Warum ich trotzdem für ein Verbot der NPD bin

von Annelie Buntenbach

Ein Verbot der NPD löst das Problem des Rechtsextremismus nicht. Es nährt allerdings diese Illusion, wenn sich die Debatte wie im Herbst 2000 ganz überwiegend darauf beschränkt. Rechtsextremismus ist kein Problem am Rand dieser Gesellschaft, sondern es kommt aus der Mitte.

Viel notwendiger als repressive sind zivile Maßnahmen, etwa ein Ende der ausgrenzenden Diskurse über Asyl und Einwanderung oder eine Politik der gleichen Rechte für Minderheiten, deren Ausgrenzung aus der Gesellschaft und Diskriminierung eine wesentliche Ursache auch für neonazistische Gewalt ist. Auch anderen Opfergruppen der Rechtsextremen, wie etwa Obdachlosen, wäre weit mehr geholfen, wenn die Armut bekämpft würde und nicht ihre Sichtbarkeit durch Ausgrenzung und Vertreibung aus den Innenstädten. Rechtsextreme und Neonazis ziehen ihre Legitimation für Gewalt aus diesem politischen und gesellschaftlichen Verhalten. Sie setzen in Gewalt um, was sie für den „Volkswillen“ halten. Diese Beispiele seien vorausgeschickt, um die beschränkte Wirksamkeit einer Verbotspolitik deutlich zu machen, die nicht in eine Gesellschaftsveränderung in Richtung Solidarität, Respekt und Toleranz oder mehr Demokratie eingebettet ist. Die Herauskehrung des autoritären Staates, die in der Handhabung des NPD-Verbots zum Ausdruck kommt, ist in dieser Hinsicht sogar kontraproduktiv. Trotzdem bin ich in der Sache für ein Verbot der NPD.

Steuerbegünstigter Nationalsozialismus

Die von der NPD vertretene Weltanschauung und Propaganda ist rassistisch, antisemitisch, nationalistisch und vertritt den Volksgemeinschaftsgedanken. Der Verbotsantrag stellt zu Recht eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus fest. Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden nicht nur geleugnet, sondern viele Mitglieder und Anhänger sind überzeugte und bekennende Nationalsozialisten. In dieser Ideologie ist das „Naturrecht des Stärkeren“ und Gewalt gegen Schwächere bereits enthalten. Von der NPD wird sie systematisch, etwa durch den Aufruf zur Bildung sogenannter „National befreiter Zonen“, propagiert. Neonazis aus Neonaziorganisationen, die in den 90er Jahren verboten wurden, sind scharenweise in die NPD eingetreten oder arbeiten eng mit ihr zusammen. Die NPD bietet heute ihre Infrastruktur vielfach als Ersatz für die verbotenen Vereine und Organisationen an. Diese Neonazis versuchen nun unter dem Schutz des Parteiengesetzes, die „Straße zurückzuerobern“. Das ist u.a. bei den zahlreichen Aufmärschen z.B. gegen die Wehrmachtsausstellung deutlich geworden. Durch ein derartiges Agieren und Auftreten unterscheidet sich die NPD auch von den kaum weniger rassistischen und nationalistischen anderen Parteien der extremen Rechten wie den „Republikanern“ oder der DVU.

Zwar können die nationalsozialistischen Einstellungen und Ansichten nicht verboten werden. Ein Parteienverbot wird auch kaum weitere Übergriffe gegen Minderheiten verhindern. Allerdings würde die Wiederbelebung des Nationalsozialismus nicht mehr unter dem Schutz und mit den Privilegien des Parteiengesetzes betrieben, sie wäre nicht mehr steuerbegünstigt, öffentliche Auftritte könnten auch im Rahmen von Wahlkämpfen leichter verboten, Wahlspots müssten nicht mehr gesendet werden und über die staatliche Parteienfinanzierung würden keine weiteren Steuergelder für rassistische und antisemitische Propaganda der NPD mehr verausgabt. Eine ganze Reihe von praktischen Gründen, die m.E. für das Verbot sprechen. Die NPD trotz der vorliegenden Gründe nicht zu verbieten, hieße sie wie jede andere Partei weiter zu fördern und zu akzeptieren, dass sie an der „politischen Willensbildung des Volkes“ mitwirkt. So sieht es zumindest das Grundgesetz vor.

Verbot schafft keine neuen Märtyrer

Nun werden auch sachliche Argumente gegen das NPD-Verbot angeführt, die seine möglichen Auswirkungen betreffen.

Eine Befürchtung ist etwa, das Verbot könne dazu führen, dass NPD-Mitglieder ihrer legalen Betätigung beraubt werden und in den Untergrund gehen. Mit diesem Argument wird die Funktion verkannt, die die NPD schon immer für die Neonaziszene hatte. Sie gilt als eine Art Durchlauferhitzer, die durch ihr öffentlich-legales Auftreten unterschiedlichste Leute rekrutiert und an die Neonaziszene heranführt. Zahlreiche Führungsfiguren der Szene und etliche Rechtsterroristen sind in der NPD politisiert worden. Beispiele sind der ehemalige FAP-Vorsitzende Friedhelm Busse, der heutige Kopf der „Freien Kameradschaften“ in Süddeutschland Michael Swierczek oder der ehemalige Rechtsterrorist Peter Naumann, deren neonazistische Karriere in der NPD begann. Ebenso wird bei diesem Argument übersehen, dass die neonazistische Szene immer eine Doppelstrategie verfolgt hat. Organisierter Terror ist dort keine Alternative zur Massenpartei, sondern eine Ergänzung.

Auch eine Vereinigung des bislang glücklicherweise zerstrittenen und zu keiner gemeinsamen Aktionseinheit fähigen extrem rechten Spektrums ist kaum zu befürchten. Die Mitgliederzahl der NPD dürfte derzeit bei etwa 7.000 liegen. Darunter sind jedoch zahlreiche Anhänger der „Freien Kameradschaften“, deren Mitgliedschaft eher taktisch begründet ist. Den meisten NPD-Anhängern sind die extrem rechten Wahlparteien „Republikaner“ oder DVU zudem nicht konsequent genug. Bei einem Verbot würde die Mitgliedschaft vermutlich auseinanderfallen und sich kaum gemeinsam in einer anderen Partei konzentrieren.

Schließlich kann ein Verbot zwar zur Schaffung neuer Märtyrer führen, diese würden jedoch nur einer großen Anzahl alter und neuer Märtyrer hinzugefügt. Die Schaffung und Mystifizierung von Märtyrern gehört zur Strategie der extremen Rechten. Sie sind austauschbar, und das NPD-Verbot würde keinen neuen Sachverhalt schaffen.

Meinung oder Verbrechen?

Nationalsozialismus ist eine Vernichtungsideologie und stellt kein schutzwürdiges Gedankengut dar. So hoch die Meinungsfreiheit einzuschätzen ist, sie ist nicht absolut und sollte dann eingeschränkt werden, wenn sie die Freiheit anderer verletzt und einschränkt. Das lässt sich nur selten so klar abgrenzen wie bei der Propagierung des Nationalsozialismus oder im Falle der immer wieder aufflammenden Euthanasiedebatten. Hier muss m.E. klargestellt werden: Über die Vernichtung von Menschen kann ebenso wenig öffentlich diskutiert werden wie über das Lebensrecht Behinderter.

Es ist keine Frage, dass der Nutzen von Verboten beschränkt ist. Meinungen werden damit nicht geändert, neonazistische Aktivitäten nur bedingt unterbunden. Verbot und Nichtverbot sind jedoch auch unterschiedliche Signale an die Öffentlichkeit. Solange die Verfassungsorgane die Möglichkeit haben, eine Partei wie die NPD zu verbieten und nicht davon Gebrauch machen, signalisieren sie gerade nach einer solchen öffentlichen Diskussion wie im Herbst 2000, dass es sich hier vielleicht um mehr oder minder fragwürdige Meinungen handelt, die jedoch zu tolerieren und im Rahmen der Gleichbehandlung mit anderen Parteien sogar zu fördern sind. Aus Sicht einer Institution, die vor dieser Alternative steht, ist das NPD-Verbot dringend geboten.

In der Vergangenheit waren Vereins- und Parteienverbote oft Ausdruck der Totalitarismustheorie, in der sich eine selbst definierte politische Mitte von Extremisten nach Links und Rechts abgrenzte. Das Verbot der extrem rechten SRP in den 50er Jahren ging etwa mit dem der kommunistischen KPD einher. Das Verbot der neonazistischen ANS/NA in den 80er Jahren mit dem der linken türkischen Organisation Dev Sol. Diese falsche Gleichsetzung einerseits und die demonstrative Abgrenzung der Mitte gegen die Extremisten an und für sich andererseits ist für die Bekämpfung des Rechtsextremismus kontraproduktiv. Die grundlegende Analyse, dass nämlich die Wurzeln der extremen Rechten in der Mitte der Gesellschaft liegen, wird so konterkariert. Aus diesem gegen die Verbotspraxis vorgebrachten Argument sollte jedoch m.E. nun nicht der Schluss gezogen werden, dass Verbote von Neonaziparteien per se falsch seien. Vielmehr wäre es hier die Aufgabe einer antifaschistischen Öffentlichkeit, eine neue Rechtsgrundlage einzufordern, wie sie etwa der Art. 139 GG, der die Weitergeltung der Entnazifizierungsvorschriften beinhaltet, andeutet. Zwar hat der Artikel seine praktische Gültigkeit verloren, nachdem die Entnazifizierung der Nachkriegszeit für beendet erklärt worden war, er ist jedoch auch bei der Verfassungsreform Anfang der 90er Jahre nicht gestrichen worden. Ausgehend vom Art. 139 GG bedürfte es heute einer zeitgemäßen spezifischen Rechtsgrundlage gegen das Wiederaufleben des Nationalsozialismus, wie sie beispielsweise das österreichische Verbotsgesetz darstellt.

Die Verbotsdebatte

Problematischer als das Verbot der NPD ist die Debatte darum. Allein mit der markigen Demonstration staatlicher Gewalt ist das Problem nicht zu lösen. So sehr ich ein Verbot der NPD im Einzelfall begrüße, kann eine Politik, die schwerpunktmäßig auf Verbote setzt, kaum erfolgreich sein. Gerade die Entwicklung im Bereich des Internet zeigt, wie leicht Verbote etwa der NS-Symbolik oder der Holocaustleugnung umgangen werden können. Über Verbote lässt sich rassistische oder NS-Propaganda letztlich nicht von ihren Adressaten fernhalten. Hier ist ein grundsätzliches Umdenken notwendig, weil die Verbotspolitik neben ihrer geringfügigen Wirksamkeit auch an faktische Grenzen stößt. Es wird in Zukunft noch mehr als bisher darauf ankommen, die Gesellschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Weltanschauung zu befähigen und die Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu fördern. Beispielsweise könnte ein Verweigerungsrecht für ArbeitnehmerInnen, die gezwungen sind, an der Produktion und Verbreitung extrem rechter Propaganda mitzuwirken, auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung fördern.

Mit der Verbotsdebatte ist zudem der Blick auf die Organisationen und Parteien verengt worden, die sich zum Nationalsozialismus bekennen oder ihm doch in sehr offensichtlicher Weise nahe stehen. Gegen die rassistische und nationalistische Propaganda der extrem rechten Wahlparteien DVU oder „Republikaner“, die sich am Rande, aber in der Regel doch innerhalb der Legalität befindet, ist damit nicht anzukommen. Gleiches gilt für das rechtsextreme Einstellungspotential, das mit rund 13 Prozent der Bevölkerung angegeben wird. Die sog. Fremdenfeindlichkeit oder der Wohlstandschauvinismus sind noch in weit höherem Maße verbreitet. Weit notwendiger als Verbote ist daher die Auseinandersetzung mit diesen Einstellungen. Dazu gehören nicht nur pädagogische Konzepte für die Schule und Bildungsarbeit oder eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte, sondern auch eine Wende im öffentlichen Diskurs und in der Politik. Es wird kaum ausreichen, Werte wie Toleranz, Respekt, Demokratie oder Solidarität zu predigen, wenn sie in der Gesellschaft nicht erfahrbar sind. Dazu muss sich der Umgang mit Minderheiten, mit Flüchtlingen, MigrantInnen oder Obdachlosen auch faktisch ändern. Hierarchien müssen abgebaut und Institutionen oder Betriebe demokratisiert werden. Statt des zunehmenden Sozialabbaus bedarf es einer sozialen Integration aller hier lebenden Menschen in die Gesellschaft.

Annelie Buntenbach ist Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.