Schlagwort-Archive: Kontrolle der Polizei

Die bessere Polizeibeschwerdestelle? Das Denkmal für Opfer von Rassismus und Polizeigewalt

Bei Protesten gegen Polizeigewalt wurden unabhängige Polizeibeschwerdestellen gefordert. In Berlin hat diese jüngst ihre Arbeit aufgenommen. Wird nun alles gut? Was lässt sich anhand der Debatten und Aktionen am Denkmal für Opfer von Rassismus und Polizeigewalt sowie aus den Erfahrungen der anderen Polizeibeauftragten in dieser Frage ablesen?

Im September 2020 schufen sie kurzer Hand vollendete Tatsachen. In den Monaten zuvor hatte das Bündnis „Wo ist unser Denkmal?“, bestehend aus diversen antirassistischen Gruppierungen, die Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt gefordert. Nach der Ermordung von George Floyd durch einen Polizeibeamten und die internationale Unterstützung der „Black Lives Matter“-Bewegung verstärkte sich die mediale Aufmerksamkeit rund um dieses Thema und damit auch der Handlungsdruck. Die Kampagne „Wo ist unser Denkmal?“ hatte schon in der Berliner Bezirkspolitik und in dem Thema zugewandten Medien für ihr Anliegen geworben. Für diesen Tag lud sie zu einer Demonstration und Performance auf den Oranienplatz in Kreuzberg ein. Als sich das Publikum und Geladene aus Politik, NGO-Landschaft und Medien einfanden, war die Forderung nach einem Denkmal jedoch bereits eigenhändig umgesetzt worden. Da stand es nun: eine graue Betonstele auf einer einfachen Stahlbodenplatte mit dem Schriftzug „Für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt“. So wurde aus der angekündigten performativen Gedenkfeier eine unangekündigte Einweihungsfeier dieses neuen Mahnmals. Die bessere Polizeibeschwerdestelle? Das Denkmal für Opfer von Rassismus und Polizeigewalt weiterlesen

Police Accountability: Welche Polizei lässt sich verantworten?

von Hannah Espín Grau und Marie-Theres Piening

Zwar nimmt die öffentliche Debatte über Arbeitsweisen und Aufgaben der Polizei zu, gleichzeitig werden jedoch auch Kompetenzen und Ausstattung der Polizei in Deutschland erweitert. Mit diesen Entwicklungen vermögen die ohnehin schon immer begrenzten Kon­trollmechanismen trotz widerwilliger Erweiterungen kaum mitzuhalten. Zivilgesellschaft und Kontrollorgane stehen der Organisation in vielen Fällen ohnmächtig gegenüber. Ein Update und der Versuch einer Einordnung.

Die Beantwortung der Frage, wie die Polizei demokratisiert, kontrolliert und verantwortlich gemacht werden kann, gehört zum Kerngeschäft der CILIP. Seit 1978 erschienen hier zahlreiche Artikel zum Thema, in der allerersten Ausgabe von CILIP etwa Öffentliche Kontrolle der Polizei und Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit (CILIP Nr. 0/1978, S. 34-36). Mit den Ausgaben Nr. 15 (2/1983), Nr. 26 (1/1987) sowie zuletzt Nr. 99 (2/2011) entstanden sogar drei Schwerpunkt-Hefte mit dem Titel Kontrolle der Polizei. Dies zeigt zum einen die ungebrochene Relevanz der Thematik, gleichzeitig aber auch die Herausforderungen, die mit einer effektiven Einhegung und Kontrolle von Polizei verbunden sind. Police Accountability: Welche Polizei lässt sich verantworten? weiterlesen

Die neue Europol-Reform: Operative Befugnisse ohne Rechenschaftspflicht

von Chloé Berthélémy und Jesper Lund

Die Zeiten, in denen die EU-Agentur für die Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung nur den Mitgliedstaaten unterstellt war, sind vorbei. Die jüngste Reform des Europol-Mandats bestätigt den Trend, ihr mehr exekutive Befugnisse und Autonomie zu geben.

Ihren Vorschlag für die jüngste Europol-Reform hat die Europäische Kommission im Dezember 2020 zusammen mit einer neuen Agenda zur Terrorismusbekämpfung veröffentlicht.[1] Die Dokumente belegen ein ehrgeiziges Projekt der europäischen operativen Sicherheits-zusammenarbeit. Einst wurde Europol als „unfähig, Schaden anzurichten“,[2] bezeichnet. Jetzt soll die Agentur neue unabhängige Befugnisse erhalten und große Datenmengen sammeln, verarbeiten und mit nationalen Behörden und privaten Parteien teilen dürfen. Ohne Rechenschaftspflicht und angemessene rechtliche Garantien sollen diese quasi-operativen Befugnisse eingeführt werden. Die neue Europol-Reform: Operative Befugnisse ohne Rechenschaftspflicht weiterlesen

Kommentar: Wahlkampfgebiet Nordkiez

Seit einigen Monaten kommt der Friedrichshainer Nordkiez in Berlin aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Das hat weniger mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung vor Ort zu tun, sondern vor allem mit dem Wahlkampf in der Hauptstadt. Denn in Berlin wird im September ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Der attraktive innerstädtische Friedrichshainer Nordkiez steht unter einem enormen Aufwertungsdruck. Die Mietpreise steigen rasant, die alteingesessenen Bewohner*innen werden seit Jahren verdrängt. Gleichzeitig wohnen und leben hier die Reste der Hausbesetzerszene in einigen Wohnprojekten und Szenetreffs. Treffpunkt ist regelmäßig der „Dorfplatz“, wie die Kreuzung von Liebigstraße und Rigaerstraße genannt wird. Kommentar: Wahlkampfgebiet Nordkiez weiterlesen

Kontrolle der Polizei – Demokratische Selbstverständlichkeit oder starker Staat

von Norbert Pütter

Im demokratischen Rechtsstaat, so die herrschende Lehre, wird die Polizei umfassend kontrolliert. Die Wirklichkeit spricht jedoch eine andere Sprache. Das zeigen nicht nur die lange Geschichte offenkundiger Kontrollprobleme, sondern auch die besonderen Anstrengungen, die in anderen Ländern unternommen werden.

In der Polizei manifestiert sich das staatliche Gewaltmonopol praktisch. Es ist ihr spezifischer Auftrag, im Wortsinne handgreiflich zu werden, wenn die BürgerInnen sich den allgemeinen Gesetzen nicht freiwillig fügen. Die Polizei in vorderster Front, gestützt auf das Gesetz, begleitet und unterstützt von den anderen Instanzen des Strafverfolgungssystems, soll die bestehende Ordnung aufrechterhalten. Diese idealtypische Konstruktion ist seit jeher mit einem Problem konfrontiert: „Quis custodit custodes?“ („Wer bewacht die Wächter?“) Wie kann sichergestellt werden, dass diejenigen, die den Gesetzen Geltung verschaffen sollen, sich auch selbst an Recht und Gesetz halten? Kontrolle der Polizei – Demokratische Selbstverständlichkeit oder starker Staat weiterlesen

Das Vertrauen wert? Polizeikontrolle in Norwegen

von Liv Finstad[1]

Vor gut fünf Jahren reformierte Norwegen sein System der Polizeikontrolle. Seitdem kann die Bevölkerung auf zwei Wegen Beschwerden einreichen: Eine formal unabhängige Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten ermittelt bei strafbaren Amtsdelikten; die lokalen Polizeibehörden sind für alle anderen Fälle zuständig. Auch wenn Norwegen damit wesentlich weiter ist als Deutschland, besteht Verbesserungsbedarf. Es gilt, die praktischen Abhängigkeiten und die kulturelle Nähe von Spezialeinheit und Polizei zu lösen sowie die Sichtung der Beschwerden zu harmonisieren.

Im Vergleich zu den Millionen Polizeihandlungen, die jedes Jahr getätigt werden, fallen Beschwerden gegen die Polizei kaum ins Gewicht. Allerdings müssen Probleme mit Polizeikriminalität oder polizeilichem Fehlverhalten nicht statistisch überwältigend sein, bevor eine Gesellschaft Mechanismen etabliert, um effektiv und rechtsstaatlich zu kontrollieren, wie die Polizei ihre Macht ausübt. Das Vertrauen wert? Polizeikontrolle in Norwegen weiterlesen

„Evaluation“ der Schleierfahndung – Eine Auswertung polizeilicher (Selbst-)Erfahrungsberichte

von Martina Kant

Evaluationen sind spätestens seit der PISA-Studie in aller Munde. Der Bereich der „Inneren Sicherheit“ ist davon nicht mehr ausgenommen. Ob allerdings eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Wirkungen und Nebenwirkungen polizeilicher Arbeit seitens der Exekutive und Legislative gewollt ist, darf angesichts erster „Evaluations“-Versuche bezweifelt werden.

Im Gesetzgebungsverfahren vom Sommer 1998 war es äußerst umstritten, den Bundesgrenzschutz (BGS) ohne Verdacht jede Person in Zügen, auf Bahnhöfen und Flughäfen jenseits des 30-km-Grenzgebietes kontrollieren zu lassen. Bundesrat und Bundestags-Innenausschuss hatten daher durchgesetzt, diese Befugnis zunächst bis zum 31.12.2003 zu befristen, und darum gebeten, dem Bundestag vor Ablauf eine Evaluation vorzulegen. Ein solcher „Erfahrungsbericht“ ist im September vergangenen Jahres übergeben worden.[1] Unter den Bundesländern hat allein Sachsen seine seit dem 1.7.1999 geltende polizeirechtliche Befugnis zu ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen verbindlich mit einer jährlichen Berichtspflicht versehen[2] und die Ermächtigung bis 31.5.2004 befristet. Für die Jahre 1999-2003 liegen vier Berichte vor.[3] „Evaluation“ der Schleierfahndung – Eine Auswertung polizeilicher (Selbst-)Erfahrungsberichte weiterlesen

Andere Länder – ähnliche Sitten – Polizeiübergriffe und Kontrolle in Großbritannien und Frankreich

von Heiner Busch

„Überall ist es besser, wo wir nicht sind.“ Dass die Kritik an Polizeiübergriffen und fehlender Kontrolle in Deutschland nicht nach diesem Motto betrieben werden kann, belegen die Erfahrungen aus Großbritannien und Frankreich, zu denen wir zwei Kollegen befragt haben.

„Fast immer proletarisch, häufig schwarz, politisch aktiv, arbeitslos oder besonders verletzlich – will heißen: obdachlos, mit Alkohol- oder Drogenproblemen etc.“ So charakterisiert Trevor Hemmings[1] das typische Opfer polizeilicher Übergriffe in Großbritannien. Fabien Jobards[2] Beschreibung für Frankreich kommt dem sehr nahe: Von Übergriffen betroffen seien in der Regel diejenigen, die sich in der „polizeilichen Arena“ aufhalten. Diese Arena ist die Straße. Sie ist der Raum politischer Demonstrationen, aber auch der Lebensraum der meisten ImmigrantInnen, der Obdachlosen, derjenigen, die mit großer Familie in beengten Verhältnissen wohnen und Ruhe nur draußen finden, der Raum der kleinen informellen Geschäfte und der offenen Drogenszenen. Hier finden Kontrollen und Razzien statt, werden Platzverweise durchgesetzt und Leute aufgegriffen. Auf der Straße richten sich Übergriffe gegen Kollektive. Andere Länder – ähnliche Sitten – Polizeiübergriffe und Kontrolle in Großbritannien und Frankreich weiterlesen