Archiv der Kategorie: CILIP 059

(1/1998) Europas neue Grenzen

Deutsch-polnische Polizeikooperation – Flüchtlingspolitik als Schrittmacher

von Helmut Dietrich

Als die flüchtlings- und migrationsfeindliche Kampagne in der BRD 1993 u.a. mit der Drittstaatenregelung und dem deutsch-polnischen Rückübernahmeabkommen einen Höhepunkt erreichte, kritisierten zahlreiche Initiativen den voraussehbaren Export des bundesdeutschen Sicherheitsmodells nach Osteuropa als „Domino-Effekt“.[1]

Die östlichen Anrainerstaaten würden als Auffangbecken für Abge-schobene und für gestrandete Transitflüchtlinge fungieren. Sie wür-den zur Übernahme des westlichen Grenzregimes und der Abschiebepraktiken gezwungen. Die Grenze der Festung Europa verlagere sich wie in einer Kettenreaktion immer weiter nach Osten.

Zwar setzte die polnische Regierung die Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen zunächst nur zögerlich in Gang. Doch entwickelte sich die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit schneller als alle anderen bilateralen Bereiche. Zum Vehikel dieser Zusammenarbeit wurde neben der Flüchtlingspolitik der Kampf gegen das Phantom der „Organisierten Kriminalität“. Erster Ausfluß dieser Kooperation war eine Reihe von Abkommen und Protokollen: Deutsch-polnische Polizeikooperation – Flüchtlingspolitik als Schrittmacher weiterlesen

Polizeiabkommen für die Schengener Binnengrenzen (Dokumentation)

Vorbemerkung der Redaktion:

Mit einer „Erklärung zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit“ (SCH/ Com-ex (95) decl 3) segnete der Schengener Exekutivausschuß am 20. Dezember 1995 den im folgenden dokumentierten Bericht seiner Arbeitsgruppe „Polizei und Sicherheit“ ab: Aufgelistet werden darin sowohl die älteren Abkommen zur grenznahen Polizeikooperation, als auch jene, die aufgrund von Art. 39 Abs. 4 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) neu abgeschlossen wurden oder werden sollten. Die unter 3. und 10. angekündigten Vereinbarungen der BRD mit Frankreich und den Niederlanden sind inzwischen unter Dach und Fach, mit Belgien stehen die Verhandlungen vor dem Abschluß. Durch Abkommen Österreichs mit der BRD (vom 16.12.97) sowie mit Italien (Datum unbekannt) werden auch die neuen Schengener Binnengrenzen in dieses System einbezogen.

Schengen

Arbeitsgruppe I „Polizei und Sicherheit“

Bericht über die Vereinbarungen zur polizeilichen Zusammenarbeit an den Binnengrenzen des Schengener Raums

Brüssel, den 28. November 1995, SCH/I (95) 46 Rev.2

(…)

1. Grenze Portugal-Spanien

a) Vereinbarung vom 15.2.1993 über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt

b) Vereinbarung vom 17.1.1994 über die Koordinierung der mobilen Streifen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung aus Drittstaaten sowie zur Bekämpfung anderer Kriminalitätsarten:

– Einrichtung von acht Koordinierungszentren in jedem Land (die untereinander per Telefon und Fax verbunden sind)

– Einrichtung von entsprechenden Stellen zur Koordinierung auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene, insbesondere im Hinblick auf die Lösung konkreter betrieblicher Probleme

– Einrichtung von vier gemeinsamen Kommissariaten im Grenzgebiet

c) Vereinbarung über die Einrichtung von vier gemeinsamen Kommissariaten im Grenzgebiet

2. Grenze Spanien-Frankreich

a) Übereinkunft vom 17. Juli 1965 über die nebeneinanderliegenden nationalen Grenzabfertigungsstellen

b) Übereinkunft vom 25. Juni 1991 zur Ermächtigung von Zollbeamten zur Anwendung der Artikel 40 und 41

c) Vereinbarung vom 8.1. 1988 über die Gewährung der Einreise an den Grenzübergangsstellen gegenüber Personen mit unbefugtem Aufenthalt

d) Vereinbarung über die Nutzung bestimmter Frequenzen bei der Nachrichtenübermittlung, um die Zusammenarbeit zwischen den Sonderdiensten zu ermöglichen

e) Vereinbarung über die Einrichtung eines gemeinsamen Kommissariats an der Grenze (+ Einrichtung von 5 weiteren Kommissariaten in Planung) für Treffen der Polizeidienste, Informationsaustausch und Koordinierung der Einsätze zur Bekämpfung illegaler Schleusernetze

3. Grenze Frankreich-Deutschland

a) Übereinkunft vom 18. April 1958 Über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen

b) Vereinbarung vom 3.2.1977 über die polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzgebiet

c) Vereinbarung vom 12.10.1992 über die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den an der Grenze liegenden Bundesländern und den Departements

– Einrichtung einer Koordinierungsstelle

– Einrichtung von drei gemeinsamen Kommissariaten

– Durchführung abgestimmter Einsätze

– Informationsaustausch

– zeitlich befristete Entsendung von Polizeibeamten

– Aufstockung der Kommunikationsmittel

d) Übereinkunft vom 19. Juni 1990 zur Ermächtigung der Zollbeamten zur Anwendung der Artikel 40 und 41 SDÜ [1]

e) Vor kurzem wurden Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland im Hinblick auf die Unterzeichnung einer Verwaltungsvereinbarung zur Einrichtung eines vierten gemeinsamen Kommissariats in Lauterboug-Bienwald aufgenommen; es wird die Unterzeichnung dieser Vereinbarung auf dem nächsten Gipfeltreffen zwischen Frankreich und Deutschland angestrebt.

4. Grenze Frankreich-Luxemburg

a) Übereinkunft vom 21. Mai 1964 über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen

b) Übereinkunft vom 19. Juni 1990 zur Ermächtigung der Zollbeamten zur Anwendung der Artikel 40 und 41 SDÜ

c) Derzeit werden in Anwendung von Artikel 39 Abs. 4 SDÜ der Entwurf für eine Vereinbarung (…) geprüft.

5. Grenze Frankreich-Belgien

a) Vereinbarung vom 19.11.1919 über die Zusammenarbeit der Gendarmeriedienste und deren Tätigkeit auf beiden Seiten der gemeinsamen Grenze

b) Übereinkunft vom 30. März 1962 über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen

c) Übereinkunft vom 19. Juni 1990 zur Ermächtigung der Zollbeamten zur Anwendung der Artikel 40 und 41 SDÜ

d) Rahmenabkommen vom 16.3.1995 über grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit (derzeit wird über eine Zusatzvereinbarung verhandelt):

– Einrichtung eines Koordinierungsstabs

– Verstärkung des Informationsaustauschs und der abgestimmten Einsätze

– Einrichtung von Kontaktdienststellen im Grenzgebiet

– Verbesserung der Kommunikationsmittel

– gemeinsame Weiterbildungsmaßnahmen

6. Grenze Belgien-Luxemburg

a) Vereinbarung vom 17.11.1920 zur Regelung des regelmäßigen Übermittlungsdienstes zwischen den Gendarmeriediensten der beiden Staaten

b) Übereinkunft der Benelux-Staaten vom 21.12.1993 zur Betäubungsmittelbekämpfung (+ Zusatzvereinbarung zwischen den Polizeidiensten): Informationsaustausch und abgestimmte Einsätze gegen den Drogentourismus an der Achse Maastricht-Lüttich-Luxemburg

c) Derzeit wird in Anwendung von Artikel 39 Abs. 4 SDÜ über den Entwurf einer Vereinbarung verhandelt (…).

7. Grenze Luxemburg-Deutschland

Vereinbarung vom 24.10.1995 über die bilaterale polizeiliche Zusammenarbeit:

– Bezeichnung von Kontaktdienststellen

– Koordinierung der gemeinsamen Einsätze im Grenzgebiet

– Austausch von polizeilichen Informationen

– Durchführung gemeinsamer Fortbildungsmaßnahmen und gemeinsamer Übungen

– Angaben zu den Anwendungsmodalitäten der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile

– Austausch von Kommunikationsmaterial

8. Grenze Belgien-Deutschland

a) Vereinbarung vom 30.9.1959 über die dienstlichen Beziehungen zwischen den Polizeibehörden an der gemeinsamen Grenze

b) Derzeit wird in Anwendung von Artikel 39 Abs. 4 SDÜ über den Entwurf einer Vereinbarung verhandelt (…).

9. Grenze Belgien-Niederlande

a) Vereinbarung vom 11.8.1949 über die direkten Verbindungen zwischen der Polizei, der königlichen Maréchausse (Grenzschutz) und der nationalen Gendarmerie

b) Benelux-Übereinkunft vom 21.12.1993 über die Betäubungsmittelbekämpfung (+ Zusatzvereinbarung zwischen den Polizeidiensten): Informationsaustausch und abgestimmte Einsätze gegen den Drogentourismus auf der Strecke Maastricht-Lüttich-Luxemburg

c) Vereinbarung vom 27.03.1995 über die Einrichtung einer Gruppe zum abgestimmten Vorgehen im Polizeibereich sowie über die Aufstockung der Kommunikationsmittel zwischen den Grenzschutzdiensten

d) Derzeit wird in Anwendung von Artikel 39 Abs. 4 SDÜ über den Abschluß einer allgemeineren Vereinbarung auf der Grundlage der übrigen obengenannten bilateralen Vereinbarungen beraten.

10. Grenze Deutschland-Niederlande

a) Vereinbarungen und Übereinkünfte, die vor dem SDÜ geschlossen wurden

b) Derzeit wird in Anwendung von Artikel 39 Abs. 4 SDÜ über den Entwurf einer Vereinbarung verhandelt; diese betrifft die gleichen Bereiche wie die übrigen obengenannten Vereinbarungen.

(…)

[1] Schengener Durchführungsübereinkommen, im Original immer ausgeschrieben

Nicht „undurchdringlich“ – Kontrolle und Überwachung der Schengener Außengrenze

von Jürg Lüdi und Heiner Busch

Wie schon 1993 hat der Schengener Exekutivausschuß auch im vergangenen Jahr Besuchsteams an die Außengrenzen der Vertragsgemeinschaft entsandt. Das Fazit ihres Berichtes: „Trotz aller Anstrengungen“ werde es nicht gelingen, „die absolute Undurchdringlichkeit der Außengrenzen zu gewährleisten“. [1]

Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) gibt den Vertragsstaaten in Art. 6 einen Kontrollstandard für die Außengrenzen vor. Alle Personen seien an den zugelassenen Grenzübergängen zumindest einer Paßkontrolle und einer Fahndungsabfrage im SIS und im jeweiligen nationalen Fahndungscomputer zu unterziehen. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten müssen zusätzlich eine „eingehende Kontrolle“, inkl. Durchsuchung mitgeführter Sachen, über sich ergehen lassen. Darüber hinaus sollen auch die „grüne“ bzw. die „blaue“ Grenze überwacht werden. Dazu müssen „Kräfte in ausreichender Zahl für die Durchführung der Kontrollen und die Überwachung der Außengrenzen zur Verfügung“ gestellt werden (Art. 6 Abs. 4). Nicht „undurchdringlich“ – Kontrolle und Überwachung der Schengener Außengrenze weiterlesen

Schengen – Quo vadis? Das Schengener Kerneuropa und der Amsterdamer Vertrag

von Mark Holzberger und Katina Schubert

Das Schengener Abkommen ist der Ausgangspunkt für die Herausbildung einer zutiefst undemokratischen, auf Abschottung nach außen und Hochrüstung nach innen orientierten europäischen Innenpolitik. Wie in einem Labor haben die Regierungen der Schengen Kooperation ein Modell der innenpolitischen Zusammenarbeit konzipiert und erprobt, um die Ergebnisse später den übrigen EU-Mitgliedstaaten aufzuzwingen. Auch nach Amsterdam wird das Schengener Labor nicht geschlossen. Das Europäische und die nationalen Parlamente haben auch in Zukunft nichts zu melden.

Mit dem Schengener Abkommen von 1985 begannen die Regierungen Frankreichs, der Benelux-Staaten und der BRD eine eigenständige Zusammenarbeit, die – so der Vorwand – schneller zu Ergebnissen bei der im Europäischen Binnenmarkt vorgesehenen Aufhebung der Binnengrenzkontrollen führen sollte. Dafür planten die Regierungen sicherheitspolitische „Ausgleichsmaßnahmen“, die 1990 im Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) verankert wurden: hermetische Absicherung und Kontrolle der Außengrenzen, rigide Visavergabepraxis, gemeinsame Asylzuständigkeits- und -anerkennungsregelungen sowie eine enge Polizeikooperation.
Parallel zu Schengen wurde im Maastrichter Vertrag von 1993 die Zusammenarbeit der Innen- und Justizminister der gesamten Europäischen Union (EU) verrechtlicht – als 3. Säule der EU, auf intergouvernementaler Ebene, ohne Mitbestimmungsrecht des Europäischen Parlaments (EP). Schengen – Quo vadis? Das Schengener Kerneuropa und der Amsterdamer Vertrag weiterlesen

Schengen und die Folgen – Eine einseitige Erfolgsbilanz

von Heiner Busch

1985 versprachen die Schengener Regierungen, die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen schrittweise abzubauen, wenn parallel dazu der angebliche Sicherheitsverlust ausgeglichen würde. Mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) von 1990 sollte beides erledigt sein. Der Deal erwies sich als sehr einseitig. An Binnengrenzen wird nach wie vor kontrolliert. Die nicht realisierte Kontrollfreiheit muß für immer neue Sicherheitsmaßnahmen herhalten.

Bern, 19. Februar 1998 – Pressekonferenz des Europäischen Bürgerforums: „Wir haben nichts anderes getan, als das Schengener Abkommen anzuwenden“, erklärt Gerardo Manello, Bürgermeister von Badolato, jener kleinen Gemeinde am äußersten Südzipfel Italiens, vor der am 26. Dezember vergangenen Jahres die „Ararat“ mit 826 Flüchtlingen an Bord gestrandet war. 339 von ihnen sind in der Gemeinde untergekommen. Viele wohnen schon nicht mehr im Schulgebäude, sondern in diversen Häusern und Ferienwohnungen, die von den Bewohnern des Ortes schnell zur Verfügung gestellt wurden. Polizisten verzichteten auf die Bezahlung der Überstunden und spendeten das Geld ans Rote Kreuz, das die Flüchtlinge betreut. Für Badolato sei die Ankunft der Kurden eine Chance. Gemeinsam mit ihnen will die Gemeinde die alten Häuser des Burgo renovieren, des alten Dorfkerns, der sich auf 270 Meter über dem neuen direkt am Meer gelegenen Badolato Marina erhebt. In das Dorf, das durch die Migration nach Norditalien, in die Schweiz und nach Deutschland entvölkert wurde, sollen die Kurden wieder Leben bringen. Die Erfahrungen mit der Emigration erklären auch die Bereitschaft der Dorfbewohner, schnell und unbürokratisch zu helfen. „Wir wissen, was es bedeutet, wenn man fortgehen muß, um das zu suchen, was einem die eigene Heimat verweigert.“ Man habe, so erzählt der Bürgermeister mit einem listigen Grinsen, Rechtsanwälte und Übersetzer organisiert, die die Flüchtlinge über ihr Recht, einen Asylantrag zu stellen, aufklärten. Das Recht auf ein Asylverfahren sei übrigens im Schengener Abkommen ausdrücklich bestätigt. Schengen und die Folgen – Eine einseitige Erfolgsbilanz weiterlesen

Redaktionelle Vorbemerkung

von Heiner Busch

Runde Jahrestage haben es so an sich, daß die Jubilare ein wenig über ihr bisheriges Leben und ihre weiteren Aussichten nachdenken. So wollen auch wir es halten, denn es sind nunmehr 20 Jahre vergangen, seit im März 1978 die Nullnummer des CILIP-Informationsdienstes erschien. Schon rein äußerlich gesehen, hat sich das Blatt erheblich gewandelt. Die ersten Ausgaben waren noch auf einer Kugelkopf-Schreibmaschine „gesetzt“, eine der damals neueren Errungenschaften der Bürotechnik. Ab Nr. 8 erschien das Heft im A5-Format, in der Hoffnung, dadurch in den Buchläden nicht nur auf den Krabbeltischen zu landen. Diverse Veränderungen des Layouts folgten über die Jahre. Die Grafiken und Karikaturen auf dem Titel mußten 1988 aus Kostengründen entfallen – sehr zum Bedauern der Redaktion und wohl auch der LeserInnen.

Vom reinen Informationsdienst, der die verschiedensten Nachrichten unter bestimmten Kategorien zusammenfaßte, wechselten wir 1990 zu Schwerpunktheften. Mehr und mehr konnten auch AutorInnen von außerhalb der Redaktion gewonnen werden. Die kritischen Stimmen zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Datenschutz, Innere Sicherheit und deren öffentlicher Kontrolle sind heute unzweifelhaft zahlreicher, als das ein Jahr nach dem Deutschen Herbst der Fall war, wo wir feststellen mußten, daß das Interesse an dem nach innen gerichteten Teil des staatlichen Gewaltmonopols viel geringer war als das Interesse an Fragen des Militärs. Redaktionelle Vorbemerkung weiterlesen

Summaries

Schengen and its Consequences – a One-sided Success Story
by Heiner Busch
The interior borders will be done away with, the drop in security will by balanced – such is the basic logic of the Schengen Agreement. In reality, Schengen co-operation has only been a very one-sided success story. While the Schengen Executive Council continues to develop new security measures devoid of any parliamentary control, – the border controls within the Schengen Group continue to take place. Summaries weiterlesen