von Benno Kirsch
Das private Sicherheitsgewerbe in Deutschland – das ergibt eine Bilanz der mageren statistischen Angaben – erlebt seit Anfang der 90er Jahre einen massiven Aufschwung und einen Konzentrationsprozess. Die Privaten bewachen alles, was sich bewachen lässt. Wie lassen sich die Zahlen deuten?
In regelmäßigen Abständen veröffentlicht der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) die Angaben des Statistischen Bundesamtes zur Zahl der Unternehmen, der Beschäftigten und zum Umsatz der „Wirtschaftsklasse 861 – Bewachung, Aufbewahrung, Boten und ähnliche Dienste“. Auch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), bei der alle Angestellten des Bewachungsgewerbes pflichtversichert sind, veröffentlicht entsprechende Daten. Nimmt man diese Daten als Grundlage, so ergibt sich für die Entwicklung des privaten Sicherheitsgewerbes seit 1960 folgendes Bild: Bis in die Mitte der 70er Jahre bleibt die Zahl der Unternehmen mit ca. 320 konstant. Ab 1974/76 zeigt sich ein langsamer, aber merklicher Anstieg, der bis 1990 fast zu einer Verdreifachung der Unternehmenszahl führt. BDWS-Geschäftsführer Olschok[1] nennt „die beginnenden terroristischen Aktivitäten der ‚Rote Armee Fraktion (RAF)‘ und verschiedener anderer Gruppen“ als verstärkenden Faktor beim Ausbau privater Sicherheit. Hinzu kommen neue objektive oder bloß subjektiv wahrgenommene Risiken und damit neue Arbeitsfelder für die privaten Sicherheitsdienste: Atomkraftwerke müssen von den Betreibern selbst gesichert werden; 1972 wird in der Münchner U-Bahn zum ersten Mal der „Zivile Sicherheitsdienst“ eingesetzt; 1974 wird in Berlin der neue Flughafen in Tegel eingeweiht und fortan von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht.
Tab. 1: Unternehmen, Beschäftigte, Umsatz, VBG-Mitglieder
Jahr | Unternehmen | Beschäftigte | Umsatz in Mio. DM | Unternehmen in der VBG | Versicherte | |
Gesamt | Davon in Ostdeutschland | |||||
1960 | 332 | 110 | ||||
1970 | 325 | 314 | ||||
1980 | 542 | 1.141 | ||||
1982 | 564 | 1.276 | ||||
1984 | 620 | 31.000 | 1.357 | |||
1986 | 721 | 38.300 | 1.700 | |||
1988 | 798 | 45.500 | 2.000 | |||
1990 | 899 | 56.000 | 2.300 | |||
1992 | 1.290 | 97.000 | 31.000 | 3.800 | 1.096 | 148.467 |
1993 | 1.500 | 101.000 | 4.150 | 1.179 | 158.505 | |
1994 | 1.700 | 109.000 | 31.000 | 4.500 | 1.231 | 155.448 |
1995 | 1.800 | 112.000 | 4.700 | 1.462 | 162.156 | |
1996 | 1.900 | 115.000 | 30.000 | 4.950 | 1.553 | 163.445 |
1997 | 2.050 | 121.000 | 5.100 | 1.692 | 174.594 | |
1998 | 2.200 | 133.000 | 29.000 | 5.500 | 1.805 | 183.589 |
1999 | 2.350 | 136.000 | 5.700 | |||
2000 | 2.570 | 140.000 | 6.000 | |||
2001* | 2.700 | 145.000 | 6.900 |
*= vorläufig bzw. Schätzung. Quellen: www.bdws.de; DSD 3-4/98, S. 37; W+S Information 164/86, S. 46; Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG). Die Abweichung zwischen den Angaben von BDWS und VBG ergibt sich u.a. daraus, dass letztere alle, auch die vielen nur kurzfristig Beschäftigten und Teilzeit-Arbeitenden in ihre Statistik einbezieht.
Der rapide Anstieg der Zahl der Unternehmen in den 90er Jahren lässt sich nicht allein damit erklären, dass ab 1992 auch die neuen Bundesländer in die Statistik einfließen. Von 1990 bis 1995, also in nur fünf Jahren, hat sich die Zahl der Unternehmen von 899 auf 1.800 verdoppelt. Ist es möglich, dass auf dem Gebiet der neuen Bundesländer, deren Wirtschaftskraft um vieles geringer ist als die der alten, ebenso viele Bewachungsunternehmen tätig wurden? Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf die Angaben zur Zahl der Beschäftigten erforderlich.
Seit 1984 nimmt die Zahl der Beschäftigten der Privaten Sicherheitsdienste kontinuierlich zu; die Zuwachsraten betragen in manchen Jahren 18 %. Der rapide Anstieg nach 1990 ist zwar auch hier der Integration Ostdeutschlands in die Statistik geschuldet. Der getrennte Blick auf die Beschäftigung in den alten und den neuen Ländern zeigt aber auch, wo nach 1990 das Wachstum zu verorten ist: Den Angaben des BDWS zufolge steigt nach 1992 die Zahl der Beschäftigten in ganz Deutschland lediglich deshalb, weil sie im Westen ansteigt; in Ostdeutschland liegt sie seit Beginn der Erfassung 1992 kontinuierlich bei ungefähr 30.000. Im Beitrittsgebiet (ohne Berlin) beträgt das Verhältnis der Wachleute zur Bevölkerung 1:472, im Westen dagegen 1:797. Der Sicherheitssektor im Osten ist damit zwar, mit Feuerstein gesprochen, „überdimensioniert“, der Aufschwung der Branche nach 1989 ist aber nicht allein dem Aufschwung im Osten geschuldet.[2]
Großkonzerne und Kleinbetriebe
Steigend ist nicht nur die Zahl der Unternehmen, sondern auch der Umsatz des Bewachungsgewerbes (siehe Tab. 1). 1996 kamen die ca. 1.400 Firmen einer Untersuchung zufolge auf ein Gesamtvolumen von 4,4 Mrd. DM. Ein durchschnittliches Sicherheitsunternehmen hatte demnach 80 Beschäftigte und erwirtschaftete einen Umsatz von 3,14 Mio. DM.[3] Diese Durchschnittsrechnung geht allerdings nicht auf.
Mit einem für 1998 anvisierten Konzernumsatz von insgesamt 2,6 Mrd. DM entfällt auf die 36 größten Unternehmen bereits die Hälfte des Marktes.[4] Die zehn stärksten Betriebe setzen nach Angaben des Gewerbes bereits 2 Mrd. DM um. Eick zufolge teilen sich die 14 größten der Branche einen Marktanteil von 56,6 % und beschäftigen mit ca. 80.000 MitarbeiterInnen auch über die Hälfte aller Wachleute (von ca. 133.000).[5] Im Bewachungsgewerbe beherrschen also, aufs Ganze gesehen, wenige große Konzerne den Markt, während sich die große Mehrheit der Firmen ein kleineres Stück des Kuchens teilen muss. Raab Karcher ist mit einem für 1998 geplanten Umsatz von 535 Mio. DM der unumstrittene Branchenriese. Die inzwischen in Viterra umbenannte Firma beschäftigt bundesweit etwa 10.000 MitarbeiterInnen.
Insgesamt wird das Gewerbe aber nicht von den Großen geprägt, sondern eher von den kleinen und mittelständischen Firmen, deren Gewicht in der Gesamtbilanz zwar nicht so groß ist, die aber das Image der Branche zumindest teilweise prägen dürften. Der bundesweiten oder gar internationalen Expansion unter dem einheitlichen Dach eines Unternehmens sind durch das Spezifikum der Branche Grenzen gesetzt. Private Sicherheitsdienste bieten eine sehr personalintensive Dienstleistung an, weshalb Leistungsvergleiche je nach Region unterschiedlich ausfallen können. Der Erfolg an einem Ort wird sich nicht ohne weiteres an einem anderen wiederholen lassen. Das Lokalkolorit einer Firma kann für das erfolgreiche Bestehen am Markt entscheidend sein und kann gerade einem in der Region verwurzelten Mittelständler dazu verhelfen, ein bundesweit oder international agierendes Unternehmen im Wettbewerb auszustechen.[6]
Wie Tab. 2 zu entnehmen ist, beträgt der Jahresumsatz von 768 Unternehmen weniger als 1 Mio. DM. 411 Unternehmen rangieren gleichsam im Mittelfeld, aber nur sieben gehören zu den Großen. Lediglich fünf Dienste sind bundesweit vertreten.[7] Die Branche ist damit mittelständisch geprägt, auch wenn der Trend zur Konzentration auffällt. Die seit den 60er Jahren vorherrschende Unternehmensform der GmbH & Co. KG (Personengesellschaft) wird, seitdem Veba mit Raab Karcher seine Einkaufstour unternommen hat, zugunsten von Kapitalgesellschaften (GmbH) oder gar Aktiengesellschaften zurückgedrängt werden, lautet Stüllenbergs Einschätzung. Wenn ein Unternehmen sich überregional ausdehnen konnte, wurde zumeist die bewährte Form der GmbH & Co. KG für die Muttergesellschaft beibehalten, unter deren Dach unabhängig wirtschaftende Tochterfirmen die lokalen Geschäfte führen.[8] Die Tage der eigentümergeführten Sicherheitsunternehmen könnten jedoch gezählt sein, wenn der Trend zur Fusion weiter anhält. Die Lage gilt als unübersichtlich.[9]
Tab. 2: Steuerpflichtige und steuerbarer Umsatz Grundstücks-, Gebäude- und Schiffsbewachung 1992
Umsatzgrößenklassen | Unternehmen | Umsatz | ||
Anzahl | In % aller Unternehmen | Steuerbarer Umsatz in TDM | In % des Branchenumsatzes | |
25-50 TDM | 127 | 10,70 | 4.645 | 0,12 |
50-100 TDM | 155 | 13,06 | 11.230 | 0,30 |
100-250 TDM | 210 | 17,70 | 34.059 | 0,91 |
250-500 TDM | 133 | 11,21 | 48.654 | 1,30 |
500-1000 TDM | 143 | 12,05 | 104.498 | 2,81 |
1-2 Mio. DM | 121 | 10,20 | 174.590 | 4,69 |
2-5 Mio. DM | 139 | 11,72 | 473.569 | 12,74 |
5-10 Mio. DM | 82 | 6,91 | 570.212 | 15,34 |
10-25 Mio. DM | 53 | 4,46 | 789.658 | 21,25 |
25-50 Mio. DM | 16 | 1,34 | 573.428 | 15,43 |
50-100 Mio. DM | 0 | 0 | 0 | 0 |
100-250 Mio. DM | 7 | 0,59 | 931.067 | 25,05 |
>250 Mio. DM | 0 | 0 | 0 | 0 |
Summe | 1.186 | 99,94 | 3.715.610 | 99,94 |
Quelle: BBE Unternehmensberatung: Branchenreport Sicherheitsmarkt. Jahrgang 1997/98, S. 649 (Summenwerte von mir korrigiert, B.K.)
Die Struktur der Sicherheitsanbieter ist heterogen – sie reicht von internationalen Unternehmen wie Securitas bis zu Einmannunternehmern. Letztere sind den großen Konzernen und dem BDWS ein Dorn im Auge, weil ihnen angelastet wird, für den vorgeblich ruinösen Preiskampf verantwortlich zu sein. Sie schädigten den Ruf der Branche, weil sie zwar ein günstigeres Angebot vorlegen könnten, dieses aber von minderer Qualität sei. Wenn sich Mitarbeiter eines größeren Unternehmens selbständig machten, profitierten sie zudem häufig von den Kontakten, die sie durch ihren ehemaligen Arbeitgeber gewonnen hätten. Geringes Know-how, unzureichende soziale Absicherung und insgesamt zwielichtiges Geschäftsgebaren schadeten nicht nur den seriösen Unternehmen, sondern letztlich auch den Hasardeuren selbst.[10]
Die Aktivitäten des Gewerbes
Wo beginnt und wo endet das private Sicherheitsgewerbe? Der ehemalige Geschäftsführer von asd Securicor, Thomas Lütje, veranschlagte den Gesamtumsatz des Sektors im Jahre 1996 mit 16,2 Mrd. DM, wovon auf die (Bewachungs-)Dienstleistungen nur 5,2 Mrd. DM entfielen, auf Sicherheitsausrüstungen („mechanische“ und „elektronische“ Sicherheit) dagegen 11 Mrd. DM. Jones/Newburn ordnen der Branche auch die privaten Ermittlungen zu.[11] Die politisch-juristische Diskussion zumindest in Deutschland folgt dagegen nicht diesem breiten Begriff des Sicherheitsgewerbes, sondern konzentriert sich auf die „staffed services“, die personellen Sicherheitsdienstleistungen von A wie „Alarmverfolgung“ bis Z wie „Zutrittskontrolle“.[12]
Selbst in diesem engeren Bereich ist nicht eindeutig zu klären, wann ein Unternehmen im Sicherheitsbereich aktiv wird. Die Definition hängt zu einem Gutteil vom Unternehmer selbst ab und entzieht sich einer klaren Abgrenzung gegenüber Tätigkeiten, die anderen Bereichen zuzuordnen sind. Private Sicherheitsdienste präsentieren sich als „Gemischtwarenläden,“[13] die sicherheitsrelevante Dienstleistungen im Angebot haben und andere, die lediglich unter diesem Etikett verkauft werden. Entscheidend ist, mit welcher Strategie der Unternehmer den größten Gewinn zu erzielen hofft.
Es gibt somit mehrere Möglichkeiten, die Tätigkeitsfelder der Privaten zu systematisieren.[14] Die am häufigsten rezipierte Systematisierung ist die des BDWS, der die Einsatzbereiche des Personals wie folgt angibt: 33 % entfallen auf Separatposten und Pförtner, 19 % auf Werkschutz, 13 % auf den Schutz militärischer Anlagen, 12 % auf Ordnungsdienste, 8 % auf Revier- und Streifengänge, 6 % auf Sicherungsposten bei der Bahn, 4 % auf Geld- und Werttransporte, 2 % auf Notrufzentralen und 1 % auf die Sicherung von Kernkraftwerken.
Die Auflistung zeigt nicht nur, dass alles, was bewacht werden kann, auch von privaten Sicherheitsdiensten bewacht wird, sie gibt auch Hinweise auf die Zusammensetzung der Auftraggeber. Zu denen gehören nicht nur Privatpersonen und -unternehmen, wobei die besonders kontrovers diskutierten Revier- und Streifengänge, also die Kontrolle des öffentlichen Raumes im Auftrag von Privaten, in vergleichsweise geringem Maß zu Buche schlagen. Tätig werden private Sicherheitsdienste auch im staatlichen Auftrag: auf Basis eines Privatvertrags bei der Gebäudebewachung oder beim Facility Management von Liegenschaften, auf spezialgesetzlicher Grundlage und mit polizeiähnlichen Befugnissen bei der Bewachung von Liegenschaften der Bundeswehr. Auf staatliche Veranlassung schließlich lassen Atomanlagenbetreiber und Flughäfen ihre Anlagen durch private Dienste sichern.
Privatisierung von Staatsaufgaben
Als 1892/95 in Preußen das kommunale Nachtwachwesen verstaatlicht und in die Polizei überführt wurde, öffnete sich der Raum für das moderne Bewachungsgewerbe. Der Verlust der Nachtwächter bedeutete für das städtische Bürgertum keinen Verlust an Sicherheit, aber an Lebensqualität, denn die Nachtwächter hatten gegen ein „Schlüsselgeld“ auch für den Verschluss der Türen von Privathäusern gesorgt. Dieser Service fiel fortan weg, weil die Polizeibeamten nicht bereit waren, diese Aufgabe zu übernehmen. Man begann, der „guten alten Zeit“ nachzutrauern und beschrieb – obwohl Untersuchungen zu einem anderen Ergebnis kamen – die neue Situation als Sicherheitslücke. 1901 schließlich wurde die erste Wach- und Schließgesellschaft in Hannover gegründet, die sich dauerhaft etablieren konnte. Bald darauf entstanden im gesamten Deutschen Reich ähnliche Institute. Die Geburt des modernen Bewachungsgewerbes kann deshalb als Folge einer Verstaatlichungsmaßnahme be-
griffen werden.[15]
Auch hundert Jahre später scheint sich das Gewerbe in Abhängigkeit von der Entwicklung der staatlichen Polizei zu entwickeln. Allerdings, so Schnekenburger, sei es heute nicht eine Verstaatlichungsmaßnahme, die den privaten Sicherheitsdiensten neue Betätigungsfelder eröffne, sondern vielmehr der Rückzug der Polizei von ihren angestammten Aufgaben. Die gegenwärtige Lage sei durch steigende Kriminalitätsziffern, Unsicherheit unter der Bevölkerung, Personalknappheit und einen durch die Präventionsorientierung bedingten Aufgabenzuwachs bei der Polizei geprägt. Diese müsse sich deshalb entscheiden, für welche Aufgaben sie weiterhin zuständig bleiben wolle. Nach der ersten Entpolizeilichung im 19. Jahrhundert – der Auflösung absolutistischer Verwaltungsformen, bei der verschiedenste frühere „Polizey“-Aufgaben neu entstehenden Verwaltungsbehörden übertragen wurden – und der zweiten nach 1945 – der durch die Westalliierten erzwungenen weiteren Beschränkung des Polizeibegriffs auf die Vollzugspolizei – stehe nun eine dritte Entpolizeilichung bevor. „Diese ist nicht rechtsstaatlich gewaltenteilend motiviert, sondern auf eine partielle Reduzierung und Entstaatlichung des staatlichen Gewaltmonopols gerichtet.“[16]
Unter Hinweis auf die „gegenwärtig angespannte Sicherheitslage“ und „die angespannte Situation der öffentlichen Haushalte“ veröffentlichen Vertreter der Polizei und des Gewerbes, Politiker und Wissenschaftler einerseits Listen mit Tätigkeiten, die „zwingend durch den Staat vorzunehmen“[17] sind, andererseits und häufiger noch solche, die die zukünftigen Tätigkeitsfelder der Privaten beschreiben. Letztere enthalten oft Leistungen wie Werttransporte oder Baustellenbewachungen, die ohnehin vom Gewerbe erbracht werden. Neu und umstritten sind hingegen die Vorschläge, die z.B. auf eine Privatisierung der Entstempelung von Kfz-Kennzeichen und Führerscheinen, der Aufnahme von Bagatellunfällen oder der Abschiebung von Ausländern zielen.[18] In ihrem Abschlussbericht vom 17./18. April 1996 betont die Arbeitsgruppe „Private Sicherheitsdienste“ des AK II der Innenministerkonferenz zwar, dass „Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, repressive Verfahren …, Maßnahmen im Rahmen einer Vollstreckung, Maßnahmen des Strafvollzugs, Abschiebung von Asylbewerbern“ nicht privatisierungsfähig seien. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. So will etwa die hessische Landesregierung nicht den gesamten Strafvollzug privatisieren, aber doch einzelne Aufgaben.[19]
Das Gewerbe im internationalen Vergleich
Aussagekräftiges Zahlenmaterial über das Bewachungsgewerbe zu ermitteln, ist für das Ausland noch schwieriger als für Deutschland. Der Zugang zu Datenmaterial ist beschränkt, vergleichende Studien sind rar, und national unterschiedliche Erhebungsmethoden erschweren die Interpretation des vorhandenen Materials.[20] Ein Einblick in die europäische Dimension des Gewerbes soll dennoch versucht werden.
Im Europa der 15 ist das Sicherheitsgewerbe unterschiedlich ausgeprägt, die Zahl der Wachleute je 100.000 Einwohner bewegt sich zwischen 19 in Griechenland und 275 in Großbritannien. Deutschland (217) rangiert an zweiter Stelle, dicht gefolgt von Luxemburg (201), Dänemark (193) und Schweden (184). Der EU-Durchschnitt liegt bei 160.[21] Außerhalb der EU ist die Spanne allerdings noch größer: In der Türkei kommen 10 Wachleute auf 100.000 Bürger, in den USA dagegen 582 und in Südafrika sogar 900 (vgl. Tab. 3 und 4). Waard erklärt diese Spanne aus der Wirtschaftskraft der Länder. Staaten mit höherem Bruttosozialprodukt – wie etwa die USA, Deutschland oder Schweden – hätten in der Tendenz eine höhere Dichte von Wachleuten als zum Beispiel Griechenland, die Türkei oder Polen.[22] Diese These lässt sich – zumindest anhand des vorliegenden Materials – auch dann kaum überprüfen, wenn man die Angaben zum privaten Wachpersonal mit der jeweiligen Zahl der Polizeibeamten in Bezug setzt (vgl. Tab. 3 und 4). Auffällig ist nur, dass in keinem EU-Land die Zahl der Wachleute die der Beamten übersteigt, während sie in den USA und Australien annähernd doppelt und in Südafrika fast dreimal so hoch ist.
Tab. 3: Beschäftigte in PSD und bei der Polizei in der EU
Land | Bevölkerung in Tsd. | Beschäftigte PSD gesamt | Beschäftigte PSD je 100.000 Ew. | Personal Polizei gesamt | Personal Polizei je 100.000 Ew. |
Belgien | 10.085 | 11.200 | 109 | 34.712 | 344 |
Dänemark | 5.189 | 10.000 | 193 | 12.230 | 236 |
Deutschland | 81.187 | 176.000 | 217 | 260.132 | 320 |
Finnland | 5.066 | 3.500 | 69 | 11.816 | 233 |
Frankreich | 57.667 | 70.000 | 121 | 227.008 | 394 |
Griechenland | 10.368 | 2.000 | 19 | 39.335 | 379 |
Großbritannien | 58.191 | 160.000 | 275 | 185.156 | 318 |
Irland | 3.563 | 5.150 | 143 | 10.829 | 304 |
Italien | 57.057 | 43.200 | 76 | 278.640 | 488 |
Luxemburg | 398 | 800 | 201 | 1.100 | 276 |
Niederlande | 15.287 | 20.200 | 132 | 39.216 | 256 |
Österreich | 7.992 | 6.000 | 75 | 29.000 | 362 |
Portugal | 9.864 | 15.000 | 152 | 43.459 | 440 |
Schweden | 8.713 | 16.000 | 184 | 27.000 | 310 |
Spanien | 39.143 | 53.000 | 135 | 186.547 | 477 |
EU gesamt | 369.770 | 592.050 | 160 | 1.386.180 | 375 |
Tab. 4: Beschäftigte in PSD und der Polizei in ausgewählten Staaten außerhalb der EU
Land | Bevölkerung in Tsd. | Beschäftigte PSD gesamt | Beschäftigte PSD je 100.000 Ew. | Personal Polizei gesamt | Personal Polizei je 100.000 Ew. |
Australien | 17.939 | 92.583 | 516 | 51.486 | 287 |
Kanada | 28.941 | 125.025 | 432 | 75.364 | 260 |
Neuseeland | 3.577 | 5.478 | 153 | 6.967 | 195 |
Norwegen | 4.313 | 4.200 | 97 | 10.100 | 234 |
Südafrika | 40.436 | 363.928 | 900 | 126.300 | 312 |
Schweiz | 6.938 | 7.500 | 108 | 14.210 | 205 |
USA | 257.908 | 1.500.000 | 582 | 828.435 | 321 |
Quelle: Waard a.a.O. (Fn. 20), p. 155
Die Aussagekraft der Zahlen ist begrenzt
Kaum ein kritischer Kommentar zu privaten Sicherheitsdiensten versäumt es, auf die Zahl der Beschäftigten dieses Wirtschaftszweiges hinzuweisen und mahnend darauf aufmerksam zu machen, dass sich diese Zahl bereits jener der Polizeibeamten annähere oder sie gar überschritten habe. Die Zahlen der Uniformierten beider Seiten werden gegeneinander aufgerechnet wie die Soldaten feindlicher Heere.[23] Kritiker und Befürworter des Gewerbes halten die Beschäftigtenzahlen für einen geeigneten Indikator, um den Grad der Bedrohung des Gewaltmonopols zu messen. Auch BDWS-Ehrenpräsident Mauersberger folgt dieser Logik, wenn er unter Hinweis auf die 175.000 Angestellten bei Wachfirmen gegenüber den von ihm auf 240.000 bezifferten Polizeibeamten meint: „Diese Zahlen machen deutlich, dass das Gewaltmonopol des Staates dadurch nicht in Frage gestellt wird.“[24] Umgekehrt schließen manche Autoren wie Pitschas – ebenfalls unzulässigerweise – von der Vielfalt der Aufgaben, die die Privaten wahrnehmen, auf deren Bedeutung für die Innere Sicherheit: „Der knappe Aufriss jener Standardleistungen der Sicherheitsvorsorge, die das private Sicherheitsgewerbe erbringt, belegt die überwältigende Breite und auch das quantitative wie qualitative Wachstum seines Beitrags zur öffentlichen Sicherheit in den letzten Jahrzehnten. Die privaten Sicherheitsdienstleistungen sind längst zu einem wichtigen Bestandteil der Gewährleistung innerer Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland geworden.“[25]
So subtil und zuverlässig die präsentierten Daten erhoben sein mögen – man darf ihre Aussagekraft nicht überschätzen. Wäre die genannte Logik plausibel, dann wäre das Gewaltmonopol in den USA, Australien und Kanada längst gescheitert. Es werden – entgegen dem weit verbreiteten Eindruck – eben keine Armeen gegeneinander in Stellung gebracht. Allein aus der hohen Zahl von Angestellten bei Sicherheitsdiensten lässt sich nicht darauf schließen, dass das Gewaltmonopol zur Disposition steht. Die Grenzen der Statistik sind dort erreicht, wo weitergehende als quantitative Aussagen gemacht werden sollen. Waards Versuch, die „Qualität“ des Bewachungsgewerbes oder der Polizei der EU-Länder in eine bestimmte Rangfolge zu bringen,[26] ist zum Scheitern verurteilt, selbst wenn er ein komplexes Kriteriengeflecht entwickeln würde. Die Zahlenspielereien sind allein dem Umstand geschuldet, dass andere Kriterien und Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Gewerbes fehlen.
Die einzigen legitimen Schlussfolgerungen aus dem vorgetragenen Material über Geschichte und Gegenwart des Bewachungsgewerbes können diese sein: dass es in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren nach einer langen Phase der Stagnation ein beachtliches Wachstum zu verzeichnen hatte; dass das Gewerbe mittelständisch geprägt ist und einen Konzentrations- und Internationalisierungsprozess gewärtigt; dass die Löhne sich im unteren Bereich bewegen und dass private Sicherheitsdienstleistungen ein weltweit zu beobachtendes Phänomen sind. Und schließlich: dass das Gewerbe in Deutschland seit hundert Jahren, seit seiner Entstehung, keine erkennbare qualitative Veränderung in der Ausführung seiner Aufgaben zu verzeichnen hatte.