Literatur

Zum Schwerpunkt

Die kurzen Literaturhinweise zum Thema „Staatsgewalt und Medien“ könnten gut mit einem Hinweis auf die „Polizeidienstvorschrift (PDV) 100“ eingeleitet werden. Aber die PDV und das sie erläuternde „Handbuch für Führung und Einsatz der Polizei“ sind „ausschließlich für den Dienstgebrauch durch die Polizei bestimmt“ und deshalb nicht öffentlich zugänglich. Wäre dem nicht so, so könnten Interessierte nachlesen, dass das Ziel polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit darin besteht, „durch gezieltes Einwirken auf die Öffentlichkeit bzw. auf die öffentliche Meinung polizeiliches Handeln zu unterstützen“. Sie soll „initiativ, aktuell, zielgruppenorientiert und konzeptionell gestaltet werden“; „polizeiliches Verhalten soll transparent gemacht werden, wenn dadurch die Aufgabenerfüllung nicht gefährdet oder unvertretbar erschwert wird“; für die Öffentlichkeit bedeutsame Informationen „sind den Medien möglichst gleichzeitig, im gleichen Umfang und auch ohne gezielte Anfrage bekannt zu geben“; und ausgeschlossen von der Weitergabe werden „wesentliche“ taktische und technisch/organisatorische Maßnahmen und solche Informationen, die Personen oder die „Bewältigung von Aufgaben“ gefährden könnten. Ersichtlich ist an diesen wenigen Zitaten, dass genügend Alternativen vorgegeben sind, um im Ernstfall von Transparenz und umfassender Information abzuweichen.

Bredel, Frank: Polizei und Presse. Rechtsprobleme der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit, Wiesbaden 1997

Nachdem im ersten Kapitel die politisch-staatsrechtliche Stellung der Medien in liberalen Demokratien vorgestellt wird, gilt der Hauptteil des Buches den Rechtsgrundlagen polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit. Zentrale Konfliktfelder werden mit Beispielen illustriert und anhand der gesetzlichen Grundlagen, Richtlinien und Erlasse „gelöst“, was das Buch streckenweise zur Anleitung für die polizeilichen ÖffentlichkeitsarbeiterInnen macht. Das Spektrum der Darstellung reicht von den Rechtsfragen der Akkreditierung über die Reichweite des journalistischen Auskunftsanspruchs und den Komplex „Polizei-Medienarbeit im Einsatzgebiet“ (u.a. zu den Themen Platzverweis, Fotografieren und Recht am eigenen Bild sowie zu einem Exkurs über die Berichterstattung über polizeiliche Übergriffe) bis zur präventiven polizeilichen und zur internen Öffentlichkeitsarbeit sowie einer Reihe von „Sonderproblemen im Spannungsfeld Presse/Polizei“: von der rechtlichen Würdigung der Äußerungen von Polizeibeamten bis zu den „‚Privilegien‘ der Presse im Straßenverkehr“.

Bielstein, Klaus: Polizei und Medien, in: Kniesel, Michael; Kube, Edwin; Murck, Manfred (Hg.): Handbuch für Führungskräfte der Polizei. Wissenschaft und Praxis, Lübeck 1996, S. 1035-1058

Die kurze Darstellung reicht von den Themen „Medien und Demokratie“ über die Arbeit der Pressestellen bis zur Beteiligung an Film- und Fernsehproduktionen, die im Grundsatz befürwortet wird. Im Abschnitt zur „Image-Komponente“ steht der einzige fett herausgehobene Satz des Beitrags: „Gute Abarbeitung der Notrufe, Bürgernähe und gute Medienarbeit ergeben am Ende eine gute Polizei.“!

Pilgram, Arno: Zur Sicherheitsinformation in Österreich. Wie das polizeiliche Definitionsmonopol über die „Innere Sicherheit“ hergestellt wird, in: Kriminalsoziologische Bibliografie 1990, H. 69, S. 3-36

Pilgrams Untersuchung der durch den jährlichen Sicherheitsbericht in Österreich (faktisch vergleichbar mit den Präsentationen der polizeilichen Kriminalstatistik in Deutschland) ausgelösten öffentlichen Resonanz wirft einen Blick auf den (tages-)politischen Aspekt der „Öffentlichkeitsarbeit“ im Sicherheitsbereich. Die durch die Statistiken beförderten Diskurse führten dazu, dass sich in den 80er Jahren die Thematisierung des Sicherheitsbereichs wandelte: An die Stelle von mangelnder Transparenz und Kontrolle der Sicherheitsbürokratie trat die Forderung nach größerer technokratischer Effizienz der Apparate. Dieser Effekt könne auf Dauer nur überwunden werden, wenn die nahezu exklusive Verfügbarkeit der Exekutive über „Sicherheitsinformationen“ beseitigt würde.

Messer, Bernhard: Meinungsbildung durch Kommunikationsmanagement, in: Die Polizei 2001, H. 11, S. 322-325

Derselbe: Professionelle Konfliktkommunikation bei Einsätzen aus besonderen Anlässen – dargestellt an Beispielen von Masseningewahrsamnahmen bei rechter Ausgangs- und linker Gegendemonstration, in: Die Polizei 2003, H. 6, S. 163-166

Der Autor, Journalist, Medientrainer und PR-Berater, stellt in diesen Beiträgen die Grundregeln einer an den Funktionsweisen der Massenmedien orientierten polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit vor. Die drei zentralen Empfehlungen für ein „effektives Kommunikationskonzept“ lauten: „die Themen früh besetzen“, „mit klaren Kernbotschaften arbeiten“ und „kontinuierlich Anlässe schaffen, um die Botschaften zu kommunizieren“. Hinsichtlich des Vorgehens bei herausgehobenen Polizeieinsätzen (etwa Demonstrationen) hebt Messer die Bedeutung mobiler polizeilicher Presseteams hervor. Sie erlaubten nicht nur dem Pressesprecher aktuell über die Lage vor Ort informiert zu sein, sondern ihre Meldungen seien auch „für den Führungsstab und den Polizeiführer“ nützlich. Im Beitrag von 2003 beschreibt der Autor die Umsetzung einer offensiven polizeilichen Kommunikationsstrategie am Beispiel von Demonstrationen in Dortmund.

Mawby, Rob C.: Visibility, Tranparency and Police-Media Relations, in: Policing & Society 1999, No. 3, pp. 263-286

Mawby hat die Professionalisierung der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit in England und Wales in den 90er Jahren untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die von vielen diagnostizierte bzw. befürchtete Dominanz der Polizei gegenüber den Medien durchaus nicht vollständig ist, weil die Logik des Mediensystems nicht vollständig von der Polizei erfasst werden könnte. Interessant sind die drei Entwicklungsoptionen, die Mawby am Ende vorstellt: Wenig Chancen gibt er einer Rückkehr zur „no comment“-Strategie vergangener Jahre, am realistischsten sei wohl, dass die Professionalisierung polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit fortgesetzt werde; aus Gründen der demokratischen Verantwortlichkeit plädiert er für eine Strategie, die Polizeiarbeit nicht nur anlassbezogen, sondern generell für Medien und Öffentlichkeit transparent macht.

Werkentin, Falco: Der Kampf um Bilder. Oder: Warum prügeln Polizisten JournalistInnen?, in: vorgänge 1988, H. 6 (96), S. 1-5

Aus Anlass aktueller Misshandlungen von Journalisten durch die Polizeien in Ost- (!) und Westberlin wirft dieser Artikel nicht nur ein Licht zurück auf die aggressiven Strategien, mit denen Teile der politischen und der polizeilichen Führung versuchten, die Straße zu befrieden. Er identifiziert auch die Motive, die immer wieder zu Übergriffen – vor allem – auf Fotografen und Kameraleute führen: Notfalls mit extralegaler Gewalt sollen Berichte und Bilder verhindert werden, die geeignet sind, Ruhe und Ordnung und das Ansehen der Ordnungshüter in der Öffentlichkeit zu beschädigen.

Brüchert, Oliver: Autoritäres Programm in aufklärerischer Absicht. Wie Journalisten Kriminalität sehen, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2005, 248 S., EUR 24,90

Explizit will diese kriminalsoziologische Untersuchung die Beschreibung der „Medien als Verstärkerkreislauf von übertriebener Kriminalitätswahrnehmung und daraus folgender Repression … nicht noch einmal durchexerzieren“. Stattdessen geht es Brüchert darum, die Bedeutung der Medien für die Stabilisierung staatlich-gesellschaftlicher Herrschafts­verhältnisse genauer zu bestimmen. Die qualitative Analyse fußt auf der Auswertung von Printmedien, Radio und Fernsehen sowie auf Interviews mit JournalistInnen; sowohl die Inhalte der Berichterstattung als auch die Produktionsbedingungen in den Medien sind der engere Untersuchungsgegenstand. Im Hinblick auf ihre thematische „Botschaft“ der Kriminalitätsberichterstattung kommt Brüchert zu dem Ergebnis, dass deren Bedeutung vor allem in der Bestätigung der gesellschaftlichen Ordnung und der Alltagsmoral besteht. Auch die Ursache von „öffentlicher Straflust“ wird in der massenmedialen Bestätigung bekannter Ordnungsmuster ausgemacht. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Selbstbilder von JournalistInnen räumt der Autor mit einer Reihe von Mythen über „Polizeireporter“ auf (s. auch den Beitrag in diesem Heft). Auch wenn Brüchert am Ende einen kurzen Ausblick wagt, sein Fazit bleibt ernüchternd: Selbst kritische Berichterstattung würde notwendigerweise zur Entpolitisierung beitragen. Denn: „Die anti-aufklärerische Tendenz der Medienberichterstattung zu Kriminalitätsthemen ist keine Frage von kritischen oder aufklärerischen Haltungen, sondern ergibt sich aus der warenförmigen Produktion.

IG Medien, Fachgruppe Journalismus (dju): Hände weg von den Medien, Teil 1: http://dju.verdi.de/service/publikationen/haende_weg/data/Haende_weg_ Faelle_Teil_1.pdf, Teil 2: Stuttgart 1998

Diese von 1992 bis 1997 reichende Fallsammlung listet in knapper Form Durchsuchungen von Redaktionsräumen und Privatwohnungen sowie Misshandlungen von JournalistInnen auf. Allein für die ersten beiden Jahre werden neun körperliche Angriffe auf MedienvertreterInnen und acht Drohungen gegenüber JournalistInnen oder Versuche der Polizei, Berichterstattung zu verhindern, genannt. In den sechs Jahren fanden 46 Durchsuchungen von Redaktionen oder Wohnungen von JournalistInnen und/oder die Beschlagnahme von Medienmaterial statt.

(sämtlich: Norbert Pütter)

Dietl, Wilhelm: Deckname Dali. Ein BND-Agent packt aus, Frankfurt/M. (Eichborn Verlag) 2007, 228 S., EUR 19,90

Als 2006 die Journalistenbespitzelung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) aufflog und die Affäre in der Folge zu einem Untersuchungsausschuss des Bundestages führte, geriet Wilhelm Dietl nicht nur mit in diesen Strudel, sondern auch noch in den Ruch, selbst für den BND tätig zu sein. Was viele Fachkollegen bereits länger ahnten, ist nun Gewissheit. Für die „mutwillige Enttarnung durch den ehemaligen Dienstherrn“ hat er sich jetzt gerächt. Dabei unterscheidet Dietl streng zwischen einem geheimen Auslandsnachrichtendienst alter Prägung und der Stümperei des neuen BND, an dem mittlerweile „mehrere Präsidenten und Leitungsstäbe herumexperimentiert“ haben und der sich folglich in „beinahe schon aufdringlicher Öffentlichkeitsarbeit“ präsentiert.

Ein Mann ist ein Mann und sein Wort ist ein Wort; ein Puff ist ein Puff und auch mit den Großkopferten streng muslimischer Länder lässt sich hinter verschlossenen Türen munter saufen. Es muss schön gewesen sein, für den „alten“ Bundesnachrichtendienst zu arbeiten. Die Jahre 1982 bis 1993 mag Dietl weder leugnen noch missen. Da waren alle noch Kumpels und zudem in der Aufklärung richtig erfolgreich. Ergo braucht Dietl auch nur knapp 30 Seiten bis ihm das glückspendende Wir-Gefühl in die Zeilen fließt. Dann allerdings wird er böse. Hatte er es bei seiner förmlichen Abschaltung 1993 noch abgelehnt, die obligate Schweigeverpflichtung zu unterschreiben, weil das doch selbstverständlich war, so fühlt er sich heute nicht mehr daran gebunden und hat nun eben dieses Druckwerk vorgelegt; Fortsetzungen sind angedroht. Denn auch danach hat Dietl gelegentlich Jobs für den BND mit erledigt. Wirklich fundamental Neues über den BND erfährt man in seinem Buch nicht. Eher über die Person des Autors: Zum einen hat hier ein Egomane geglaubt, an der Macht zu nagen, und fühlt sich jetzt bitter enttäuscht und missachtet. Zum zweiten hat Dietl die moralisch-ethischen Anstandsregeln des Journalismus bewusst und freudig überschritten.

(Otto Diederichs)

Aus dem Netz

http://de.indymedia.org

„Indymedia“, so lautet die Selbstbeschreibung auf der Startseite, „ist eine weltweite Plattform unabhängiger Medienorganisationen und hunderter JournalistInnen, die eigenverantwortlich nicht hierarchische, nicht kommerzielle Berichterstattung betreiben“. Das auch unter der Abkürzung IMC (= „Independent Media Center“) bekannte Projekt entstand im Kontext der Proteste gegen den WTO-Gipfel in Seattle. Die internationalen Seiten sind unter der Adresse „www.indymedia.org“ zugänglich. Indymedia versteht sich als ein Korrektiv zum etablierten Journalismus, indem es die Zweiteilung in MedienmacherInnen und MedienkonsumentInnen aufheben will. Jede und jeder ist eingeladen, Texte, Fotos, Videos zu verfassen und auf Indymedia zu veröffentlichen. Demgemäß schwanken Umfang und journalistische Qualität der Beiträge erheblich. Dass die Gewohnheiten der etablierten Medien verlassen werden, ist integrierter Teil des Indymediakonzepts; dass mitunter die Qualität darunter leidet, wird bewusst in Kauf genommen. Die eingehenden Dokumente werden von „Moderationskollektiven“ gegengelesen, sprachliche Fehler werden korrigiert, gegebenenfalls mit weiteren Hinweisen und Links versehen und den verschiedenen Rubriken der Homepage zugewiesen. Ausgeschlossen von der Veröffentlichung sind Beiträge mit sexistischen, rassistischen, antisemitischen und/oder faschistischen Inhalten.

Grafisch ist die Startseite in drei Spalten gegliedert. Rechts außen finden sich nach Kalendertagen sortierte Nachrichten, in der Mitte sind „Aufmacher“ platziert und in der linken Spalte sind die derzeit 18 inhaltliche „Rubriken“ zugänglich, sowie aktuelle Themen, das Archiv und verschiedene Link-Listen. Wie nicht anders zu erwarten, ist ein solches Projekt eine einzigartige Fundgrube. Wer z.B. gegenwärtig unter „Aktuell“ den Schwerpunkt „G8 Heiligendamm“ aufruft, kann sich nicht nur durch Texte, sondern auch durch Videos über die Demos und die polizeilichen Maßnahmen informieren. Die gebotenen Materialien sind eine wichtige Alternative zu den von anderen Medien verbreiteten Informationen. Insofern wohnt Indymedia ein emanzipatives Potential inne. Dessen Nutzung kann nur dringend empfohlen werden.

(Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Schaar, Peter: „Das Ende der Privatsphäre“, München (C. Bertelsmann) 2007, 256 S., EUR 14,95

Ein interessanter Autor: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, kann auf vier äußerst frustrierende Amtsjahre zurückblicken. Aus der Sicht des Datenschutzes reihte sich in dieser Zeit der „Anti-Terror“-Gesetze eine politische Katastrophe an die nächste. Selbst in der Bevölkerung verlor das Anliegen Schaars, die Privatsphäre der BürgerInnen vor dem ungehinderten Zugriff des Staates zu schützen, dramatisch an Rückhalt – angesichts der dauerpräsent gehaltenen Terror- und sonstigen Gefahren. Und Peter Schaar war außer zu regelmäßigem „Mahnen“ in seiner gesamten Amtszeit zu kaum etwas befugt. Wie geht einer mit solch einer verflixten Lage um? Weiter insistieren, die Kritik radikalisieren, oder schlicht resignieren?

Schaar hat ein Buch geschrieben, das Aufschluss geben könnte. Die von ihm gewählte Überschrift „Das Ende der Privatsphäre“ zeigt zunächst, dass in diesen Zeiten auch dem eloquentesten Mahner irgendwann die Superlative ausgehen können. Mit derselben Überschrift machte der „Spiegel“ im Jahr 1999 auf. Was kann nach dem „Ende“ eigentlich noch kommen? Wer aufgrund des Buchtitels eine radikale Kritik erwartet, wird von Schaar verblüfft. Der Autor unterzieht zahlreiche Maßnahmen der Politik wie auch der Wirtschaft einer Analyse, so dass das Buch eine kleine, praktische Datenschutz-Enzyklopädie abgibt. Die Analyse ist aber alles andere als kritisch. Mal bemängelt der Autor, dass die bestehenden Gesetze nicht konsequent genug angewandt würden (z.B. S. 113), mal beruft er sich mit reinen Autoritäts-Argumenten auf das Bundesverfassungsgericht, etwa wenn er beklagt, die Politik habe „die Kernbotschaft des Bundesverfassungsgerichts“ aus dem Volkszählungs-Urteil von 1983 „grob missverstanden“ (S. 104), also: nicht brav genug befolgt. Bundesverfassungsgericht gut, Politik böse. Mit einer solchen Argumentation macht man sich natürlich hilflos, wenn das Gericht wieder einmal, wie schon oft, einen von bürgerrechtlicher Seite kritisierten Grundrechtseingriff billigt.

Schaar weist zu Recht auf das Problem der „Verrechtlichungsfalle“ für den Datenschutz hin. Nach dem Volkszählungsurteil explodierte der Umfang gesetzlicher Datenschutzregeln geradezu. Die Diskussion verschob sich damit allerdings weg von der ursprünglichen Frage „Ist eine bestimmte Datenerhebung politisch kritikwürdig?“ hin zur wesentlich unkritischeren Frage „Gibt es positivrechtliche Einwände?“

Zum Schluss seines Buches skizziert Schaar seine Vorstellung von einer politischen Gegenstrategie zur gegenwärtigen Überwachungspolitik. Eine neue „Ethik der Informationsgesellschaft“ müsse her. In Ruhe gelesen verbirgt sich dahinter jedoch nicht mehr als die Forderung nach einer „Modernisierung des Datenschutzrechts“. Das geltende Recht müsse „übersichtlicher“ gestaltet werden. Auch sollten „neue Mechanismen installiert werden, um die bestehenden Vollzugsdefizite zu beseitigen und auch künftig Datenschutz zu gewährleisten“. Kurz: Datenschutzbehörden in Deutschland bräuchten mehr Mittel. Dann sei die Entwicklung hin zur „Überwachungsgesellschaft“ noch aufzuhalten oder sogar, wie Schaar tatsächlich schreibt, umzukehren.

(Ron Steinke)

Henry, Alistair; Smith, David G. (Hg.): Transformations of Policing, Aldershot (Ashgate) 2007, 321 S., EUR 78,–

„Looking back to looking forward“, so hätte der hier vorliegende Band im Untertitel treffend bezeichnet werden können, beinhalten seine 12 Kapitel doch sowohl eine Rückschau auf rund 25 Jahre Polizei in Großbritannien und einen Ausblick, der – in Teilen – ebensoweit in die Zukunft greifen zu können beansprucht. Der Band betrachtet zum einen die „striking transformations of policing that have been taking place since 1983“ (S. xi). 1983 war die Studie „Police and People in London (PPL)“ erschienen, die zum Ziel hatte, umfassend „the relations between the Metropolitan Police and the community it serves“ zu untersuchen, nachdem die afro-karibische Bevölkerung Londons durch eine unerwartet hohe Kriminalitätsräte aufgefallen war. Der Report verwies auf den polizeilichen Alltag, der sich aus Rassismus, sexistischem Verhalten, Korruption und Alkohol im Dienst speiste. Alistair Henry zeichnet zunächst die Geschichte der PPL-Studie nach, wendet sich im 4. Kapitel (S. 79-111) dem aktuellen institutionalisierten Rassismus im Polizeiapparat zu und konstatiert das weitgehende Scheitern der Integration von „ethnic minorities“: lediglich 3,3 Prozent arbeiten derzeit bei der Met (S. 93).

Auch Les Johnston betrachtet das Jahr 1983 als „something of a watershed“ (S. 29), doch diesmal mit Blick auf die Privatisierung von Polizeiarbeit. Die Einführung von Effizienzkriterien („value for money“) in betriebswirtschaftlicher Logik auch bei der Polizei und insgesamt eine Privatisierungsmentalität sei in das offizielle (Nach)Denken über britische Polizeiarbeit „gesickert“ (ebd.). Drei Aspekte hebt Johnston hervor: Zum einen teilten sich Staat und Privatwirtschaft umfassend die Verantwortung für die Kontrolle der Alltagswelt. Drittens sind – nachdem, zweitens, zunächst Sicherheitsaufgaben in privatwirtschaftliche Bereiche delegiert wurden, die zuvor nichts mit Sicherheit zu tun hatten – zunehmend Privatunternehmen dazu übergegangen, sich aus dem Kuchen des Sicherheitsmarktes selber Stücke herauszuschneiden.

James Sheptycki widmet sich der im Jahre 2004 gegründeten Serious and Organized Crime Agency (SOCA), die aus vier, schon zuvor bestehenden Behörden in Reaktion auf die vermeintlich steigende Transnationalisierung Organisierter Kriminalität gebildet wurde, tatsächlich aber als immanenter Bestandteil einer neuen Europäischen Polizeiarchitektur („Getting inside the machine“) zu verstehen sei (S. 55-57). Technokratische Experten („technocops”, S. 58) dominieren die (transnationale) Polizeiarbeit – und Sheptycki zeigt anhand dreier Dichotomien („high versus low policing“, „easy versus hard cases“, „traditional and new understanding of what constitutes organized crime“, S. 59-62) mit welchen Folgen.

P.A.J. Waddington (S. 113-141) zeichnet die Aufrechterhaltung dessen nach, was den britischen Regierungen jeweils als „Public Order“ galt und dass „disorder is politically perceived and diagnosed is crucial to how public order policing develops“ (S. 113). Er zeigt, dass Disorder und die entsprechenden militanten Auseinandersetzungen dabei so unterschiedliche Phänomene umfassen konnten (und umfassten) wie die Auseinandersetzungen zwischen Mods und Rockern in den 1960er Jahren, die Raves der 80er und 90er Jahre bis zu Fußballfans. Unter Protest subsumiert Waddington die Friedens- und Anti-Kriegsbewegung, die Tierschützer- und, allgemeiner, die Umweltschutzbewegung sowie die Tax Poll-Auseinandersetzungen im März 1990 („the most serious eruption of disorder in central London since ‘Bloody Sunday’ in 1887“ (S. 116) und schließlich den Streik der Minenarbeiter von 1984/85. Bedeutsamer als solche „fortschrittlichen“ Disorder-Phänomene seien jedoch neofaschistische und rassistische Auseinandersetzungen gewesen. Waddington verdeutlicht anhand des Aufbaus spezieller Riot police-Einheiten, der Polizeibewaffnung insgesamt sowie an der stets nachholenden Gesetzgebung (etwa Public Order Law Reform von 1986) den jeweiligen Zeitverzug des Staates bei seinen Reaktionen auf Disorder-Phänomene.

Die Beiträge von Adam Crawford (S. 143-168), Tim Newburn (S. 225-248) und Clifford Shearing (S. 249-272) greifen aktuelle kriminologische Kontroversen auf: „In an attempt to ‘paint the town blue’“, wie Crawford (S. 152) eine zentrale Tendenz beschreibt, wird Polizeiarbeit nicht nur marktförmiger organisiert, sondern die Polizei selbst bringt sich „in direct competition with other providers“ (ebd.), während gleichzeitig eine „fragmentation of sovereignity“ (Shearing, S. 262) konstatiert wird, die staatszentrierte Analysen nach „Westphalian frameworks“ (S. 267) obsolet mache. Pluralisierung im Sicherheitsbereich bei gleichzeitiger Zentralisierung nationalstaatlicher Kontroll- und Strafverfolgungsinstitutionen sind – wie Newburn (S. 235 ff.) zeigt – weitgehend unumstrittene Trends, nicht nur für die britische Politik Innerer Sicherheit. Über Großbritannien hinausweisende Entwicklungen sind der Verlust von Rechten für Verdächtige und die permanente Kriminalisierung mit transnationaler Perspektive (S. 238 ff.). Der vorliegende Band darf sich in diesem Sinne auch als – mehr als lesenswerte – Aufforderung an Forscherkollegen in anderen Ländern verstehen.

(Volker Eick)

Soukup, Uwe: Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967, Berlin (Verlag 1900 Berlin) 2007, 272 S., EUR 19,90

So akribisch wie Uwe Soukup hat noch keiner die Ereignisse um den Schah-Besuch in Berlin am 2. Juni 1967, die damit verbundenen Demonstrationen und den tödlichen Schuss des Staatsschutzbeamten Karl-Heinz Kurras auf den Studenten Benno Ohnesorg untersucht. Viele der dabei zutage geförderten Details der Polizeieinsätze am Rathaus Schöneberg und vor der Deutschen Oper waren so bisher unbekannt. Sie zeichnen ein eindrucksvolles Bild von der damaligen Mentalität der Berliner Polizei. Und auf den ersten Blick ist man geneigt, der These des Autors zu folgen, dass es innerhalb des Innensenates und der Polizeiführung Männer gegeben hat, die genau diese harte Konfrontation mit den rebellischen Studenten wollten, ja, sie regelrecht provozierten. Solche Strippenzieher, allen voran der unselige Senatsrat Hans-Joachim Prill, mag es gegeben haben; dafür spricht allein schon die über Stunden verbreitete Falschmeldung, ein Polizist sei erstochen worden. Allerdings weiß Soukup erkennbar wenig über (auch falsche) Polizeitaktik und unterschätzt dabei in der Folge die Eigendynamik eskalierender Einsätze. Insbesondere bei einer Polizei, die damals immer noch halbmilitärisch ausgebildet wurde, keinerlei Erfahrungen mit derartigen Situationen hatte und dafür zudem unzureichend ausgerüstet war. Etwas ins Hintertreffen geraten ihm auch die drei Prozesse gegen den Todesschützen Kurras, die jeweils mit Freisprüchen endeten. Letztlich richtig ist jedoch Soukups Schlussfolgerung, dass der 2. Juni 1967 die gesamte Bundesrepublik veränderte.

In einem zweiten Teil zeichnet der Autor die politische Stimmung in der (regierenden) Berliner SPD – vor und nach dem Desaster an der Deutschen Oper – nach. Und hier glaubt man ihm das Komplott gegen den Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz, das letztlich zu dessen Rücktritt führte, schon eher. Zumal wenn man die damaligen Fallensteller und Heckenschützen aus späteren Zeiten kennt. Trotz einiger Fehlschlüsse ist Soukups Buch über den 2. Juni 1967 insgesamt jedoch ein lesenwertes Buch und sei hiermit empfohlen.

Ertel, Peter: Polizeimajor Karl Heinrich, NS-Gegner und Antikommunist. Eine biographische Skizze, Berlin (Jaron Verlag) 2007, 112 S., EUR 8,90

In der Polizei der Weimarer Republik sozialisiert, war Karl Heinrich als Major der Berliner Schutzpolizei ab 1929 für die Durchsetzung der Bannmeile um den Reichstag zuständig. Dies tat der rechte Sozialdemokrat dann nach rechts wie links so gründlich, dass ihn Goebbels nur als „Knüppelheinrich“ titulierte. Ein Schmähname, den er nie wieder losgeworden ist. Als er sich nach der Machtergreifung der Nazis auch noch am Aufbau einer Widerstandsorganisation beteiligte, war der Weg in Zuchthaus und Straflager nicht weit. Nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus ernannten ihn die siegreichen Russen im Juni 1945 zunächst zum Kommandeur der Schutzpolizei. Knapp drei Monate später wurde der unbequeme Heinrich erneut wegen „konterrevolutionärer Verbrechen“ im Speziallager 3 in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert, wo er im November des gleichen Jahres starb und spurlos verschwand. Über Karl Heinrich liegt trotz dieser Lebensskizze des Historikers Peter Erler noch vieles im Dunkeln, obwohl bereits die zusammengetragenen Quellenangaben zeigen, dass hier wohl mehr möglich gewesen wäre. Aber immerhin ein erster Schritt ist getan. Leicht daneben liegt allerdings das Nachwort des heutigen Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch, wenn er meint, Polizisten wie Karl Heinrich seien für heutige PolizeibeamtInnen „von zeitloser Bedeutung“. Kaum jemand kennt ihn heute noch und im Vergleich zur Weimarer Republik hat sich doch (hoffentlich) seither einiges getan.

Bröhl, Peter: Wasserschutzpolizei in drei Zeitepochen. Zur Geschichte der Wasserschutzpolizei auf dem Rhein von 1920 bis 1953, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2006, 587 S., EUR 59,–

Ein Buch über die Geschichte der größten deutschen Wasserschutzpolizeiorganisation (WSP) von der Entstehung in der Weimarer Republik über den Funktionswandel im Nazi-Deutschland bis zur Neuorganisation durch die Alliierten im Nachkriegsdeutschland. Das könnte interessant und vielleicht sogar spannend sein. Und ist es auch immer da, wo aus alten Organisationserlassen, Einsatzbefehlen und -berichten zitiert wird. Leider jedoch ist Peter Bröhl, von 1977 bis 1989 selbst Leiter des WSP-Kommissariats in Köln, derartig in sein Thema vernarrt, dass er sein Steckenpferd immer wieder in das sperrige Gesträuch unwichtiger Details führt, wo es zwangsläufig straucheln muss. Man kann sicher sein: Hätte sich in irgendeinem alten Papierkorb noch eine Medikamentenschachtel finden lassen, man erführe auch, wann ein Beamter Zahnschmerzen hatte – möglicherweise sogar welcher. Das macht die Lektüre unendlich zäh und da hilft es auch wenig, gleich seitenweise zu überblättern. Schade.

Schulze, Dieter: Das Große Buch der Deutschen Volkspolizei. Geschichten – Aufgaben – Uniformen, Berlin (Verlag Das Neue Berlin) 2006, 256 S., EUR 19,90

Der ehemalige Volkspolizist und heutige Dozent für Kriminalwissenschaften an der sächsischen Polizeihochschule, Dieter Schulze, beginnt sein Buch mit dem Befehl des russischen Militärkommandanten Bersarin zur Aufstellung einer neuen Stadtpolizei in der damaligen sowjetischen Besatzungszone vom Mai 1945, mit der Stunde Null. Doch gleich vom Start an galoppiert der Autor in scharfem Parforce-Ritt durch die Geschichte der Deutschen Volkspolizei (DVP) bis zu ihrer Auflösung im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Dass man bei solchem Tempo links und rechts des Weges außer verzerrten Wahrnehmungen kaum etwas sieht, liegt in der Natur der Sache. Herausgekommen ist somit ein üppig mit Illustrationen und zeitgenössischen Fotos garniertes Bilderbuch in das dümmliche, nichtssagende Texte eingestreut wurden, deren Länge selten über eine Seite hinausgeht: Erkenntnisgewinn gleich Null. Wenn dieses Buch überhaupt eine Existenzberechtigung hat, dann zweifellos nur durch seine reichhaltigen Abbildungen.

Wagner, Armin; Uhl, Matthias: BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, Berlin (Christoph Links Verlag) 2007, 295 S., EUR 24,90

Fast zwei Jahrzehnte hat es gedauert, bis sich der Bundesnachrichtendienst (BND) schließlich doch von alten Aktenbeständen trennte, die eine bereits 1983 eigens hierfür eingerichtete Arbeitsgruppe ausgemustert hatte. Weitgehend unbemerkt wurden diese ab 2002 schrittweise – und keineswegs vollständig – an das Bundesarchiv in Koblenz abgegeben. Überwiegend handelt es sich dabei um Material aus den ganz frühen Tagen, als der BND noch „Organisation Gehlen“ hieß, sowie um Unterlagen aus dem Schlapphutkrieg mit der Stasi und den sowjetischen Militärgeheimdiensten. Der Kalte Krieg wurde bekanntlich – wenn schon nicht vom BND – so doch immerhin vom Westen gewonnen. Von solcher finished intelligence kann man sich also trennen und damit zusätzlich sogar versuchen, noch etwas Politur auf den eigenen Beitrag am großen Ringen der Systeme zu reiben. Wie auch immer, nun sind sie also der Forschung zugänglich und konnten mit den Dokumenten der Stasi-Unterlagenbe­hörde und anderer Archive abgeglichen werden. Das haben die Autoren, zwei Militärhistoriker, akribisch getan. Da es dabei naturgemäß detailliert um Armeen, ihre technische Ausrüstung, Strategien und Aufmarschräume geht, ist das Buch für viele eher uninteressant. Auch kann man der These, wonach der BND über den Gegner im Osten stets überraschend gut informiert war, nicht immer so recht folgen. Was nützt es beispielsweise, wenn der BND nach dem DDR-Volks­aufstand vom 17. Juni 1953 zwar genau nachvollziehen konnte, welcher russische Panzer wann wo stand, nachdem die Agentenberichte mit dreiwöchiger Verspätung wieder in Pullach eingingen – man beim eigentlichen Ereignis jedoch blind und taub war. Dennoch ist das Buch von Wagner/Uhl ein wichtiger Mosaikstein im Bild des deutschen Auslandsgeheimdienstes – eben weil es so wenige gibt.

(sämtlich: Otto Diederichs)