Änderung der Europol-Konvention – Noch weniger Datenschutz und ohne die Parlamente

von Ben Hayes

Die Europol-Konvention wurde 1995 unterzeichnet und trat im Herbst 1999 in Kraft. Jetzt soll sie generalüberholt werden. Was wird geändert und vor allem wie?

Dass die Zuständigkeiten und Befugnisse von Europol über den in der Konvention vorgezeichneten Rahmen hinaus ausgedehnt werden sollten, stand spätestens seit dem EU-Gipfel von Tampere im Oktober 1999 fest. Die Frage war jedoch, wie diese Veränderungen, die dem Amt u.a. mehr Spielraum im „operativen“ Bereich geben sollten, zu bewerkstelligen seien. Zusatz- oder Änderungsprotokolle, die wie die Konvention selbst von sämtlichen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen, wollte man vermeiden. Der Rat behalf sich deshalb zunächst mit bloßen „Empfehlungen“: Am 28. September 2000 forderte er die Mitgliedstaaten auf, „etwaige Ersuchen seitens Europol um die Durchführung oder Koordinierung von Ermittlungen … unverzüglich“ zu bearbeiten. Auf demselben Schleichweg wurde am 30. November 2000 die Beteiligung Europols an „gemeinsamen Ermittlungsgruppen“ angegangen: Die Mitgliedstaaten sollten „in vollem Umfang die Möglichkeiten zur Unterstützung“ solcher Gruppen durch das Amt nutzen.

Zu beiden Bereichen haben nunmehr Belgien und Spanien Anfang dieses Jahres den gemeinsamen Vorschlag eines Protokolls präsentiert, über den der Rat bereits im April eine politische Einigung erzielt hat.[1] Die Mitgliedstaaten sind sich aber offenbar einig, dass die Konvention wenn schon, dann nicht nur an einzelnen Punkten geändert werden soll. Ein Jahr nach der ersten „shopping list“ liegt nun ein Vorschlag der dänischen Präsidentschaft zur Generalüberholung der Konvention vor.[2]

Einer der zentralen Punkte dabei ist die Ausweitung der Zuständigkeit Europols. Nach Art. 2 Abs. 2 der Konvention sollte sich das Amt zunächst mit vier Kriminalitätsbereichen befassen: mit dem illegalen Drogenhandel, dem Handel mit radioaktiven Substanzen, der „Schleuserkriminalität“ sowie dem Menschenhandel, jeweils inklusive der „mit diesen Kriminalitätsformen verbundenen Geldwäsche“. Dies war bereits das Arbeitsgebiet der Europol-Vorläufer-Institution, der „Drogeneinheit“, vor 1999. Unmittelbar mit Inkrafttreten der Konvention und nicht wie vorgesehen „spätestens zwei Jahre“ danach kam auf spanischen Druck die Terrorismusbekämpfung hinzu. Der Anhang der Konvention enthält einen Katalog von weiteren 20 Straftaten, die der Rat per einstimmigem Beschluss in die Zuständigkeit Europols erheben kann. Dies hat er am 6. Dezember 2001 getan.[3] Der Rahmen der Konvention war damit nur zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten ausgeschöpft.

Der dänische Protokollvorschlag nimmt nun die in Art. 2 Abs. 1 der Konvention noch enthaltene Begrenzung aufs Korn, nach der Europol sich nur dann mit einem Fall beschäftigen darf, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte für eine kriminelle Organisationsstruktur vorliegen.“ Der Bezug auf organisierte Kriminalität, mit dem der Aufbau von Europol in den 90er Jahren gerechtfertigt wurde, soll durch einen noch vageren auf „schwere internationale Kriminalität“ ersetzt werden. Was hierunter zu verstehen ist, sollen gemäß einem neuen Abs. 5 die „zuständigen nationalen Behörden“ anhand ihres nationalen Rechts entscheiden.

Faktisch würde Europol damit zu einer Allround-Behörde, die nicht nur Informationen sammelt und für ihren Austausch sorgt, sondern über die Beteiligung an Ermittlungsgruppen und die Möglichkeit, die nationalen Polizeien zu Ermittlungen aufzufordern, ins „operative“ Geschäft einbezogen ist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Europol-Chef Jürgen Storbeck, nachdem der Rat am 6. Dezember 2001 das Amt zur Kontaktstelle für Informationen über Euro-Fälschungen ernannt hat, bereits exekutive Befugnisse in diesem Bereich gefordert hat.[4]

Eher eine Anerkennung bestehender Tatsachen denn eine wirkliche Neuerung stellt die in der „Berichtigung“ des dänischen Vorschlags enthaltene Ausweitung des Aufgabenbereichs von Europol dar. Europol soll die Behörden der Mitgliedstaaten bei der Fortbildung, in Fragen der „Organisation und materiellen Ausstattung“, hinsichtlich der Verhütung von Straftaten sowie in Bezug auf kriminaltechnische, kriminalwissenschaftliche und Ermittlungs­metho­den beraten. Dies tut das Amt schon heute – auch ohne rechtlichen Auftrag. Beispiele dafür sind die „Handbücher“ für kontrollierte Lieferungen und für „best practices“ im Bereich der forensischen Methoden, die Entwicklung eines EU-weiten Zeugenschutzprogrammes und die Vorschläge für internationale Standards der Telekommunikationsüberwachung. Das Amt ist darüber hinaus involviert in den Aufbau einer Europäischen Polizeiakademie sowie in das Netzwerk für Kriminalprävention.[5]

Weitere Aufweichung des Datenschutzes

Die nationale Europol-Stelle ist „die einzige Verbindungsstelle zwischen Europol und den zuständigen Behörden“, sprich den nachgeordneten Polizeibehörden der Mitgliedstaaten. So steht es bisher in Art. 4 der Konvention. Der dänische Protokollvorschlag will nun diesen „zuständigen Behörden“ ebenfalls die Befugnis erteilen, direkt mit Europol in Verbindung zu treten. Sie sollen darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, direkt das Europol-Informationssystem abzufragen. Das Ergebnis einer solchen Abfrage wäre zwar nur eine „Treffer“-Meldung, die Inhalte des entsprechenden Datensatzes müssten bei der nationalen Europol-Stelle nachfragt werden. Diese Regelung könnte jedoch den Einstieg in eine zukünftige volle Abfragemöglichkeit darstellen.

Neben dem Informationssystem, das eine Register-Datenbank über Straftaten sowie Verurteilte oder bloß Verdächtige darstellt, führt Europol auch Arbeitsdateien für Analysezwecke, in denen ein erheblich weiterer Personenkreis gespeichert werden kann (zusätzlich Opfer und mögliche Opfer, Zeugen, Hinweisgeber, andere Personen). Geht es nach dem Protokollvorschlag, so sollen künftig auch außerhalb dieser zu speziellen Ermittlungen eingerichteten Analysedateien „andere Daten“ als „Hintergrundinformationen“ erfasst werden. Um was für Informationen es sich dabei handeln soll, bleibt unklar. Allgemein soll die Speicherungsfrist für personenbezogene Daten von bisher drei auf fünf Jahre verlängert werden.

Um der Gemeinsamen Kontrollinstanz (GKI) Datenschutzprüfungen zu er­leichtern, müssen bisher alle Abfragen im Europol-Informations­system sowie generell „durchschnittlich mindestens“ jede zehnte Abfrage personenbezogener Daten protokolliert werden. Diese klare Vorschrift will Dänemark nun durch eine allgemeine Verpflichtung Europols ersetzen, „Verfahren für eine effiziente Kontrolle der Rechtmäßigkeit“ sicherzustellen.

Wenn eine Analysedatei neu eröffnet werden soll, muss der Europol-Direktor nach Art. 10 der Konvention der GKI unverzüglich den Entwurf der Errichtungsanordnung vorlegen, die in einer Stellungnahme an den Verwaltungsrat allfällige Einwände erheben kann. Nur in Eilfällen kann der Direktor die sofortige Eröffnung der Datei anordnen, muss dann dies dem Verwaltungsrat sofort mitteilen und die GKI nachträglich hinzuziehen. Aus diesem Ausnahmefall soll nun der Normalfall werden. Die GKI erhält nach dem dänischen Vorschlag nur noch die fertige Errichtungsanordnung und kann dem Verwaltungsrat dann innerhalb von zwei Monaten Änderungswünsche vortragen.

Bislang sind nur die jeweiligen Analytiker zur Eingabe und Abfrage in Analysedateien berechtigt. Die Möglichkeit der Abfrage soll nun auch den anderen Mitgliedern einer Analysegruppe – sonstigen Europol-MitarbeiterInnen, VerbindungsbeamtInnen, ExpertInnen der nationalen Polizeien – eröffnet werden.

Verändern will die dänische Präsidentschaft auch die Regeln zur Übermittlung von personenbezogenen Daten durch Europol an Drittstaaten und Drittparteien (internationale Polizei- und Zollorganisationen etc.).[6] Diese Übermittlung war bisher nur möglich, wenn die Drittstelle oder der Drittstaat einen „angemessenen Datenschutzstandard“ vorzuweisen hatte. Im Ausnahmefall soll nun auf diese Bedingung verzichtet werden. Einen solchen Fall könnte beispielsweise die derzeitige informelle Weitergabe von Daten an US-Behörden darstellen. Wurden die Daten durch einen Mitgliedstaat bei Europol angeliefert, so musste dieser nach der derzeitigen Fassung der Konvention der Weitergabe an Drittstaaten zustimmen. Sofern zwischen Europol und einem Drittstaat eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit existiert, soll die Zustimmung automatisch als erteilt gelten. Elf solche Vereinbarungen hat der Rat bisher abgesegnet, 21 weitere sind geplant oder in Verhandlung.

Ein bisschen mehr ….

Die weitere Aufweichung der ohnehin nicht gerade scharfen Datenschutzbestimmungen wird keineswegs durch die leichten Verbesserungen ausgeglichen, die der dänische Vorschlag hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle vorsieht:

Jahresberichte und Arbeitsprogramme von Europol und der Gemeinsamen Kontrollinstanz sollen in Zukunft nicht nur dem Rat, sondern „zur Unterrichtung“ auch dem Europäischen Parlament vorgelegt werden. Dies wäre grundsätzlich zu begrüßen, allerdings ist die Qualität der Europol-Jahresberichte verglichen mit der Anfangszeit mittlerweile auf das Niveau von PR-Material abgesunken.

Der Europol-Direktor soll sich vom EP oder von gemeinsamen Ausschüssen des EP und der nationalen Parlamente anhören lassen dürfen, kann sich aber im Einzelfall weiter auf das Amtsgeheimnis zurückziehen. Das EP wäre bei Änderung der Konvention oder von Durchführungsbestimmungen anzuhören – ein Recht das ohnehin bereits im Amsterdamer Vertrag für den ganzen Bereich der innen- und justizpolitischen Kooperation niedergelegt ist. Dasselbe gilt für das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Europol-Dokumenten. Den Empfehlungen des Ombudsmanns in einem Initiativbericht vom 6. Juli 2000 ist Europol bisher nicht gefolgt.

Wenn die Ratsarbeitsgruppe zu Europol wie geplant nach Abschluss der Arbeiten an der Konvention aufgelöst wird, ist demgegenüber zu befürchten, dass sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit von zentralen Fragen der weiteren Entwicklung des Amtes weiter ausgeschlossen werden.[7] Die Dokumente der Arbeitsgruppe – darunter u.a. das Budget – unterlagen bisher als Ratsdokumente den Transparenzkriterien der EU. Zumindest ihr Titel fand sich im öffentlich via Internet zugänglichen Register der Ratsdokumente, was zumindest eine Anfrage ermöglichte, auch den Text offen zu legen.

… oder gar keine parlamentarische Kontrolle?

Der Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft verzichtet bedauerlicherweise darauf, zu einer zentralen Frage Stellung zu nehmen, die derzeit in der Europol-Arbeitsgruppe diskutiert wird: nämlich, die Konvention als ganze oder zumindest Teile davon durch einen Beschluss des Rates zu ersetzen. Beschlüsse erfordern nur die Einstimmigkeit im Rat. Das Europäische Parlament wird nur angehört, hat aber keinen tatsächlichen Einfluss. Eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente ist nur bei völkerrechtlichen Verträgen (wie der Europol-Kon­ven­tion) sowie bei dazugehörigen Protokollen nötig. Die Neufassung der Konvention als Ratsbeschluss ließe sich nicht nur schneller bewerk­stel­ligen, sondern würde die ohnehin geringe parlamentarische Kontrolle ganz beseitigen.

Im März hat die damalige spanische Präsidentschaft drei Varianten hierzu aufgetischt:[8] entweder erstens zuzulassen, dass die gesamte Konvention durch einen Ratsbeschluss geändert werden kann oder zweitens eine Änderung per Ratsbeschluss für einige Artikel zu erlauben und den Rest weiterhin von einem ratifizierungsbedürftigen Protokoll abhängig zu machen oder – drittens – die gesamte Konvention durch einen Ratsbeschluss zu ersetzen.

Bei ihrer Sitzung vom 11. und 12. April 2002 kam die Europol-Arbeitsgruppe überein, die erste Variante nicht mehr zu verfolgen.[9] Für die beiden verbleibenden Optionen gibt es mittlerweile detailliertere Vorschläge. Hinsichtlich der Variante 2 konnten sich die Mitgliedstaaten aber nur auf einige wenige Artikel verständigen, die in Zukunft einem bloßen Ratsbeschluss unterworfen sein sollten. Die damalige spanische Präsidentschaft hielt diese Diskussion deshalb für eine nutzlose Übung, die nicht zu der beabsichtigten Vereinfachung der Änderungsprozedur führen würde. Der einzige „gangbare“ Weg sei Variante 3: die vollständige Aufhebung der Konvention und ihre Ersetzung durch einen rein exekutiven Beschluss.[10]

Ben Hayes ist Mitarbeiter von Statewatch in London.
[1] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (EG) C 42 v. 15.2.2002, S. 8-13; Ratsdok. 6791/4/02 v. 30.4.2002
[2] Ratsdok. 10307/02 v. 2.7.2002 sowie dessen „Berichtigung” 11096/02 v. 18.7.2002
[3] Amtsblatt der EG C 362 v. 18.12.2001
[4] Amtsblatt der EG L 329 v. 14.12.2001
[5] Amtsblatt der EG L 336 v. 30.12.2000 und L 150 v. 8.6.2001
[6] Der Rat hat bereits die Durchführungsbestimmungen in diesem Sinne verändert, vgl. Amtsblatt der EG C 76 v. 27.3.2002
[7] Ratsdok. 6582/1/02 v. 1.3.2002
[8] Ratsdok. 6579/1/02 v. 25.2.2002
[9] Ratsdok. 7789/02 v. 10.4.2002
[10] Ratsdok. 11283/02 v. 17.7.2002