von Matthias Jakubowski und Clara Bünger
7,85 Millionen Euro beantragte die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) Ende 2021 beim Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages für das Jahr 2022. Es droht erstmals die finanzielle Förderung einer dem extrem rechten Parteienspektrum nahestehenden Stiftung aus staatlichen Mitteln. Eine Herausforderung, die nicht Hand in Hand mit dem Verfassungsschutz zu lösen ist.
Dass dieser Tag kommen würde, hatte sich spätestens mit der offiziellen Anerkennung der 2015 gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung als parteinahe Stiftung am 30. Juni 2018 durch den Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) abgezeichnet. Seitdem versuchte die Stiftung regelmäßig an finanzielle staatliche Förderungen zu gelangen. Da dies erfolglos blieb, startet die DES nun einen neuen Versuch.[1] Für den Fall, dass der Antrag beim Haushaltsausschuss erfolgreich ist und die AfD in den kommenden Jahren ihr Wahlergebnis auf dem bisherigen Niveau stabilisiert, könnte das eines Tages eine Förderung von bis zu 70 Millionen Euro jährlich aus dem Bundeshaushalt bedeuten.
Politischen Stiftungen wird in der Bundesrepublik die Stärkung der Demokratie als Aufgabe zugeschrieben. Auf der Seite des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat heißt es: „Die Förderung ihrer gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit ist Bildungsförderung im gesellschaftlichen Pluralismus“.[2] Eine finanzielle Förderung setzt voraus, dass die Stiftungen „ins Gewicht fallende politische Grundströmungen“ repräsentieren. Dies wird als gegeben angenommen, wenn sie von einer Partei als parteinahe Stiftung anerkannt sind, und jene zweimal hintereinander in den Deutschen Bundestag eingezogen ist.[3] Die Förderhöhe hängt von den Wahlergebnissen ab. Die Stiftungen sind in ihrer Arbeit nicht weisungsgebunden.
Die DES kann als neuer zentraler Baustein für die seit Jahrzehnten bestehenden Versuche der Neuen Rechten betrachtet werden, in Deutschland eine Hegemonie im vorpolitischen Raum zu erlangen. Vorstandsmitglieder wie Erika Steinbach oder Hans Hausberger sind seit Jahren äußerst gut vernetzt mit Personen, Publikationen und Institutionen der Neuen Rechten oder im Fall von Karlheinz Weißmann sogar einer ihrer strategischen Vordenker. Auch von anderen Aktiven der DES wurden in der Vergangenheit immer wieder völkisch-nationalistische, geschichtsrevisionistische, rassistische und auch antisemitische Positionen vertreten.[4] Eine finanzielle Förderung ihrer politischen Bildungsarbeit würde demnach bedeuten, dass derart menschenfeindliche Positionen in der Gesellschaft stärker verankert werden würden. Eine nationale und internationale Vernetzung könnte vorangetrieben, der politische Aktivismus rechter Studierender gefördert werden.
Mitglieder von Parteien aus dem gesamten demokratischen Spektrum sowie Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft ringen daher seit Herbst 2021 um eine Lösung des immer näher rückenden Problems. Die Bildungsstätte Anne Frank hat mit ihrer Kampagne „Der Stiftungstrick der AfD“ früh dazu beigetragen, auf Gefahren hinzuweisen und einen eigenen Entwurf für ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ veröffentlicht.[5] Die Kampagnenplattform Campact initiierte die Unterschriftenkampagne „Kein Geld für die AfD-Stiftung“, die über zweihundertsechzigtausendmal unterzeichnet wurde.[6] Daran schloss sich eine Gruppe Stipendiat*innen von 13 Begabtenförderungswerken „verschiedener weltanschaulicher, religiöser, politischer, wirtschafts- und gewerkschaftsorientierter Strömungen“ an, die unter dem Motto „#DefunDes“ vom Bundestag ein Stiftungsgesetz fordert, „das staatliche Gelder zur politischen Bildungsarbeit und zur Vergabe von Stipendien an das Eintreten für die demokratischen Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Pluralismus bindet“.[7]
Doch trotz aller Bemühungen wurde bis heute kein entsprechender Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht. Dabei ist ein solches Gesetz unabhängig von der Auseinandersetzung um die DES überfällig. Denn bislang erfolgt die Förderung von derzeit immerhin 660 Millionen Euro im Jahr ohne eigene gesetzliche Grundlage – ein einigermaßen verwunderlicher Zustand, der immer wieder Kritik an der „Selbstbedienungsmentalität“ der etablierten Parteien provoziert. Derzeit dreht sich die Debatte jedoch vor allem um die tauglichen Abgrenzungskriterien, die einem solchen Gesetz zu Grunde gelegt werden sollen.
Fallstrick „Wehrhafte Demokratie“
Will die Politik auf Bundesebene diese gesetzliche Grundlage jetzt also schaffen und dabei die aus der Zivilgesellschaft kommenden Forderungen berücksichtigen, stellt sich die Frage nach der konkreten Ausgestaltung. Hier erfuhr bisher vor allem der oben genannte und von Volker Beck für die Bildungsstätte Anne Frank ausgearbeitete Vorschlag für ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ Aufmerksamkeit. [8] Seinen Kern bilden eine gesetzliche Definition politischer Stiftungen, ein Stiftungsregister und das Bekenntnis der Stiftungen zur „freiheitlich-demokratischen-Grundordnung“ (FDGO). „Es wäre paradox, würde der Staat mit der politischen Bildungsarbeit, die die FDGO gesellschaftlich stärken soll, Träger beauftragen, die die FDGO ablehnen oder sich zumindest indifferent zu ihr verhalten“ – also mal wieder die FDGO als Dreh- und Angelpunkt der staatlichen Entscheidung für eine Förderfähigkeit. Mal wieder die sog. „Extremismustheorie“ und damit am Ende wieder der sog. Verfassungsschutz (folgend: Inlandsgeheimdienst), der darüber entscheidet, was politisch noch förderbar ist und was nicht.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1952, dass als extremistisch gilt, wer gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ verstößt.[9] Die ideengeschichtlich an die Totalitarismusforschung anknüpfende „Extremismustheorie“ geht von einer „nicht-extremistischen“ Mitte aus, die implizit mit der normativen Wertung „gut“ versehen wird. Daneben bestünden zwei gleich „extremistische“ Ränder und ihre Ideologien, links und rechts der Mitte, die normativ gleich „schlecht“ zu bewerten seien. Der Staat, so die „Theorie“, solle eine „Äquidistanz“ zu beiden Rändern halten. Er sei dabei, ebenso wie die Mitte, „ideologiefrei“. Diese „Theorie“ liegt in Deutschland maßgeblich der Arbeit des Inlandsgeheimdienstes zu Grunde. Was ideologisch als „extrem“ gilt und wer somit eine Gefahr für die FDGO darstellt, definiert die Behörde, die nicht nur maßgebliche Mitschuld am nicht gestoppten Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) trägt, sondern seit Jahrzehnten ein Problem mit dem Erkennen und der Bearbeitung rechter Gewalt hat.
Äquidistanz?
Durch die schlichte Einteilung in „Links“, „Rechts“ und „Mitte“ wurden vollkommen leere Kategorien geschaffen. Relevante Unterschiede in den Ideologien, zum Beispiel deren Grundannahmen über die in der Verfassung verankerte Menschenwürde und die Gleichheit der Menschen, werden nicht in Betracht gezogen. Dabei gehen die größten Gefahren für die Freiheit und das Leben von Menschen gerade von der Ideologie und Praxis der Rechten aus, die Gleichheit und Würde aller Menschen in Abrede stellen. Die „Theorie“ unterscheidet auch nicht, ob sich organisatorische Zusammenschlüsse nun gegen die parlamentarische Demokratie wenden, weil sie, wie die Rechten, diese generell ablehnen oder weil sie über sie hinausgehen wollen und bestehende Ungleichheit radikal kritisieren. Beides sei, so die Annahme, gleich „schlecht“ und außerhalb des im Rahmen der FDGO Zulässigen. Am Ende führe das zu einer Banalisierung rechter Gewalt. Immer wieder befeuert wird diese Banalisierung rechter Tätigkeit durch die im politischen Raum von (National-)Konservativen vorgetragene Gleichsetzungen von „Links“ und „Rechts“. Als vorläufiger Höhepunkt darf wohl die Debatte um die durch die CDU-Familienministerin Kristina Schröder im Oktober 2010 erstmals angekündigte und später eingeführte sog. „Demokratieerklärung“, besser bekannt als „Extremismusklausel“, gelten. Diese beinhaltete ein Bekenntnis zur FDGO und sollte so die Unterstützung „extremistischer Strukturen“ durch Projektteilnehmer*innen der drei Bundesförderprogramme „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, „Initiative Demokratie Stärken“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ verhindern. Schnell wurde sichtbar, dass sich diese „Klausel“ vor allem gegen linke und linksalternative Projekte richtete, die wichtige Arbeit zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus leisteten. Die „Extremismusklausel“ war alles andere als ideologiefrei, sondern hatte den Zweck, linkes zivilgesellschaftliches Engagement per se als verfassungsfeindlich zu brandmarken. Mit der Ablehnung der Unterzeichnung einer nach diesem Vorbild gestalteten Klausel durch das „Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz im November 2010 begann nicht nur ein Sturm der Kritik, sondern auch eine Auseinandersetzung über die Verfassungsmäßigkeit der Klausel selbst. Letzten Endes führte dies dazu, dass die Verpflichtung zur Unterzeichnung der Demokratieerklärung im Jahr 2014 wieder zurückgenommen wurde.[10]
Zu einer Abkehr von der „Extremismustheorie“ generell führte dies jedoch bis heute nicht. Aktuell zeigt die politische Aufregung rund um einen Gastbeitrag vom 3. Juli 2021 der neuen Bundesinneninnenministerin in der Verbandszeitschrift „antifa“ der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ zu welchen absurden Ergebnissen es führt, wenn der politische Diskurs den Einschätzungen des Inlandsgeheimdienstes folgt. In dem kurzen Beitrag schrieb die persönlich von den „Hassmails“ des „NSU2.0“ betroffene Nancy Faeser: „Die meisten der NSU-2.0-Briefe sind voller ekelhafter rechtsradikaler Phantasien von der Vernichtung Andersdenkender […] diese Nachrichten haben ein Ziel: Diejenigen einzuschüchtern, die in der Öffentlichkeit für Toleranz, Freiheit, Weltoffenheit und den demokratischen Rechtsstaat einstehen […] Der Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien gehört zur politischen DNA meiner Partei […] Und er muss zum Alltag jedes Demokraten und jeder Demokratin gehören, weil Freiheit und Demokratie jeden Tag aufs Neue gegen ihre Feinde verteidigt werden müssen.“[11] Diesen Beitrag nahmen sowohl der ehemalige parlamentarische Staatssekretär der CSU Stephan Mayer, als auch der immer wieder auch durch anti-semitische Positionen auffallende ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes des Bundes und CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen zum Anlass, Faeser verbal für eine angeblich mangelnde Abgrenzung zum „Linksextremismus“ anzugreifen. Beide taten dies in der neurechten Zeitung Junge Freiheit (JF), die, ebenso wie das Institut für Staatspolitik, von damaligen Mitgliedern der völkisch-nationalistischen Deutschen Gildenschaft gegründet wurde.[12] Über die JF wusste das Unions-geführte Innenministerium der letzten Bundesregierung im Oktober 2021 Folgendes zu berichten: „Die ‚Junge Freiheit‘ hat in der Vergangenheit einzelnen rechtsextremistischen Autoren ein Forum gegeben. In deren Beiträgen fanden sich mitunter rechtsextremistische Argumentationsmuster oder positive Kommentare zu rechtsextremistischen Organisationen, Personen oder Publikationen“.[13] Die vom Inlandsgeheimdienst angewandte „Extremismustheorie“ führt nun dazu, dass Faeser von politischen Rechtsaußen bis hin zu Politiker*innen der selbsternannten „Mitte-Parteien“ für Positionen angegriffen wird, die in Deutschland durch das Grundgesetz gerade besonders geschützt sein sollten: Die Gleichwertigkeit und die Würde aller Menschen, Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus, völkischen Nationalismus, gegen Geschichtsrevisionismus und Gewalt, für den Rechtsstaat und Demokratie.
Spätestens hier wird deutlich, dass die Angriffe nicht nur schlichtweg absurd sind. Sie sind Ausdruck und das gewünschte politische Ergebnis der „Extremismustheorie“. Das Ergebnis entspringt nicht der Abwägung aller Gefahren durch den „ideologiefreien Staat“ für alle in ihm lebenden Menschen, sondern ist durch und durch politisch motiviert und von den handelnden Rechtsaußen im Staat geprägt und maßgeblich beeinflusst. Die „Theorie“ versagt immer dort, wo sie Gefahren „rechts der Mitte“ erkennen soll.[14] Dies ist augenscheinlich auch der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) aufgefallen, wo zu lesen stand: „Problematisch ist die Bereitschaft, die bloße Tatsache der Erwähnung einer Vereinigung in einem Verfassungsschutzbericht als objektiven Nachweis des Extremismus zu nehmen und den politischen Charakter der Wertungen zu verkennen, die in die Klassifizierung eingehen. Extremismus ist keine Naturtatsache.“[15] Genau. Die „Extremismustheorie“ ist eben nicht einem im Norden Englands unter einem Apfelbaum sitzenden Physiker vor die Füße gefallen. So wie sie der Inlandsgeheimdienst heute anwendet, entstammt sie, der menschlichen Fähigkeit des Geschichtenerzählens folgend, aus der Feder der „Extremismusforscher“ Eckhard Jesse und Uwe Backes. Beide gehören zur überschaubaren Riege deutscher Professoren, die seit Mitte der 1970er Jahre versucht haben, der Arbeit des Inlandsgeheimdienstes einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Neustes Zeugnis ihrer vollkommenen vollendeten Fähigkeit, Theorien anhand ihrer eigenen politischen Ideologie auszurichten, ist der jüngst erschienene 33. Band ihres Jahrbuchs „Extremismus & Demokratie“, in dem es vor allem wieder um „Linksextremisten“ geht. Dieses Mal „analysiert“ anhand der vermeintlichen Aktivitäten in der Corona-Pandemie.
Ende der Märchenstunde
Deutsche lieben Märchen. Daher ist nicht davon auszugehen, dass in naher Zukunft Schluss sein wird mit den Auswüchsen ihrer Erzählung. Mit der drohenden Förderung der DES trifft die Politik jedoch, mal wieder, auf die harte Realität. Und der Versuch, diese Förderung mit Hilfe einer Märchenerzählung zu stoppen, kann nur misslingen. Aber mit eben dieser Erkenntnis, der ideologischen Ausrichtung der „Extremismustheorie“ und deren Architekten und der Untauglichkeit des Kriteriums der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gilt es das Bewusstsein der entscheidenden Politiker*innen sowie politischen Kommentartor*innen zu schärfen. Das ist wie immer nicht nur eine politische, sondern auch zivilgesellschaftliche Aufgabe. Denn hier, auf parlamentarischer Ebene und im gesellschaftspolitischen Diskurs, sollte entschieden werden, was unsere Demokratie gefährdet und vor allem was Menschen, die in dieser Demokratie leben, wirklich in Gefahr bringt. Diese essentiell wichtige Entscheidung darf nicht grauen Verwaltungsbeamt*innen überlassen werden, die in ihrer Trutzburg in Köln-Chorweiler einer politischen Ideologie folgen. Der Inlandsgeheimdienst darf nicht darüber bestimmen, was im politischen Raum sagbar ist und was nicht. Was wir stattdessen brauchen, ist ein wacher Gesetzgeber, wache Politiker*innen, die die von Rechtsaußen drohende Gefahr erkennen und die aus den Fehlern im Umgang mit den Rechten in den vergangenen Jahrzehnten gelernt haben. Erforderlich ist ein Konsens, dass parteinahe Stiftungen und deren Akteur*innen im Sinne der allgemeinen Menschenrechte handeln müssen. Die Achtung der Menschenwürde und die Verteidigung der Gleichheit aller Menschen müssen im absoluten Vordergrund stehen. Es dürfen keine menschenfeindlichen Positionen vertreten und keine Ziele verfolgt werden, die darauf angelegt, sind Menschen aufgrund diskriminierender Merkmale in Gruppen einzuteilen. Und das gerne in Gesetzesform.