Verfassungsschutz und Berufsverbot

Am 13. März 2006 wies die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe die Klage des mit hervorragenden Zeugnissen in Theorie und Praxis ausgestatteten Lehrers Michael Csaszkóczy ab. Geklagt hatte Csaszkóczy gegen das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Karlsruhe – Schule und Bildung. Letzteres hatte ihm die Einstellung in den Schuldienst verweigert. Grund: Zweifel an seiner „Verfassungstreue“.

Kramt man etwas im Gedächtnis, lesen sich die Tatbestandsschilderung und die „Entscheidungsgründe“ des Gerichts wie ein einziger Katalog von gestanzten Formeln, die in den 70er Jahren in den Gebetsmühlen der Verfassungsschutzämter und der Behörden, die über BewerberInnen zum öffentlichen Dienst entschieden, einschläfernd gedreht und, abgestanden, erneut gedreht wurden. Im Januar 1972 hatten der auf „mehr Demokratie zu wagen“ erpichte Kanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder den nachmalig berühmten Hamburger Erlass beschlossen. Zum öffentlichen Dienst sollte nur zugelassen werden – so hieß es zunächst –, im öffentlichen Dienst sollte nur belassen bleiben – so die bald schon expandierte Version –, wer die „Gewähr“ bot, dem STAAT und seiner aktuellen Regierung jederzeit kadavergehorsam zu dienen. Dieses Erfordernis wurde durch ein Verfassungsgerichtsurteil von 1975 unterstrichen, das dem Verfassungsgericht selbst die ureigene Basis der Grundrechte entzog und stattdessen einen vorgrundgesetzlichen STAATSboden als Bezugsbasis einzog. Die darauf so genannte Berufsverbotspraxis wurde in der Folge verbreiteten Widerstands aus der kritischen Bevölkerung und wegen ihrer ersichtlichen Unverhältnismäßigkeit nach ca. 10 Jahren aufgegeben. Die „Regelanfrage“ der Einstellungsbehörden bei den zuständigen Ämtern für Verfassungsschutz unterblieb. Von weit über eine Million verfassungsschützerisch durchsiebter BewerberInnen war nicht einmal ein halbes Hundert als potentiell verfassungsfeindlich und abzulehnen hängen geblieben.

Der aktuelle Vorgang in Baden-Württemberg, unterstrichen von einer analogen Reaktion des Landes Hessen, belegt indes, dass die weit verbreitete Annahme, verfassungsschützerische Schnüffeleien im Verhalten der eigenen, meist jungen Bürgerinnen und Bürger geschähen nur ausnahmsweise und allenfalls in vorweg als „sicherheitsempfindlich“ bestimmten Bereichen eine fahrlässige (Selbst-)Täuschung darstellt. Die verfassungsschützerisch wiederholten Leerformelgründe des Verwaltungsgerichtsurteils im Falle Csaszkóczy sind kaum von Interesse. Dem Lehrer werden nur regierungsamtlich und in der nachäffenden Eselei des Verwaltungsgerichts nicht geliebte Gesinnungen und Meinungen nachgesagt. Kein einziger Aspekt eigenen Tuns wird negativ angeführt. Nicht von Interesse ist auch, wenngleich noch skandalöser, dass das Beamtenrecht vor den Grundrechten eines Bürgers rangiert. Und das just bei der Auswahl von Berufsanfängern, die Jugendliche für Grundrechte begeistern sollen.

Von Interesse in Zusammenhang von Bürgerrechten und missratenem Verfassungsschutz ist folgende Tatbestandsfeststellung des gerichteten Gerichts: „Bereits im Sommer 2003 war dem für die Einstellung zuständigen Oberschulamt Karlsruhe vom Innenministerium (also vom Verfassungsschutz, WDN) über das Kultusministerium … mitgeteilt worden, nach vorliegenden Erkenntnissen bewege sich der Kläger seit den 90er Jahren im linksextremen Spektrum …“ Sprich: Entweder ist der Verfassungsschutz von sich aus aktiv geworden oder er ist – ohne faktische Anhaltspunkte – vom Kultusministerium gefragt worden. Er hat seine „Erkenntnisse“ weitergegeben. Der Doppelskandal des Verfassungsschutzes, grundrechtlich ahnungslos wie er ist, feiert also fröhliche Urständ. Der Verfassungsschutz war und ist all die Jahre präsent. Der Skandal ist doppelt. Zum einen, weil dieser institutionalisierte Mehltau der Verfassung die bürgerliche Öffentlichkeit ausspioniert und die Meinungsfreiheit untergräbt. Zum anderen aber tut dieses Dunkelmann- (und zuweilen Dunkelfrau-)Organ so, als handele es mit wahrheitsfähigen „Erkenntnissen“. An diesem Müll können aber nur etatistische Wühlmäuse gegen die Verfassung fraßinteressiert sein.

(Wolf-Dieter Narr)