Am 18. Oktober 2022 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR – Az.: 215/19) die Bundesrepublik Deutschland und stellte fest, dass diese zu wenig gegen sog. Racial Profiling unternehme. Racial Profiling bezeichnet die rechtswidrige polizeiliche Praxis, Personen anhand von phänotypischen Merkmalen und der vermuteten Herkunft für eine polizeiliche Kontrolle auszuwählen. Im konkreten Fall wurden der Berliner Aktivist Biblap Basu und seine Tochter 2012 auf der Heimfahrt kurz nach dem Übergang der deutsch-tschechischen Grenze durch die Bundespolizei auf Grundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kontrolliert. Eine Klage gegen diese Kontrolle wiesen sowohl das Verwaltungsgericht Dresden als auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen mit der Begründung ab, diese sei bereits unzulässig, da eine polizeiliche Identitätsfeststellung keine stigmatisierende Wirkung habe und zudem keinerlei Hinweise für eine diskriminierende Polizeimaßnahme vorlägen. Hiergegen wandte sich der Kläger zunächst erfolgslos an das Bundesverfassungsgericht und schließlich an den EGMR.
Dieser stellte nun einen Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre (Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) fest. Dabei arbeitet der EGMR heraus, dass jedenfalls bei glaubhaften Anzeichen für eine rassistische Auswahl der kontrollierten Person den deutschen Staat eine Aufklärungsobliegenheit trifft, der die Verwaltungsgerichte im vorliegenden Fall nicht gerecht geworden seien. Auch die internen Ermittlungen der Bundespolizei kritisiert der Gerichtshof. Diese könnten angesichts der hierarchischen und institutionellen Verbindungen nicht als hinreichend unabhängig angesehen werden. Die Frage, ob die Kontrolle tatsächlich eine rassistische Diskriminierung darstellte, ließ der EGMR hingegen ausdrücklich offen – dies unabhängig aufzuklären wäre Aufgabe der deutschen Justiz gewesen, indem sie beispielsweise hätte Zeug*innen vernehmen können, die bei der Kontrolle anwesend waren. Das Urteil bekräftigt einmal mehr die Notwendigkeit unabhängiger Ermittlungsstellen für Vorwürfe rassistischer Polizeikontrollen sowie die Pflicht der Gerichte, Klagen gegen rechtswidrige Identitätsfeststellungen ernst zu nehmen und nicht einfach mit dem Verweis auf Polizeikontrollen als vermeintlich geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigungen abzutun.