Tampere Gipfel: Aktionspläne „Migration und Flucht“

Ende 1998 war die Hochrangige Gruppe Migration und Asyl eingerichtet worden. Ihr Ziel sollte die Entwicklung eines „integralen Ansatzes“ der Asyl- und Migrationspolitik sein, der die Ursachen von Flucht und Auswanderung und ebenso die verschiedenen Politiken der EU berücksichtigen sollte. Im Januar 1999 hatte die Gruppe den Auftrag erhalten, Aktionspläne für sechs Herkunftsregionen zu erarbeiten: Afghanistan und Nachbarregion, Irak, Marokko, Somalia, Sri Lanka sowie Albanien und „Nachbarregion“.

Auf dem Gipfeltreffen in Tampere billigte der Europäische Rat erwartungsgemäß den Abschlußbericht der Gruppe, in dem es immerhin heißt, daß Migration nicht nur negative, sondern auch positive Effekte habe.[1] Die EU solle an einem pfeilerübergreifenden kohärenten Ansatz festhalten und Außenpolitik, Entwicklungspolitik und wirtschaftspolitische Unterstützung sowie Migrations- und Asylpolitik kombinieren.

Wichtige Bestandteile dieses Ansatzes seien die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Armut soll beseitigt, Konfliktprävention und Versöhnung in den betroffenen Ländern unterstützt werden. Parallel zu diesen wohlklingenden und umfassenden, aber unverbindlichen Ansprüchen will die Gruppe weiterhin den Kampf gegen die illegale Migration intensivieren, wozu selbstredend auch Abschiebungen und Abschottung der Grenzen gehören.

Dieses „einerseits-andererseits“ zieht sich auch durch die einzelnen Aktionspläne, die bis auf den als Interimsreport bewerteten zu „Albanien und Nachbarregion“ ebenfalls angenommen wurden. Der vom bundesdeutschen – grün geführten – Auswärtigen Amt erarbeitete Plan zu Irak ist im wesentlichen eine Fortschreibung des Plans, den die EU im Januar 1998 gefaßt hatte, nachdem in den Wochen zuvor Tausende kurdische Flüchtlinge an den Küsten Italiens gestrandet waren.[2] Die jetzige Neuauflage ergänzt den alten Vorschlag nur durch langfristige außenpolitische Zielsetzungen.

Die Hochrangige Gruppe geht in ihrer Analyse davon aus, daß die „alarmierende Menschenrechtssituation“, die „katastrophale humanitäre Situation“ sowie die „politische und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit“ Hauptgründe für Flucht und Migration aus dem Irak seien. Die Situation im Nordirak bewertet die Gruppe als „unsicher“, die Perspektiven einer Versöhnung der beiden rivalisierenden kurdischen Strömungen (KDP und PUK) als „zweifelhaft“. Soweit, so gut. Dennoch – so heißt es gleich im nächsten Absatz – sei der Nordirak eine inländische Fluchtalternative sowohl für diejenigen, die von der Regierung in Bagdad verfolgt würden, als auch für nordirakische Kurden. Diese sollen sich in das Gebiet des jeweiligen anderen Kurdenflügels begeben.

Schon im alten Aktionsplan hatte sich die EU auf die Einbindung der Türkei konzentriert. Sie sollte bei der Errichtung von Internierungslagern finanziell unterstützt werden. Die türkische Nationalversammlung drängte man zur Verabschiedung effizienter Gesetze gegen die illegale Migration. Türkische Grenzpolizisten sollten von EU-Polizeien ausgebildet werden und mit ihren EU-Partnern verstärkt Informationen austauschen. All dies ließ sich bisher zwar nicht umsetzen, dennoch hält auch der neue Aktionsplan nicht nur an diesen Punkten fest, sondern propagiert intensivierte Verhandlungen mit der Regierung in Ankara, mit dem Ziel, irakische KurdInnen via Türkei in den Nordirak abschieben zu können.

Nach ähnlichem Muster wie der Aktionsplan Irak sind auch die anderen Aktionspläne gestrickt. Die repressiven Maßnahmen reichen von Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten (wie der Türkei) über die Entsendung von Verbindungsbeamten, die Fluggesellschaften bei der Erkennung von gefälschten Dokumenten unterstützen sollen, bis hin zum polizeilichen Informationsaustausch und zur Ausbildungshilfe. Sie sind wesentlich konkreter und realistischer als die blumigen außen- und entwick­lungspolitischen Zielsetzungen, die allenfalls langfristig wirken könnten, sofern die EU und ihre Mitgliedstaaten denn tatsächlich ausreichende finanzielle Mittel bereitstellten.

Wenn die Hochrangige Gruppe sich wie angekündigt nur noch einmal pro Halbjahr treffen soll, wird die Chance, daß sich humanitäre und entwicklungspolitische Motive gegenüber der Abschottungslogik der Innenministerien durchsetzen, noch weiter schwinden. Von den Aktionsplänen bleiben dann tatsächlich nur die repressiven Teile.

(Heinrich Busch)

[1]   Rats-Dok. 10950/99, Brüssel, 14.9.1999
[2]   Rats-Dok. 3769/2/99, alter Aktionsplan Irak: 5573/98, Brüssel, 29.1.1998