Und mach‘ nur einen Plan … Die neueste Reorganisation des schweizerischen Bundesamtes für Polizei

von Heiner Busch

Seit einem Jahrzehnt jagen sich die Reorganisationspläne bei der schweizerischen Polizei. Auf Dauer besteht die Gefahr, dass dabei vom Föderalismus nicht viel übrig bleibt.

Die Beschreibung der Abteilungen und Sektionen auf der Homepage des Bundesamtes für Polizei (BAP) gleicht derzeit noch einem Emmentaler Käse. Neben gummiartigen Aussagen zu einigen der neuen Organisationsgliederungen – z.B. zum „Dienst für Analyse und Prävention“ (DAP) – finden sich diverse Löcher. „Text in Überarbeitung“ heißt es noch Ende März dort, wo eigentlich das Kernstück der zu Jahresbeginn in Kraft getretenen neuen Organisation – die neue Hauptabteilung Bundeskriminalpolizei (BKP) – erläutert werden sollte. Mit mehr als 70 Untereinheiten allein auf der Ebene der den Abteilungen nachgeordneten Sektionen und Dienste erzeugt auch das bunte Organigramm eher Verwirrung als Klarheit.[1]

Verwirrend war auch der Vorlauf der am 3. Mai letzten Jahres von der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD, i.e. Justizministerium), Bundesrätin Ruth Metzler, verkündeten Reorganisation.[2] Bereits im September 1999 waren die Bundespolizei (BUPO) und der Sicherheitsdienst der Bundesverwaltung, die bis dahin der Bundesanwaltschaft formell unterstellt waren, ins BAP überführt worden. Die BUPO bildete unter dem neuen Dach zunächst eine eigenständige Hauptabteilung, behielt ihre interne Struktur und ihre traditionelle Doppelfunktion: Sie blieb Staatsschutzzentrale, politische Polizei des Bundes auf der einen Seite, Gerichtspolizei in (fast) allen der Bundesgerichtsbarkeit unterstellten Ermittlungsangelegenheiten auf der anderen. Bei einer bloßen organisatorischen Angliederung der BUPO sollte es allerdings nicht bleiben. Schon im Herbst 1999 war klar, dass die eigens eingesetzte interne Arbeitsgruppe „StruPol“ (Strukturen der Polizei) die gesamte Organisation des BAP einer Revision unterziehen würde.

In den ersten Monaten des Jahres 2000 dürfte die Stimmung innerhalb des BAP nahe am Gefrierpunkt gelegen haben. Bereits im Januar hatte die „SonntagsZeitung“ gemeldet, dass sämtliche Stellen im Amt neu ausgeschrieben würden.[3] Die MitarbeiterInnen dürften sich neu bewerben, eine sichere Wiederanstellung sei aber nicht gewährleistet. Damit war gleichzeitig klar, dass die bisher durchgehend besser als ihre BAP-KollegInnen bezahlten BUPO-MitarbeiterInnen künftig weniger verdienen würden. Letztere wandten sich daher, nachdem die Pläne der Arbeitsgruppe im April durchgesickert waren, mit einer Petition an Bundesrätin Metzler. Vergebens: die BUPO wurde in ihrer alten Form aufgelöst, Staatsschutz und Ermittlungen wurden getrennt – eine „unschweizerische Lösung“, wie der oberste Staatsschützer, Urs von Daeniken, in einer Genfer Zeitung zitiert wurde.[4]

… sei nur ein großes Licht, …

Verschwinden mussten aber auch die kriminalpolizeilichen Zentralstellendienste (ZSD), die schon 1992 von der Bundesanwaltschaft zum BAP gewandert waren. Mit dem Zentralstellengesetz von 1994 wurde neben den Zentralstellen für Falschgeld, Drogen, Pornographie und Menschenhandel eine weitere für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (OK) geschaffen. Genau dies machte die ZSD zur Konkurrenz für die BUPO, der im Staatsschutzgesetz von 1997 neben den traditionellen Aufgaben politischer Überwachung nur die Aufgabe zugestanden worden war, über internationale Kanäle gewonnene OK-Informationen an die kantonalen Strafverfolgungsbehörden und die ZSD weiterzugeben.

Die OK-Hysterie verschaffte den ZSD den Schwung für eine massive personelle Aufstockung – von 7,5 Planstellen 1989 auf 107 ein Jahrzehnt später. Damit einher ging eine mit großen Ansprüchen versehene Reorganisation. Bereits 1997 verabschiedeten sich die ZSD von der noch im Gesetz vorgesehenen deliktspezifischen Gliederung. Aus der Zentralstelle für Drogendelikte, bei denen der Bund subsidiär, d.h. für Fälle von interkantonaler und internationaler Bedeutung, zuständig ist, wurde eine Sektion „Operationen“. Für die Verfolgung von „kriminellen Organisationen“ nach dem seit 1994 geltenden Art. 260ter StGB lagen die Ermittlungskompetenzen seinerzeit allein bei den Kantonen, die OK-Zentralstelle konnte allenfalls für den Austausch und die Auswertung von Informationen sorgen und Ermittlungen der Kantone koordinieren. Sie mutierte deshalb nun zur Sektion „Analyse“. Im Detailkonzept der Reorganisation, das der Bundesrat (die Landesregierung) erst 1998 absegnete, spekulierte man bereits auf eine Erweiterung der Ermittlungszuständigkeit des Bundes auf Fälle von OK und Wirtschaftskriminalität, deren Folge notwendigerweise eine neuerliche Aufstockung des Personals hätte sein müssen. Ein entsprechender erster Gesetzentwurf wurde schon 1996 präsentiert, endgültig verabschiedet wurde die sog. Effizienzvorlage jedoch erst im Dezember 1999.[5]

Tatsächlich blieben die ZSD in erster Linie eine Informationspolizei. Ihre wesentliche Leistung für die Kantone war die Bereitstellung einer gemeinsamen Datenbasis, zunächst des Drogenhandelsinformationssystems DOSIS, danach jenes für Organisierte Kriminalität ISOK. Die beiden mit den PIOS-Arbeitsdateien des Bundeskriminalamts vergleichbaren Systeme wurden 1998 zu einem einzigen mit dem Titel JANUS zusammengeführt. Bei der eigentlichen Analysetätigkeit zeigte man sich in erster Linie interessiert an „weichen“ Daten, die von ausländischen Polizeibehörden geliefert wurden, sowie an Daten über in der Schweiz lebende AusländerInnen, insbesondere aus Osteuropa. Der Fall „Sergei Michailow“, der wohl bekannteste, in dem aufgrund eines Analyseberichts der ZSD eine Anklage erhoben wurde, endete jedoch 1998 mit einem Freispruch. Der erste auf Hochglanzpapier produzierte OK-Lagebericht, dessen Kernstück eine Präsentation der „Russischen Organisierten Kriminalität“ bildet, erntete bei kantonalen KriminalpolizistInnen Achselzucken oder Lächeln. In der „operativen Kriminalanalyse“, sprich: in der eigentlichen ermittlungsunterstützenden Auswertung arbeitete Ende 1999 nur noch eine Person.

Im eigentlichen Ermittlungsbereich arbeiteten zu diesem Zeitpunkt gerade 15 Personen. Größere Verfahren konnten so kaum angepackt werden. Selbst die Koordinationstätigkeit hatte – verglichen mit dem Anfang des Jahrzehnts – nachgelassen. Zum Aufbau einer eigenen Observationseinheit, die das Detailkonzept von 1997 als „absolutes Muss“ bezeichnet hatte, war es nicht gekommen. Der personelle Ausbau – so umfangreich er war – war nicht schnell genug für das ambitiöse Projekt.

… und mach noch einen zweiten Plan ….

Tatsächlich ist die jetzige Reorganisation ein deutlicher Beleg dafür, dass die vorangegangenen kläglich gescheitert sind. Setzte die Reorganisation der ZSD vor allem auf den Ausbau der Analysetätigkeit im kriminalpolizeilichen Bereich, so wird nun die Ermittlungsarbeit groß geschrieben. Es war jedoch nicht die neue Bundeskriminalpolizei (BKP), sondern der „Dienst für Analyse und Prävention“ (DAP), der als erster mit zweifelhaften, klassisch staatsschützerischen Leistungen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat. Bereits im Januar brillierte der DAP mit einer „Lageanalyse“ über die Sicherheit des in Davos tagenden World Economic Forum und rechtfertigte auf diese Weise das Verbot der Demonstration gegen die Reichen und angeblich Wichtigen der Welt, die hermetische Abriegelung der gesamten Region um den Wintersportort und die Zurückweisung von Hunderten scheinbar unwichtiger Personen an den Schweizer Grenzen.

Dafür dass im DAP die staatsschützerische „Prävention“ dominiert, dürfte auch der Chef des Ladens, Ex-BUPO-Chef von Daeniken, garantieren. Im DAP angesiedelt sind die Wächter über den „Extremismus“ und „Terrorismus“ sowie der bisher ebenfalls zur BUPO gehörende Ausländerdienst, der Asyl-, Visums- und Einbürgerungsanträge für die Bundesämter für Ausländerfragen und Flüchtlinge abcheckte. In der Unterabteilung „Staatsschutz-Operationen“ bedient man sich nicht nur der „HUMINT“ (human intelligence) – sprich: Informanten und V-Leute -, sondern auch der „SIGINT“ (signals intelligence), also des unter der Regie des Verteidigungsministeriums betriebenen Überwachungssystems für satellitengestützte Telekommunikation (derzeit Satos 3, im Endausbau soll das System ONYX heißen). Im Vergleich dazu scheint die kriminalpolizeiliche Vorfeldanalyse im DAP eher unterbelichtet.

Ob der DAP mit einem Personalzuwachs rechnen kann, ist nicht bekannt. Sicher wird es diesen jedoch bei der Bundeskriminalpolizei, der zweiten Hauptabteilung des neuen BAP, geben. Im Bereich „Operationen“ hatten die ZSD bisher gerade 15 ErmittlerInnen, bei der BUPO werden es vielleicht 30 gewesen sein. Während man noch bei der Verabschiedung der Effizienzvorlage von einem Personalzuwachs um 62 ErmittlerInnen-Stellen ausgegangen war, so hieß es bereits im Oktober 2000, dass bis zum Jahre 2004 insgesamt 320 Stellen bei der BKP neu geschaffen werden sollten. Von einem Endausbau auf 1.000 Stellen war gar die Rede. Der Ausbau soll denn auch ermöglichen, dass die BKP nicht nur zentral in Bern, sondern auch in den Kantonen präsent wird.[6]

Die BKP ist nicht nur für die eigentlichen gerichtspolizeilichen Ermittlungen nach Eröffnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens zuständig, sondern bereits für die Vorermittlungen mit nur einem vagen Anfangsverdacht. Typischerweise finden sich in der Unterabteilung „Vorermittlung“ nicht nur die für Staatsschutzdelikte zuständigen Kommissariate „Nachrichtendienst“ und „Terrorismus“, sondern auch die bisher in der Sektion Analyse der ZSD angesiedelten Kommissariate „GUS“ und „Italien“, die mit langen Stangen im Nebel des Vorfeldes der „Russenmafia“ und der „italienischen organisierten Kriminalität“ herumstocherten und die Datensysteme der ZSD mit vagen Informationen füllten. Nicht umsonst musste der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte die ZSD darauf hinweisen, dass RussInnen nicht im OK-Informationssystem (ISOK) gespeichert werden dürften, nur weil sie illegal eingereist waren, einen Warenhausdiebstahl begangen hätten oder auf der Zürcher Bahnhofstraße bzw. im Nobelkurort St. Moritz Geld ausgaben. „Allein aus der Tatsache, dass Russen Geld ausgeben, kann unseres Erachtens keine OK-Relevanz abgeleitet werden.“[7]

In der eigentlichen Ermittlungsabteilung spielt der Staatsschutz offensichtlich kaum eine Rolle mehr. Die Führung gerichtspolizeilicher Ermittlungsverfahren in Staatsschutzdelikten – sofern es überhaupt je zu einer solchen kommt – wird vom Kommissariat Betäubungsmittel mitbetrieben. In der Abteilung Ermittlung findet sich auch eine eigenständige Dienststelle für verdeckte Ermittlungen, die nach deutschem Modell gegenüber der restlichen Organisation abgeschottet sein dürfte.

Was die Führung von Ermittlungen betrifft, untersteht die BKP dem Bundesanwalt. Diese Position bekleidet nach dem glücklichen Abgang Carla del Pontes zum internationalen Kriegsverbrechertribunal nunmehr Valentin Roschacher, der frühere Chef der ZSD-Sektion „Operationen“. Auch in der Bundesanwaltschaft sollen bis 2004 zu den derzeit 21 Stellen 80 weitere geschaffen werden.

… geh’n tun sie beide nicht.

Mit der vorgelegten neuen Organisationsstruktur hat das EJPD Sachzwänge geschaffen. Zu Jahresbeginn verfügte das BAP über weniger als 400 Planstellen. Wenn die vielen neuen Sektionen und Dienste nicht potemkinsche Büros bleiben sollen, geht am angekündigten personellen Ausbau schon aus rein organisatorischen Gründen kein Weg vorbei. Die Frage ist allerdings, woher dieses Personal kommen soll. KriminalbeamtInnen mit wenigstens minimaler Berufserfahrung sind nur bei den Kantonspolizeien zu haben. Diese dürften aber kaum begeistert sein, wenn der Bund ihnen das Personal, das sie ausgebildet haben, abwirbt.

Die Kantone schwammen bisher auf der OK-Welle mit, weil sie sich davon eine Aufwertung der eigenen Rolle und eine Professionalisierung gemäß „internationaler Standards“ erwarteten. Tatsächlich befasst man sich auf kantonaler Ebene allenfalls mit „organisierter Basiskriminalität“, worunter bei gutem Willen klassische Bandenkriminalität zu verstehen ist. Das Fehlen „wirklicher OK“ erklärte man vor allem bei den kleinen Kantonen damit, dass die geringen personellen und technischen Möglichkeiten ein Erkennen derselben nicht erlauben würden. Konsequenterweise forderte man vom Bund stärkere Anti-OK-Aktivitäten.

Sollte die BKP wie geplant Regionalbüros eröffnen, droht den Kantonspolizeien aber die Rückstufung zu Polizeien zweiter Klasse, die alle wichtigen und prestigeträchtigen Fälle an die BKP abgeben müssen, die darüber hinaus bessere Gehälter und Karrierechancen bietet. Die föderalistische Struktur der schweizerischen Polizei droht damit ausgehöhlt zu werden. Ob hingegen die zwingende Zuständigkeit von BKP und Bundesanwaltschaft für die Verfolgung „krimineller Organisationen“ wirklich mehr OK zu Tage fördert, ist allerdings zu bezweifeln. Eher ist anzunehmen, dass die Jagd auf die OK einen neuen bürokratischen Wasserkopf hat entstehen lassen. Dass dabei Bürgerrechte keine Rolle spielen, muss nicht mehr eigens betont werden.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] http://internet.bap.admin.ch/d/index.htm und http://internet.bap.admin.ch/d/portrait/Organigramm-BAP-d-2002.pdf (Organigramm des BAP, Stand: 1.1.2002)
[2] Le Temps v. 4.5.2000
[3] SonntagsZeitung v. 23.1.2000
[4] Le Temps v. 14.4.2000
[5] Schweizerisches Strafgesetzbuch (Schaffung von Verfahrenskompetenzen des Bundes in den Bereichen organisiertes Verbrechen und Wirtschaftskriminalität), Bundesblatt 2000, S. 70-75
[6] Basler Zeitung, Neue Zürcher Zeitung v. 15.6.2000
[7] Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter: 6. Tätigkeitsbericht 1998/99, Bern 2000, S. 22