Prinzip der Verfügbarkeit

Die EU arbeitet derzeit an einem ganzen Bündel – zum Teil ineinandergreifender – Maßnahmen, mit denen der polizeiliche Informationsaustausch auf eine neue Grundlage gestellt werden soll. Bereits im November 2004 verpflichtete sich die EU im Haager Programm, ihrem Fünf-Jahres-Plan in Sachen Justiz- und Innenpolitik, beim polizeilichen Informationsaustausch bis 2008 den „Grundsatz der Verfügbarkeit“ durchzusetzen.[1]

Hierzu liegen inzwischen zwei Rahmenbeschluss-Entwürfe vor: einer des Rates „über die „Vereinfachung des Informationsaustausches zwischen den Strafverfolgungsbehörden der EU-Staaten“[2] und einer der Kommission „über den Informationsaustausch nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit“.[3] Beide Vorschläge verfolgen das gleiche Ziel: Die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten sollen sich jeweils gegenseitig den Zugang zu all jenen strafverfolgungsrelevanten Informationen eröffnen, auf die sie im nationalen Rahmen bei Behörden bzw. privaten Einrichtungen zugreifen können. Dieselben Zugriffsrechte soll auch Europol erhalten. Die Daten würden zwar direkt zwischen den Polizeibehörden ausgetauscht, dürften aber nur mit Genehmigung der Justiz als Beweismittel verwertet werden.

Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die Polizeien der Mitgliedstaaten sowie Europol bis 2008 online verbunden sein. Den direkten Abruf will die Kommission zunächst für sechs Datenkategorien: DNA-Profile, Fingerabdrücke, ballistische Erkenntnisse, Kfz-Halter­-Er­mittlungen, Verbindungs- und Verkehrsdaten von elektroni­scher Kom­munikation und Auskünfte aus Personenstands­registern. Später sei der unmittelbare Zugriff auf alle relevanten Informationen auszudehnen.[4]

Solange will der Rat aber nicht warten. Er strebt zwar nicht die Einrichtung automatischer Abrufmöglichkeiten an, möchte aber schon kurzfristig erreichen, dass sich die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten ihre Informationen bezüglich der 32 im Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl aufgeführten Deliktgruppen innerhalb von acht Stunden nach einer entsprechenden Anfrage zur Verfügung stellen müssen. Der Datentransfer soll nicht nur bei strafrechtlichen Ermittlungen erfolgen, sondern auch im Rahmen eines polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahrens, d.h. „wenn eine … Strafverfolgungsbehörde nach einzelstaatlichem Recht befugt ist, Informationen über Straftaten oder kriminelle Aktivitäten zu sammeln, zu verarbeiten und zu analysieren, um festzustellen, ob eine konkrete strafbare Handlung begangen wurde oder möglicherweise begangen wird“ (Art. 2c). Spontane Datenübermittlung (also ohne vorherige Anfrage) soll zum Regelfall werden.

Beide Entwürfe sind bestrebt, die Möglichkeiten, eine Datenübermittlung zu verweigern, einzuschränken. Nach dem Willen der Kommission soll eine Verweigerung künftig nur noch erlaubt sein, um „laufende Ermittlungen, eine Informationsquelle (sprich: einen Informanten oder eine V-Person), die körperliche Unversehrtheit einer Person (insbesondere wohl eines Verdeckten Ermittlers) oder die Vertraulichkeit von Informationen“ nicht zu gefährden. Praktisch hieße das: Nur das polizeiliche Interesse an der Geheimhaltung verdeckter Ermittlungsmethoden stünde einer Weitergabe von Daten ins EU-Ausland im Wege. In allen anderen Fällen würde der polizeiliche Datenaustausch in der EU so behandelt, als fände er im nationalen Rahmen statt.

Ganz so weit wie die Kommission will der Rat nicht gehen: Vorerst möchte er es den Polizeien der Mitgliedstaaten noch erlauben, die Weitergabe von Daten auch abzulehnen, wenn sie nicht verhältnismäßig wäre oder wenn das Ersuchen Bagatelldelikte (mit einer Strafandrohung von bis zu einem Jahr Haft) betrifft. Zudem sollen nach den Vorstellungen des Rates jene „Behörden oder Stellen“ kein Zugriffsrecht erhalten, „die sich speziell mit Fragen der nationalen Sicherheit befassen“.

Die Verhandlungen um den Entwurf des Rates stehen vor dem Abschluss. Für den der Kommission haben sie erst begonnen. Sie lässt sich dabei durch eine informelle Arbeitsgruppe von Experten aus den Mitgliedstaaten, von Europol, Eurojust und Interpol beraten.[5]

(Mark Holzberger)

[1]      Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. EG) C 53 v. 3.3.2005, S. 1 ff.
[2]     Aktuelle Fassung: Ratsdok. 15482/05 v. 8.11.2005
[3]     KOM(2005) 490 v. 12.10.2005 = Ratsdok. 13413/05 v. 18.10.2005
[4]     Ratsdok. 15110/05 v. 29.11.2005
[5]     Ratsdok. 13558/1/05 v. 10.11.2005