Die Befugnis des Bundesgrenzschutzes (BGS) zu sog. lageabhängigen Kontrollen in Zügen und Bahnanlagen sowie auf internationalen Flughäfen (§ 22 Abs. 1a BGS-Gesetz) war bei ihrer Einführung 1998 bis zum 31.12.2003 befristet worden. Vor Ablauf sollte die Bundesregierung eine Evaluation über die Anwendung vorlegen, was Anfang September mit einem 15-seitigen Bericht des Bundesinnenministeriums (BMI) geschehen ist. Dass es sich dabei nicht um eine unabhängige Evaluierung nach überprüfbaren Kriterien handelt, lässt schon der Titel „Erfahrungsbericht“ vermuten. Neben einer 7-seitigen „Statistischen Übersicht“ zur Anzahl der Personenkontrollen und den dabei festgestellten Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und Personenfahndungserfolgen liefern die übrigen acht Seiten wahllos herausgegriffene „Erfolge“ sowie wenige Absätze zum Beschwerdeverhalten, zu Fortbildungsmaßnahmen der Polizei, zur Zusammenarbeit mit anderen Behörden und zur Öffentlichkeitsarbeit. In der abschließenden knappen Bewertung kommt der Bericht denn auch zu dem Ergebnis, dass die Befugnis vom gesamten BGS positiv bewertet und als „wertvolles Instrument zur Bekämpfung der unerlaubten Einreise sowie der Schleusungskriminalität anerkannt“ wird. Schließlich stießen die Kontrollen auch bei der Bevölkerung auf positive Resonanz und trügen „wesentlich zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls“ bei.
Offenbar evaluiert sich hier der BGS selbst. Anderenfalls relativierten sich die Ergebnisse erheblich. Nach BGS-Gesetz darf der BGS allein zur „Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise“ nach Deutschland lageabhängig kontrollieren. Bei den zwischen 1999 und 2002 durchgeführten 1.185.460 Kontrollen wurden jedoch lediglich 6.789 „unerlaubte Einreisen“ festgestellt. Das entspricht einer Quote von 0,57 %. Sie sank von 1,15 % im Jahr 1999 auf 0,25 % im Jahr 2002. Hingegen ergab sich bei Kontrollen in knapp 5 % der Fälle allgemein ein Verdacht auf eine Straftat, in 3,8 % auf eine Ordnungswidrigkeit. Damit werden sog. Zufallsfunde zum eigentlichen Ziel der Überprüfungen. Nicht umsonst bezeichnet der BGS im Bericht die Kontrollen „als sehr geeignete Einstiegsbefugnis“. Der Rand der Legalität ist damit überschritten.
Während sich BGS und BMI ihre „Treffer“-Zahlen schön interpretieren, kommen sie beim Beschwerdeaufkommen ganz ohne aus. Es wird schlicht vom BGS selbst als „gering“ bezeichnet. Dass darüber gar keine Statistik geführt wird, gab die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT-Drs. 14/3990) zu. Auch die Vorwürfe wegen der zumeist selektiven, rassistischen Kontrollpraxis weist der Erfahrungsbericht lapidar zurück, indem er Initiativen wie KOGAMRA oder „Bürger beobachten den BGS“ pauschal als BGS-feindlich diskreditiert. Im selben Bericht ist jedoch von „Profilpersonen“ die Rede, bei denen eine Vielzahl „qualifizierter Treffer“ erzielt werden konnte. Dass damit ein Selektionsraster im Sinne äußerer Merkmale wie Hautfarbe, Kleidung, Auftreten etc. gemeint ist, hat die Polizei an anderer Stelle mehrfach zugegeben.[1] Aber auch über die Staatsangehörigkeit der Kontrollierten wird keine Statistik geführt.
„Rechtssicher und sensibel“ würden die BGS-Kontrollen laut der Selbstevaluation durchgeführt. Es war sicher nur ein Versehen, dass ein BGS-Beamter bei einer von einem CILIP-Redaktionsmitglied miterlebten Kontrolle behauptete, es gebe eine Pflicht, einen Ausweis bei sich zu tragen.
Dass zumindest DIE GRÜNEN dieser Evaluation nicht ganz trauen, zeigt der im November verabschiedete Gesetzentwurf der Bundesregierung, der eine weitere Befristung der Befugnis bis zum 30.6.2007 vorsieht. Darin ist eine erneute Evaluation ausdrücklich festgeschrieben. Sie soll statistisch aufschlüsseln, wie viele Ermittlungen eingeleitet wurden, für die der BGS zuständig ist, und wie viele Zufallstreffer es gab. Erhoben werden soll auch, inwiefern die Kontrollen auf konkreten Lagebildern beruhen, die Anzahl der Beschwerden und die negativen Auswirkungen auf Reisende, z.B. durch Reiseunterbrechungen, weil der/die Kontrollierte keine Ausweisdokumente bei sich hatte. Von einer unabhängigen Bewertung ist aber auch hier keine Rede. Selbst die ist nicht immer ein Garant für eine unparteiische Evaluation, wie das Gutachten des Max-Planck-Instituts zur Telefonüberwachung zeigt (siehe S. 73-84 in diesem Heft). Eine ernst gemeinte Evaluation der Schleierfahndung müsste in jedem Fall die Folgen für MigrantInnen berücksichtigen.
(Martina Kant)