von Emanuel John und Nanina Marika Sturm
Rechtsextremes Gedankengut und Chatgruppen innerhalb der Polizei, in denen menschenfeindliche oder rassistische Parolen, Codes oder Symbole verbreitet werden, haben politisch Verantwortliche zum Handeln gezwungen. Das Innenministerium Nordrhein-Westfalens hat nun Handlungsempfehlungen vorgelegt, die sich auch auf die Polizeiausbildung erstrecken.
Dienstherren und Öffentlichkeit erwarten von Polizist*innen eine Einstellung, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den in den Grundrechten konkretisierten Menschenrechten entspricht. Seitens zivilgesellschaftlicher (Selbst-)Organisationen – wie etwa „KOP – Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt“ oder „Ban! Racial Profiling“ – war bereits seit Längerem Kritik an menschenrechtswidrigen, diskriminierenden Polizeipraktiken geäußert worden, ohne dass diese entscheidende Impulse für Sicherheitsbehörden und Sicherheitspolitik geben konnte. Mit dem Abschlussbericht der Stabsstelle „Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ liegen nun Handlungsempfehlungen seitens des Ministeriums des Inneren NRW vor, die auch die Werte von Polizist*innen betreffen.[1]
Während Einigkeit über das allgemeine Ziel besteht, dass rechtsextremes Gedankengut in der Polizei nicht toleriert werden soll, bleibt die Frage, auf welche Weise die Ausbildung der Polizei dazu beitragen kann (oder soll), demokratische Werte in der Polizei zu verankern. Auf die Vorschläge, die Werteorientierung in der Ausbildung zu verstärken, sollte mit Bedacht reagiert werden.[2] Denn wird dabei zuvorderst darauf fokussiert, Polizist*innen klarzumachen, was sie nicht dürfen und welche Sanktionen sie zu erwarten haben, ist fraglich, was außer einem geringen Zuwachs an Fachwissen gewonnen ist. Will man hingegen befördern, dass Polizist*innen Fähigkeiten zur demokratischen Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistischen Tendenzen entwickeln, bedarf es eines Bildungsprozesses, der die kollegialen Beziehungen, aber auch die zur Zivilgesellschaft, nachhaltig prägen kann.
Ein ganzheitliches Handlungskonzept
Mit den Handlungsempfehlungen soll ein „Beitrag zur Stärkung des rechtsstaatlichen Wertefundaments der Polizei NRW und zur wirkungsvollen Entgegnung rechtsextremistischer und sonstiger menschenfeindlicher Tendenzen“[3] geleistet werden. Hervorzuheben ist, dass nicht eine Verengung auf explizite rechtsextremistische Überzeugungen und Weltanschauungen stattfindet, sondern mit dem Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ verschiedene Facetten der Abwertung, vor allem marginalisierter Personengruppen im Alltag und in der so genannten Mitte der Gesellschaft, in den Blick genommen werden. Bei der Untersuchung des Auftretens dieser Phänomene in der Polizei legt der Abschlussbericht seinen Fokus auf individuelle Einstellungen und auf belastende Arbeitssituationen von Polizist*innen.[4]
Die Handlungsempfehlungen werden ausgehend von dem „Leitgedanken des ganzheitliches Handlungskonzepts“[5] entwickelt. Dieses beinhaltet vier ineinander verschränkte Ebenen: Stärkung von Werten, Führungsverantwortung, Organisationsentwicklung und Veränderungen der Praxis. Ein solches Handlungskonzept setzt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Arbeit der Polizei voraus, die die Verschränkungen von Individuum und Organisationsstruktur sowie deren Rückkoppelungen mit gesellschaftlichen Prozessen und sicherheitspolitischen Debatten reflektiert. Um diesen Kontexten gerecht werden zu können, sind drei Aspekte einzubeziehen:
Bürokratische Normen und Dienstalltag
(1) Bereits seit Jahrzehnten wird in der wissenschaftlichen Erforschung der Polizeiarbeit betont, dass Stereotypen vom polizeilichen Gegenüber sich nicht allein auf individuelle Einstellungen zurückführen lassen, sondern im Spannungsfeld zwischen der bürokratischen Normierung polizeilichen Vorgehens und herausfordernden Begegnungen im polizeilichen Alltag zu begreifen sind.[6] Das heißt, nicht allein die Polizist*innen, die bestimmte Erfahrungen machen, sind in den Blick zu nehmen, sondern auch, inwiefern die bürokratisch normierten Arbeitsbedingungen bestimmte Erfahrungen und Klassifizierungen von Gruppen begünstigen.[7] Ausgehend von einem solchen Ansatz könnten Belastungen und die Entstehung von menschenverachtenden Einstellungen erst im Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen verstanden werden. So könnte man vor diesem Hintergrund etwa fragen, inwiefern die Organisation, vor allem der Austausch mit der Führung, ausreichend Raum für die Entwicklung einer demokratischen, kritischen Arbeitskultur gibt.[8] Ebenso wären in diesem Kontext zu untersuchen, inwiefern auch organisatorische Aspekte die „Mauer des Schweigens“ verfestigen oder auf dieser Ebene Maßnahmen zu deren Überwindung zu unterstützen wären, beispielsweise durch Ombudsleute, an die sich Polizist*innen wenden könnten,[9] wenn sie Fehlverhalten von Kolleg*innen beobachten.
Polizei und sicherheitspolitische Debatten
(2) Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Machtverhältnissen und polizeilicher Praxis sind offenkundig. Didier Fassin hat für die Polizeiarbeit in Pariser Vororten untersucht, inwiefern implizite Rückkoppelungen zwischen sicherheitspolitischen Debatten, Vorgaben der Führungsebene und den eigenständigen Entscheidungen von Polizist*innen im Bereitschafts- oder Wach- und Wechseldienst bestehen.[10] Daraus können, dieser Analyse folgend, diskriminierende und ausgrenzende Praktiken resultieren, die nicht allein auf individuelle Einstellungen zurückzuführen sind.
Hinsichtlich solcher impliziten Rückkoppelungen wäre beispielsweise zu berücksichtigen, inwiefern publizistische Beiträge in polizeinahen Zeitschriften dazu führen können, dass sich Stereotype oder Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppierungen verfestigen und dabei auch noch als durch Expert*innen legitimiert gelten. So ist einer kürzlich erschienen Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu entnehmen, dass kriminalistische Publikationen über Organisierte Kriminalität generalisierende, vorverurteilende Aussagen über Sinti*zze und Rom*nja enthalten.[11] In diesem Zusammenhang kann auch auf Handlungsempfehlung 3 zur Überprüfung von Klausurverhalten, Lehrmaterialien und Fallbeispielen verwiesen werden. Ähnlich wie in den genannten Studien sollten auch Lehrende die verwendeten Lehrbücher, -materialien, aber auch -methoden kritisch überprüfen. Dies kann besonders ein Fach wie Interkulturelle Kompetenz betreffen, das durch bestimmte Materialien (wie die Lehrbücher „Türken und Araber verstehen und vernehmen” oder „Russen verstehen und vernehmen”) oder die Methode des Rollenspiels Vorurteile schaffen kann, anstatt sie abzubauen. Als weiteres Beispiel seien in diesem Zusammenhang Untersuchungen zu sogenannten „Gefahrenorten“, die anlasslose Kontrollen ermöglichen,[12] genannt, die auch das Positionspapier von Amnesty International betont, das im Anlagenband des Abschussberichts dokumentiert ist.[13]
Gewaltausübung und Gewaltakzeptanz
(3) Indem die Stabsstelle Wilhelm Heitmeyers Forschungsansatz der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF) zugrunde legt, wird ein differenziertes Verständnis der Betroffenheit verschiedener Minderheiten erreicht. Durch die darin angelegte Differenzierung verschiedener Formen von Menschenfeindlichkeit wird über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hinaus auch beispielsweise Antiziganismus, Feindlichkeit gegen muslimische Menschen, Feindlichkeit gegen LGBTIQA+, Feindlichkeit gegen Obdachlose berücksichtigt. Zudem sind auch Unterscheidungen wie nicht-intentionaler und intentionaler Rassismus oder primärer und sekundärer Antisemitismus zu bedenken, in denen Ideologien der Ungleichwertigkeit zum Ausdruck kommen können.
Entscheidend ist, dass der Ansatz Heitmeyers den Zusammenhang zwei wesentlicher Elemente betrachtet: Ideologien der Ungleichwertigkeit und Gewaltakzeptanz.[14] Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen wird durch den vorliegenden Abschlussbericht nicht ausreichend berücksichtigt. Besonders im Kontext der Polizeiarbeit ist das Element der Gewaltakzeptanz ausschlaggebend, denn die Polizei verfügt über die exklusiven Befugnisse zur Anwendung von Gewalt: Für zukünftige Untersuchungen und die Entwicklung von Empfehlungen wäre es folglich ratsam, nicht nur die Einstellungen in der Polizei zu berücksichtigen, sondern auch, inwiefern staatliche Gewalt unter Umständen missbraucht wird. Würden die Aspekte von menschenfeindlichen Einstellungen sowie der Aspekt der polizeilichen Gewaltanwendung (Akzeptanz von Gewalt gegen marginalisierte Gruppen, illegitime, unverhältnismäßige Gewalt und Machtmissbrauch) im Zusammenhang untersucht, ließen sich Korrelationen erheben, welche es möglich machen würden, Alltagsdiskriminierung und Rechtsextremismus differenzierter zu betrachten und passgenauere Handlungsempfehlungen zu entwerfen. Das würde auch erfordern, Betroffenenperspektiven einzubinden oder Anschluss an aktuelle Forschung zu suchen.[15]
Werte als Fundament?
Nach Handlungsempfehlung 2 soll die Herausbildung einer Werteorientierung in der Ausbildung gestärkt werden. Bei der Betonung der Werteorientierung im Sinne eines „rechtsstaatlichen Wertefundaments“ (Handlungsempfehlung 1) sind mögliche Fallstricke zu berücksichtigen: Seit dem sogenannten Lüth-Urteil[16] aus dem Jahre 1958 wird von Grundrechten auch als „objektive Werteordnung“ gesprochen. Das heißt, dass Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes nicht nur für das öffentliche, sondern auch für das Privatrecht gelten. Es wäre vorschnell, daraus eine objektiv geltende Werteorientierung abzuleiten, an der sich die Ausbildung von Polizist*innen orientieren soll. Beansprucht man dies, wird ein Aspekt übersehen, der aus demokratietheoretischer Perspektive betont wird. Demnach ermöglichen demokratischer Rechtsstaat und Grundgesetz eine demokratische, pluralistische Gesellschaft und Öffentlichkeit.[17] Darin soll Raum für Kontroversen über unterschiedliche Werteverständnisse bestehen. Dies setzte die Fähigkeit voraus, sich argumentierend und rechtfertigend mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen, Kompromisse eingehen und auch gute Gründe für die Veränderungen der eigenen Wertvorstellungen annehmen zu können. Setzt man nun ein „rechtsstaatliches Wertefundament“ als vermeintlich eindeutig gegebenen Maßstab für professionelle und individuelle Einstellungen voraus, so besteht nicht nur ein Rechtfertigungsproblem, sondern man konterkariert die Kontroversität demokratischer Auseinandersetzungen über vorhandene Werteverständnisse – ein wesentlicher Aspekt einer liberalen Gesellschaft.
Eine ähnliche Problematik gilt für Handlungsempfehlung 13, die die Einrichtung eines Werte-Management-Systems vorschlägt, das die „Grundlage für erwartetes regelkonformes Verhalten“ bilden soll.[18] Dabei wird auf Ansätze eines Compliance-Management-Systems verwiesen, das befördern soll, nicht tolerierbaren Äußerungen entgegenzutreten.[19] Solche Ansätze mögen in Bereichen hilfreich sein, die nach klaren Kriterien zu beurteilen sind, wie etwa Korruption. Für rechtsextremistische oder menschenfeindliche Einstellungen sind aber klare Regeln für sprachliche Äußerungen, die Verwendung bestimmter Abzeichen oder sonstiger Weisen, seine Einstellung zum Ausdruck zu bringen, lediglich ein Teilaspekt. Um eine „positive Kulturveränderung hervorzurufen und Beschäftigte darin zu bestärken, Fehlverhalten sowie nicht tolerierbaren Äußerungen in den eigenen Reihen entgegenzutreten“,[20] bedarf es einer demokratisch geprägten Arbeitsweise und Umgangsform, in der das Erheben der eigenen Stimme zur Kritik tatsächlich Einfluss haben[21] oder zumindest einen argumentativen Austausch anstoßen kann.
Bei Verweisen auf ein „rechtstaatliches Wertefundament“ sollte der Wert der demokratisch, argumentativ geführten Kontroverse betont werden. Hierzu bedarf es der Achtung Anderer als Mitmenschen, deren Meinungen und Argumente zunächst, auch bei starken Abweichungen und Differenzen, ernst zu nehmen sind. Rechtsextremistischen, menschenverachtenden Einstellungen wird dann im Ansatz durch Bereitschaft zum offenen und demokratischen Gespräch, das durch gegenseitige Achtung motiviert ist, entgegengewirkt. Das schließt nicht aus, sondern verlangt geradezu offenbar menschenverachtendes Verhalten mit Verweis auf Beamten- und Strafrecht zu ahnden. Ein grundsätzliches Entgegenwirken zu solchen Einstellungen und Sichtweisen, bevor dienst- und strafrechtliche Konsequenzen eine Rolle spielen können, ist nur dann möglich, wenn Kontroversen als begrüßenswert und Ambiguitäten zumindest nicht als Problem betrachtet werden.
Folglich sollten im Rahmen der Ausbildung Formate gestärkt werden, die die Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven fördern. Handlungsempfehlungen 8, 10 und 12 schlagen eine Auseinandersetzung mit „sozialen Bewegungen“ (8), Stärkung der Fähigkeiten zur Kommunikation und Begründung polizeilichen Handelns (10) sowie die Vernetzung mit lokalen „Quartieren“ (12) vor. Bildungsformate, die in diesem Sinne die Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen befördern, sollten auch in der Ausbildung bereits verstärkt werden. Eine primäre Fokussierung auf Werteorientierungen könnte hierfür aus den genannten Gründen hinderlich sein.
Reflexion und Dialog ermöglichen
Handlungsempfehlungen 5 und 6 beinhalten die Erweiterung von Möglichkeiten zur Selbstreflexion (5) und Berufsrollenreflexion (6). Für Letztere ist im Abschlussbericht ein Modelldurchlauf dokumentiert. Bezüglich vieler Belastungen und Probleme, die für Polizist*innen im Dienst auftreten können, ist eine Reflexion unter Kolleg*innen sinnvoll. Damit solche Maßnahmen kritisches Einschreiten gegen und demokratisches, diskursives Umgehen mit rechtsextremistischen und menschenfeindlichen Einstellungen befördern können, sollten nicht allein polizeiliche Erfahrungen einbezogen werden. Es sollte auch thematisiert werden, auf welche gesellschaftlichen Personengruppen solche Einstellungen eine bedrohliche oder zumindest vertrauensmindernde Wirkung haben. Dafür ist es nötig, auch die Perspektiven von Personen einzubeziehen, die durch solche Einstellungen betroffen sind.
In aktuellen Empfehlungen des „UN-Ausschusses für die Beseitigung von Rassendiskriminierung“ (CERD) heißt es,[22] die Angehörigen von Sicherheitsbehörden seien im Rahmen von Bildung und Training zu sensibilisieren für ihre eigenen Vorurteile („bias“) und für die Wirkung ihres Handelns auf marginalisierte Personengruppen im eigenen sozialen Umfeld.[23] Zudem seien die Betroffenen rassistischer Diskriminierung und zivilgesellschaftliche Organisationen bei der Umsetzung von Bildungsmaßnahmen zu beteiligen.[24] Es ist nötig, in Reflexionsprozesse externe Perspektiven auf die Polizeiarbeit, besonders die von Betroffenen, einzubeziehen. Denn viele Haltungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie auch alltägliche Formen von Diskriminierung, jenseits expliziter rechtsextremistischer Einstellungen, werden als solche oft erst in Auseinandersetzung mit Betroffenen verständlich.
Der mit Handlungsempfehlung 17 verbundene Vorschlag, die Alltagsreflexion durch Trainer*innen, die nicht der Polizei angehören, und außerhalb von Räumlichkeiten von Behörden durchzuführen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allgemein bedarf es jedoch einer stärkeren inhaltlichen Fokussierung im Sinne der CERD-Empfehlungen.
In diesem Sinne sollten auch Handlungsempfehlung 4 zur Stärkung der Lehrinhalte der Fächer Ethik, Soziologie, Politikwissenschaften, Psychologie, Medienwissenschaften und Interkulturelle Kompetenz sowie Handlungsempfehlung 7 zur Medienkompetenz verstanden werden. Eine echte Stärkung kann dadurch erreicht werden, dass Anknüpfungsmöglichkeiten für Erfahrungen zu bieten, die (angehende) Polizist*innen in der Praxis machen werden oder bereits gemacht haben.
Einen neuen Ansatz könnte hierfür die Entwicklung von Formaten der Menschenrechtsbildung liefern. Das hieße gemäß der „Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -ausbildung“ (HRET), nicht allein Faktenwissen zu vermitteln.[25] Vielmehr bedarf es auch einer Etablierung partizipativer und inklusiver Lehrformate, in denen die jeweiligen Erfahrungen der Studierenden Raum bekommen können (Art. 2 Abs. 2 (b) HRET). Des Weiteren wäre der Anspruch an diese Fächer auch, die Bestärkung, im Sinne von Empowerment, der angehenden – und praktizierenden – Polizist*innen zu befördern, sich für die eigenen und anderer Rechte, über formale dienstliche Verpflichtungen hinaus, einzusetzen. Dies könnte erreicht werden, indem verschiedene Wege innerhalb und außerhalb der Polizei mit Konflikten oder Missständen umzugehen, diskutiert und erarbeitet werden (Art. 2 Abs. 2 (c) HRET).
Eine besondere Herausforderung liegt hierbei vermutlich darin, die Medienkompetenz (Handlungsempfehlung 7) zu stärken. Bei explizit rechtsextremistischen und die Shoa verharmlosenden oder gar verhöhnenden Posts in Chatgruppen ist zu vermuten, dass die inhaltliche Problematik den allermeisten schnell klar wird. Eine spezielle Aufgabe von Formaten der Menschenrechtsbildung könnte hierbei darin liegen, über soziale Medien verbreitete Phänomene, wie „Thin Blue Line“, die indirekt dichotome und autoritäre Weltbilder vermitteln und zugleich genuin polizeiliche Erfahrungen ansprechen, aufzuklären.
Lehrenden wird während der Ausbildung teils eine ähnliche Autorität als Vorbilder zugeschrieben, wie Tutor*innen in Praxisabschnitten oder Trainer*innen in praktischen Übungen.[26] Die Erfahrungen, die im Kontakt mit ihnen gemacht werden, können auf die Entwicklung von Kommissarsanwärter*innen während der Ausbildung Einfluss nehmen. Dafür sollten sie sensibilisiert werden, indem die Auseinandersetzung mit folgenden Punkten im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen ermöglicht wird: (i) mit diskriminierungssensiblem Verhalten in der Lehre und (ii) damit, wie sie Studierende beim Umgang mit rechtsextremen oder menschenfeindlichen Einstellungen unter Studierenden sowie Dozierenden, Trainer*innen sowie Tutor*innen stärken können. Zu beachten ist, dass auch Auszubildende sowie Polizist*innen durch Kolleg*innen Diskriminierungserfahrungen machen können.
Debatte über die Ziele der Polizeiausbildung
Der Abschussbericht der „Stabsstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ weist der Ausbildung von Polizist*innen neben der Führung und Fortbildung eine zentrale Rolle beim Umgang mit rechtsextremistischen Einstellungen in der Polizei zu.
Aus Sicht der Hochschulausbildung sind mit diesen Anforderungen weitgreifende Herausforderungen verbunden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Ziele mit dem Studium erreicht werden sollen: Es ist eine Verständigung nötig über das Verhältnis zwischen polizeipraktischen Inhalten, die das „Handwerk“ des Polizeiberufs vermitteln, und Bildungsprozessen, die die Rolle der Polizei in einer demokratischen Gesellschaft, den Bezug auf Menschenrechte und die Bedeutung von Beziehungen zur Zivilgesellschaft vertiefen und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Organisationskultur befähigen. Derartige Bildungsprozesse benötigen Zeit und Gelegenheiten; das setzt neben der Bereitschaft der Hochschulen auch die der Politik voraus, die über die Dauer und die Mittel der Ausbildung entscheiden.[27] Auch sind Veränderungen im Selbstverständnis, in der Organisationskultur und in den Befugnissen der Institution Polizei erforderlich, sollen Ausbildungsreformen nachhaltig die Werthaltung von Polizist*innen verbessern.