Das Schengen-Protokoll des Amsterdamer Vertrages

Gemäß dem sog. Schengen-Protokoll des Amsterdamer Vertrages wurde die Schengen-Kooperation im Sommer dieses Jahres in die EU-Institu­tionen überführt. Zuvor hatten die Parlamente der Mitgliedstaaten en bloc und ohne Änderungsmöglichkeit den über 100 Beschlüssen zustimmen müssen, die der Schengener Exekutivausschuß bis dahin (ohne parlamentarische Beteiligung) gefaßt hatte.

Jede einzelne Bestimmung des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) sowie jeder einzelne dieser Beschlüsse mußte entweder der ersten oder dritten Säule des Amsterdamer Vertrages zugeordnet werden. Das Schengener Informationssystem (SIS) enthält nicht nur Daten über gesuchte StraftäterInnen und polizeiliche Beobachtungen (welche der 3. Säule zuzurechnen wären), sondern zu rund 90% auch Informationen über abzuschiebende „DrittausländerInnen“ (die eigentlich in die 1. Säule gehören). Dennoch wurde das SIS in Gänze der rein intergouvernementalen 3. Säule zugeschlagen. (Dok-Nr. 8054/99)

Auf der Arbeitsebene bleiben Schengen-Strukturen innerhalb der EU in folgender Hinsicht bestehen: zum einen in dem lediglich in das Generalsekretariat eingegliederten (nicht aber aufgelösten) Schengen-Sekretariat. Zum anderen existieren drei Ratsarbeitsgruppen: SIS, SIS-Technik und SIRENE. Auch das Schengener Datenschutzgremium, die sog. Gemein­same Kontroll-Instanz (GKI) wurde erhalten. Die GKI erachtet die diesbezügliche Ratsentscheidung (Dok-Nr. 8060/99) allerdings als unzureichend für eine unabhängige Kontrolltätigkeit. Schließlich wird auch der 1998 eingesetzte Begutachterausschuß weitergeführt (SCH/Com-ex (98) 26, 4. Rev. v. 23.6.1998). Dieser soll die Schengen-Anwärterstaaten rechtlich und politisch auf ihre Beitrittsreife prüfen.

Eine Besonderheit der Schengen-Integration ist die Stellung Großbritanniens und Irlands: Ihnen wurde es ermöglicht, nur Teile des Schengen-Besitzstandes zu übernehmen – eine „Schengen à la carte“-Variante, die ansonsten als nicht praktikabel hingestellt worden war. Nunmehr hat die britische Regierung ihre Wünsche angemeldet, welche Rosinen sie sich aus dem Schengen-Kuchen herauszupicken gedenkt. (Dok-Nr. 8562/99) Demnach möchte London bei allem mit dabei sein, außer bei der Grenzsicherung und der Visa-Politik. Ebenso strebt man im Vereinigten Königreich eine differenzierte Nutzung des SIS an, so daß der englische National Criminal Intelligence Service keinen Zugang zu Ausschreibungen von „Drittausländern“ (gem. Art. 96 SDÜ) haben wird – ein Ansinnen, das entweder mit großem technischen Aufwand oder ebensolchen datenschutzrechtlichen Risiken behaftet wäre.

Das Europäische Parlament (EP) hatte mehrfach harsche Kritik an der deutschen EU- und Schengen-Präsidentschaft geübt. Trotz wiederholter Aufforderung war das EP über die Planungen der Schengen-Integration weder unterrichtet noch konsultiert worden. Das EP drohte sogar damit, notfalls vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen, falls der Rat seine Beteiligungsrechte weiterhin ignorieren würde (B4-0111/99 vom 14.1.1999 und B4-0429/99 vom 6.5.1999) – ein Vorbehalt, dem das Bundesministerium des Innern (BMI) in einer Stellungnahme vom 4. Oktober 1999 widersprach. Inhaltlich ging das BMI aber auf die EP-Forderung ein, den gesamten Schengen-Besitzstand im Amtsblatt der EU abzudrucken: Zunächst solle nur der sog. „lebendige Teil“ des Besitzstandes veröffentlicht werden. Zu einem späteren Zeitpunkt soll der Rat dann auch andere Teile der Öffentlichkeit zugänglich machen, aber nur wenn ihm dies „im allgemeinen Interesse erforderlich erscheint“ oder der Rat dem hinsichtlich der Auslegung des Schengen-Besitzstands „Bedeutung“ zumißt – eine nicht hinnehmbare Geheimniskrämerei, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Schengen-Besitzstand nunmehr geltendes EU-Recht verkörpert.

(Mark Holzberger)