Beschuldigtenrechte

Während die EU dabei ist, mit schnellen Schritten das Prinzip der „gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen“ umzusetzen, um damit freie Bahn für die Strafverfolgungsbehörden zu schaffen, sieht es um die Rechte der Beschuldigten weiterhin schlecht aus. Im Mai 2004 hatte die Kommission den Vorschlag „für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren“ präsentiert. Nachdem die Diskussion im Rat zeitweise ins Stocken geraten war, versuchen die Mitgliedstaaten nun, die im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Mindestnormen weiter zu verwässern.[1]

Strittig ist zunächst, ob die vorgeschlagenen Rechte für alle strafrechtlichen Verfahren gelten sollen. Finnland will Verfahren wegen leichter Delikte, Großbritannien Militärgerichtsverfahren ausnehmen. Einschränken möchte die Mehrheit der Mitgliedstaaten das Recht eines Verdächtigten, „so rasch als möglich“ einen Rechtsbeistand beiziehen zu können (Art. 2). Nach dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag sollte dieser Beizug möglich sein, noch bevor die verdächtige Person „Fragen in Bezug auf die Anklage beantwortet.“ Dieser Passus ist mittlerweile entfallen. Spanien und Großbritannien möchten auch die Formulierung „so rasch als möglich“ streichen. Sechs Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, wollen keine VerteidigerInnen bei polizeilichen Vernehmungen sehen. Polen will es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie dieses grundlegende Recht in der Praxis anwenden.

Schon in ihrem ursprünglichen Vorschlag hatte die Kommission betont, dass sie nicht die „besonderen Maßnahmen beeinträchtigen“ wolle, die die nationalen Strafprozessordnungen für die „Bekämpfung bestimmter schwerer und komplexer Formen der Kriminalität, insbesondere des Terrorismus“ vorsehen (Erwägungsgrund Nr. 8). Die Strafrechtsarbeitsgruppe des Rates macht in ihrem Teilentwurf vom Dezember 2005 aus dieser allgemeinen Erwägung eine konkrete Bestimmung. Die Mitgliedstaaten sollen in „außergewöhnlichen“ Situationen „für eine begrenzte Zeitspanne“ die Möglichkeit haben, die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes zu verweigern – und zwar u.a., um die „Effizienz der Ermittlungen sicherzustellen“ (Art. 2 Abs. 2). Sieben Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Österreich und Polen, unterstützen diese Formulierung, vier weitere sind da „flexibel“. Frankreich, Spanien, die Niederlande und Malta möchten eine noch offenere Version: Die EU soll die nationalen Einschränkungen des Rechts auf eineN VerteidigerIn „bedingungslos“ akzeptieren. Die praktische Voraussetzung der Folter, die fünftägige Kontaktsperre nach der Festnahme, die das spanische Strafprozessrecht in Terrorismusverfahren vorsieht, wäre damit in europäischen Zement gegossen.

Einschränkungen diskutieren die StrafrechtsexpertInnen des Rates auch hinsichtlich des Rechtes auf kostenlose Übersetzung, auf Benachrichtigung einer Vertrauensperson bei Festnahmen und auf konsularischen Schutz. Frankreich, Malta und die Niederlande möchten die Verpflichtung, verdächtigte Personen über ihre Rechte aufzuklären, entweder ganz streichen oder es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen, wie er verfahren will. Wenn die Ratsarbeitsgruppe so weiter verhandelt, werden am Ende nicht mehr viele Rechte übrig bleiben, über die man Verdächtige und Beschuldigte informieren müsste.

(Heiner Busch)

[1]      Ratsdok. 9318/04 v. 7.5.2004 (ursprünglicher Vorschlag), 15432 v. 6.12.2005 (aktueller Teilentwurf) und 7527/06 v. 27.3.2006 (Positionen der Mitgliedstaaten, bisher nur unter www.statewatch.org/news/2006/mar/eu-counc-procedural-rights-7527-06.pdf)