Erlass in Niedersachsen zwingt Schulen zur Anzeige

Das Niedersächsische Kultusministerium hat in Zusammenarbeit mit dem Innen- und dem Justizministerium einen Runderlass herausgegeben, demzufolge die Schulleitungen verpflichtet sind, die Polizei zu informieren, sobald sie Kenntnis von einer Straftat an ihrer Schule erhalten.[1] Polizei und Staatsanwaltschaft sind ihrerseits verpflichtet, den Schulen Daten delinquenter SchülerInnen zu vermitteln. Gemeldet werden sollen u.a. Straftaten gegen das Leben, Raubdelikte, gefährliche Körperverletzungen oder andere Gewaltdelikte sowie Bedrohung, Beleidigung (z.B. Sexualbeleidigung), Sachbeschädigung (z.B. Graffiti), Nötigung oder der Umgang mit Betäubungsmitteln. Auch Bagatelldelikte, die sonst die Schule selbst regelte, werden so zu Straftaten.

Die MinisterInnen begründen ihren Erlass mit einer Messerstecherei in einer hannoveranischen Realschule Ende August, bei der ein 15-Jähriger durch einen Mitschüler lebensgefährlich verletzt wurde. „Schule, Polizei und Staatsanwaltschaft haben … das gemeinsame Ziel, die Sicherheit der Schülerinnen und Schüler beim Schulbesuch zu gewährleisten und Straftaten im Lebensraum Schule … und … außerhalb der Schule zu verhüten“, so heißt es im Erlass.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnte in einer Erklärung vom 3.12.2003 den Erlass ab und kritisiert die „Demonstration von staatlicher Gewalt“ anstelle des Primats von Prävention.[2] In der Tat: Wie sollen SchülerInnen Vertrauen erlangen, wenn ihre LehrerInnen sie jederzeit öffentlich denunzieren müssen und somit zu Handlangern von Polizei und Justiz werden? Die Kriminalisierung von SchülerInnen wird zu einer Zunahme der statistischen Delinquenz, nicht aber zu einer Abnahme begangener Straftaten führen. Das niedersächsische Kultusministerium, so beklagte die GEW bereits am 19.8.2003, hat die Stellen für SozialpädagogInnen an Hauptschulen gestrichen und die Gelder für LehrerInnenfortbildungen gekürzt.

(Marion Knorr)

[1]      Gem. RdErl. des MK (201-51 661), des MI (23-51603/4-1) und des MJ (4210 – S 3.202) v. 30.9.2003
[2]     www.gew-nds.de/Aktuell/aktuell.html