Mit Bits und Bytes gegen Rechts? Anti-Terror-Datei gegen Rechtsextremisten

von Sönke Hilbrans

Ein Kooperationszentrum und ein gemeinsames Informationssystem für Polizei und Verfassungsschutz sollen „Pannen“ wie bei der Verfolgung der Zwickauer Zelle künftig ausschließen. Falsche Konsequenzen aus einer falschen Problemanalyse.

Wir erinnern uns: Kurz nach dem 11. September 2001 – der Staub über Manhattan hatte sich kaum gelegt – legte der seinerzeitige Bundesinnenminister Otto Schily gleich ein ganzes Bündel an Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen vor. Mit den im Volksmund bald so genannten Otto-Katalogen sollten insbesondere der Kampf gegen islamistische „Schläfer“ aufgenommen und „Sicherheitslücken“ geschlossen werden.

Neben dem gerade von US-amerikanischer Seite eingeforderten grenzüberschreitenden Informationsaustausch von Polizeien und Nachrichtendiensten und den drastischen Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht trat ab 2006 auch die Schaffung einer besonderen Kooperationsstruktur für die Behörden im Inland: Die knapp 40 in Frage kommenden Polizeibehörden, Verfassungsschutzämter und sonstigen Sicherheitsbehörden sollten sich unter dem Dach eines gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums (GTAZ) in Berlin zusammenfinden, zukünftig auf kurzem Wege Informationen austauschen und Fall- und Lageanalysen gemeinsam erstellen können. Dafür bedurfte es, so die verbreitete Auffassung, keiner Gesetzesänderung. Als technische Neuerung trat neben das GTAZ die Anti-Terror-Datei (ATD), in welche die angeschlossenen Sicherheitsbehörden relevante Informationen zu sog. Gefährdern und deren Kontakt- und Begleitpersonen einstellen müssen. Auf Grundlage dieses ersten gemeinsamen Datenbestandes von Polizei und Geheimdiensten in der Bundesrepublik Deutschland sollten die Aufklärung und Bekämpfung von terroristischen Bestrebungen unter der informationstechnischen Schirmherrschaft des Bundeskriminalamtes (BKA) erleichtert werden. Weil sowohl der bundesrepublikanische Föderalismus als auch das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendien­sten der Errichtung zentraler Sicherheitsinfrastruktu­ren Grenzen setzen, erschien damit das zulässige Maß an Integration und Zentralisierung von Sicherheitsbehörden ausgeschöpft, durch die ATD sogar überschritten. Über eine Verfassungsbeschwerde gegen die längst im so genannten Wirkbetrieb genutzte ATD mit zum 5. Januar 2012 stolzen 17.892 Personendatensätzen[1] verhandelte das Bundesverfassungsgericht am 6. November. 2012[2] Das GTAZ aber arbeitet relativ geräuschlos.

Gesetzgeberische Eile

Mit dem Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) und der auf sein Konto gehenden Liste von Morden, Bombenanschlägen und Banküberfällen im Herbst 2011 war die Einschätzung von Verfassungsschutzbehörden, dass in der Bundesrepublik kein rechtsextremistisches Terrornetzwerk entstanden sein könnte, eindrucksvoll widerlegt. Eine ebenso beeindruckende Zahl von Ermittlungspannen, nachrichtendienstlichen Fehleinschätzungen und Kooperationsmängeln beschäftigt seitdem Expertenkommissionen und Untersuchungsausschüsse. Bereits im Dezember 2011 eröffnete der Bundesinnenminister ein – nicht mit dem GTAZ verknüpftes – Gemeinsames Rechtsextremismusabwehrzentrum (GAR) beim BKA in Meckenheim; im Februar 2012 folgte der Gesetzentwurf für die Errichtung einer neuen – nicht mit der ATD verknüpften – Rechtsextremismusdatei (kurz: RED (!)). Die Konzeption die­ser Einrichtungen lehnt sich, wie der fast identische Wortlaut der entscheidenden Passagen des im August 2012 in Kraft getretenen Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes (RED-G) und des Anti-Terror-Datei-Gesetzes (ATDG) zeigt, eng an die problematischen Lösungen aus dem Jahre 2006 an.[3]

Anders als bei der Bekämpfung djihadistischen Terrors kann die Bekämpfung (oder Nicht-Bekämpfung) des Rechtsextremismus auf eine jahrzehntelange Geschichte bei den Sicherheitsbehörden zurückblicken. Eine Vielzahl von Arbeitsgruppen, Stäben und Kommissionen mit teils koordinierender, teils analysierender, teils operativer Aufgabenstellung, mal auf höchster ministerieller und mal auf polizeilicher oder nachrichtendienstlicher Arbeitsebene und unter Beteiligung von Staatsanwälten, Militärischem Abschirmdienst und anderen Behörden, war seit den 90er Jahren damit befasst, Informationen über rechtsextremistische Strukturen und Strömungen zusammen zu führen und insbesondere polizeiliche Ermittlungen und Zugriffe zu optimieren.[4]

Rechte Gewalt – kein neues Problem

In der zweiten Hälfte der Nullerjahre verlor aber offenbar die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf Bundesebene an Bedeutung: Die entsprechenden Fachabteilungen beim BKA und später beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurden aufgelöst und mit anderen zusammengeführt. Die vielfältige und sich ständig verändernde Gruppierungslandschaft des Rechtsextremismus scheint auch die behördliche Suche nach Erkennungsmerkmalen für gewalttätige rechtsextremistische Zusammenhänge und deren längerfristige Beobachtung und Verfolgung vor gewisse Schwierigkeiten gestellt zu haben. So wurden viele Dateien und Arbeitszusammenhänge, welche auf bestimmte rechtsextremistische Erscheinungsformen angesetzt waren, nach einigen Jahren wieder aufgelöst, und die Behörden wandten sich anderen Strukturen zu. Von den typischen Modeerscheinungen beim polizeilichen Staatsschutz mochte man freilich den rechten Rand nicht freihalten: Bis heute besteht beispielsweise neben den BKA-Verbunddateien „Gewalttäter links“ und „Gewalttäter Sport“ auch die Datei „Gewalttäter rechts“, welche aber nicht auf terroristische Strukturen zielt. Vielmehr soll sie die Polizei bei der Verhinderung oder Verfolgung politisch motivierter Straftaten mit rechtem Hintergrund bei gewalttätigen Auseinandersetzungen und szenetypischen öffentlichen Ereignissen unterstützen. Die Datei kann zu den erfassten Personen einen sehr umfangreichen Datensatz bereitstellen, umfasst aber nur ca. 1.334 Personen. Auch die Instrumente zur Verfolgung gewöhnlicher Straftaten kamen zum Einsatz: So waren die Straftaten des NSU selbst schon jahrelang etwa in dem Violent Crime Linkage Analysis System (ViCLAS) des BKA erfasst. Diese Datei zur Auswertung schwerer Gewalttaten erbrachte im Fall des NSU freilich keine neuen Erkenntnisse, sondern nur die bekannten Tatsachen (insbesondere: identische Tatwaffe Ceska 83[5]).

Anders als der djihadistische Terrorismus ist rechte Gewalt keine plötzlich neu aufgetretene Gefahr und ihre Bekämpfung blickt auf eine lange Geschichte mehr oder weniger vergeblicher Experimente mit Kooperationsstrukturen zurück. Warum jetzt die fast spiegelbildliche Über­nahme der umstrittenen ATD und GTAZ? Ob es an den günstigen politischen Bedingungen liegt? Die Sachverständigen bei der Anhörung des Innenausschusses am 19. März vermochten über die Grundrechte der von der Speicherung und Weitergabe ihrer Daten betroffenen Rechtsextremisten jedenfalls nicht allzu viele bürgerrechtliche Krokodilstränen zu vergießen.[6] Aber sie hatten die bekannten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Kooperationsformen doch routiniert abzuspulen: Kollision mit dem Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten, Speicherung von „weichen“ Daten und bloßen Verdachtsmomenten, unklare Begriffsbildung „gewaltbezogener Rechts­ex­tremismus“, Einbeziehung von sog. Kontakt- und Begleitpersonen.[7] Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz wies in diesem Zusammenhang auf fortbestehende Kontrollprobleme bei der ATD hin, da ihm die Einsicht und Prüfung in sämtliche in der ATD gespeicherten Daten verweigert wurde. So konnte er weder die Verwendung der Daten in der Datei nachvollziehen, noch effektiv mit seinen LänderkollegInnen zusammenarbeiten, die die an die Datei angeschlossenen Länderbehörden zu überprüfen haben. Wenn es sich bei der ATD um einen Modellversuch für die Behördenkooperation unter den Be­dingungen des föderalen Rechtsstaats handeln sollte, wäre dieser jedenfalls bei den Kontrollstrukturen einstweilen gescheitert.

Neue Instrumente – alte Fehler

Die zentrale Frage aber ist: Reichen die vorhandenen Instrumente und Rechtsgrundlagen nicht aus, wenn sie nur konsequent und überlegt angewandt werden? Besteht überhaupt ein Defizit ausgerechnet bei Dateien und „Abwehrzentren“? Schließlich bestehen im Polizei-, Nachrichtendienst- und Strafverfahrensrecht weitreichende Über­mittlungs- und Kooperationsregeln, die die gegenseitige Information der Behörden ermöglichen und in vielen Fällen sogar erzwingen sollen. Im Zentrum dieser Regeln stehen schon immer genau jene Staatsschutz- und Gewaltdelikte, die auch für rechten Terror kennzeichnend sind. Fundierter Anlass für die Annahme, dass mit ATD und GTAZ eine neue Ära des Erfolgs im Kampf gegen terroristische Handlungen angebrochen wäre, gibt es bislang jedenfalls nicht. Vielmehr ist die gesetzlich vorgesehene Evaluation dieser Instrumente – trotz abgelaufener Frist – bis heute nicht erledigt, geschweige denn sind Ergebnisse veröffentlicht.[8] Dabei hängen die Früchte für die Bundesregierung nicht einmal hoch, soll sie sich doch mit einer hauseigenen Evaluation des Bundesinnenministeriums begnügen dürfen. Mehr als vollmundige Bekenntnisse hochrangiger Behördenmitarbeiter zur Effektivität von GTAZ und ATD sind aber weder der Öffentlichkeit, noch dem Bundestag bekannt geworden. So dürfen die BürgerInnen ebenso wie die Mitglieder des Bundestages weiterhin vieles glauben, aber nichts wissen.

Während die Fachwelt noch auf die Evaluation der ATD wartet, lässt auch der neue Aufklärungsgegenstand selbst Zweifel aufkommen, dass jetzt endlich der Stein der Weisen gefunden ist: Der Kampf gegen rechtsextreme Straftaten leidet unter spezifischen Problemen, welche schon für den Misserfolg bei der Fahndung nach den Mitgliedern des NSU und der Aufklärung der Ceska-Mordserie symptomatisch waren. So lässt sich dann, wenn die Behörden einen rechtsextremistischen Tathintergrund nicht erkennen (wollen), ein solcher auch nicht in einer speziellen Datei erfassen oder durch Datenauswertung ermitteln. Zusammenhänge von Straftaten, welche nicht als rechtsextremistisch motiviert erkannt werden, werden auch in Zukunft mit Hilfe einer Rechtsextremismus-Datei nicht erkannt werden können. Wer auf dem rechten Auge blind ist, wird auch in der (zweidimensionalen) Matrix seines Computerbildschirms keine neue Tiefenschärfe erreichen. Gegen hohe Erwartungen an eine informationstechnische Lösung spricht dabei auch, dass der Terrorismus des NSU in seiner Vorgehensweise singulär erscheint. Mustererkennung ohne bekanntes Muster ist auch mit technischen Mitteln nicht zu leisten.

Die Vorgänge um die Nichtentdeckung des NSU-Zusammenhangs und seiner Beteiligten lenken den Blick noch auf weitere Konstruktionsfehler der gegenwärtigen Bekämpfung des Rechts­extremismus, welche sich in RED und GAR nahtlos fortsetzen dürften: So war es gerade die Geheimhaltung von Quellen und Erkenntnissen der Verfassungsschutzämter, welche die Nutzbarmachung vorhandener Informationen, ihre Zusammenführung und Auswertung behindert haben und schließlich im Herbst 2011 in eine spektakulären Aktenvernichtungsaktion beim BfV mündete. Auch der Schäfer-Bericht kritisiert, dass der Übergang der drei untergetauchten Rechtsextremisten zur Finanzierung mittels Banküberfällen nicht wahrgenommen wurde, obgleich dem Verfassungsschutz bekannt war, dass sich die finanziellen Sorgen der Flüchtigen schlagartig aufgelöst haben sollten. Es liegt auf der Hand, dass eine asymmetrische, von den zuliefernden Behörden nach individuellen Geheimhaltungsbedürfnissen gestaltete Informationspolitik für die anderen angeschlossenen Behörden nicht transparent ist und Ausgangspunkt gleichsam eingebauter Qualitätsmängel für eine RED sein wird.

Fazit

Bund und Länder gehen mit dem RED-G nach der Devise „mehr desselben“ vor. Ob diese alten neuen Instrumente wirksam werden können, ist demgegenüber völlig offen. Die Regierungskoalition hat weder die Evaluation von ATD und GTAZ noch die Aufklärung und Auswertung der Fehler und Fahndungspannen bei der Suche nach den Mitgliedern der Zwickauer Zelle abgewartet. Die neuen Kooperationsinstrumente sind dabei bereits jetzt absehbar mit den gleichen Mängeln belastet, die auch die bisherige Behördenkooperation und Ermittlungsarbeit behindert haben: Scheuklappen vor Rechtsextremismus, der verbreitete Einsatz geheim zu haltender nachrichtendienstlicher Mittel und dementsprechend eingeschränkte Verwendbarkeit der erhobenen Informationen sowie eine dynamische rechtsextremistische Szene machen die Erkennung potenziell terroristischer Zusammenhänge auch dann schwierig, wenn die beteiligten Behörden die Köpfe zusammenstecken können. Das Potenzial kurzfristiger Ermittlungserfolge, die sich aus dem erheblich angezogenen Fahndungsdruck auf bekannte Rechtsextremisten nach dem Auffliegen des NSU ergaben, war längst ausgeschöpft, als die RED im September 2012 in Betrieb ging.

Nachtrag

Das Konzept des „Mehr desselben“ hält der Bundesminister des Innern seitdem eisern durch: Bei Redaktionsschluss hat er das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehr Zentrum (GETZ) geschaffen, welches das GAR schlucken soll. Die ideologischen Vorgaben konservativer Sicherheitspolitik brechen sich hier eindrucksvoll Bahn: Nicht rechter Terror, sondern lagerübergreifender Extremismus von allen Seiten soll Feindbild ihres Sicherheitsversprechens sein. Nicht nötig zu erwähnen, dass das GETZ den lauten Beifall des von dem Minister erst vor kurzem eingesetzten neuen Chefs des BfV fand – einem Mann aus der Ministerialbürokratie. Der Kampf gegen Gewalt von Rechts, ideologisch ohnehin nicht willkommen, sieht seiner neuerlichen Verstrickung in den Fängen des Extremismus-Konzepts entgegen.

[1] in der Datei Gewalttäter links: 2.285 Datensätze, BT-Drs. 17/7307 v. 13.10.2011
[2] Geschäftszeichen: 1 BvR 1215/07; in der mündlichen Verhandlung wurden erhebliche Zweifel der RichterInnen an der Formulierung des Gesetzes deutlich. Eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.
[3] RED-G: BT-Drs. 17/8672 v. 13.02.2012; BGBl. I, S. 1798 v. 20.8.2012; ATDG: BGBl. I, S. 3409 v. 22.12.2006
[4] Überblick etwa bei Hilbrans, S.: Stellungnahme zum Gesetzentwurf, Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Ausschussdrucksache 17 (4) 460 F neu
[5] BT-Drs. 17/8544 v. 06.02.2012
[6] www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung17/index. html
[7] näher z.B.: Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit: Stellungnahme für den Innenausschuss des Bundestages, A-Drs. 17 (4) 469 E
[8] vgl. ebd.

Bibliographische Angaben: Hilbrans, Sönke: Mit Bits und Bytes gegen Rechts? Anti-Terror-Datei gegen Rechtsextremisten, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 101-102 (1-2/2012), S. 44-50