Ein Gesetz, das niemals untergeht. Terrorismus-Bekämpfungs-Ergänzungs-Verlängerungsgesetz

von Mark Holzberger

Sicherheitspolitik als Selbstbedienungsladen: Zehn Jahre nach dem 11. September 2001 führt Schwarz-Gelb vor, wie man bei der Verlängerung von Terrorismusgesetzen gleich auch noch die gesetzlich vorgeschriebene Evaluation ad absurdum führt.

In der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 erweiterte die damalige rot-grüne Bundesregierung Anfang 2002 mit dem Terrorismusbekämpfungs­ge­setz (TBG) die Befugnisse insbesondere der Geheimdienste des Bundes signifikant. Der Entwurf des TBG war von allen Bürgerrechtsorganisationen heftig kritisiert worden.[1] Daher waren dem grünen Koalitionspartner zwei Aspekte beim TBG besonders wichtig: Zum einen, dass nach wochenlangem Fingerhakeln mit dem Bundesinnenministerium (BMI) hohe Hürden für die neuen Kompetenzen der Geheimdienste des Bundes (Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV), Bundesnachrichtendienst, BND, Militärischer Abschirmdienst, MAD) verankert werden konnten, die deren „sparsamen Gebrauch“ garantieren sollten. Und, dass zwei neue Instrumente ins deutsche Sicherheitsrecht eingeführt wurden: die Befristung und die Evaluierung der Ge­heimdienst-relevanten Regelungen des TBG bis Anfang 2007.[2]

Umso ernüchterter zeigten sich DatenschützerInnen wie auch die – dann wieder in der Opposition befindlichen – GRÜNEN über die Evaluation, die das BMI 2006 über die Anwendung des TBG erstellte.[3] Die damalige Große Ko­alition erweiterte mit dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) die Befugnisse der Geheimdienste nochmals. Allerdings wurde auch das TBEG erneut bis Januar 2012 befristet. Seine Anwendung sollte diesmal gründlicher evaluiert werden, nämlich „unter Einbeziehung eines wissenschaftlichen Sachverständigen, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt wird“ (Art. 11).[4]

Mit der TBEG-Evaluierung beauftragte das BMI seine Haus-und-Hof-Beratungsgesellschaft, „Rambøll Management GmbH“. Der Entwurf dazu vom Juni 2010 wurde flugs zur „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) gestempelt.[5] Da dieser Bericht jedoch keine verfassungsrechtliche Prüfung enthielt, beauftragte das BMI (auf Druck des Bundesjustizministeriums) Ende 2010 nachträglich Prof. Heinrich Wolff (Universität Frankfurt/Oder) mit einem innerhalb von nur acht Wochen anzufertigenden, ergänzenden Gutachten.[6]

Die neuen Befugnisse …

Die Liste der mit dem TBG bzw. TBEG vorgenommenen Verschärfungen ist lang: BfV und MAD sollten nun auch Bestrebungen gegen den „Gedanken der Völkerverständigung“ beobachten.[7] Verschärft wurden die Vorschriften des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes.[8] Zudem können alle drei Geheimdienste seit 2002 ohne weitere Begründung personenbezogene Informationen bis zu 15 (statt wie üblich zehn) Jahren speichern.[9] Und sie dürfen Personendaten zur Gewährleistung der Si­cherheit „lebens- und verteidigungswichtiger Einrichtungen“ übermitteln.

Das TBG/TBEG ermöglicht ihnen zudem den Einsatz sog. IMSI-Catcher, Lauschangriffe in Wohnungen zur Eigensicherung („bemannte Wanzen“), verdeckte Ausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS) und die Entgegennahme sog. Spontanmitteilungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Der MAD erhielt ferner erweiterte Befugnisse zur Einsichtnahme in öffentliche Register.

Im Wesentlichen aber erweiterte das TBG/TBEG die Auskunftsbefugnisse der drei Geheimdienste: So dürfen diese Auskünfte einholen über Vertragsverhältnisse bei Postdienstleistungen, zu Umständen des Postverkehrs (etwa zur Nutzung von Postfächern) und zu Verkehrsdaten von Telekommunikationsdienstleistern, von Teledienstbetreibern, von Luftfahrtunternehmen sowie von Firmen der Finanzbranche.

Das TBG/TBEG zwingt zudem einerseits die angefragten Unternehmen und Institutionen zum Stillschweigen gegenüber den Betroffenen und regelt andererseits, wie die Dienste mit deren Auskunftsersuchen umzugehen haben.

… und ihre Nutzung

In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Zahlen der Evaluierungsberichte 2006 und 2010 dargestellt.[10] Ergänzend seien hier einige weitere Daten für 2009 aufgeführt: Das BfV schrieb in diesem Jahr 656 Personen im SIS aus. „Nur“ 47 Prozent dieser Ausschreibungen richteten sich gegen Islamisten, sechs Prozent betrafen Proliferation und Spionageabwehr; drei den Ausländerextremismus und 0,5 Prozent Rechts-/Linksextremismus. Die restlichen 43,5 Prozent (ca. 285 Ausschreibungen) konnten diesem Schema nicht zugeordnet werden. Von den 648 Spontanübermittlungen des BAMF an das BfV betrafen nur 17 Prozent Islamisten, dafür entfielen aber 64 Prozent auf Ausländerextremismus sowie 19 Prozent auf Proliferation und Spionageabwehr. Der MAD nahm 16 Mal Einsicht beim Kraftfahrtbundesamt, neun Mal in Einwohnermelderegistern und drei Mal im Ausländerzentralregister. Das BfV fragte in 6.088 Fällen (MAD: 162 Fälle) beim Kraftfahrtbundesamt KfZ-HalterInnen ab. 21 Mal verlangten Betroffene Auskunft beim BfV. 13 Mal gab das Amt dem Ersuchen statt (wobei der Zeitraum zwischen Ende der Überwachung und Mitteilung an die Betroffenen zwischen zehn und siebzig Monaten variierte).

Bei zwei Befugnissen, die seit 2002 völlig ungenutzt blieben, nämlich die „Postfächer-Abfrage“ sowie die „bemannte Wanze“, akzeptierte die Bundesregierung nun die Streichung. Andere, die so gut wie gar nicht in Anspruch genommen wurden, hat sie dagegen in ihrem Verlängerungsentwurf beibehalten. Eine Feuerwehr, so das Regierungsargument, würde ja auch nicht abgeschafft, nur weil es über Jahre hinweg nicht gebrannt hat. Ein Verzicht käme nur dann in Frage, wenn „nachgewiesen ist, dass die Praxis gezeigt hat, dass kein realistischer Fall denkbar ist, wonach die Befugnis zur Anwendung kommen könnte.“[11] Im Kern führt diese Argumentation zu einer uferlosen Vorratsgesetzgebung.

Kritik der Evaluation

Schon der 2002 unter Rot-Grün beschlossene Evaluierungsvorbehalt hatte einen gravierenden Mangel, auf den nun Bündnis 90/Die Grünen mit zwei Anfragen hinweisen: Er beschränkte sich auf die Geheimdienstbefugnisse, klammerte jedoch andere zentrale Bestimmungen, etwa jene zum Aufenthaltsrecht und zum Ausländerzentralregister, aus.[12]

In ihrer aktuellen Evaluation prüfte die Bundesregierung nun in einem sechsstufiges Schema, ob erstens das Ziel der jeweiligen Vorschrift der aktuellen Bedrohungslage (noch) entspricht, zweitens ob damit der angestrebte Zweck erreicht wurde, drittens ob Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen, viertens in welchem Ausmaß Betroffene belastet werden, fünftens inwiefern die zu evaluierende Regelung in einem Zielkonflikt oder einer Wechselwirkung mit anderen Normen steht sowie sechstens ob es zu unerwünschten Begleiteffekten gekommen ist. Im Kern führt das BMI aber nur eine rein abstrakte Prüfung durch – was insbesondere die (ohnehin knappen) Ausführungen über die grundrechtsrelevante Belastung Betroffener letztlich wertlos macht.

Gutachter Heinrich Wolff sieht keinen „qualitativen Unterschied“ der Evaluierungsberichte von 2006 und 2010. Auch der neue Bericht enthalte keine „wirkliche Ermittlung der Auswirkungen der Maßnahmen für die Betroffenen“. Er sei „einseitig“, weil er „die Vollzugsinteressen der Sicherheitsbehörden in den Vordergrund“ stelle. Der Bundesregierung gehe es im Grunde nur um die „Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse“.[13]

Das Wolff-Gutachten selber krankt daran, dass das BMI den Auftrag auf eine bloße „Methodenberatung“ beschränkte. Der Gutachter konnte also weder die Grundkonzeption der eigenen Untersuchung noch die des Evaluierungsberichts der Bundesregierung beeinflussen. Der Zeitrahmen war außerordentlich knapp. Auch war Wolff nicht – wie im TBEG vorgesehen – vom Bundestag bestellt worden. Und schließlich erhielt er keinen Zugang zu Unterlagen oberhalb des Geheimhaltungsgrades VS-NfD.

Eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung war so nicht machbar. Dabei liegen die Kriterien für eine ernstzunehmende Evaluierung von Sicherheitsgesetzen seit langem vor. Elementar hierfür ist, dass der Gesetzgeber – und nicht die Exekutive – zuständig sein muss. Der Bundestag muss Gegenstände, Kriterien, Beteiligte, Organisation und Verfahren der Evaluierung vorab gesetzlich regeln und deren Ergebnis politisch bewerten.[14] Methodisch käme es bei einer seriösen Evaluation zunächst die Unabhängigkeit der GutachterInnen und die Wissenschaftlichkeit der Methoden an. Die verwendeten Parameter müssen transparent und valide sein. Die Grundrechtsorientierung muss Vorrang haben vor der Effizienzprüfung. Die Untersuchung hat die hinreichende Tiefe und Komplexität aufzuweisen und d.h. unter anderem, dass die zu evaluierende Norm im rechtlichen Kontext zu betrachten ist. Dies umso mehr, als vielfach nicht nur eine einzelne Überwachungsmethode zum Einsatz kommt. Die Folgen für die Betroffenen müssen möglichst konkret und fallbezogen geprüft werden. Und natürlich müssen die Gut­achterInnen Zugang zu allen Informationen haben.[15]

Wie weiter?

Im September 2011 hat die schwarz-gelbe Koalition einen Gesetzentwurf vorgelegt, den der Bundestag am 26. Oktober gegen die Stimmen der Grünen und der Linken absegnete.[16] Wie erwartet, wurden mit zwei kleinen Ausnahmen alle Regelungen des TBEG bis Januar 2016 verlängert und zum Teil sogar erweitert: Erstens können die Geheimdienste nun nicht nur einzelne Konten bei Banken oder sonstigen Finanzinstituten abfragen, sondern auch beim Bundeszentralamt für Steuern die Kontostammdaten einholen. Nach dem gleichen Muster wurde die Abfrage von Buchungsdaten von den einzelnen Fluggesellschaften auf Reisereservierungssysteme ausgedehnt. Die Dienste erfahren so, ob die Betroffenen über weitere Konten verfügen bzw. weitere Reisen bei anderen Fluggesellschaften gebucht haben. Der Bundesdatenschutzbeauftragte befürchtet, dass dies zu mehr Fällen und einer höheren Eingriffsintensität führt.[17]

Zweitens wird die Befugnis der Geheimdienste, Auskunftsersuchen zu stellen, zu einer Pflicht der angefragten Unternehmen bzw. Institutionen umgebaut, die angeforderten personenbezogenen Daten zu übermitteln. Dies ist ein weiterer Sargnagel für das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei, denn Zwangsbefugnisse stehen nur letzterer zu.[18]

Im Gegenzug fallen lediglich die „Postfächer-Abfrage“ und die „bemannte Wanze“ weg. Zwar wurden die Rechte der G-10-Kommission erweitert – allerdings in einer Form, dass sich die Kontrollbefugnisse der Kommission und des Bundesdatenschutzbeauftragten gegenseitig ausschließen.

Auch die neue Evaluierungsklausel (Art. 9) erscheint nur auf den ersten Blick als Fortschritt: So sollen zwar „ein oder mehrere“ Gutachter beauftragt werden können. Sie sollen zusätzlich auch „die Häufigkeit und die Auswirkungen der mit den Eingriffsbefugnissen verbundenen Grundrechtseingriffe“ prüfen und „in Beziehung setzen … zu der anhand von Tatsachen darzustellenden Wirksamkeit zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“. Tatsächlich wies die Bundestagsmehrheit die Aufgabe der Evaluation aber nun per Gesetz direkt der Bundesregierung zu – und eben nicht dem Parlament. Es steht jetzt auch im Raum, dass sich die Bundesregierung eine eigene (ständige) Kommission schafft, die dann auch andere Sicherheitsgesetze „evaluiert“.

Rein quantitativ scheint das Konzept der grünen KoalitionspartnerInnen von 2002 aufgegangen zu sein. Die Geheimdienste haben sich zumindest bei den Auskunftsersuchen zurückgehalte. Die Hoffnung jedoch, dass Befristung und Evaluierung dazu führen könnten, dass die erweiterten Kompetenzen vorläufig blieben, hat sich zerschlagen. Eine Evaluation dieser Art ist nur die Bestätigung dafür, dass die Bundesregierung auf keinen Fall dazu bereit ist, Geheimdienstkompetenzen ernsthaft zu beschränken. Man sieht sich also – in der nächsten Evaluationsrunde.

Anzahl der Anwendungsfälle der Befugnisse des TBG bzw. TBEG

Maßnahme Behörde 2002 2003 2004 2005-2008 2009
Bestandsdaten Post/Teledienste BfV 0 0 0  

 

 

Nicht evaluiert

26
BND 0 0 0 0
MAD 0 0 0 1
Luftfahrtunternehmen BfV 1 2 0 1
BND 0 0 0 3
MAD 0 0 0 0
Finanzdienstleister BfV 8 14 7 14
BND 1 2 0 1
MAD 0 0 0 0
Verkehrsdaten Telekommunikation BfV 21 9 22 75
BND 2 3 1 0
MAD 3 2 1 4
IMSI-Catcher BfV 3 9 9 15
BND 0 0 0 0
MAD 1 1
Spontanübermittlung

durch das BAMF an

BfV 490 774 1.100 648
Weiterleitungen dieser BAMF-Hinweise über das BfV an… BND 0 0 0 0
MAD 0 0 0 0

[1]      BGBl I. vom 11.01.2002, S. 361 ff , www.cilip.de/terror/atg-stell-281101.pdf

[2]     „Innere Sicherheit geht anders“ (Beschluss der grünen Bundestagfraktion v. 8.5. 07, S. 3)
[3]     BT-Drs. 16/2072 v. 29.6.2006; vgl. Roggan, F.; Bergemann, N.: Die „neue Sicherheitsarchitektur“, in: NJW 2007, H. 13, S. 876-881 (m. w. N); www.bmi.bund.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Terrorismus/Bericht_BReg_Auswirkung_Terrorismusbekaempfungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile
[4]     BGBl I v. 10.1.2007, S. 2 ff
[5]     BT-Innenausschuss-Drs. 17(4)271 v. 1.6.2011, inzwischen abrufbar unter www.cilip.de/ terror/
[6]     Wolff, H.: Verfassungsrechtliche Bewertung des TBEG und seiner Anwendung, Berlin, Frankfurt/O. April 2011, BT-Innenausschuss-Drs. 17(4)245
[7]     Anwendungsfälle 2009: BfV – 1, MAD – 68
[8]     Daten für 2009: Überprüfungen: 64.000; Sicherheitshinweise: 2.200; sicherheitserhebliche Erkenntnisse: 1.100; Sicherheitsrisiken: 628
[9]     Anwendungsfälle 2009: BfV – 68, wobei unklar bleibt, ob diese Daten nicht auch nach altem Recht für 15 Jahren gespeichert werden dürfen.
[10]   Der Bericht von 2005 berücksichtigt nur die Zahlen bis 2004 und der von 2010 allein die aus dem Jahr 2009. Für die Jahre 2005-2008 sind somit keine Zahlen verfügbar.
[11]    BT-Drs. 17/6925 v. 6.9.2011, S. 15
[12]   BT-Drs. 17/6901 v. 2.9.2011 und BT-Drs. 17/67282 v. 3.8.2011
[13]   Wolff, a.a.O. (Fn. 6), S. 22f.
[14]   vgl. Weinzierl, R.: Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen. Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2006, S. 6f
[15]   Albers, M.: Funktionen, Entwicklungsstand und Probleme von Evaluationen im Sicherheitsrecht, in: dies.; Weinzierl, R. (Hg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik, Baden-Baden 2010, S. 25-54; Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 17/3687 v. 10.11.2010) sowie Entschließung der 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten aus Bund und Länder v. 17./18.3.2010
[16]   BT-Drs. 17/6925 v. 6.9.2011
[17]   siehe die Stellungnahme im BT-Innenausschuss am 17.10.2011, Ausschuss-Drs. 17(4)359, www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung13/ Stellungnahmen_SV/index.html
[18]   So dürfte es auch das Bundesverfassungsgericht sehen, siehe NJW 2011, S. 2417, 2420.

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