Wissen unter dem Schlapphut – Der Beitrag des Verfassungsschutzes zum NPD-Verbotsantrag

von Heiner Busch

Sowohl in der öffentlich zugänglichen Begründung des Verbotsantrags als auch in den nach wie vor als Verschlusssache behandelten Materialien präsentiert sich der Verfassungsschutz vor allem als Zeitungsausschnittdienst, der die ideologischen Irrungen und Wirrungen der NPD en detail nachvollzieht. Selbst die „Behördenzeugnisse“, die die geheimen Aktivitäten des Geheimdienstes abdecken, beziehen sich meist auf Äußerungen und nicht auf Handlungen der Partei.

Wer wie er Abhörprotokolle gelesen hätte, könne an der aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Haltung der NPD keine Zweifel mehr haben, aber auch das offen gelegte Material sei als Beweis ausreichend. So erklärte der bayerische Innenminister Günter Beckstein am 15. November 2000 vor dem Innenausschuss des Bundestages, wo er als Urheber der NPD-Verbotsforderung auftrat.[1]

Offen im Internet für jedeN erhältlich ist eine 74-seitige Begründung des NPD-Verbotsantrags.[2] Daneben existiert eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam mit den Landesämtern erstellte Materialsammlung, die noch im Oktober als „geheim“ klassifiziert und selbst von den Innenausschuss-Mitgliedern nur im Geheimschutzraum einsehbar war.[3] Was damals noch laut Bundesinnenminister Otto Schily „schon aus Gründen des Quellenschutzes unabdingbar“ war,[4] hat sich mittlerweile offenbar erledigt. Auf dem Deckblatt prangt über dem fetten Titel „NPD“ nur noch der Vermerk „VS (Verschlusssache) – Nur für den Dienstgebrauch“. Die „gesamte Geheimhaltung“ ist in der Tat – wie der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann richtig feststellte – „überzüchtet“.[5] Namen von V-Personen finden sich keine, Abhörprotokolle werden auch nicht als solche zitiert. Problematisch – nicht wegen des Quellen-, sondern wegen des Datenschutzes – ist allenfalls die Veröffentlichung der Namen der Beschuldigten in der 30-seitigen Liste von Strafverfahren am Ende des Bandes. Alles, was aus geheimen Quellen des Verfassungsschutzes herrühren könnte, ist auch in dieser ausführlichen Materialsammlung nur als „Behördenzeugnis“ belegt.

Wer die an diversen Stellen zitierten internen Papiere der NPD organisiert hat, wird selbstverständlich nicht angegeben. Als Quellen tauchen darüber hinaus Unterlagen des Bundes- und der Landeswahlleiter und von der Polizei übermittelte Berichte (vor allem von Veranstaltungen und Demonstrationen) auf. Der weitaus größte Teil – ca. 80% – der „Beweise“ stammt jedoch aus offenen Quellen, mehrheitlich aus den diversen Postillen der NPD und anderer Neonazi-Gruppen.

Parteienverbot – eine Frage der Ideologie

Aufbau und Anlage sowohl der (offenen) Begründung als auch der (unter Verschluss gehaltenen) Materialsammlung werden bestimmt durch das Ziel, „Zulässigkeit“ und „Begründetheit“ des Verbots zu untermauern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann nach Art. 21 Abs. 2 GG ein Verbot aussprechen, wenn die Partei „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Mitglieder darauf ausgeh(t), die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“ oder wenn sie – was hier nicht in Frage kommt – den (äußeren) „Bestand der Bundesrepublik“ gefährdet.

Bereits im Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 hat das BVerfG durch eine Aufzählung von Prinzipien erklärt, was die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO) sei: „die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit aller Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.[6] Für das Verbot einer Partei ausschlaggebend ist nicht ein konkretes rechtswidriges Verhalten; „,Verfassungswidrigkeit` ist eine politische Qualität, Rechtswidrigkeit eine rechtliche.“[7] Es geht vielmehr um ihre Ablehnung der genannten Verfassungsprinzipien sowie ihre „aggressiv-kämpferische“ Haltung dazu, mithin also um ideologische Positionen.

Diese Konzentration auf die ideologische Seite erklärt auch, warum sich der Verfassungsschutz weitgehend damit zufrieden geben kann, aus offenen Quellen zu zitieren. Tatsächlich ergeben die Artikel und Pamphlete der NPD oder ihr nahe stehender Gruppen längstens das Bild einer rassistischen und antisemitischen Partei, einer, die mit Menschenrechten und Demokratie nun wirklich nichts am Hut hat und einem revisionistischen Geschichtsbild folgt. Etwas anderes wäre von einer Organisation, die je nach Konjunktur deutschnationalen oder offenen Neonazi-Positionen folgt, nicht erwartbar. Allerdings existiert die NPD schon seit 1964 und hat ihre eigentlichen Erfolge als Wahlpartei in den frühen 70er Jahren gehabt, bevor ihr Wählerpotenzial von der Kalten-Kriegs-Politik der CDU/CSU wieder aufgesogen wurde. In der Tat: „Schon in den Anfängen der Parteigeschichte wurde die Nähe der NPD zum Nationalsozialismus deutlich.“[8]

Die neue „aggressiv-kämpferische“ Haltung der NPD erklärt man insbesondere mit dem Zustrom von gewaltbereiten Skinheads, die je nach Landesverband ca. 5-10% der Mitglieder ausmachten, und Neonazis, wobei das Interesse letzterer an der Partei wiederum Ergebnis vereinsrechtlicher Verbote der FAP, der Nationalistischen Front, der Nationalen Offensive etc. gewesen ist: „Entscheidende Ursache für die Wandlung der NPD waren die zahlreichen Verbote neonazistischer Gruppierungen in der Zeit von 1992 bis 1996. Den Neonazis wurde damit der organisatorische Rahmen entzogen, um für das aktionistisch ausgerichtete Klientel legale Veranstaltungen anmelden zu können.“[9] Die NPD habe sich vom Bild der „Altherren-Partei“ wegentwickelt und 1997 eine „Drei Säulen Strategie“ formuliert: Sie wolle den „Kampf“ bzw. die „Schlacht“ nicht nur um die „Köpfe“ und die „Parlamente“, sondern auch um die „Straße“ führen. Letzteres habe derzeit Vorrang. In entsprechenden Äußerungen von NPD-Funktionären, die vor allem deren Größenwahn und Selbstüberschätzung zeigen, sieht der Verfassungsschutz eine Strategie, über „Etappenziele“ zu einer Machtergreifung fortzuschreiten.

Bezug genommen wird insbesondere auf das Konzept der Nationalen Außerparlamentarischen Opposition (NAPO): „Wie umfangreich das … strategische Konzept ,Kampf um die Straße` in die Praxis umgesetzt werden konnte, zeigt die Tatsache, dass nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden die Zahl der von der NPD getragenen Versammlungen erheblich zugenommen hat.“ Kritisiert wird das martialische „äußerliche Erscheinungsbild“ und die Aggressivität der Parolen. Mit Transparenten und Parolen „wie ,Arbeit zuerst für Deutsche`, ,Ausländerrückführung statt Integration` …. ,Ausländer raus` werden Angstgefühle verstärkt und ausgenutzt (Arbeitslosigkeit, drohender Verlust des Arbeitsplatzes, angebliche Fremdbestimmung sowie Überfremdungsgefahr). Damit soll die Krisenstimmung geschürt werden, die den totalen Angriff gegen den sozialen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik rechtfertigen soll.“[10]

Gerade in derartigen staatsschützerischen Bewertungen zeigt sich die Gefahr der Verbotslogik. Nicht dass die ausländerfeindlichen Parolen bei AusländerInnen Angst wecken müssen, ist das Problem, sondern dass sie die bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung gefährden. Aufs Korn genommen wird nicht die Tatsache, dass Neonazis bei ihren Aktionen auf der Strasse immer wieder anders Denkende oder Aussehende bedrohen und zusammenschlagen. Kritisiert wird vielmehr die antiparlamentarische Haltung der Partei. Diese Kritik unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der, die die Verfassungsschutzberichte seit Jahrzehnten über linke außerparlamentarische Gruppen – früher die Spontis, heute die Autonomen – verbreiten.

Während die Materialsammlung seitenweise großmäulige, aber verbale „Drohungen“ gegen die „Etablierten“ zitiert und bspw. die Forderung, polizeilichen Vorladungen nicht zu folgen, als „Missachtung staatlicher Gewalt“ bejammert, konzediert man bei der Interpretation des „Konzepts der national befreiten Zonen“, dass die Vorstellungen über deren konkrete Ausgestaltung „jedoch sehr“ variierten – „von der Unterwanderung der Musikszene, der Schaffung von rein nationalen Begegnungsstätten und entsprechenden Freiräumen im Internet bis zu gelegentlich in der Presse beschriebenen Vorstellungen von angeblich ausländerfreien Bereichen oder Stätten, die der politische Gegner meide.“[11] Genau letzteres hatte der Nationaldemokratische Hochschulbund, von dem das Konzept stammt, im Auge. Und hier ließe sich auch zeigen, dass das Konzept in einigen Gegenden – nicht nur, aber besonders – in Ostdeutschland durchaus eine Entsprechung in realen „no go areas“ für MigrantInnen und Asylsuchende gefunden hat. Eine andere Frage ist, ob die Schaffung solcher Zonen eine Leistung der NPD oder generell dem jeweiligen lokalen rassistischen Konsens geschuldet ist.

Straftaten und Ermittlungsverfahren

Spätestens im Abschnitt 7 der Materialsammlung – „Verhalten der Funktionäre, Mitglieder, Förderer, Mitarbeiter und Sympathisanten“ -, insbesondere unter „7.1. Erkenntnisse zu Ermittlungsverfahren, Strafverfahren gegebenenfalls Verurteilungen …“, würde man erwarten, dass nicht nur die Ideologie, sondern auch die reale rechte Gewalt und der Anteil der NPD an ihr nachgewiesen würden. Die meisten registrierten Straftaten aus dem NPD-Spektrum sind jedoch Propagandadelikte, allen voran „die 160 Straftaten gem. § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, d.Verf.), die meist im Zusammenhang mit der Anreise/Abreise/Teilnahme an NPD-Demonstrationen … festgestellt wurden. Von diesen … können im juristischen Sinne lediglich 30 NPD/JN-Mitgliedern zugeordnet werden.“[12] Diesen stehen gerade 34 Fälle von gefährlicher Körperverletzung (davon 22 wirklichen oder potenziellen NPD-Mitgliedern zugerechnet) gegenüber, wobei anzunehmen ist, dass auch sie großen Teils im Zusammenhang mit der polizeilichen Auflösung von Demonstrationen u.ä. stehen. Auch bei den NPD-Funktionären, die einen Vorlauf in mittlerweile verbotenen Neonazigruppen hatten oder diesen nahe stehen (7.3/7.4.), registriert der Verfassungsschutz vor allem rassistische und antisemitische Äußerungen, Teilnahmen an verbotenen Versammlungen, Hitlergrüße und ähnliche Widerlichkeiten. Von Ausnahmen abgesehen, bleibt man auch hier auf der Ebene der Ideologie oder der Organisationskarriere.

Dass es sich bei den Brandanschlägen auf die Erfurter Synagoge im April und auf ein von Obdachlosen bewohntes „leerstehendes“ Haus in Wismar im August 2000 oder dem Überfall auf BesucherInnen der KZ-Gedenkstätte Kemna im Juli desselben Jahres um rassistische oder rechtsextremistisch motivierte Straftaten handelt, steht außer Zweifel.[13] Fraglich ist allerdings, ob aus der (früheren) NPD-Mitgliedschaft einzelner Tatverdächtiger eine Verantwortlichkeit der Partei für diese Handlungen hergeleitet werden kann. Die Materialsammlung verweist hier nur auf das ungeklärte Verhältnis der NPD zur Gewalt.

Wozu V-Leute?

Die Zusammensetzung der Quellen in Abschnitt 7 unterscheidet sich stark von jener der restlichen Materialsammlung. Soweit es um Straftaten, Ermittlungsverfahren oder Urteile geht, werden hier Polizei- und Justizquellen angegeben. Polizeiberichte belegen z.T. auch die Teilnahme einzelner Protagonisten an Veranstaltungen. Während Zitate aus den einschlägigen Publikationen vergleichsweise selten sind, häufen sich hier dagegen die Hinweise auf „Behördenzeugnisse“, mit denen die Aktivitäten und Organisationskarrieren von Personen z.T. über lange Jahre hinweg dokumentiert werden. Ob die Personendossiers, die hier präsentiert werden, nur aus einer Quelle stammen oder wie ein Puzzle zusammengesetzt wurden, sei dahingestellt. In jedem Fall belegen sie, dass der Verfassungsschutz seit Jahren nahe an der NPD und an den namentlich genannten und in ihrer Karriere präsentierten Neonazis dran ist. Wie nahe, zeigt sich daran, dass nicht nur Reden auf größeren Veranstaltungen, sondern auch Aussagen in sehr internen Zirkeln oder zwischen Einzelpersonen wiedergegeben werden. Es sind vor allem die „deftigeren“ und unüberlegteren Aussagen, die in der Materialsammlung insgesamt erkennbar mit V-Mann-Berichten belegt werden. Darin kommt häufig nicht nur die für die NPD-Strategiephantasien typische kolossale Selbstüberschätzung zum Ausdruck, sondern zum Teil auch schlichter Hass – allerdings derselbe Hass, der viele Stammtische in diesem Lande beherrscht.

So berichtet bspw. eine V-Person von einem Treffen im Münchner „Stützpunkt“ der Jungen Nationaldemokraten (JN), an dem insgesamt sechs Personen teilnahmen. Eine damals 18-jährige „Beisitzerin“ soll dort gesagt haben, man müsse „die Kanaken abknallen“. Ein weiterer Teilnehmer wollte, „dass auch mit Ausländern verheiratete Deutsche dieses Schicksal erleiden müssten.“[14]

Die NPD wird also nicht nur von außen beobachtet, sondern auch von innen. Der Verfassungsschutz hat die Partei infiltriert. Die V-Leute-Skandale der letzten Jahre demonstrieren aber, dass offensichtlich selbst in den eher militanten Neonazi-Zirkeln die Übernahme eines Bespitzelungsauftrags nicht notwendigerweise heißt, dass die Person ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Organisation hätte.[15] Selbst wenn man dem Einsatz von V-Leuten positiv gegenüberstünde – was diese Zeitschrift bekanntlich nicht tut – bleibt die Frage nach dem Sinn und Zweck einer solchen Übung, die vor allem den sprichwörtlichen ideologischen Mist an die Oberfläche bringt.

Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Wenn das BVerfG wie in den 50er Jahren ein Parteienverbot nur aufgrund von Ideologien und Gesinnungen ausspricht, wird die Bundesregierung ihr Ziel wohl erreichen. Dafür hätte es aber, wie Beckstein zu recht erklärt, keiner Abhörprotokolle und wahrscheinlich nicht einmal der „Behördenzeugnisse“, sprich V-Mann-Berichte, bedurft. Die Frage ist allerdings, ob die Gefahr, der es entgegenzuwirken gilt, in der Ideologie einer gerade mal 7.000 Mitglieder und je nachdem etwas mehr als 1% Wählerstimmen aufbringenden Partei liegt, oder nicht doch in der realen Gewalt rassistischer Schläger – ob mit oder ohne NPD-Parteibuch. Gegen rassistische Meinungen hilft jedenfalls weder ein Verbot noch die geheime Überwachung durch den Verfassungsschutz, sondern nur die öffentliche Auseinandersetzung.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] BT-Innenausschuss, Kurzprotokoll der 47. Sitzung v. 15.11.2000, S. 18
[2] Verfassungswidrigkeit der NPD, http://www.bmi.bund.de/Downloads/NPD_Verb.pdf
[3] NPD (Materialsammlung), Stand: 26.10.2000 – überarbeitete Fassung
[4] BT-Innenausschuss, Kurzprotokoll der 43. Sitzung v. 11.10.2000, S. 29
[5] BT-Innenausschuss, Kurzprotokoll der 47. Sitzung v. 15.11.2000, S. 24
[6] Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen (BVerfGE), Bd. 2, S. 1ff. (12f.)
[7] Ridder, H.: Kommentar zu Art. 21 Abs. 2 GG, in: Denninger, E. u.a. (Red.): Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Reihe Alternativkommentare, Neuwied/Darmstadt 1984, S. 1434, Rn. 16 und S. 1432, Rn. 13
[8] Verfassungswidrigkeit a.a.O. (Fn. 2), S. 40
[9] ebd., S. 46; gleicher Text in: NPD a.a.O. (Fn. 3), S. 107
[10] Verfassungswidrigkeit a.a.O. (Fn. 2), S. 24
[11] NPD a.a.O. (Fn. 3), S. 143-155
[12] ebd., S. 281
[13] ebd., S. 282f.
[14] ebd., S. 551 – im Original vollständige Namen
[15] Ellinghaus, C.: Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000), S. 60-66