Ganz und gar nicht kleinteilig: Ein Panorama der staatsschützerischen Dateienlandschaft

Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans

Es braucht nicht viel, um in einer der vielen Informationssammlungen des Staatsschutzes erfasst zu werden. Aber selbst ein Freispruch ist keine Garantie für eine Löschung, erklärt Sönke Hilbrans. Mit dem Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) sprach Heiner Busch.

Der Staatsschutz scheint eine besondere Rolle für die polizeiliche Datenverarbeitung zu spielen. In den langen Listen von Dateien, die die Bundesregierung in den letzten Jahren auf parlamentarische Anfragen hin herausgerückt hat, gibt es eine Vielzahl von Sammlungen, hinter denen ein staatsschützerische Interesse steckt. Kann man in diesem Dschungel eine Einteilung vornehmen?

Die Bedürfnisse des polizeilichen Staatsschutzes waren jedenfalls immer ein wesentlicher Motor für die polizeiliche Informationsverarbeitung. Das war zu Beginn der Terroristenverfolgung in den 1970er Jahren so, und so ist es bis heute geblieben. Rechtlich unterscheidet man heute allgemein zwischen Amtsdateien und Verbunddateien. Während Amtsdateien von einer Dienststelle im eigenen Interesse betrieben werden, stehen Verbunddateien eben einem ganzen Verbund von teilnehmenden Behörden zur Verfügung. Grundsätzlich können dabei alle Teilnehmer Daten eingeben und auch daraus abrufen. In Deutschland ist das Informationssystem der Polizei INPOL die Hintergrundarchitektur für die bundesweiten Verbunddateien. In INPOL werden auch wesentliche Verbunddateien für den Staatsschutz betrieben. Die Bundesländer unterhalten ferner eigene landesweite Informationssysteme.

Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Da ist zunächst die zentrale Verbunddatei der Staatsschutzabteilungen, die seit 2007 „INPOL Fall Innere Sicherheit“ heißt. Sie hat die alte „Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit“ abgelöst, die seit den 80er Jahren existierte. Ende 2011 gab es da fast 840.000 Datensätze, davon rund 90.000 zu Personen.

Aber auch die so genannten Gewalttäterdateien sind Verbunddateien. Neben den Dateien für „linksmotivierte“, „rechtsmotivierte“ und für „Ausländer“ gibt es hier auch eine Datei „Gewalttäter Sport“, die auf „Hooligans“ zielt und allgemein auf Leute, die bei Sport-Ereignissen negativ aufgefallen sein sollen. Daran sieht man schon, dass diese Art von Informationssammlung keine Spezialität mehr für den Staatsschutz ist.

Das Bundeskriminalamt als Zentralstelle führt diese Verbunddateien. Die meisten Daten dürften aber von den Ländern stammen.

Das BKA führt aber auch eine große Zahl von Amtsdateien.

Die gibt es nicht nur beim BKA, sondern praktisch bei allen Polizeibehörden – für Aufgaben, die sich aus polizeilicher Sicht nicht im Verbund lösen lassen oder die jedenfalls nicht im Verbund gelöst werden sollen. Typischerweise werden für grössere strafrechtliche Ermittlungskomplexe Amtsdateien angelegt. Aber gerade beim Bundeskriminalamt verschafft man sich auch einen Überblick über vorhandene Informationen zu bestimmten Arbeitsgebieten, indem man Sachverhalte, Personen usw. in einer Amtsdatei erfasst. Es gibt da kaum einen Bereich der Kriminalität, der nicht mit einer oder mehreren Amtsdateien bedacht ist, also beispielsweise Rocker, Kinderpornographie, bestimmte Phänomene im Bereich des Betäubungsmittelhandels usw.

Im Bereich des Staatsschutzes sind die PMK-Dateien Amtsdateien. PMK steht für „politisch motivierte Kriminalität“. Auch hier gibt es die Unterteilung nach den polizeilichen Phänomenbereichen, also eine Datei „PMK-links“ und eine „rechts“. Sie können jeweils personenbezogene Datensätze, aber auch Datensätze zu bestimmten Gegenständen, Adressen oder Ereignissen usw. enthalten. In diesen Dateien werden auch Angaben über und aus sehr eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen – wie zum Beispiel Telefonüberwachungen – gespeichert.

Wenn ich recht verstehe, geht es da in erster Linie um die Auswertung von Informationen?

Diese Amtsdateien sind das lange Gedächtnis der Behörden und vor allem Verdachtsgewinnungsinstrumente. Sie enthalten zum einen, wie gesagt, alle möglichen Informationen aus Ermittlungsverfahren und den dort durchgeführten Maßnahmen: Durchsuchungen, Telefonüberwachungen, Auswertungen von Computerfestplatten, Angaben über Reisebewegungen, die sich gegebenenfalls zu Bewegungsbildern verdichten, Kontodaten, Angaben aus Aussagen von Zeugen und Beschuldigten bei Vernehmungen usw. Zum andern landen hier auch Daten aus dem polizeilichen Meldewesen. Im Bereich des Staatsschutzes dürften auch Informationen von den Verfassungsschutzämtern angeliefert werden. So entsteht jenseits der polizeilichen Ermittlungsakte ein Datenbestand, der suchfähig gespeichert ist und mit technischen Mitteln ausgewertet werden kann.

Immerhin scheint der Bezug auf Ermittlungsverfahren nahezulegen, dass der Zweck zumindest eines Teils dieser Dateien irgendwann erledigt ist.

Nicht unbedingt. In den Antworten der Bundesregierung auf diverse parlamentarischen Anfragen ist eine erstaunliche Zahl von Amtsdateien zwar als „Strafverfahrensdateien“ ausgewiesen, die aber über viele Jahre betrieben werden und Tausende von personenbezogenen Datensätzen enthalten. Es spricht vieles dafür, dass sich darunter auch so genannte Strukturverfahren befinden, bei denen teilweise über Jahrzehnte hinweg Personen- und Falldaten zusammengeführt werden, um bestimmte Phänomenbereiche dauerhaft auszuleuchten und zu erfassen. Aus solchen Strukturermittlungen können dann bei Bedarf Teile herausgetrennt und gegen einzelne identifizierte Personen verwendet werden. So produziert ein polizeilicher Ermittlungskomplex über die Jahre verschiedene Spaltprodukte, deren Zusammenhang sich von außen betrachtet nicht ohne Weiteres erschließt.

Erleichtert wird diese Praxis beispielsweise bei der so genannten Terrorismusbekämpfung durch die Organisationsdelikte des Strafgesetzbuchs. Insbesondere die Paragrafen 129, 129 a und b erlauben auf Grundlage der Feststellung einer Organisationsstruktur jahrelange Ermittlungen, aus denen nur gegen einzelne Personen Strafverfahren herausgetrennt werden müssen. Das Mutterverfahren, also das Strukturverfahren, bleibt erhalten und mit ihm die dazu angelegten Datensammlungen und Aktenberge. Im Bereich der so genannten organisierten Kriminalität sind derart langlebige Ermittlungsverfahren eher selten. Der Staatsschutz hingegen, der sich an sozialen Bewegungen oder Untergrundorganisationen oder an beidem gleichzeitig abarbeitet, hat es regelmäßig mit langlebigen Strukturen zu tun. Dementsprechend dauerhaft ist auch das Ermittlungsinteresse.

Wie viele Personen sind denn in solchen Dateien gespeichert?

Man darf sich das nicht zu kleinteilig vorstellen. Nicht erst seit dem 11. September bestehen Datenbanken, die Bezüge zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus aufweisen dürften, in denen zig-tausend Personen erfasst sind. Bei einigen dieser Sammlungen befindet sich keine einzige Person im Inland. Woher diese Daten stammen, kann man nur vermuten: mit ziemlicher Sicherheit aus ausländischen nachrichtendienstlichen Quellen. Manches, was durch parlamentarische Anfragen in die Öffentlichkeit gelangt, ist auch schlicht nicht nachzuvollziehen: So besteht seit 1988 beim BKA eine Amtsdatei über eine Ermittlung gegen eine terroristische Vereinigung, in der noch im August 2010 etwa 40.000 Personen erfasst waren. Davon waren etwa 300 als Beschuldigte oder Verdächtige und elf als Kontaktpersonen klassifiziert. Über den Zweck der Datei und den Status der übrigen Erfassten ist dem Bundestag nichts mitgeteilt worden.

Wie landet man in einer Staatsschutz-Datei? Was für Folgen hat eine Speicherung für die Betroffenen?

Die Kriterien, nach denen Personen in eine Datei eingegeben werden, können sehr unterschiedlich sein. So wird zum Beispiel der personenbezogene Hinweis „Straftäter linksmotiviert“ auch für Leute vergeben, die weder in der Datei „Gewalttäter links“ noch in der „PMK-links“ gespeichert sind. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird aber jedenfals diejenige Stelle, welche den Hinweis erteilt, die Person auch mit Staatsschutzrelevanz erfassen.

Gerade bei Verbunddateien ist es auch nicht sicher, dass alle beteiligten Dienststellen die Eingabekriterien, die in den Errichtungsanordnungen häufig nur grob umrissen sind, auch in gleicher Weise anwenden. Verbunddateien können dazu genützt werden, anderen Dienststellen Informationen über eine Person auf Vorrat zur Verfügung zu stellen. Also zum Beispiel: Der Berliner Staatsschutz erfasst die Person XY in einer Datei und die Angaben werden später bei einer Personenkontrolle in Bayern abgerufen. Der klassische Fall ist hier die Eingabe einer Person in die Datei „Gewalttäter links“. Das ist beispielsweise schon aufgrund eines vagen Verdachts für ein belangloses Delikt oder nach einem Platzverweis im Kontext einer Versammlung möglich. Wenn nun bei einer Vorkontrolle auf dem Weg zu einer späteren Demonstration Daten aus dieser Datei abgerufen werden, dann ist diese Person als „gewalttätig“ identifiziert, woran sich erneut polizeiliche Maßnahmen anschließen können – ein neuerlicher Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme, womit die Teilnahme an dieser Demonstration verhindert oder erschwert wird.

Und dieser Platzverweis führt dann zu einem weiteren Eintrag …

Wo es keiner harten Kriterien und keiner echten Rechtsverstösse bedarf, um jemanden zu erfassen, ist es nahe liegend, dass eine einmal erfasste Person regelmäßig neu erfasst wird, obwohl sie sich immer noch nichts nachweisbar hat zuschulden kommen lassen. Es genügt dann das schlichte Auftreten bei einer Personenkontrolle und die Erteilung eines neuen Platzverweises, um die Datenerfassung fortzuschreiben.

Mit anderen Worten: Nur ein Freispruch bietet die Chance einer Löschung?

Nicht einmal das ist sicher. Auch wenn wegen eines anfänglichen Verdachts später ein rechtskräftiger Freispruch erfolgt, wird dies häufig bei der Datenpflege nicht berücksichtigt. Nach geltendem Recht ist eine Person auch nur dann zwingend aus einer Datei zu löschen, wenn sich erwiesen hat, dass der Tatverdacht restlos beseitigt ist. Wenn ein „Resttatverdacht“ fortbesteht, dann ist nach ständiger Rechtsprechung die weitere Speicherung erlaubt. Entscheidungen der Staatsanwaltschaften oder Gerichte, die in eine Einstellung oder einen Freispruch münden, sind häufig auch nicht so formuliert, dass an ihnen erkannt werden könnte, ob ein solcher „Restverdacht“ besteht oder nicht. Darauf haben die Polizeigesetzgeber bereits reagiert und sehen jetzt häufig vor, dass eine Löschung nur dann erfolgen muss, wenn sich aus den Gründen der Entscheidung auch ausdrücklich die Unschuld ergibt. Solche Entscheidungen sind aber selbst bei erwiesener Unschuld mit der Lupe zu suchen, denn für einen Freispruch braucht die Justiz ja nicht die erwiesene Unschuld. Dementsprechend bleiben Menscnen lange in den Dateien gespeichert, obwohl ihnen nichts nachgewiesen werden konnte.

Was können die Betroffenen tun?

Grundsätzlich hat jede und jeder einen Auskunftsanspruch. Der kann gegenüber jeder Dienststelle geltend gemacht werden, die Daten gespeichert hat oder haben könnte. Es empfiehlt sich, sich an das jeweilige Landeskriminalamt und ans BKA zu wenden. Wer genau nachfragt, wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch erfahren, in welchen Dateien sie oder er gespeichert ist. Nicht nur im Bereich des Staatsschutzes kann es natürlich auch sein, dass der beliebte Textbaustein zurück kommt, dass eine vollständige Auskunft aus Gründen des Geheimnisschutzes nicht erteilt werden kann. Wer einen Platzverweis oder ähnliches erhalten hat, wer also weiß, dass er oder sie erfasst ist, kann auch eher damit rechnen, dass das Faktum einer Datenspeicherung mitgeteilt wird. Dem ist natürlich nicht mehr so, wenn es sich um Informationen aus laufenden Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden oder aus heimlichen Massnahmen handelt.

Wer von einer Speicherung erfährt, kann gegebenenfalls auch die Löschung beantragen. Zuvor sollte man sich aber erst einmal erkundigen, wie lange die Daten gespeichert bleiben sollen. Ein Rechtsstreit lohnt sich häufig nur dann, wenn die Daten noch eine lange Laufzeit haben. Wer sich mit der Polizei um Verdachtsdaten streiten will, steht vor der Aufgabe, den Verdacht zu widerlegen. Darauf wird man sich nur in sehr günstigen Situationen einlassen können. Erfolg versprechend scheint ein Vorgehen dann, wenn die Daten zum falschen Zweck oder sonst irrational gespeichert wurden. Da ist noch vieles im Fluss. Beispielsweise in dem Bereich der Fussballfans arbeiten sich viele Betroffene langsam nach vorne. Hier gewinnen auch die Speicherungskriterien durch Gerichtsentscheidungen etwas an Kontur.

Anlässlich von Gipfeltreffen oder größeren Demonstration werden Staatsschutzinformationen auch ins Ausland weitergegeben. Für die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen erhielt die dänische Polizei im Dezember 2009 die Daten von 240 „potenziell gewaltbereiten Störern“. Gibt es für die Betroffenen überhaupt eine Chance, wieder Herr ihrer Daten zu werden?

Nein. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob die Daten „von Hand“ bearbeitet oder in elektronischen Dateien geführt werden. Gerade das internationale polizeiliche Meldewesen führt dazu, dass auch subjektive Einschätzungen und „weiche Daten“ situationsbezogen übermittelt werden und selbst nach geraumer Zeit und in anderen Kontexten großen Schaden anrichten können. Und zwar auch dann, wenn die Einschätzung einer inländischen Behörde, dass eine Person „potenziell gewaltbereit“ ist, sich hierzulande längst erledigt hat. Ein rechtskräftiger Freispruch oder auch nur die Feststellung, dass viel Lärm um nichts gemacht wurde, werden aber den ausländischen Dienststellen, an die in der Zwischenzeit solche Daten geliefert wurden, nicht mitgeteilt werden. Hier liegt einiges im Argen und eine effektive Kontrolle ist den Betroffenen letztlich unmöglich. Gerade wenn bei der Bekämpfung von grenzüberschreitendem politischen Protesten personenbezogene Daten weitergegeben wurden, gibt es praktisch keine Kontrolle für die Betroffenen mehr.

Sie haben schon erwähnt, dass auch Daten des Verfassungsschutzes beim polizeilichen Staatsschutz landen können. Wie muss man sich konkret die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei vorstellen?

Bekanntlich gibt es derzeit nur zwei Datenbestände, die technisch gemeinsam betrieben werden: die Anti-Terror-Datei und neuerdings die Rechtsextremismusdatei. Im Übrigen geschieht der Datenaustausch zwar mittlerweile elektronisch, aber immer noch gewissermaßen im Handbetrieb, also etwa per E-Mail. Der klassische Fall einer Informationsweitergabe an den Verfassungsschutz ist beispielsweise die Auswertung des polizeilichen Meldewesens. Was im Meldewesen des Staatsschutzes relevant erscheint, hat gute Chancen, auch vom Verfassungsschutz gespeichert zu werden. Beim Verfassungsschutz geht man so vor, dass Informationen sachbezogen – etwa im Hinblick auf ein Beobachtungsobjekt – gespeichert werden und gegebenenfalls gleichzeitig personenbezogen abgelegt sind: Wenn eine Person mehrfach auftritt, wird eine Personenakte angelegt. Die informationstechnische Infrastruktur ist inzwischen auch beim Verfassungsschutz vorhanden, aber bei älteren Vorgängen dominiert immer noch die gute alte Akte oder Blattsammlung.

Umgekehrt geben die Verfassungsschutzämter von Zeit zu Zeit Hinweise an die Ermittlungsbehörden. Sei es nach Auftreten eines Tatverdachts oder in Gestalt so genannter Behördenzeugnisse, die sich auf konkrete Ermittlungen beziehen können. Polizeibehörden nutzen solche Informationen, um einen Verdacht zu gewinnen oder zu verdichten. Wenn polizeiliche Ermittlungen zu Ergebnissen oder zu weiteren Informationen führen, können diese an den Verfassungsschutz zurück gemeldet werden. Die Dienste sind allerdings häufig zurückhaltend, etwa dann, wenn die Informationen von eigenen Quellen, sprich von V-Leuten kommen. Nichts fürchtet ein Geheimdienst mehr, als dass seine Zuträger enttarnt werden. Dementsprechend selektiv fallen deshalb auch die Meldungen an die Polizei aus. Aus bürgerrechtlicher Sicht ist gegen eine eher zurück haltende Weitergabe von Daten und Einschätzungen durch den Verfassungsschutz grundsätzlich nichts einzuwenden. Selbst wenn wir heute mit Gänsehaut die Ermittlungspannen bei der Fahndung nach dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ betrachten, müssen wir uns auch in Erinnerung rufen: Der Verfassungsschutz ist weder von seinen gesetzlichen Aufgaben noch von seinen Kompetenzen und seinem Know-how her ein Fahndungshelfer. Geheimdienstliche Mittel dürften – wenn überhaupt – nur für ganz bestimmte geheimdienstliche Aufgaben angewandt werden. Der Verfassungsschutz ist mit diesen Instrumenten nicht ausgestattet, um polizeiliche Ermittlungsarbeit zu verbessern. Im Übrigen verfügt die Polizei heute über fast alle Mittel, die ein Geheimdienst auch hat.

Von einer solchen zurückhaltenden Übermittlung im Einzelfall kann aber bei gemeinsamen Dateien nicht mehr die Rede sein.

Der Trend geht in der Tat in eine andere Richtung: Zunehmend wird eine Integration von Polizei und Geheimdiensten auch institutionell – über die so genannten Gemeinsamen Abwehrzentren – und technisch – über gemeinsame Dateien – herbeigeführt. Gesetzgeber und Polizei haben sich da mit islamistischen Terroristen und gewaltgeneigten Rechtsextremisten zwei Phänomenbereiche herausgesucht, die nicht mit besonderer Sympathie im liberalen und bürgerrechtlichen Spektrum rechnen dürfen. Über die Anti-Terror-Datei wurde im Herbst 2012 vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 12.000 Personen in der Datei gespeichert, wobei die Masse der Daten vom Bundesnachrichtendienst kam und Personen im Ausland betraf.

Bei ihrem gegenwärtigen Zuschnitt sind die gemeinsamen Dateien im Wesentlichen so genannte Index-Dateien, das heißt, dass mit ihrer Hilfe festgestellt werden kann, ob zu einer bestimmten Person bei anderen Behörden – bei Polizei oder Geheimdiensten – Informationen vorliegen. Das geschieht mithilfe von so genannten Grunddaten, die für alle beteiligten Stellen einsehbar sind. Von der Notfallkompetenz des Durchgriffs auf aussagefähige weitere Echtdaten wurde in der Vergangenheit nur in vernachlässigenswertem Umfang Gebrauch gemacht.

Diese besondere Art von Datei wird von der Bundesregierung bislang vor allem damit verteidigt, dass sie in kurzer Zeit Einschätzungen anderer Behörden verfügbar macht. Dass es dazu ausgerechnet einer gemeinsamen Datei bedürfte und nicht etwa einer gezielten Kommunikation von Lagezentren verschiedener Behörden, welche notfalls auch als Funktion eines gemeinsamen Zentrums verstanden werden könnte, ist damit noch lange nicht ausgemacht. Es bleibt abzuwarten, welche Konjunktur solche gemeinsamen Dateien haben werden, falls das Bundesverfassungsgericht in dem Rechtsstreit um die Anti-Terror-Datei zu dem Ergebnis kommt, dass sie – allen Bedenken zum Trotz – im Grunde in Ordnung gehen.

Wird man in absehbarer Zeit also auch mit einer Gemeinsamen Linksextremismusdatei rechnen müssen?

Warum nicht? Die zeitgenösische konservative Sicherheitspolitik verfolgt mit Vehemenz ein Sicherheitskonzept, das auf einer Abwehr von so genanntem Extremismus von rechts und von links besteht. Es ist für diese Politik rhetorisch kein Problem, im linken politischen Spektrum existierende Erscheinungen so lange hochzujazzen, bis sie als valide Gefahr für die Innere Sicherheit zum vertretbaren Gegenstand einer gemeinsamen Datei werden könnten. Hier geht es weniger um reale Gefährdungen als um Gefährdungsbehauptungen. Um Logik ging es dabei noch nie.

Links – Rechts – Ausländer – Sport

PMK-Dateien, „Gewalttäterdateien“, personengebundene Hinweise auf „links“- oder „rechts-motivierte StraftäterInnen“ … – seit 2009 haben die Anfragen der Linksfraktion im Bundestag etwas Transparenz in die staatsschützerische Dateienvielfalt gebracht. Hier einige Zahlenangaben:

Die PMK-Dateien wurden 2008 eingerichtet und sind nur von der Staatsschutzabteilung des BKA abfragbar. Im September 2011 waren in der Datei PMK-links 1.710 Personen gespeichert. 122 Erfasste waren zuvor in der Datei „International agierende gewaltbereite Störer“ (IgaSt) verzeichnet, die von 2003 bis Juni 2011 existierte. Im August 2010 waren hier 1.349 Personen verzeichnet (Juni 2009 – 2.966). Die Datei „PMK-rechts“ enthielt im September 2011 Daten über 610 Personen.

Die „Gewalttäterdateien“ existieren seit 2001 und werden im Verbund geführt, sind also auch aus den Ländern abfragbar. Im September 2011 waren in der Datei „Gewalttäter-links“ 2.285 Personen verzeichnet (August 2010: 2.173; Juni 2009: 1.866). Dazu gehörten im Dezember 2011 auch 63 Minderjährige. Das Pendent dazu auf der rechten Seite enthielt im September 2011 Daten über 1.013 Personen (August 2010: 1.334; Juni 2009: 1.328). In „Gewalttäter politisch motivierter Ausländerkriminalität“ fanden sich im September 2011 257 Personen (August 2010: 228; Juni 2009: 154). Die nicht vom Staatsschutz geführte „Gewalttäter Sport“ verzeichnete zwischen 2009 und 2011 die größten Zuwächse (September 2011: 17.377; August 2010: 12.725; Juni 2009: 11.245).

Personenbezogene Hinweise „Straftäter links“- oder „rechtsmotiviert“ können für Datensätze in den Verbunddateien Personenfahndung, Erkennungsdienst und Kriminalaktennachweis vergeben werden. Diese Dateien sind für praktisch alle deutsche PolizistInnen einsehbar. Der linke „Stempel“ betraf im September 2011 7.642 Personen, drei Monate später waren es nur noch 4.620, von denen 439 in „PMK-links“ und 1.271 in „Gewalttäter links“ gespeichert waren.

Quellen: BT-Drs. 16/13563 v. 25.6.2009, 17/2803 v. 25.8.2010; 17/7307 v. 13.10.2011; 17/8089 v. 7.12.2011