Koalitionsvereinbarung: Weiter so! Terrorbekämpfung als Leitmotiv der Innenpolitik

von Petra Pau und Katina Schubert

In der Innenpolitik soll es bleiben wie gehabt: Der SPD-Innenminister will mehr „Sicherheit“, die Grünen bemühen sich mit begrenztem Erfolg, die Liberalität vor ihm zu retten. Einen emanzipatorischen Ansatz sucht man im Koalitionsvertrag umsonst.

„Innenpolitik als Bestandteil der allgemeinen Sicherheitspolitik muss sich – das muss man mit Sorge und mit großem Ernst sagen – auf sehr schwierige und gefahrvolle Jahre einstellen. Die Bedrohung durch den internationalen islamis­tisch-fundamentalistischen Terrorismus – das ist eine realistische Einschätzung – hat zugenommen. Das entspricht der Lagebeurteilung unserer Sicherheitsinstitutionen ebenso wie der unserer engsten Verbündeten.“ Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ließ in seiner Bundestags-Rede zur Regierungserklärung und zur Koalitionsvereinbarung am 30. Oktober 2002 keinen Zweifel daran, welchem Leitmotiv die rot-grüne Innenpolitik weiter folgen wird: vermeintliche Sicherheit rangiert vor den Grund- und Freiheitsrechten. Und was die Sicherheitsbehörden für notwendig halten, wird die Politik liefern.

Damit sind die Grünen mit ihrem Versuch gescheitert, einen bürgerrechtlich orientierten Ansatz in der Innen- und Rechtspolitik zu verankern. Immerhin konnte Schilys Ansinnen verhindert werden, ein „Grundrecht auf Sicherheit“ festzuschreiben und daraus eine noch autoritärere Variante seiner Politik innerer Sicherheit abzuleiten.

Offenkundig hat sich Rot-Grün auf ein „Weiter so“ geeinigt: Schily prescht als Law-and-order-Politiker mit Blick auf die Union vor, die Grünen hängen sich an seine Waden und versuchen zu bremsen, was zu bremsen ist. Ihre jetzigen „Verhandlungserfolge“ sind überwiegend
Überbleibsel aus der letzten Wahlperiode. Ob ihnen jetzt ein besseres Schicksal winkt, erscheint angesichts der Bundesratsmehrheit fraglich.

Evaluierung von Anti-Terror-Paket und Geheimdiensten

Das Anti-Terror-Gesetz vom November 2001 soll in der Mitte der Wahlperiode „evaluiert“ werden. Eine Bilanz der bisher im Rahmen dieser Gesetze ergriffenen Maßnahmen sucht man indessen vergeblich. Ob die massiven Eingriffe in die Grundrechte der BürgerInnen bisher einen greifbaren Erfolg erbracht haben, lässt Rot-Grün völlig offen. Das Gegenteil scheint denn auch der Fall zu sein: Die bisherigen Fahndungserfolge gegen die Al-Qaida gehen auf kriminalistische Arbeit zurück, die auch ohne Anti-Terror-Pakete, ohne bundesweite Rasterfahndung und letztlich auch ohne den Krieg in Afghanistan möglich gewesen wäre.

Evaluieren will Rot-Grün auch die Arbeit der Geheimdienste. Dabei soll aber nicht etwa die gesamte Arbeit der Dienste auf den Prüfstand. Kein Wort findet sich darüber, dass die V-Leute-Praxis der Verfassungsschutzämter das Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem höchsten deutschen Gericht zu torpedieren droht. Wörtlich heißt es nur:

„Die Geheimdienste stehen bei der Bekämpfung des Terrorismus vor neuen, wichtigen Aufgaben und sind mit neuen Herausforderungen an die Modernisierung ihrer Arbeit konfrontiert. Die Bundesregierung wird Aufgaben, Struktur, Effektivität, Befugnisse und Kontrolle der Geheimdienste evaluieren und daraus die notwendigen Reformkonsequenzen ziehen.“

Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um biometrische Verfahren zur Identitätsfeststellung von BürgerInnen gleich welcher Nationalität spiegelt sich im Vertrag ebenso wenig wider wie die um die DNA-Analyse. Völlig unkritisch versprechen die Koalitionspartner, beide Verfahren weiter zu entwickeln und die Nutzungsmöglichkeiten zu verbessern. Die von Schily verlangte Wiedereinführung der Kronzeugenregelung konnten die Grünen zwar abwenden. Stattdessen gibt es jetzt eine „Kronzeugenregelung light“. Der zufolge können Aussagen strafmildernd wirken, die zur Aufklärung von Straftatbeständen beitragen oder Verbrechen verhindern helfen. Die Grünen glauben, mit dieser Regelung „schmutzige Deals“ mit Verbrechern unterbinden zu können.[1]

BGS wird Bundespolizei

Kryptisch bleibt der Koalitionsvertrag auch in seinen Aussagen zur Zukunft des Bundesgrenzschutzes. Er soll umbenannt werden in „Polizei des Bundes“ oder „Bundespolizei“. Eine Ausweitung seines Zuständigkeitsbereichs sei damit freilich nicht verbunden, heißt es im Vertrag, langfristig aber sicherlich eine Neustrukturierung. Denn im gleichen Koalitionsvertrag kündigt die Bundesregierung an, sich auf europäischer Ebene für eine EU-Grenzpolizei mit hoheitlichen Befugnissen einzusetzen und die dafür notwendigen Rechtsgrundlagen in der künftigen europäischen Verfassung zu verankern. Hintergrund dessen ist, dass die Bundesrepublik nach der EU-Osterweiterung, also ab 2004, kaum noch EU-Außengrenzen hat. Zwar müssen die Beitrittsstaaten sämtliche Hürden des Schengener Abkommens nehmen, die Bundesregierung wird jedoch die Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien vorerst nicht aufheben.[2] An den neuen Außengrenzen im Osten soll langfristig die EU-Grenzpolizei die Kontrolle übernehmen und dabei auch die bundesdeutsche Abschottungsphilosophie gegenüber den Staaten der ehemaligen Sowjetunion weiter wirken lassen.

Ob den Beteuerungen, die Zuständigkeiten des BGS nicht ausweiten zu wollen, allzu viel Glauben geschenkt werden sollte, erscheint überdies fraglich. Denn Bundesinnenminister Schily stellte in seiner Rede zum Koalitionsvertrag unmissverständlich klar, dass er „bestimmte Anpassungen“ etwa in der Stellenstruktur und finanziellen Ausstattung des BGS und „hoffentlich in der künftigen Bundespolizei“ vornehmen wolle.[3] Zumindest die SPD strebt damit offenkundig den weiteren Umbau des BGS zu einer originären Bundespolizei mit entsprechenden Eingriffsbefugnissen an

.

Mit Blick auf die Terroranschläge in den USA hatte das Bundesinnenministerium (BMI) schon in seinem „Abschlussbericht zur Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes“ vom Mai 2002 geschrieben, dass man „selbstverständlich notwendige Veränderungen nicht ausschließen“ könne. Dort resümiert das BMI: „Der Bundesgrenzschutz hat die Auswirkungen der Terroranschläge in der neuen flexiblen Organisation sowohl in personeller Hinsicht als auch im Hinblick auf neue Anforderungen auffangen können“.[4]

EU: Dritte Säule schrittweise vergemeinschaften

Auf europäischer Ebene will sich die Bundesregierung ferner dafür einsetzen, die Säulenstruktur der Verträge in der Innen- und Rechtspolitik „schrittweise“ zu überwinden. Zunächst will sie dem Europäischen Gerichtshof die gerichtliche Kontrolle überantworten. Das Europäische Parlament soll sukzessive mitentscheiden können. Damit würde dieser Bereich langfristig in das Gemeinschaftsrecht überführt und wenigstens eingeschränkter parlamentarischer Kontrolle und dem Mehrheitsprinzip im Rat unterliegen. Die Bundesregierung verlöre unter diesen Bedingungen ihre Bremser-Rolle, die sie vor allem in migrations- und asylpolitischen Fragen spielt, wenn es darum geht, menschenrechtliche Mindeststandards einzuhalten.

Gleichzeitig spielt sie aber den Motor für die Europäisierung der Sicherheitszusammenarbeit. Rot-Grün will Europol weiter ausbauen und mit Ermittlungsbefugnissen versehen. Die Ausweitung der parlamentarischen und justiziellen Kontrolle sowie die Abschaffung der Immunität der Europol-Bediensteten wird indessen nur „angestrebt“. Nicht im Koalitionsvertrag findet sich die Initiative der Bundesregierung zur Einführung einer europaweiten elektronischen Rasterfahndung. Die computergestützte präventive Recherche der einzelnen Mitgliedstaaten auf der Grundlage abgestimmter Täterprofile soll dazu dienen, potenzielle Terroristen und so genannte Schläfer aufzufinden, so der Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Fritz Rudolf Körper, am 13. November im Bundestag. In Kürze wird die Bundesregierung einen schriftlichen Vorschlag vorlegen, wie mit immensem Aufwand nun auch europaweit in die Grundrechte von BürgerInnen eingegriffen werden soll, um Halden von Datenmüll zu produzieren.

Im übrigen wimmelt es im Koalitionsvertrag von Prüfaufträgen und Ankündigungen. Die strafrechtlichen Sanktionen sollen genauso „überprüft“ werden wie die Telefonüberwachung oder das Jugendstrafrecht. Auch das Datenschutzrecht – mit den Antiterrorgesetzen gerade erst verstümmelt – will Rot-Grün reformieren. Endlich sollen auch das schon für die letzte Wahlperiode angekündigte Arbeitnehmerdatenschutz- und das Informationsfreiheitsgesetz kommen.

Der nicht erfüllte Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag von 1998 zur Abschiebehaft, ihrer unverhältnismäßigen Dauer und ihren unerträglichen Bedingungen findet dagegen keine Berücksichtigung mehr. Lakonisch erklärt die Koalition, das Zuwanderungsgesetz voll anwenden und die „Ausreisepflicht von Nicht-Bleibeberechtigten konsequent“ durchsetzen zu wollen. Das spricht eher für eine weitere Verschärfung denn für eine Verbesserung zugunsten ausreisepflichtiger Flüchtlinge und MigrantInnen.

Emanzipatorischer Ansatz: Fehlanzeige

Wie dem Koalitionsvertrag insgesamt fehlt auch dem innen- und rechtspolitischen Teil ein emanzipatorischer Ansatz. Zwar will Rot-Grün die Partizipationsmöglichkeiten der BürgerInnen durch Elemente direkter Demokratie erweitern. Doch stellt die Koalition keine einzige Überlegung an, wie sie in dieser Wahlperiode dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gewinnen will, wo ihr das schon letztes Mal nicht gelungen ist. Es gibt keinen Ansatz für eine Kampagne, geschweige denn den politischen Willen, BürgerInnenbeteiligung und die Ausweitung demokratischer Rechte zu einem zentralen Bestandteil der Regierungspolitik zu machen. Den Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus beschränkt die Koalition darauf zu beteuern, die alten Programme fortführen zu wollen.

Damit schafft man keine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. Dieses aber ist nach jüngsten Untersuchungen Bielefelder SozialforscherInnen von Ängsten, Unsicherheiten und menschenfeindlichen Einstellungen geprägt.[5] Die Erfahrung politischer Einflusslosigkeit und Ohnmacht verstärkt solche Einstellungen weiter.

Da setzt denn auch unsere Hauptkritik an: Rot-Grün schafft keinen gesellschaftlichen Aufbruch hin zu mehr Demokratie, mehr Bürgerrechten und sozialer Gerechtigkeit. Rot-Grün zementiert die politischen Verhältnisse und unterminiert damit selbst die Legitimität der eigenen Koalition.

Petra Pau ist PDS-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Innenausschusses, Katina Schubert ist Journalistin.
[1] Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer, Süddeutsche Zeitung v. 12./13.10.2002
[2] Bundesministerium des Innern: Abschlussbericht zur Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes, Mai 2002, S. 14
[3] Otto Schily in der Bundestags-Debatte zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers, 30.10.2002
[4] Bundesministerium des Innern a.a.O. (Fn. 2)
[5] Frankfurter Rundschau v. 8.11.2002: Auszug aus dem Bericht „Feindselige Mentalitäten, Zustandsbeschreibungen zur angetasteten Würde von Menschen in Deutschland“