Quantensprung für Frontex: Der unaufhaltsame Aufstieg der Grenzschutzagentur

von Maria Winker und Matthias Monroy

Zunehmende Migrationsbewegungen auf der Westbalkanroute und im zentralen Mittelmeer sollen zu einem weiteren Ausbau der Kompetenzen von Frontex führen. Dies beträfe vor allem die vorausschauende Informationssammlung, Soforteinsatzteams an Außengrenzen und Abschiebungen. Wie bereits seit langem gefordert soll Frontex Einsätze selbst verantworten und durchführen.

Im Mai 2015 feierte die EU-Grenzagentur Frontex ihr zehnjähriges Bestehen. 2005 als „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ gegründet, wuchsen Größe, Relevanz und Budget stetig. Inzwischen ist Frontex mit Sitz in Warschau die zentrale Akteurin im europäischen Grenzmanagement: Forschung und „Risikoanalysen“ zur Lage an den EU-Außengrenzen werden mit operativen Einsätzen vor allem an südlichen und süd-östlichen EU-Grenzen kombiniert. Kooperationen mit Drittstaaten sowie Agenturen wie Europol erweitern die Tätigkeitsfelder nicht nur geografisch. Die gegenwärtige „Migrationskrise“ führt zu einem weiteren Aufwuchs der Agentur.

Frontex ist Teil des „Schengen-Acquis“ der EU. Im Schengener Übereinkommen von 1990 hatten sich anfänglich fünf EU-Staaten darauf festgelegt, den Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen durch eine verstärkte Zusammenarbeit zu Migration, Zoll und Polizei und insbesondere durch eine strikte Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen auszugleichen. Die Aufrüstung an den Grenzen begann, deren Überwachung blieb jedoch ausschließlich Angelegenheit der beteiligten Staaten. Ein gemeinsames organisatorisches Instrument wurde nicht geschaffen. Erst der 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag überführte den Schengen-Acquis in den Rechtsrahmen der EU.

Die anstehende Osterweiterung der EU und das Misstrauen in den Willen und die Fähigkeit der Beitrittskandidaten, ihre Außengrenzen abzuschotten, führte zu Diskussionen über mögliche organisatorische Konsequenzen. Im März 2001 forderten Deutschland und Italien zunächst die Gründung eines Europäischen Grenzschutzkorps. Andere Mitgliedstaaten – insbesondere Großbritannien und skandinavische Länder – lehnten den Vorschlag ab. Nach zahlreichen Diskussionen und Zwischenlösungen galt die Gründung von Frontex schließlich als Kompromiss.[1] Die EU ist von rund 12.000 Kilometern Landgrenze und 45.000 Kilometern Seegrenze umgeben. Die Agentur hat selbst keine exekutiven Befugnisse zu deren Kontrolle; sie ist vielmehr eine „Vernetzungsmaschine“.[2] Laut der Gründungsverordnung vom Oktober 2004[3] übernimmt Frontex sechs Aufgaben. Neben der Koordination sowie „technischer und operativer“ Unterstützung können die Mitgliedstaaten Hilfe zur Ausbildung von GrenzschutzbeamtInnen in Anspruch nehmen. Frontex soll zudem die „relevante Forschung“ zur Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen verfolgen. In Risikoanalysen beobachtet und prognostiziert die Agentur zu erwartende „Migrationsströme“ und empfiehlt Maßnahmen. Schließlich werden die Mitgliedstaaten mit „gemeinsamen Rückführungsaktionen“ unterstützt.

Im Herbst 2005 nahm die Agentur ihren Betrieb auf, 2006 führte sie die ersten Aktionen an den Grenzen durch. Sie verfügte in diesem Jahr über 72 MitarbeiterInnen und rund 19 Mio. Euro. Fünf Jahre später war das Personal auf 313 MitarbeiterInnen und das Budget auf 86 Mio. Euro angewachsen. Nach den Revolten des Arabischen Frühlings kletterte das Budget auf 118 Mio. Euro.

Neben eigenen MitarbeiterInnen greift Frontex auf BeamtInnen der Mitgliedstaaten zurück, die für bis zu vier Jahre an die Agentur entsandt werden. Für „Gemeinsame Operationen“ („Joint Operations“) an Land und auf See werden weitere GrenzschützerInnen für ein bis drei Monate abgeordnet. Die benötigte technische Ausrüstung wird ebenfalls von den Mitgliedstaaten überlassen und über das Register „Centralised Record of Available Technical Equipment“ (CRATE) regelmäßig abgefragt.

RABITs nach Ungarn, Griechenland und Italien?

2007 wurde die Frontex-Verordnung erstmals geändert, um Einsätze von „Soforteinsatzteams“ (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) zu ermöglichen.[4] Bei „plötzlichem und außergewöhnlichem Druck …, insbesondere durch den Zustrom einer großen Anzahl von Drittstaatsangehörigen an bestimmten Stellen der Außengrenzen, die versuchen, illegal … einzureisen”, soll Frontex schnell reagieren können. Die Neuerung verpflichtet die EU-Staaten, einen „Pool“ von MitarbeiterInnen zu bilden, die innerhalb kürzester Zeit aufzubieten wären. Der erste Einsatz einer solchen Eingreiftruppe erfolgte 2010 am griechisch-türkischen Grenz­fluss Evros.[5] Die luxemburgische Ratspräsidentschaft schlug vor einigen Monaten vor, weitere „RABITs“ an „empfindliche Grenzen wie Ungarn, Griechenland und Italien“ zu entsenden. Mittlerweile ist der zweite RABIT-Einsatz in Griechenland beschlossen und begonnen. Er ersetzt die Operation „Poseidon Sea“ und trägt den Namen „Poseidon Rapid Intervention“, Frontex will hierfür 16 Wasserfahrzeuge entsenden, aus den Mitgliedstaaten seien bereits 448 weitere BeamtInnen zugesagt.[6] Die Bundespolizei beteiligt sich mit 179 Einsatzkräften und zwei Booten. Gegenüber gewöhnlichen Frontex-Operationen ist die Beteiligung der EU-Staaten an dem RABIT-Einsatz verpflichtend.

Seit einer erneuten Änderung der Verordnung im Jahre 2011 kann die Agentur technische Ausrüstung selbst erwerben oder leasen und Systeme für den Informationsaustausch mit anderen Agenturen, EU-Mit­glied­staaten und der Kommission entwickeln und nutzen.[7] Vorangegangen waren Klagen über den wiederholten Widerruf von Zusagen der Mitgliedstaaten für Gemeinsame Operationen. Frontex kann nun nicht nur für „Soforteinsätze“, sondern für sämtliche Joint Operations auf „Pools“ von nationalen GrenzschutzbeamtInnen zurückgreifen, wodurch sich das verfügbare Personal erheblich vergrößert. Die neue Verordnung eröffnete der Agentur auch neue Tätigkeitsfelder: eigene Forschungen, der Betrieb eigener Datenbanken, mehr Unterstützung „je­ner Mitgliedstaaten, die besonderem und unverhältnismäßigem Druck ausgesetzt sind“, sowie die Bewertung von deren Kapazitäten. Die Mandatsveränderungen sahen ferner Menschenrechtsklauseln vor, um entsprechende Verpflichtungen der Agentur klarer zu formulieren. Erst seitdem hat Frontex eine interne Menschenrechtsbeauftragte sowie ein aus zwölf Nichtregierungsorganisationen, EU-Agenturen und internationalen Organisationen bestehendes Konsultativforum für Menschenrechte.

In der Verordnung von 2011 wurde auch die „Bereitstellung der erforderlichen Unterstützung für die Entwicklung und den Betrieb eines europäischen Grenzüberwachungssystems“ (EUROSUR) geregelt. Ziel des 2013 schließlich mit einer eigenen Rechtsgrundlage[8] versehenen EUROSUR ist das „Beobachten, Aufspüren, Identifizieren, Verfolgen und Verhindern unbefugter Grenzübertritte“ sowie das Einleiten von „Abfang- beziehungsweise Aufgriffsmaßnahmen zur Aufdeckung, Prävention und Bekämpfung von illegaler Einwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität“. EUROSUR besteht aus „nationalen Kontrollzentren“ in allen EU-Mitgliedstaaten, die mit einem Lagezentrum vernetzt sind. Von dort werden Daten zu Migrationsbewegungen und Aufgriffen nach Warschau übermittelt, wo Frontex ein europäisches Lagebild zusammenfügt. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten dürfen selbst entscheiden, welche ihrer Daten verarbeitet werden: Möglich sind beispielsweise polizeiliche oder militärische Mitteilungen.[9] In einem Anhang zur Empfehlung eines „EUROSUR-Handbuchs“ werden die in den „nationalen Kontrollzentren“ verarbeiteten Daten von der Kommission präzisiert. Demnach könne die Informationsgewinnung „frei zugängliches Wissen“ (OSINT), „menschliche Quellen“ (HUMINT), „Satelliten- und Luftbilder“ (IMINT) und „Signalaufklärung“ (SIGINT) beinhalten.[10] Das „gemeinsame Informationsbild des Grenzvorbereichs“ soll sich auch aus geheimdienstlichen Erkenntnissen speisen.

Grenzüberwachung, nicht Seenotrettung

Eigentlich dürfen an EUROSUR nur EU-Mitglieder (sowie die Schengen-assoziierten Staaten Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein) teilnehmen. Um aber auch die Länder des „arabischen Frühlings“ in die Migrationsabwehr zu integrieren, errichtet die spanische Regierung unter dem Namen „Seepferdchen“ regionale Netzwerke für die Überwachung des Atlantiks und des Mittelmeers. Beide Systeme werden in EUROSUR eingebunden. Zuerst hatte Libyen vor drei Jahren eine Erklärung unterzeichnet, wonach es an „Seepferdchen Mittelmeer“ mitarbeiten und sogar VerbindungsbeamtInnen nach Europa entsenden will. Ägypten, Tunesien und Algerien sollen nach dem Willen der EU-InnenministerInnen ebenfalls an den Überwachungsnetzwerken teilnehmen.

Frontex hat über das zum außenpolitisch-militärischen Teil der EU gehörende EU-Satellitenzentrum im spanischen Torrejón auch Zugriff auf Bilder aus der Satellitenaufklärung. Laut der EU-Kommission sei es in Kooperation von Frontex mit der EU-Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs im September 2014 erstmals gelungen, mithilfe von Satellitenaufklärung ein Schlauchboot mit MigrantInnen aufzuspüren.[11] Zur Handhabung der aktuellen Migrationsbewegungen im Mittelmeer erstellt Frontex ein Register „verdächtiger Schiffen“ und überwacht diese per Satellit. Von Interesse sind unter anderem ausgemusterte Frachtschiffe, die zum Verkauf oder zur Verschrottung vorgesehen sind und mitunter für Überfahrten aus der Türkei genutzt werden. Vermutlich erhalten türkische Behörden im Verdachtsfall entsprechende Meldungen, um das Besteigen der Schiffe zu verhindern.

Mittlerweile ist Frontex zum Symbol für das gemeinsame Handeln an den EU-Außengrenzen geworden. Als Italien im vorvergangenen Jahr Unterstützung für seine militärisch-humanitäre Operation „Mare Nostrum“ forderte, reagierten die Mitgliedstaaten schließlich mit der Ankündigung einer Mission „Frontex plus“. Der später zurückgezogene Vorschlag sah eine um zusätzliche Mittel ausgeweitete EU-Mission mit erweitertem Einsatzgebiet und Seenotrettung als Teil des Mandats von Frontex im Mittelmeerraum vor. Dagegen wehrte sich die Agentur aber mit Nachdruck: Der damalige Exekutivdirektor Gil Arias betonte im Europäischen Parlament, Frontex sei eine Grenzschutzagentur, die Verantwortung für Rettungseinsätze liege bei den Mitgliedsstaaten.[12]

Im Rahmen von „Mare Nostrum“ hatten italienische Militärs fast 150.000 Menschen an Bord ihrer Schiffe genommen, die monatlichen Kosten der Operation lagen bei neun Mio. Euro. Die nach Ende von „Mare Nostrum“ begonnene Frontex-Mission „Triton“ startete mit vergleichsweise mickrigen 2,9 Mio. Euro, das Einsatzgebiet schrumpfte auf die küstennahen Bereiche Süditaliens. So war von Beginn an klar, dass „Triton“ auf Grenzüberwachung ausgelegt war, nicht auf Seenotrettung.[13] „Triton“ wird von 21 Mitgliedstaaten mit Ausrüstung und Personal unterstützt. Angesichts der zunehmenden Migrationsbewegungen im Mittelmeer hatte das EU-Parlament im Juli einer deutlichen Erhöhung des Budgets für die See-Operationen von Frontex zugestimmt.[14]

Führungspersonal

Anfang 2015 wurde mit Fabrice Leggeri ein neuer Frontex-Direktor ernannt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, einem finnischen Brigadegeneral, gilt Leggeri als Bürokrat. Angeblich erfand er den Namen „Frontex“ (für „frontières extérieures“, Außengrenzen). In einem Interview mit der „Zeit“ (v. 12.2.2015) beteuerte er, „Push-back-Operationen“ verstießen „gegen EU-Recht, gegen internationales Recht und gegen die Menschenrechte“. Als Frontex-Direktor habe er jedoch „keine politische Aufgabe in dieser Frage. Ich setze nur die politischen Entscheidungen um.“

Wesentliche Entscheidungen über die Arbeit der Agentur (Arbeitsprogramm, Haushalt u.a.) werden im Frontex-Verwaltungsrat gefällt, der bis November letzten Jahres von Ralf Göbel geleitet wurde, einem früheren Vizepräsidenten des Bundespolizeipräsidiums und mittlerweile hohen Beamten im Bundesinnenministerium. Göbel ist nunmehr Vizepräsident des Gremiums. Der Direktor für operative Missionen ist weiterhin ein Deutscher: Klaus Rösler ist unter anderem mit der Leitung von „Triton“ beauftragt. Im Dezember 2014 kritisierte er in einem Schreiben an das italienische Innenministerium, dass Schiffe der isländischen oder portugiesischen Küstenwache zu Rettungseinsätzen aufbrachen, und forderte, nicht mehr allen Notrufen nachzukommen. Laut einer Meldung der italienischen Nachrichtenagentur Adkronos (v. 9.12.2014) erklärte er, „nicht jeder Anruf von einem Satellitentelefon, getätigt von Bord eines Flüchtlingsbootes, sei auch ein Hilferuf“.

Libysche Militärs im Hauptquartier in Warschau

Während Kommission und Rat Frontex großes Lob zollen, sieht sich die Agentur mit teils scharfer Kritik von Nichtregierungsorganisationen und AktivistInnen konfrontiert. Immer wieder kam es im Rahmen von Frontex-Missionen im Mittelmeer zu „Push-back-Operationen“, also zur illegalen Zurückschiebung in jene Länder, von deren Küsten die Geflüchteten in See gestochen waren. Griechenland zwang BootsinsassInnen bereits in türkische Gewässer zurück, in einem Fall ertrank dabei fast die Hälfte der Passagiere. Die italienische Küstenwache fuhr gemeinsame Patrouillen mit libyschen Soldaten, mehrmals wurde von Zurückweisungen nach Libyen berichtet. Betroffene werden auf diese Weise daran gehindert, in der EU Asylanträge zu stellen. Weder die Türkei noch Ägypten oder Libyen verfügen über funktionierende Asylsysteme.

Frontex besitzt schon jetzt ein Mandat für den Informationsaustausch mit Staaten außerhalb der EU. Entsprechende bilaterale Abkommen existieren mit den USA, Kanada und Russland, der Ukraine, Kroatien, Moldau, Georgien, Mazedonien, Serbien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Weißrussland und Kap Verde. Weitere Arbeitsabkommen werden mit der Türkei, Libyen, Marokko, Mauretanien, dem Senegal, Ägypten, Brasilien und Nigeria verhandelt. Frontex soll VerbindungsbeamtInnen in diese Länder entsenden und dort „Projekte zur technischen Unterstützung“ durchführen. Frontex war auch in die zivil-militärische EU-Mission „EUBAM Libyen“ eingebunden und lud libysche Militär-, Geheimdienst- und Polizeiangehörige in die Zentrale nach Warschau ein. Anschließend nahmen die libyschen Sicherheitsbehörden an einer Konferenz/Messe für Grenzüberwachungstechnik teil.

Inzwischen arbeitet Frontex noch enger mit Europol zusammen. Zwar ist Europol nicht für die Bekämpfung unerwünschter Migration zuständig, wohl aber für die von „Schleppernetzwerken“, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden und damit zu seinem Mandat gehören. 2015 waren auch gemeinsame Operationen mit Interpol geplant. Für Frontex hat die Zusammenarbeit mit Europol und Interpol zudem den Vorteil, dass die beiden Organisationen auch Personendaten speichern dürfen, was der Grenzagentur bisher nicht erlaubt ist. Dass die Arbeit von Frontex sich immer mehr ins Vorfeld verlagert, zeigt sich auch im Luftfahrtbereich: In einem „Flight Tracking Project“ entwickelt die Agentur derzeit Frühwarnsysteme für Flughäfen, um unerwünschte MigrantInnen schon vor der Landung zu erkennen. Bald soll die Grenzagentur auch auf die SIS-II-Datenbank zugreifen dürfen und ein Mandat zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten.

„Grenzschutzpaket“: Frontex wird runderneuert

Frontex soll künftig mehr Sammelabschiebungen durchführen. Allein für 2015 waren bis zu 40 solcher „Rückführungseinsätze“ geplant. Nach den stark ansteigenden Migrationsbewegungen über die „Westbalkanroute“ im Sommer 2015 regte die EU-Kommission an, die Abschiebepraxis durch Einrichtung eines „Frontex Return Office“ auszubauen.[15] Dieses „Doppelmandat“ für Operationen an den EU-Außengrenzen kombiniert mit mehr Verantwortung bei „Rückführungen“ hat die Kommission mittlerweile präzisiert. In einem „Grenzschutzpaket“ fordert der Erste Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, den Übergang zu einem „wirklich integrierten Grenzmanagementsystem“.[16] Frontex soll zu einer „gestärkten Agentur“ entwickelt werden und wie bereits seit Jahren von Frontex gefordert auf „eine Reserve von Personen und Ausrüstung“ zurückgreifen dürfen. Die Rede ist von 1.500 „Experten“, die „in weniger als drei Tagen“ eingesetzt werden können. Bis 2020 soll sich die Zahl der ständigen MitarbeiterInnen auf rund 1.000 verdoppeln, darunter auch „AußendienstmitarbeiterInnen“. Frontex dürfte dann VerbindungsbeamtInnen in Drittstaaten entsenden und dort gemeinsame Einsätze auch in deren Hoheitsgebiet durchführen. Planungen zur Entsendung von Frontex-VerbindungsbeamtInnen in die Türkei haben bereits begonnen.[17]

Als neuer Name kursiert der Vorschlag einer „Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenschutz“. Die runderneuerte Grenzagentur wird eng mit den EU-Agenturen für die Fischereiaufsicht und die Sicherheit des Seeverkehrs verzahnt. Gemeinsam sollen sie „Überwachungsmaßnahmen“ durchführen. Explizit genannt wird der Einsatz von Drohnen im Mittelmeerraum, wozu Frontex bereits seit einigen Jahren Forschungen betreibt und einschlägige Konferenzen abhält.[18]

Ferner sollen die Mitgliedstaaten gemeinsame Einsätze und Soforteinsätze sowie die neuen „Grenzschutz- und Küstenwache-Teams“ zur Unterstützung anfordern. Wenn jedoch der Rat den Schengen-Raum gefährdet sieht und ein Mitgliedstaat aus Sicht der übrigen Union seine Außengrenzen ungenügend kontrolliert, soll die Kommission einen Durchführungsbeschluss erlassen dürfen. Dann könnte die neue Agentur auch ohne Zustimmung des betreffenden Staates tätig werden.

Schließlich sieht das „Grenzschutzpaket” auch eine beträchtliche Er­hö­hung des Jahresbudgets für die neue Agentur vor. Für 2016 sind 238 Mio. Euro vorgesehen, 2020 sollen es nach gegenwärtigem Stand 322 Mio. werden. Weitere Gelder kommen über andere Programme. Allein zur Implementierung neuer Satellitendienste im Rahmen des EU-Pro­gramms „Copernicus“ erhält Frontex beispielsweise 48 Millionen Euro.[19]

Private Initiativen zur Seenotrettung

Angesichts der staatlichen Ignoranz gegenüber den tausenden Ertrunkenen im Mittelmeer haben sich private Initiativen zur Seenotrettung etabliert. AktivistInnen aus Europa und Nordafrika schlossen sich in der Initiative „Watch the Med!“ zusammen und verteilen in Tunesien und Marokko Flugblätter, um die gefährlichen Überfahrten wenigstens etwas sicherer zu gestalten. Seit Herbst 2014 hat „Watch the Med!“ ein eigenes Notruftelefon geschaltet. Ein Millionärsehepaar aus Malta ist mit einem Schiff und einer Drohne auf dem Mittelmeer unterwegs. Ihr Schiff „Phönix“ wird von einem Team von Ärzte ohne Grenzen unterstützt. Inzwischen hat die Organisation selbst zwei große Schiffe für Such- und Rettungseinsätze ins Mittelmeer entsandt. Vor einem Jahr starteten mehrere Familien aus Brandenburg einen Spendenaufruf zum Kauf des Schiffes „Sea Watch“, das auf dem zentralen Mittelmeer kreuzt und im Ernstfall mit Rettungsinseln hilft. „Die EU ist nicht willens dazu“, heißt es in dem Aufruf der Gruppe.[20] „Deshalb ergreifen wir die Initiative“. Mittlerweile hat die Organisation ein wendiges Speedboat beschafft, um damit Menschen in dem Gebiet zwischen der türkischen und der griechischen Seegrenze vor dem Ertrinken zu retten. Nun sammelt „Sea Watch“ Geld für ein weiteres Schiff, mit dem Geflüchtete auf hoher See auch an Bord genommen werden können.

[1]   S. Holzberger, M.: EU-Grenzpolizei – Mit kleinen Schritten zum Ziel?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 73 (3/2002), S. 10-16; ders.: Europols kleine Schwester – Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 84 (2/2006), S. 56-63
[2]   Marischka, C.: Vernetzungsmaschine Frontex, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 89 (1/2008), S. 9-17
[3]   Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 v. 26.10.2004, in: Amtsblatt der EU (Abl. EU) L 349 v. 25.11.2004
[4]   Verordnung (EG) Nr. 863/2007 v. 11.7.2007, in: Abl. EU L 199 v. 31.7.2007
[5]   http://frontex.europa.eu/assets/Attachments_News/fer_rabit_2010_screen_v6.pdf
[6]   Frontex: Pressemitteilung v. 10.12.2015
[7]   Verordnung (EU) Nr. 1168/2011 v. 25.10.2011, in: Abl. EU L 304 v. 22.11.2011
[8]   Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 v. 22.10.2013, in: Abl. EU L 295 v. 6.11.2013
[9]   EU-Kommission: Memo v. 29.11.2015
[10] COM (2015) 9206 final v. 15.12.2015
[11]  COM (2014) 711 final v. 27.11.2014
[12]  Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), Sitzung v. 3.9.2014
[13]  Concept of reinforced joint operation tackling the migratory flows towards Italy: JO EPN-Triton, online unter www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/ 2014/JOU_Concept_on_EPN-TRITON__2_.pdf
[14]  Europäisches Parlament: Pressemitteilung v. 7.7.2015
[15]  COM (2015) 453 final v. 9.9.2015
[16]  COM (2015) 671 final v. 15.12.2015
[17] BT-Drs. 18/6695 v. 12.11.2015
[18] Telepolis v. 15.1.2015
[19] Frontex-Pressemitteilung v. 17.12.2015
[20]  http://sea-watch.org/das-projekt/motivation

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