Daß Europol auch operativ tätig werden soll, ist seit dem Amsterdamer Vertrag beschlossene Sache. Innerhalb von fünf Jahren, also bis Mai 2004, soll der Rat die entsprechenden rechtlichen Grundlagen erlassen haben. Europol soll in Zukunft spezifische Ermittlungsmaßnahmen der nationalen Polizeien „einschließlich operativer Aktionen“ vorbereiten, an gemeinsamen Ermittlungsteams „in unterstützender Funktion“ teilnehmen und die „Koordinierung und Durchführung“ dieser Ermittlungen „fördern“. Es soll ferner die nationalen Stellen zur Aufnahme von Ermittlungen ersuchen dürfen. So steht es in Art. 30 Abs. 2 des renovierten EU-Vertrags. Der im Dezember 1998 verabschiedete „Aktionsplan (…) zum Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ hat die Frist für den Erlaß eines „geeigneten Rechtsaktes“ auf zwei Jahre heruntergesetzt.[1] Was das allerdings konkret bedeutet und wie ein solcher Rechtsakt auszusehen hat, ist nach wie vor unklar.
Die Europol-Konvention war erst am 1. Juli 1999 mit allen zugehörigen Ausführungsbestimmungen in Kraft getreten. Da die polizeiliche Kooperation auch nach dem Amsterdamer Vertrag eine Angelegenheit der Regierungszusammenarbeit ist, wäre eine Erweiterung der Konvention wiederum nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag möglich – ein Prozeß, der gewöhnlich bis zur Ratifizierung mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
Diesen beschwerlichen Weg und die notwendigerweise damit verbundene öffentliche Diskussion wollen sich die Minister offensichtlich ersparen. In der vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Bilanz der deutschen EU-Präsidentschaft in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wird als „Zwischenergebnis“ der Debatte festgehalten, „daß die Mehrheit der Mitgliedstaaten zunächst die bestehende Europol-Konvention ausschöpfen will“.[2] Die Konvention sieht Europol allerdings in erster Linie als Informationspolizei. Europol darf danach umfangreiche Systeme mit „weichen“ Daten führen, diese auswerten und mit den nationalen Polizeizentralen sowie mit Drittstaaten und internationalen Institutionen austauschen. Eine ermittlungskoordinierende und -unterstützende Rolle kommt allenfalls den Verbindungsbeamten zu (Art. 5 Abs. 5).
Die Europol-Drogeneinheit (EDU), die Vorläuferinstitution des Amtes, hat diese Möglichkeit bereits seit der Aufnahme ihrer Arbeiten Anfang 1994 in Anspruch genommen. Der Tätigkeitsbericht für 1998[3] verzeichnet 123 Fälle von Koordination/Unterstützung (5% der insgesamt von der EDU bearbeiteten Angelegenheiten). 46 betrafen dabei kontrollierte Lieferungen. Tatsächlich scheinen die Euro-Cops mit ihrer Koordinationstätigkeit bereits jetzt ausgelastet. Man mußte die nationalen Behörden darauf hinweisen, die Hilfe von Europol nur für multilaterale Aktionen zu nutzen und nicht für bilaterale, die sie untereinander abwickeln sollen.[4]
Die im Amsterdamer Vertrag formulierten Ziele brächten Europol zwar keine exekutiven Befugnisse. Allerdings würde das Amt nun nicht mehr nur im Auftrag von nationalen Behörden koordinieren und unterstützen, sondern könnte selbst aktiv grenzüberschreitende Ermittlungen initiieren. Auch das Gipfeltreffen in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 hat keine Klärung darüber gebracht, wie Europol zu den neuen „operativen“ Befugnissen kommen soll. In den „Schlußfolgerungen des Vorsitzes“ wiederholt der Europäische Rat im wesentlichen die Ziele aus dem EU-Vertrag, die „in der nahen Zukunft“ verwirklicht werden sollen, läßt sich aber nicht dazu aus, ob dies mit einem bloßen Beschluß des Rates (gemäß Art. 34 Abs. 2c EU-Vertrag) möglich ist.
Immerhin waren sich die Staats- und Regierungschefs bewußt, daß spätestens bei einer solchen aktiven Rolle Europols „die Systeme der gerichtlichen Kontrolle in den Mitgliedstaaten zu beachten sind“.[5] Auf diese Überlegung dürfte denn auch die „Vereinbarung“ der Staats- und Regierungschefs zurückzuführen sein, eine „Stelle (EUROJUST)“ einzurichten, „in der von den einzelnen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer Rechtsordnung entsandte Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte mit gleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen sind.“[6] Die neue „Stelle“ soll bis Ende 2001 geschaffen sein. Ihre Aufgabe ist allerdings nicht als justitielle Kontrolle formuliert. Dem Europäischen Rat geht es vielmehr um die „sachgerechte Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften“ und die Unterstützung von „strafrechtlichen Ermittlungen mit OK-Bezug – insbesondere auf der Grundlage von Europol-Analysen“.
(Heinrich Busch)