„Community Policing“ – Alternative zu herkömmlicher Polizeiarbeit?

von Norbert Pütter

Während „Community Policing“ in Deutschland erst in den letzten Jahren „entdeckt“ wurde, besteht in den angelsächsischen Ländern eine lange Tradition lokaler, gemeindebezogener Polizeiarbeit. Und während in der deutschen Diskussion die wohlklingende Rhetorik einer „bürgerorientierten“ oder „gemeinwesenorientierten“ Polizeiarbeit im Vordergrund steht, verweisen die ausländischen Erfahrungen stärker auf die Voraussetzungen, Widersprüche und Ambivalenzen, die mit einer solchen Strategie verbunden sind. „Community Policing“ schafft neue Probleme im Hinblick auf die gesellschaftliche Rolle der Polizei – ohne die alten zu lösen.

„Community Policing“ (CP) ist weder ein einheitliches Konzept, noch steht es für eine genau bestimmbare Form polizeilicher Arbeit. Auch die Begriffe variieren: „Community Policing“, „Neighborhood Policing“, „Community-oriented Policing“, „Problem-oriented Policing“ etc. Insgesamt handelt es sich um ein nicht genau abgrenzbares Konzept, das eine „Bewegung“ oder ein relativ vages polizeiliches Selbstverständnis bezeichnet. Empirisch ist die Spannweite erheblich. Sie reicht von der bloßen Behauptung von Polizeibehörden, die eigene Arbeit sei CP, bis hin zu Versuchen, die Organisation der Polizei, ihre Aufgaben und Einsatzformen auf eine neue Basis zu stellen. Jenseits aller Unterschiede lassen sich zwei Gemeinsamkeiten ausmachen, denen sich alle Varianten von CP verpflichtet fühlen: Sie betonen, wie wichtig eine enge(re) Zusammenarbeit von Polizei und Gemeinde ist, und sie wollen die Arbeit darauf ausrichten, Probleme im lokalen Kontext zu lösen. Exemplarisch kommen beide Aspekte in der folgenden Definition zum Ausdruck: „Community policing ist eine neue Philosophie der Polizeiarbeit, die auf dem Konzept basiert, daß kreative Formen des Zusammenwirkens von PolizistInnen mit BürgerInnen dazu beitragen können, gegenwärtige Probleme in Gemeinden zu lösen, die mit Kriminalität, Kriminalitätsfurcht, sozialer oder physischer Unordnung und dem Verfall von Nachbarschaften zusammenhängen.“[1]

Auch in praktischer Hinsicht lassen sich einige Elemente benennen, die im Kontext von CP umgesetzt oder zumindest diskutiert werden:[2]

  • Die Erhöhung der Präsenz und Ansprechbarkeit der Polizei durch vermehrte Fuß- oder Fahrradstreifen, durch Polizei-Läden in Innenstädten, durch kleine Polizeireviere in der Nachbarschaft, durch die dauerhafte Zuordnung eines Polizisten oder einer Polizistin zu einem bestimmten Bezirk etc.
  • Die Orientierung der Polizeiarbeit an den Bedürfnissen der Gemeinde, die auf verschiedenen Wegen ermittelt werden sollen: Durch die Präsenz vor Ort und den derart angestrebten unmittelbaren Kontakt zur Bevölkerung, durch regelmäßige Treffen zwischen Polizeiführung und Stadtverwaltung, durch BürgerInnenversammlungen oder durch Umfragen, in denen Kriminalitätslage und Sicherheitsbedürfnisse ermittelt werden sollen.
  • Die direkte Beteiligung der BürgerInnen an der Polizei- bzw. „Sicherheitsarbeit“, die vom Einsatz Freiwilliger als HilfspolizistInnen über „Neighborhood watch“-Programme bis zur Einrichtung von Hotlines und der Rekrutierung von Informanten reichen kann.
  • Die problemorientierte Arbeit, bei der nicht automatisch das Repertoire polizeilicher Maßnahmen eingesetzt, sondern zusammen mit anderen Akteuren nach Lösungen gesucht wird, die dem Kontext und den Ursachen des Problems und den betroffenen lokalen Interessen gerecht werden.

Zwei Polizeimodelle

Angesichts der genannten Merkmale sind die Unterschiede zwischen CP und herkömmlicher Polizeiarbeit offenkundig. In einer idealtypischen Gegenüberstellung hat Manning zwischen CP und „Bureaucratic Policing“ unterschieden. CP sei unter anderem gekennzeichnet durch sichtbare, unmittelbar erreichbare PolizistInnen, die als Personen in Erscheinung treten und sich als Generalisten im Hinblick auf Kriminalität und Sicherheit verstehen würden. Demgegenüber arbeiteten bürokratische Polizeien für die BürgerInnen unsichtbar, die PolizistInnen seien nur indirekt zugänglich und spezialisiert tätig, ein unpersönlicher Arbeitsstil sei kennzeichnend. Die Beziehungen zwischen Polizei und Gemeinde seien im bürokratischen Typus hierarchisch, autoritär und auf Distanz angelegt.[3]

Am deutlichsten werden die Unterschiede, wenn das Ziel polizeilichen Handelns betrachtet wird. CP strebe die Lösung von Kriminalitäts- und Sicherheitsproblemen an, bürokratische Polizeien sähen sich demgegenüber in erster Linie als „crime fighter“.[4] Aus dieser Perspektive erscheint CP als ein Korrektiv zur Zentralisierung und – auf Kriminalitätsbekämpfung zugeschnittenen – Professionalisierung moderner Polizeien. Die „Crime fighter“-Orientierung habe nicht nur die (Sicherheits-)Bedürfnisse in den Gemeinden vernachlässigt, sondern sie habe auch unterschätzt, daß Erfolge in der Verbrechensbekämpfung davon abhängen, wie vertraut die Polizei mit der Gemeinde ist, in der sie arbeitet. „Es ist absurd anzunehmen“, so Goldstein, „daß ein(e) Polizist(in) ohne eine solche Vertrautheit mehr als nur minimal effektiv darin sein kann, auffälliges oder kriminelles Verhalten in einem Gebiet zu identifizieren.“[5]

Polizei: Selbstverständnis und Vorteile

CP verändert das polizeiliche Selbstverständnis. Die Polizei als ein Akteur in lokalen Problemlösungsprozessen gibt ihr professionelles Sicherheitsmonopol auf. Statt ihre exklusive Fachkompetenz zu reklamieren, umwirbt sie Gemeinden und BürgerInnen als Partner. Die Polizei alleine sei überfordert, nur durch gemeinsame Anstrengungen könne mehr Sicherheit gewährleistet werden. Worin jeweils der Beitrag der Polizei bestehen soll, läßt sich pauschal nicht bestimmen. Sie kann BürgerInnen über Gefahren aufklären und zeigen, wie man sich vor ihnen schützt; sie kann mit ihren Mitteln auf die Wünsche der Gemeinde reagieren (etwa gezielte Streifen); sie kann andere (Behörden) auf Probleme aufmerksam machen, die Gemeinde in Fragen des Selbstschutzes beraten und diesen koordinieren etc. Da CP an Problemen ansetzen will, die im lokalen Kontext unter Beteiligung der BürgerInnen diagnostiziert werden, und da nach Antworten gesucht werden soll, die unter den jeweiligen Bedingungen angemessen und umsetzbar sind, ist offenkundig, daß es keine allgemeingültige Rollenverteilung geben kann. CP-Polizeien wollen der Gemeinde dienen: „The community must police itself. The police can, at best, only assist in that task.“[6]

Die Attraktivität, die CP auf Polizeistrategen und Polizeiführungen ausübt, läßt sich darauf zurückführen, daß das Konzept verspricht, mehrere Krisen gleichzeitig zu lösen:

  • Die Effizienzkrise. Die Zentralisierung der Polizeiorganisation und die Modernisierung des Apparates haben nicht zur nachhaltigen Minderung von Kriminalität geführt. Zusätzliche Ressourcen sind knapp. Zudem ist fragwürdig, ob mehr Personal, mehr EDV, mehr proaktive Einsätze die polizeilichen Erfolge tatsächlich erhöhen würden. Um letzteres bewerkstelligen zu können, bedarf die Polizei zusätzlicher Informationen und Partner, die sie sich auf lokaler Ebene von der direkten Kooperation mit anderen verspricht.[7]
  • Die Legitimationskrise. Die Legitimation der Institution Polizei ist dauerhaft bedroht. Hohe Zahlen registrierter Kriminalität wirken ebenso delegitimierend wie jeder einzelne Kriminalfall, den die Polizei nicht verhindert hat. Aus Kriminalitätsfurcht und fehlendem Sicherheitsgefühl resultieren neue Anforderungen an die Polizei. Den vielfältigen, überhöhten und zum Teil widersprüchlichen Anforderungen von BürgerInnen kann die Polizei nicht gerecht werden. Sichtbarkeit, Ansprechbarkeit und Angebote zur Zusammenarbeit sind deshalb als Versuche zu werten, der Polizei die Unterstützung zu sichern, die sie für ihre Arbeit braucht.[8]
  • Die Motivationskrise. CP soll auch für die PolizistInnen Vorteile bringen. Statt von einem Tatort zum nächsten zu eilen, statt Kriminalität aktenmäßig zu bearbeiten, sollen unmittelbare Kontakte mit BürgerInnen und die Arbeit an Problemlösungen die Arbeitszufriedenheit und -motivation innerhalb der Polizeien erhöhen.

CP erscheint so als die Quadratur des Kreises: bürger- und problemorientiert, bürgerschaftliches Engagement fördernd und die Polizei gleichzeitig unterstützend, die Gemeinde beteiligend und verschiedene Kräfte zielgerichtet bündelnd …

Was heißt „Community“?

Die Schwierigkeiten von CP beginnen bereits mit dem Begriff „Community“. Offen ist, ob er eine ganze Stadt, ein Stadtviertel oder eine Nachbarschaft bezeichnen soll. Aber nicht nur die geographische Reichweite einer „Community“ ist fraglich, sondern auch die soziale und politische. Die CP-Programmatik geht von einer einheitlichen „Community“ aus; Differenzen und Konflikte werden verschwiegen oder heruntergespielt. Wer deshalb undifferenziert von „Community“ spricht, hat eine vergleichsweise homogene Gemeinschaft vor Augen, die bestimmte Phänomene als kriminalitäts- oder sicherheitsrelevant definiert und die bestimmte Problemlösungen favorisiert. In dieser Variante wird die „Community“ von allen negativen oder kriminogenen Eigenschaften befreit; per definitionem wird sie mit den gesetzestreuen BürgerInnen gleichgesetzt. Feests Bewertung des Begriffs der „Bürgernähe“ gilt auch für den der „Community“ in der CP-Diskussion: Er „vermittelt (…) eine unrealistische Neutralität gegenüber den verschiedenen sozio-ökonomischen Schichten, aber auch gegenüber verschiedenen ethnischen, sexuellen und altersmäßigen Subgruppen bzw. Subkulturen der Gesellschaft.“[9] Potentielle Straftäter und Personen, deren Verhalten verunsichernd wirkt oder die irgendwie stören, werden als Fremde, als nicht zur „Community“ gehörend wahrgenommen – obwohl oder gerade weil sie in der Gemeinde leben.[10] Daß dem konzeptionellen Ausschluß auch eine entsprechende (polizeiliche, gemeindliche) Praxis folgt, scheint nicht unwahrscheinlich.

Sofern jedoch im Rahmen von CP berücksichtigt wird, daß Gemeinden aus Gruppen mit unterschiedlichen Vorstellungen, Interessen und Erwartungen an die Polizei bestehen, kurz: daß Konflikt und nicht Konsens die Regel ist, werden die konzeptionellen Probleme nicht geringer.[11] Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren und -kriterien müßten entwickelt werden: Wer ist zu beteiligen? Wer entscheidet, ob bestimmte Gruppen oder Personen zu beteiligen sind? Wann gilt ein Beschluß als Konsens für die bzw. der Gemeinde? Was passiert, wenn es keine Übereinkunft gibt? Wer entscheidet dann über welche Reaktionen?[12]

Ob CP die in das Konzept gesetzten Hoffnungen erfüllen kann, hängt deshalb entscheidend davon ab, wie und in welchem Ausmaß BürgerInnen beteiligt werden. Anfang der 90er Jahre wurde die kommunale Beteiligung in den meisten US-amerikanischen CP-Programmen als „einseitig, gering, passiv und gelenkt von der Polizei charakterisiert“.[13] Nicht alle sozialen Gruppen werden im selben Ausmaß von CP erreicht. Einige wollen bewußt keine Nähe zur Polizei; sei es aus politischen Gründen oder weil sie schlechte Erfahrungen mit ihr gemacht haben.[14] Empirisch spricht einiges dafür, daß „BürgerInnenbeteiligung“ im Rahmen von CP dazu führt, etablierten, organisations- und artikulationsfähigen Interessen Einfluß auf die lokale Polizeiarbeit zu ermöglichen. „Die Polizei“, so Skogan, „kommt wahrscheinlich mit denen am besten zurecht, die ihre Einstellung teilen. Die ‚lokalen Werte‘, die sie vertreten, sind die eines Teils der Bewohner, aber nicht aller. In heterogenen Wohngebieten können Bewohner leicht das Ziel von Programmen werden, ohne darüber erfreut zu sein.“[15] Die sozial ungleiche Beteiligung kann dazu führen, daß soziale Konflikte polarisiert werden: „Grundstücksbesitzer gegen die Besitzlosen, Arbeitsplatzbesitzer gegen Arbeitslose, Familien und Gemeinde gegen einzelne Außenseiter, gesetzestreue Bürger gegen Gesetzesbrecher, die moralisch Integeren gegen die sündigen Schwachen“.[16]

Unbeschadet der BürgerInnenbeteiligung scheint auch in CP-Modellen die Polizei die entscheidende Instanz zu bleiben. Durch die Beteiligung würden in erster Linie zusätzliche Informationen für die Polizei geliefert. Die Rolle des Bürgers/der Bürgerin werde „im Sinne einer Informationsquelle“ verstanden, während sich die Polizei „auf die strategischen und taktischen Gesichtspunkte dieser Informationen“ konzentriere.[17] Sofern die BürgerInnen selbst aktiv werden, wie in den „Neighborhood watch“-Programmen, fungierten sie als „eyes and ears of the police“.[18]

„Policing“: Voraussetzungen und Praxis

CP-Modelle wollen nicht nur aktive Gemeinden, sie verlangen auch erhebliche Veränderungen bei der Polizei. Die wichtigsten betreffen die Organisation des Apparates und die Qualifikation des Personals:

  • CP setzt eine Polizei mit lokalen Entscheidungskompetenzen und mit lokal verfügbaren Ressourcen voraus. Das Konzept ist in Ländern entstanden, in denen kommunale Polizeien das Rückgrat des Polizeisystems bilden. Aber auch dort ist das „Fehlen eines dezentralisierten Kommando- und Kontrollbereichs“ als einer der Hauptmängel in CP-Programmen diagnostiziert worden.[19] Dezentralisierung der Polizei und Verantwortlichkeit gegenüber der Gemeinde sind zwei unverzichtbare Voraussetzungen von CP.
  • Die Orientierung auf „Problemlösung“ verlangt spezifische Einsatzstrategien und Fähigkeiten. Da sie nicht (allein) auf Kriminalität reagieren soll, muß sie proaktiv tätig werden: Die Polizei muß die Nähe zu den BürgerInnen suchen (Präsenz, leichtere Erreichbarkeit, Initiierung von Versammlungen etc.). Die PolizistInnen sollen die BürgerInnen als Partner oder Verbündete behandeln; der polizeiliche „Problemlöser“ zeichnet sich durch kommunikative Fähigkeiten aus, die weder für den Crime fighter noch für den Polizeibürokraten traditioneller Prägung von Bedeutung waren. Um angemessen auf lokale Probleme reagieren zu können, müssen auch die einzelnen PolizistInnen vergrößerte Entscheidungskompetenzen besitzen.[20] Daraus ergeben sich Anforderungen an Aus- und Fortbildung, aber auch an die Kriterien für Karrieren innerhalb der Polizeien.

CP setzt eine spezifische Art von Polizei voraus: lokal, dezentralisiert, kommunikativ, bürgerorientiert. Angesichts gängiger Bedrohungsszenarien (Organisierte Kriminalität, international agierende Verbrechersyndikate etc.) ist offenkundig, daß CP jedoch kein umfassendes Modell für „die Polizei“ in modernen Gesellschaften sein kann. Das heißt, CP taugt allenfalls als „Philosophie“ für einen Teil polizeilicher Tätigkeiten und Aufgaben. Regelmäßig werden die Kriminalpolizeien, die überörtlichen Polizeien, die Spezialeinheiten von CP nicht berührt. In einer solchen Arbeitsteilung erscheint CP als eine Art „Schön-Wetter-Polizei“, als „Freund und Helfer“, der der Gemeinde nur dabei „assistiert“ (Goldstein), ein sicheres Gemeinwesen herzustellen. Selbst beschränkt auf jene CP-Konzepte, die sich an den Interessen der Gemeinde orientieren und die Probleme lösen wollen, bleiben die spezifisch polizeilichen Ressourcen präsent. Dabei ist entscheidend, daß CP gerade kein explizites Programm zur Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr darstellt. Vielmehr soll vorausschauend und frühzeitig agiert werden. In präventiver Absicht sollen die Verhältnisse so verändert werden, daß die Kriminalität verringert und das Sicherheitsgefühl erhöht wird. Was geschieht aber, wenn sich die von der „Community“ diagnostizierten Probleme nicht einvernehmlich lösen lassen? Wenn Jugendliche nach wie vor an Straßenecken „rumhängen“, wenn Obdachlose auf Parkbänken schlafen, Alkohol in der Öffentlichkeit konsumiert oder in der City gebettelt wird? Für diese „Ernstfälle“ bleibt die Option polizeilichen Einschreitens auch in CP-Konzepten präsent.

Eine Idee, die auf den ersten Blick bürgerInnenfreundlich erscheint – und den Vorstellungen eines Teils der BürgerInnen auch durchaus entsprechen kann – kann für andere Bevölkerungsgruppen verschärfte Kontrolle und konsequentere polizeiliche Repression bedeuten. Anstelle allgemeiner gesetzlicher Normen und der herkömmlichen bürokratischen Interventionen werden polizeiliche Maßnahmen unter CP stärker von den Interessen der beteiligten BürgerInnen beeinflußt. Die Eingriffsschwelle wird nicht durch Delikte oder Gefahren bestimmt, sondern von der Moral, den Ordnungs- und Sicherheitsvorstellungen der „Community“. Auf Seiten der Polizei kann dies zur Entwicklung von Strategien führen, die hauptsächlich „auf die Kontrolle von ‚high risk population‘, die Kontrolle der ökonomisch und sozial marginalisierten Armen“ zielen.[21]

Kontrollstrategien im Wandel

CP ist eine Philosophie mit lokaler Reichweite. Diagnose und Therapie von Kriminalität und Unsicherheit verlassen den gemeindlichen Horizont nicht: Dort, wo ein Problem sichtbar wird, so die Unterstellung, liegen sowohl dessen Ursachen als auch die Chancen zur Problemlösung. Diese Argumentationsfigur läuft darauf hinaus, die Gemeinden für abweichendes oder störendes Verhalten verantwortlich zu machen („community blaming“[22]). Daß Gemeinden keine Inseln sind, sondern sich in ihnen allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen niederschlagen, die weder einen lokalen Ursprung haben noch lokal verhindert werden können, wird in der CP-Philosophie gerne unterschlagen. Wegen des bloß lokalen Verständnisses von Kriminalität und Sicherheitsempfinden sind CP-Programme immer mit der Gefahr verbunden, Probleme lediglich (räumlich) zu verschieben, statt sie zu lösen.

Betrachtet man hingegen die gesellschaftlichen Veränderungen, dann erscheint CP als ein Versuch, die Kontrollstrategien gewandelten Anforderungen anzupassen. Das alte Modell einer hierarchisch organisierten, semi-militärisch geführten und repressiv handelnden Polizei kann den Sicherheitsbedürfnissen in modernen Gesellschaften nicht gerecht werden.[23] Gelten Truppenpolizeien als polizeistrategische Antwort auf die Gefahren sozialer Unruhen, des organisierten Aufstands oder Protests, und gelten zentralisierte und spezialisierte Polizeien als Antwort auf organisierte und internationalisierte Kriminalitätsformen, so kann CP als Antwort auf die vielfältigen Verunsicherungen, Bedrohungen und Belästigungen im (städtischen) Alltag verstanden werden. Zwar ist die CP-Konjunktur darauf zurückzuführen, daß nach der Phase polizeilicher Zentralisierung und Kriminalitätsfixierung das Pendel polizeistrategischer Debatten zurückschlägt und viele Interessen mit CP „bedient“ werden können. Die Resonanz wäre jedoch kaum erklärbar, wenn CP nicht Antworten auf gesellschaftliche Veränderungen verspräche: auf die zur Vereinzelung führende Individualisierung von Lebenslagen, auf die Vielfalt unterschiedlicher Lebensstile und Wertvorstellungen, auf den Zerfall traditioneller Formen sozialer Kontrolle – und auf den vermehrten Ruf nach der Polizei bei alltäglichen Belästigungen und Konflikten.

CP als polizeiliche Antwort auf die „Risikogesellschaft“ führt dazu, daß auf kommunaler Ebene eine Vielzahl von Foren und Kooperationsformen entstehen, in denen jeweils für ein Segment Sicherheit produziert wird: Sicherheit in der Schule zusammen mit Lehrern und Eltern, Sicherheit in Wohngebieten zusammen mit Neighborhood watch-Gruppen, Sicherheit in der City zusammen mit Geschäftsinhabern. Die Rolle der CP-Polizeien in diesen Arrangements ist mit der eines Satelliten verglichen worden, der Wissen zwischen den unterschiedlichen Akteuren transportiert und Aktivitäten anregt.[24] Wenn die Polizei jedoch in das Zentrum lokaler Informationsströme rückt, dann nehmen ihr Wissen und damit auch ihre (repressiven) Interventionschancen erheblich zu.

Selbstbeschränkung

Obwohl CP sich von den herkömmlichen „Crime fighter“-Polizeien bewußt unterscheiden will, ist beiden das polizeiliche „Sendungsbewußtsein“ gemeinsam. War der Ausbau der Kriminalpolizeien davon bestimmt, die schwere Kriminalität endlich erfolgreich bekämpfen zu wollen, so sind es jetzt die alltäglichen Störungen, die kleinen Regelverletzungen und die Unwirtlichkeit der Städte, mit denen eine neue Reformphase begründet wird. In beiden Fällen wird die Polizei zu der zentralen Instanz stilisiert, die Abhilfe schaffen soll. Kaum beachtet wird dabei, ob die Institution Polizei überhaupt in der Lage ist, die von ihr erwarteten Leistungen zu erbringen und ob es sich mit einer demokratischen Gesellschaft verträgt, wenn die Polizei sich (im lokalen Kontext) für alles zuständig fühlt.

Fragt man nach dem Besonderen, das die Polizei von allen anderen gesellschaftlichen Einrichtungen unterscheidet, so ist es das Recht, gegebenenfalls direkte physische Gewalt anwenden zu dürfen. In der CP-Philosophie werden Polizeien eine Vielzahl neuer Aufgaben und Kompetenzen zugeschrieben, ohne daß deren Ermächtigung zum repressiven Eingreifen beschnitten würde. Die polizeiliche Option zur Gewalt dringt auf diese Weise in weitere gesellschaftliche Beziehungen ein. Nicht mehr bürgerschaftliche Beteiligung und weniger Polizei, sondern mehr polizeiliche „Lösungen“ stehen am Ende dieses Prozesses.

Norbert Pütter ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Trojanowicz, R.; Bucqueroux, B.: Community Policing. A Contemporary Perspective, Cincinnati 1990, p. 5 (alle Übersetzungen englischer Zitate durch NP)
[2] s. exemplarisch die Übersicht bei Taylor Greene, H.: Community-Oriented Policing in Virginia, in: Police Studies 1996, No. 3, pp. 17-31 (24)
[3] Manning, P.: Community Policing, in: Dunham, R.G.; Alpert, G.P. (eds.): Critical Issues in Policing, Prospect Heights, Ill. 1989, pp. 395-405 (402f.)
[4] Weisburd, D.; McElroy, J.; Hardyman, P.: Maintaining Control in Community-Oriented Policing, in: Kenney, D.J. (ed.): Police & Policing. Contemporary Issues, New York, Westport, London 1989, pp. 188-202 (189)
[5] Goldstein, H.: Problem-Oriented Policing, New York, St. Louis, San Francisco u.a. 1990, p. 159f.
[6] ebd., p. 21
[7] Lyons, B.: Community Mobilization and Community Policing, in: Joint Meeting: Law and Society in the Global Village, Amsterdam 1991, p. 40
[8] Schweitzer, H.: Community-Policing: Die Polizei als moderne dezentrale Agentur sozialer Kontrolle, in: Sozial Extra 1989, H. 11, S. 22-26 (26)
[9] Feest, J.: „Bürgernähe“ – ein spekulatives Konzept, in: Kriminalistik 1988, H. 3, S. 128-131 (129)
[10] Crawford, A.: Appeals to community and crime prevention, in: Crime, Law and Social Change 1995, pp. 97-126 (105, 107)
[11] Manning a.a.O. (Fn. 3), p. 400
[12] Goldstein a.a.O. (Fn. 5), p. 25
[13] Greene, J.R.: Gemeindebezogene Polizeiarbeit in den USA: Überblick und Kritik über Theorie und Praxis des „Community Policing“, in: Feltes, T.; Rebscher, E. (Hg.): Polizei und Bevölkerung. Beiträge zum Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung und zur gemeindebezogenen Polizeiarbeit („Community Policing“) (Empirische Polizeiforschung, Bd. 1), Holzkirchen/Obb. 1990, S. 106-116 (112)
[14] Manning a.a.O. (Fn. 3), p. 399
[15] Skogan, W.: Probleme gemeinwesenorientierter Polizeiarbeit am Beispiel des Houston-Projekts, in: Feltes; Rebscher a.a.O. (Fn. 13), S. 117-130 (129)
[16] Darian-Smith, E.: Neighborhood Watch – who watches whom? Interpreting the social processes in localized policing, in: Joint Meeting: Law and Society in the Global Village, Amsterdam 1991, p. 3
[17] Greene a.a.O. (Fn. 13), S. 113
[18] Bennett, T.: The neighbourhood watch experiment, in: Morgan, R.; Smith, D.J. (eds.): Coming to terms with policing. London, New York 1989, pp. 138-152 (146)
[19] Greene a.a.O. (Fn. 13), S. 111
[20] ebd., S. 108
[21] Stenson, K.: Communal Security as Government – The British Experience, in: Hammerschick, W.; Karazman-Morawetz, I.; Stangl, W. (Hg.): Die sichere Stadt. (Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie), Baden-Baden 1996, S. 103-123 (107)
[22] Crawford a.a.O. (Fn. 10), p. 112
[23] Weisburd; McElroy; Hardyman a.a.O. (Fn. 4), p. 189
[24] Ericson, R.; Haggerty, K.: Policing the Risk Society, Oxford 1998, zit. nach: Punch, M., in: Policing and Society 1999, No. 1, p. 104