Thematisierung des Sicherheitsgefühls wird die Beeinträchtigung zwar als ein ernstzunehmendes Problem dargestellt, zugleich aber sei dies nicht mit der „tatsächlichen“ Sicherheitslage zu verwechseln. Auch der gesamte Evaluationsbericht der Waffen-verbotszone in der Leipziger Eisenbahnstraße ist von dieser Logik geprägt.[11] Denn obwohl der Evaluationsbericht darlegt, dass die Einwohner*innen der Eisenbahnstraße kein erhöhtes Unsicherheits-gefühl aufgrund von Ordnungsstörungen haben,[12] wurde bei der Pressekonferenz zur Vorstellung dieses Berichtes vom Leiter der Evaluation betont, dass Graffiti und illegale Müllablagerungen bei den Einwohner*innen Angst verursachen würden. Daraufhin kündigte die Stadt Leipzig an, vermehrt gegen diese Delikte vorgehen zu wollen, um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Kritische Gentrifizierungsdebatten haben gezeigt, dass Stadtverwaltung und Landesregierung bereit sind, den ökonomischen Interessen möglicher Inverstor*innen nachzukommen und Aufwertungsprozesse zu unterstützen. Die Klassifizierung der Gefährlichkeit eines Ortes aufgrund von Ordnungsstörungen bietet hierzu eine gute Begründung, um ordnungs- und sicherheitspolitisch unterstützend zu wirken. Die „Broken-Windows-Theorie“ unterfüttert dies mit einer scheinbar kriminologischen Theorie und erklärt das Vorgehen gegen Ordnungsstörungen zur präventiven Maßnahme gegen Straftaten. So wurde auch von den Autor*innen der Evaluation der Waffenverbotszone die „Broken-Windows-Theorie“ als theoretisches Gerüst für ihre empfohlenen Maßnahmen verwendet.[13]

Die dritte Kategorie eines „Gefährlichen Ortes“ betrifft Gebiete, in denen polizeiliche Maßnahmen im Grunde nicht darauf abzielen, Gefahren abzuwehren, sondern bei denen andere, zumeist politische Interessen, eine Rolle spielen. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Interviews[14] erläuterte ein leitender Polizeibeamter der Polizeidirektion Leipzig, dass die Videoüberwachung im links-alternativ geprägten Stadtteil Leipzig-Connewitz keinerlei polizeilichen Effekt habe, denn die Videoaufnahmen würden nicht gespeichert und kein*e Beamt*in hätte Zeit, sich die Liveübertragungen anzuschauen. Für ihn lag es auf der Hand, dass es sich um ein politisches Symbol in der Auseinandersetzung zwischen dem CDU-geführten Sächsischen Innenministerium und der SPD-geführten Stadt handelte. Zudem wollte man in den frühen 2000er Jahren Videoüberwachung als ein neues Instrument der Polizei erproben. Eine ähnliche Einschätzung traf der Beamte auch in Bezug auf die Einrichtung eines zusätzlichen Polizeipostens mitten im Stadtteil Connewitz, der mit der Begründung eröffnet wurde, dadurch schneller Polizeikräfte vor Ort zu haben. Und das, obwohl das nächstgelegene Polizeirevier in nur 1,5 km Entfernung liegt. Dieser Polizeiposten wird seit seiner Inbetriebnahme regelmäßig von mutmaßlich politisch-links motivierten Personen mit Steinen und Farbbeuteln beworfen, was in aller Regelmäßigkeit zu einer medialen Diskussion über linke Gewalt führt. Auch am „Gefährlichen Ort“ der Leipziger Eisenbahnstraße wurde ein Polizeiposten eingerichtet. Anders als der Posten in Connewitz wurde dieser aber nicht regelmäßig angegriffen. Im Gegenteil geht aus der Bevölkerungsbefragung der Evaluation der Waffenverbotszone sogar hervor, dass die Bewohner*innen diesen zusätzlichen Standort sehr positiv bewerten. Trotzdem wurde er im Herbst 2020 geschlossen und – entgegen anderslautender Ankündigung – an keinem anderen Standort bisher wiedereröffnet. Ein Umstand, der vermuten lässt, dass nicht polizeiliche, sondern politische Erwägungen bei der Errichtung der Polizeiposten in Connewitz und der Eisenbahnstraße eine Rolle spielten.

Schlussbetrachtungen

„Gefährliche Orte“ sind nicht nur Projektionsfläche und Austragungsort für politische Konflikte, sondern sie sind auch ein Experimentierfeld für neue polizeiliche Maßnahmen. An Orten, die im allgemeinen Verständnis als „gefährliche“ gelten, scheint es kaum zu größeren Widerständen zu kommen, wenn neue Formen des Polizierens erprobt werden. So ist z. B. aus den Verwaltungsakten zur Einführung der Waffenverbotszone in der Leipziger Eisenbahnstraße ersichtlich, dass die Initiative dazu aus dem Innenministerium kam und dass nicht die Polizeidirektion eine dringende Notwendigkeit für eine neue polizeiliche Maßnahme sah. Das Innenministerium wendete sich in einem Schreiben an die Polizeidirektion Leipzig mit der Ankündigung, ein Pilotprojekt starten zu wollen, welches man später auch an anderen Orten umsetzen möchte. Die Polizeidirektion wurde demensprechend beauftragt, einen Lagebericht zu entwerfen, der die Einführung einer Waffenverbotszone begründet. Zusätzlich sollte die Einführung der Waffenverbotszone ein politisches Symbol sein, wie der Leiter der Evaluation und Professor an der Sächsischen Polizeihochschule bei einer Vorstellung des Evaluationsberichtes in einem Stadtteilzentrum der Eisenbahnstraße formulierte: Es gehe darum, in einem symbolischen Akt ein Stoppzeichen gegen Kriminalität zu setzen, und dies sei auch gelungen.

[1]   Feest, J./ Blankenburg, E.: Die Definitionsmacht der Polizei: Strategien der Strafverfolgung und sozialen Selektion, Düsseldorf 1972
[2]   s. z. B. Dörmann, U. (Hg.): Zahlen sprechen nicht für sich. München 2004
[3]    Sächsisches Staatsministerium des Inneren: Ergebnisbericht zur Evaluation der Waffen-verbotszone Eisenbahnstraße in Leipzig, Dresden 2021, S. 27ff., https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.3_Dez3_Umwelt_Ordnung_Sport/32_Ordnungsamt/KPR/Bericht_Auswertung-WVZ_SMI-PO.pdf
[4]   LT Sachsen Drs. 7/6811 v. 16.07.2021
[5]   LT Sachsen Drs. 7/7152 v. 27.08.2021
[6]     LT Sachsen Drs. 7/6811 v. 16.07.2021
[7]   Bericht der Bund-Länder-Projektgruppe des UA FEK v. 7.10.2010, S. 55, https://cryptome.org/2012/09/biker-crime.pdf
[8]   Feltes, T./ Rauls, F. (Hg.): Der Kampf gegen Rocker. Der „administrative Ansatz“ und seine rechtsstaatlichen Grenzen. Frankfurt a.M. 2020
[9]   LT Sachsen Drs. 6/13749 v. 13.7.2018
[10] verschiedene Landtagsdrucksachen gleichen Titels u. a. LT Sachsen Drs. 6/9079 v. 24.4.2017
[11] Eine ausführliche Kritik des Evaluationsberichtes findet sich bei Krahmer, F.: Die Evaluation der Waffenverbotszone in Leipzig & was die Sicherheitsbehörden daraus schlussfolgern (18.7.021), https://copwatchleipzig.home.blog/2021/07/18/die-evaluation-der-waffenverbotszone-in-leipzig-was-die-sicherheitsbehorden-daraus-schlussfolgern
[12] Sächsisches Staatsministerium des Innern a.a.O. (Fn. 3), S. 111f.
[13] Krahmer a.a.O. (Fn. 11)
[14] Das Interview wurde im Rahmen des Promotionsvorhabens des Autors geführt. Aufgrund zugesicherter Anonymität können die genauen Dienstbezeichnungen und das Datum des Interviews nicht veröffentlicht werden.

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