von Martin Beck
Neue Zeiten brechen an für die bundesdeutschen Geheimdienste. So soll bis zum Jahresende 2009 der Umbau des Bundesnachrichtendienstes (BND) abgeschlossen sein. Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln durchlebt eine Phase der Reorganisation, die ebenfalls bis 2009 umgesetzt sein soll.
Von „radikalem Umbau“ oder „Modernisierung“ ist bei der Reform der beiden Dienste die Rede: Strukturen sollen verschlankt, Reibungsverluste minimiert und ihre „Servicefunktion“ in den Vordergrund gestellt werden. Nur in einem Punkt bleibt alles beim Alten: Informationen über die Veränderungen in Aufbau und Struktur der Dienste gibt es kaum. Ihr Umbau geht also so vonstatten, wie es sich für geheim arbeitende Behörden – zumal in Deutschland – gehört: verdeckt und verborgen.
Die Bundesregierung, das Bundeskanzleramt bzw. das Bundesinnenministerium zeigen sich zugeknöpft, wenn es darum geht, Einzelheiten der Reformvorhaben öffentlich zu machen. Entsprechende Anfragen werden abgeblockt – selbst vonseiten des Parlaments. Was bislang über die Umbaumaßnahmen und Organisationsveränderungen des Inlands- bzw. Auslandsgeheimdienstes bekannt geworden ist, konnte man vor allem der Presse entnehmen.
Die Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vollzieht sich vergleichsweise geräuschlos. Unter Leitung des Sicherheitsstaatssekretärs August Hanning, der für den Verfassungsschutz (VS) zuständig ist und zuletzt den Umbau der Bundespolizei vorbereitet hat, soll – wie es offiziell heißt – das Kölner Bundesamt „an die aktuellen Herausforderungen“ angepasst werden.
Vorschläge hierzu erarbeitet eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe, die BfV-Präsident Heinz Fromm zur Seite gestellt ist. Ihr Name: „Fortentwicklung der Arbeit des Verfassungsschutzes“. Die bei Innenstaatssekretär Hanning angesiedelte Arbeitsgruppe leitet der frühere Präsident des Technischen Hilfswerks, Georg Thiel.
Der seit 2006 als stellvertretender Leiter der Abteilung O (Verwaltungsmodernisierung/Verwaltungsorganisation) im Bundesinnenministerium tätige Thiel gilt dort als „sehr energischer Mitarbeiter“.[1] In Köln dagegen ist sein Ruf weniger gut. Modernisierer, die Routineabläufe in Frage stellen und eingefahrene Strukturen aufbrechen wollen, sind in keiner Behörde – und der Verfassungsschutz ist eben auch das – wohlgelitten. Hier soll von dem Arbeitsgruppenleiter nur als von dem „gnadenlosen Ministerialdirigenten“ gesprochen werden. Erst nachdem ein Gesamtumzug des BfV von Köln nach Berlin ausgeschlossen wurde, sollen sich die Atmosphäre verbessert und die behördeninternen Vorbehalte und Proteste verringert haben.[2]
Effizienzreserven im Blick
Ganz ohne räumliche Veränderung geht es dann aber doch nicht. So soll die Abteilung 6 (Islamismus und islamistischer Terrorismus) mit ihren rund 250 Beschäftigten bis spätestens 2009 von Köln-Chorweiler nach Berlin verlegt werden.[3] Der Umzug folgt der Generallinie der Reform, mit der die „operative Leistungsfähigkeit“ des BfV „deutlich“ erhöht werden soll.[4] Ziel ist es – wie es heutzutage im Managerdeutsch heißt – „Effizienzreserven“ freizusetzen.[5]
Geplant ist die Auslagerung von administrativen Aufgaben an das Bundesverwaltungsamt. Dadurch soll zukünftig mehr Personal für operative Aufgaben zur Verfügung stehen, etwa im Bereich Telefonüberwachung, Observation oder dem Anwerben von V-Leuten. Die Arbeitsgruppe unter der Leitung Thiels plädiert für eine „Fokussierung auf die Kernaufgabe“. So sollen Kapazitäten für die verstärkte Beobachtung der islamistischen Szene freigesetzt werden. Angeblich werden gegenwärtig intern die mehr als 200 „Beobachtungsobjekte“ auf ihre aktuelle Relevanz überprüft. Die Reformertruppe um Thiel hat sogar vorgeschlagen, die Beobachtung nicht-gewalttätiger linker und rechter Gruppen etwa an die Bundeszentrale für politische Bildung abzugeben. Doch dieser Vorschlag sei „umstritten“.[6]
Der Bundesrechnungshof geht davon aus, dass bis zu 1.000 der insgesamt 2.600 Beschäftigten von BfV und Landesämtern anders eingesetzt werden könnten. In einem Bericht aus dem letzten Jahr bescheinigte er dem Verfassungsschutz, ineffizient, unkoordiniert und auf sich selbst bezogen zu arbeiten.[7] Mit seinem Vorschlag, die inländische Geheimdienstarbeit auf Bundesebene zu konzentrieren, kommt der Bundesrechnungshof allerdings noch zu früh. Eine Unterordnung der Landesämter für Verfassungsschutz unter das Bundesamt, ein Vorschlag, der bereits von Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) gemacht wurde, sieht das Bundesinnenministerium gegenwärtig nicht vor – zu groß sind hierfür noch die Widerstände in den Ländern und der SPD.
Weniger Widerstand gab es auf einem anderen Feld, auch wenn hier zum x-ten Mal am Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst Leichenfledderei betrieben wurde: Ende 2007 sind im Bundesinnenministerium die verzweigten Zuständigkeiten des Ministeriums als aufsichtsführende Behörde für den Inlandsgeheimdienst und das Bundeskriminalamt (BKA) neu geordnet worden. Seitdem sind die Abteilungen „Innere Sicherheit“ und „Polizeiangelegenheiten und Terrorismusbekämpfung“ zur Großabteilung „Öffentliche Sicherheit“ verschmolzen. Die bislang getrennte Fachaufsicht für das BKA und das BfV wurde mit dem erklärten Ziel zusammengelegt, die „Terrorismusbekämpfung“ „homogener“ zu gestalten.[8]
Zentrales Kompetenzzentrum
Um zum „zentralen Inlands-Nachrichtendienst-Kompetenzzentrum“ zu werden, wie es die Arbeitsgruppe um Thiel als Zielvorgabe für das BfV ausgegeben hat, soll gleichwohl die Rolle des Bundesamts im föderalen Rahmen gestärkt werden. Zuständigkeiten sollen klarer zugeordnet und der datentechnische Austausch und die Erhebung von Informationen verbessert werden. Allerdings hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Ausbau des neuen Computersystems der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern „NADIS neu“ wegen „erheblicher Risiken“ bei der Auftragsvergabe im April 2008 vorerst gestoppt.[9] Für die Entwicklung des Nachfolgesystems des aus den 70er Jahren stammenden heutigen NADIS reichten die bereitgestellten elf Millionen Euro nicht aus, so die Begründung. Bevor „NADIS neu“ an den Start geht, das nicht nur den gemeinsamen Zugriff auf gesammelte Daten, sondern auch dazugehörige Fotos und Protokolle verwalten sollte, wird nun das bestehende System in Köln ausgeweitet.[10]
Doch nicht nur strukturell wird das BfV modernisiert. Auch die gesetzliche Grundlage seiner Arbeit soll nach den Maßgaben der „Sicherheitspolitik“ nach dem 11. September 2001 auf den neuesten Stand gebracht werden. Viel ist über die Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes nicht bekannt. Doch anscheinend will Wolfgang Schäuble nach dem BKA-Gesetz auch in das Bundesverfassungsschutzgesetz die Befugnis des Großen Spähangriffs aufnehmen, also die visuelle Überwachung von Wohnungen[11] – was dem VS bislang nur in Ausnahmefällen gestattet ist.
Dienstleister BND
„Der Westen hat noch immer zu wenig Spione“, meinte Anfang Dezember 2007 die Neue Zürcher Zeitung und bemängelte, „auch im deutschen Dienst (liegt) die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter im Ausland … deutlich unter zehn Prozent“.[12] Nicht zuletzt um diesen Umstand zu ändern, aber vor allem auch um aus den zahlreichen Pleiten, Pannen und Affären der vergangenen Jahre Konsequenzen zu ziehen, steht der krisengeschüttelte BND mit seinen weltweit 6.000 MitarbeiterInnen vor dem größten Umbau seiner Geschichte. Wenngleich sich die Verantwortlichen bemühen, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken: Die Skandale der letzten Jahre, so BND-Sprecher Stefan Borchert, hätten zwar eine gewisse Rolle gespielt, seien aber nicht ausschlaggebend für die Reform gewesen.[13]
Wie dem auch sei, soviel steht fest: Der Auslandsgeheimdienst wird ab dem 1. Januar 2009 eine völlig neue Struktur haben. Das Konzept sieht vor, den BND nach einem „Drei-Säulen-Modell“ umzubauen. Zukünftig wird der Dienst in den für Geheimoperationen zuständigen Bereich „Produktion“, die „Produktionsunterstützung“ und einen Bereich „Service“ gegliedert. Jeder dieser Bereiche wird von einem Vizepräsidenten geführt. Auf diese Weise soll der Auslandsdienst den veränderten Erfordernissen nach Ende der Blockkonfrontation angepasst werden. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten wird intensiviert und die Präsenz im Ausland verstärkt. Denn zukünftig soll nicht nur die „Terrorismusbekämpfung“, sondern auch das „Weltmachtstreben Chinas und Russlands eine größere Berücksichtigung“ finden, so die FAZ.[14]
Die inhaltliche und operative Arbeit ist in der Säule „Produktion“ konzentriert. Sie beseht aus den beiden neuen Abteilungen 5 (GUS-Staaten und Westen) und 8 (Proliferation) sowie den existierenden 6 (Naher und Mittlerer Osten, Afrika) und 7 (Terror und überregionale Bedrohung). Das Führungs- und Informationszentrum (Abteilung 1) sowie die Abteilung 2, zuständig für Datenauswertung (z.B. Satellitenbilder), die neu geschaffene Abteilung 3 (Residenturen im Ausland) und die Fernaufklärung (Abteilung 4) bilden die Säule „Produktionsunterstützung“.
In der Säule „Service“ versammeln sich die Abteilungen 9 bis 12, die für Technik, Technikentwicklung sowie Aus- und Fortbildung zuständig sind. Mit der Abteilung 9 landet auch jener Bereich in dieser Säule, der für die umstrittene Eigensicherung des Dienstes verantwortlich und in den letzten Jahren vor allem durch die Bespitzelung von JournalistInnen aufgefallen ist. Das im Sommer 2007 dem BND zugeschlagene „Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr“ (ZNBw) mit 270 Stellen, das in der Praxis die vom BND gewonnenen Informationen an die Truppe weitergab, wird auf die verschiedenen Bereiche verteilt.[15]
Spionage streamlinen
„Den Produktionsprozess streamlinen“, so wird die Reform laut Süddeutscher Zeitung behördenintern genannt.[16] Kein Wunder, wird doch im Zuge des Umbaus eine ganze Hierarchieebene beseitigt und im Gegenzug ein dritter Vizepräsidentenposten geschaffen. Statt der bisher acht Hauptabteilungen mit ihren zahlreichen Unterabteilungen gibt es dann zwölf – gleichzeitig fallen fast alle Unterabteilungen weg.[17]
Kernstück der neuen Struktur ist die Zusammenlegung der bisher getrennt arbeitenden Abteilungen 1 und 3 für Nachrichtenbeschaffung und -auswertung. Damit soll eine stärkere interne Vernetzung erreicht werden, durch die schneller aktuelle „Lagebilder“ erstellt werden können und die Analysefähigkeit des BND optimiert werden soll. Dass Auswerter und Beschaffer an einem Tisch sitzen, gab es als Modell bislang nur in der BND-Terrorismusabteilung.
Durch die Aufhebung der bisherigen Trennung zwischen „Auswertung“ und „Beschaffung“ beschreitet der Auslandsdienst einen Sonderweg. Gewöhnlich sind die beiden Bereiche getrennt, um die Geheimhaltung der Quellen zu sichern. So beschränkt sich der britische MI6 alleine auf die Beschaffung von Informationen und überlässt die Analyse anderen Regierungsstellen.[18]
Komplettiert wird der Umbau des BND durch den Umzug vom bayerischen Pullach nach Berlin. In der Hauptstadt sollen ab 2012 etwa 4.000 Beschäftigte arbeiten. Für den Neubau der BND-Zentrale sind 720 Millionen Euro veranschlagt. In Pullach bleiben die technischen Abteilungen mit rund 1.500 MitarbeiterInnen.[19] Auch geht der Generationswechsel im BND weiter: Bereits in den vergangenen fünf Jahren wurden 2.000 neue Stellen geschaffen, im nächsten Jahrfünft kommen 2.000 weitere hinzu.
Große Ziele, Tücken im Detail
Die Strukturreformen von BfV und BND folgen ganz der Linie der letzten Jahre und betten sich ein in die diversen Vorhaben in diesem Bereich. Es geht um Zentralisierung und Effizienzsteigerung. Dass dabei die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdienst, innerer und äußerer Sicherheit immer weiter verschwimmen, ist keine neue Entwicklung, sondern politische Zielvorgabe. Wie das Beispiel der vom Bundestag beschlossenen Zusammenlegung der Agentenausbildung von BfV und BND zeigt, wird dabei allerdings manchmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Beide Dienste wehren sich hartnäckig gegen die Zusammenlegung ihrer Agentenschulen – und haben sie trotz Reform bislang verhindert.