Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten vor dem Aus?

Alexander Sander

Am 14. April 2016 hat das Europäische Parlament (EP) nach jahrelangem Streit den Weg für eine europäische Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten frei gemacht.[1] Die Maßnahme soll im Kampf gegen den Terrorismus und die internationale Kriminalität unterstützen. Spätestens ab 2018 werden bei allen Flügen, die in der EU starten oder landen, sogenannte Passenger Name Records (PNR) für fünf Jahre auf Vorrat gespeichert. Ein PNR umfasst bis zu 60 Einzeldaten – von Namen, Anschrift und Reiseroute über Telefonnummern und Kreditkarteninformationen bis zu Essenswünschen und Angaben zum Gesundheitszustand der Reisenden. Durch die Analyse der Daten hoffen Ermittlungsbehörden, ihren Einsatz gegen Terroristen und Kriminelle erfolgreicher zu gestalten. Einen Beweis für den Nutzen der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Datensammlung gibt es jedoch bis heute nicht.

Die Entscheidung des EP kam überraschend, da die gleichen Abgeordneten erst im November 2014 den EU-Gerichtshof (EuGH) um eine Einschätzung zum Fluggastdaten-Abkommen zwischen der EU und Kanada ersucht hatten. Danach sollen die PNR aller Passagiere, die sich zwischen den beiden Vertragsparteien bewegen, nach Kanada übermittelt, dort ausgewertet und für fünf Jahre aufbewahrt werden. Nachdem der EuGH im April 2014 die Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten wegen Grundrechtsverstößen gekippt hatte, wollten die Abgeordneten dem Abkommen nicht ohne eine Vorabüberprüfung des Gerichts zustimmen. Anfang September 2016 erklärte nun der Generalanwalt am EuGH, Paolo Mengozzi, dass er das Abkommen in dieser Form für unvereinbar mit den EU-Grundrechten auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogenen Daten hält.[2] Das Gericht dürfte dieser Einschätzung wohl folgen.

Diese Entscheidung hätte massive Auswirkungen auf die PNR-Abkommen, die die EU bereits geschlossen hat – mit den USA (15 Jahre Speicherung), mit Australien – und die sie plant: Mit Mexiko wird derzeit verhandelt, andere Staaten (Russland, Saudi-Arabien) haben Interesse angemeldet. Die Kommission arbeitet an einem Standard-Abkom­men. Einer Grundrechtsüberprüfung durch den EuGH dürften sie alle nicht standhalten. Ob die EU jedoch von sich aus – ohne den Druck der DatenschützerInnen und der Zivilgesellschaft – alle Abkommen und Ver­hand­lungen aussetzt, um sie vom EuGH überprüfen zu lassen, ist fraglich.

Ähnliches gilt für das EU-PNR. Sollte der EuGH das EU-Kanada PNR-Abkommen für grundrechtswidrig erklären, müssen die Bemühungen zur Umsetzung und Einführung der EU-Vorratsspeicherung von Reisedaten in den Nationalstaaten umgehend gestoppt werden. Doch auch hier kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Nationalstaaten nicht zunächst versuchen, Realitäten zu schaffen. Trotz der kritischen Fragen des Gerichts während der Anhörung zum Abkommen mit Kanada und trotz des deutlichen EuGH-Urteils zur Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten, sind die Mitgliedstaaten, die seit jeher die treiben Kräfte bei der Einführung eines EU-PNR sind, schon mit einer Ausweitung des Systems beschäftigt. Schon jetzt erörtert der Rat, wie die künftige Datensammlung weiter genutzt werden kann. Im Raum steht ein cross-match der Passdaten mit dem Schengener Informationssystem und der Interpol Datenbank über gestohlene oder verlorene Reisedokumente (SLTD). Zudem gibt es nicht wenige Stimmen, die eine Ausweitung auf andere Verkehrsmittel, etwa Züge und Schiffe, fordern. Auch hier ist es möglich, dass die Zivilgesellschaft Klagen anstoßen muss, um die Grundrechte der Reisenden zu schützen, während die Entscheidungsträger das Gegenteil tun.

[1]      www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/passenger-name-record
[2]      Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung v. 8.9.2016

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