Tag X als Bürgerkrieg: Stand der Ermittlungen zum rechten Nordkreuz-Netzwerk

von Sebastian Wehrhahn und Martina Renner

Seit 2017 ist bekannt, dass in Mecklenburg-Vorpommern Soldaten und Polizisten die Ermordung von Linken und einen Bürgerkrieg vorbereiteten. Ein Großteil des Netzwerkes bleibt unerkannt – es mangelt an hinreichenden Ermittlungen und politischem Willen.

„Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrücktspielen, bin ich vorbereitet.“[1] So beschrieb der AfD-Politiker Holger Arppe den Anwalt Jan-Hendrik H. Letzterer ist einer von zwei Beschuldigten in einem Verfahren der Bundesanwaltschaft wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der andere ist der Polizist und AfD-Funktionär Haik J. Beiden wird vorgeworfen, Listen politischer Gegner*innen angelegt zu haben, die an einem Tag X deportiert und ermordet werden sollten. Haik J. soll für die Recherche personenbezogener Daten der Opfer den Dienstrechner genutzt haben.

Die Listen waren nicht die einzige Vorbereitung, die die Gruppe traf. In verschlüsselten Chatgruppen tauschten sich die Mitglieder aus, mehrfach fanden auch Schießübungen statt. Ein Mitglied, der ehemalige SEK-Präzisionsschütze und Fallschirmjäger Marko G., sammelte von den Beteiligten jeweils 600 Euro ein, um mit dem Geld unter anderem Waffen und Munition zu besorgen. Im Sommer 2017 fand die Polizei auf seinem Grundstück im mecklenburgischen Banzkow Zehntausende Schuss Munition. Bei einer erneuten Durchsuchung zwei Jahre später wurden auch Übungshandgranaten, eine Maschinenpistole Typ Uzi und erneut über 30.000 Schuss Munition gefunden. Dass die Vorbereitungen der Gruppe nicht der Verteidigung dienten, zeigt die Art der Munition, die bei Marko G. gefunden wurde. Dabei handelt es sich um offensive Munition, die dazu konzipiert ist, Deckungen zu durchschlagen und die dahinter Schutz suchenden Personen zu töten.[2] Darüber hinaus verfügt das Netzwerk über ein noch immer unbekanntes Gelände: ein ehemaliges Feriendorf, in das sich die Mitglieder und ihre Familien im Falle eines Bürgerkriegs zurückziehen könnten. Auch eine stationäre und eine mobile Krankenstation wurden funktionsfähig eingerichtet.[3] Wie viele Menschen Teil des rechten Netzwerks sind oder waren, ist unklar. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag gab die Bundesregierung an, in den verschiedenen Telegram-Gruppen, über die die Gruppe kommunizierte, seien zwischen vier und 73 Mitglieder gewesen.[4] Marko G., der als Gründer der Gruppe gilt und mehrere der verschlüsselten Chats administrierte, spricht allerdings von „einem ganzen Dorf“.[5]

Ein weiteres Mitglied der Gruppe war der ehemalige Kommandeur einer Reservistenkompanie Horst S. Wie Haik J. und Jan-Hendrik H. zählte er zusammen mit Jörg S. zur exklusiven Chatgruppe „Vier gewinnt“. Horst S. nahm an Treffen teil, bei denen die Entführung und Ermordung von Linken besprochen worden sein soll. Er ist eine Schlüsselfigur, weil es laut Presseberichten seine Aussage im Verfahren gegen den Bundeswehr-Oberleutnant Franco Albrecht war, die das Nordkreuz-Netzwerk überhaupt zum Gegenstand von Ermittlungen gemacht hat.[6] S. soll sich freiwillig als Zeuge gemeldet und umfassend über Pläne, Mitglieder und Aktivitäten von Nordkreuz berichtet haben. Nur wenige Tage vor diesem Gespräch suchten Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst S. auf, um mit ihm über seine Bestellungen beim rechten Thule-Versand zu sprechen.[7]

Begrenzte Ermittlungen

Auffällig in Bezug auf die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ist, dass weder Horst S. noch Marko G. als Beschuldigte geführt werden, obwohl beide offensichtlich eine zentrale Rolle im Netzwerk spielten. Marko G. soll sogar die beiden Beschuldigten Haik J. und Jan-Hendrik H. für das Netzwerk angeworben haben.[8]

Eklatant ist auch, dass die Bundesanwaltschaft weder wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, noch ein Strukturermittlungsverfahren führt, um das Umfeld der Beschuldigten zu überprüfen, das Ausmaß des Netzwerkes aufzuklären und ggf. weitere Waffendepots zu finden und Anschläge zu verhindern. In einer Antwort auf eine Frage der Linksfraktion im Bundestag teilte die Bundesregierung mit, dass der Bundesanwaltschaft 2019 die Übernahme des Verfahrens gegen Marko G. angeboten wurde. Diese lehnte jedoch ab, da sie keinen Anfangsverdacht für die Bildung einer terroristischen Vereinigung erkennen konnte.[9]

Zumindest vor dem Landgericht Schwerin musste sich Marko G. 2019 als Beschuldigter verantworten. Verhandelt wurde allerdings nur der illegale Besitz von Waffen, Munition und Sprengstoff. Der Richter betonte zudem, den politischen Gehalt ausklammern zu wollen.[10] Dies ist in Anbetracht der naheliegenden Mitgliedschaft von G. in dem Netzwerk, das politisch motivierte Anschläge, Entführungen und Ermordungen plante, eine ebenso deutliche wie richtungsweisende Entscheidung.

Auch folgte das Gericht der Erzählung des Angeklagten, er habe die bei ihm aufgefundene Uzi gekauft. Dabei ist es erwiesen, dass G. zum Zeitpunkt ihrer Entwendung bei der Bundeswehr 1993 Dienst in der betreffenden Einheit tat.[11]

Fragen werfen auch die Aussagen des Zeugen Matthias H., Mitarbeiter der Waffenbehörde Ludwigslust, auf. H., ein Bekannter des Angeklagten, war 2017 zur Durchsuchung bei Marko G. hinzugezogen worden. Er versäumte es aber im Nachgang, Marko G. die Berechtigung zum Munitionserwerb offiziell zu entziehen. So konnte G. nicht für den illegalen Besitz von 30.000 Schuss Munition verurteilt werden.[12]

Mittlerweile ermittelt die Schweriner Staatsanwaltschaft auch gegen Matthias H. Sie wirft ihm vor, die Munition, die bei G. gefunden wurde, nach der Beschlagnahmung an einen möglichen Komplizen von G. weitergegeben zu haben. Außerdem habe er sich von diesem Komplizen bestechen lassen, eine Einfuhrgenehmigung für ein Gewehr zu erteilen.[13]

Bei dem Komplizen handelt es sich um Frank T., Waffenhändler, Vorsitzender eines Schützenvereins, der einen Schießplatz betreibt, und Chef von Baltic Shooters, einem Unternehmen, das Spezialausbildungen anbietet.[14] Wie Marko G. war auch er Mitglied in den Nordkreuz-Chats.[15] Von Bedeutung ist T. auch deshalb, weil auf seinem Schießstand über Jahre sogenannte Special Forces Workshops stattfanden, zu denen Polizist*innen von Spezialeinheiten aus dem gesamten Bundesgebiet anreisten. Schirmherr dieser Zusammenkünfte war Mecklenburg-Vor­pommerns Innenminister Lorenz Caffier. Auch Marko G. war für Baltic Shooters als Schießtrainer tätig. Ein Teil der bei ihm gefundenen Munition stammte erwiesenermaßen von Polizeieinheiten verschiedener Bundesländer. Möglich ist, dass diese Munition im Rahmen der Special Forces Workshops bzw. über den Schießplatz von Baltic Shooters zu ihm gelangte. Ein anderer Teil der bei G. aufgefundenen Munition wurde möglicherweise von drei ehemaligen Kollegen des mecklenburgischen SEK im Dienst gestohlen. Ein entsprechendes Verfahren wird derzeit geführt.[16]

Im November 2020 wurde bekannt, dass Caffier von Frank T. eine Waffe erworben hat. Unter dem daraus folgenden politischen Druck musste er zurücktreten. Caffier selbst versuchte zunächst, diesen Kauf als Privatsache aus der Öffentlichkeit zu halten. Dieser Versuch fügt sich nahtlos in sein Bemühen ein, das rechte Nordkreuz-Netzwerk und dessen Verbindungen in die Behörden so wenig und so unpolitisch wie möglich zu thematisieren.[17] Dazu trug maßgeblich die 2017 von Innenminister Caffier eingesetzte „Prepper-Kommission“ bei.

Mit der Einrichtung der „Kommission zur Beleuchtung der Prepper-Szene in Mecklenburg-Vorpommern“ reagierte die Landesregierung unmittelbar auf das Bekanntwerden des rechten Nordkreuz-Netzwerkes und der Terror-Pläne. Teil dieser Kommission waren einerseits Mitarbeiter*innen des Innenministeriums, der Polizei, des Landesamtes für Verfassungsschutz und des Landeskommandos der Bundeswehr. Andererseits zählten dazu Wissenschaftler der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie Vertreter der Landeszentrale für politische Bildung – darunter niemand mit einer Expertise auf dem Gebiet der Extremen Rechten.[18] Auch die Bestimmung des Gegenstands zeigte deutlich, wohin die Reise gehen sollte. Statt Rassismus, Nationalismus, Hass gegen Linke oder Demokratiedefizite in Polizei und Reservistenverband zu thematisieren, wurde der Untersuchungsauftrag technisch und bemüht unpolitisch bestimmt. Es sollte lediglich um Prepper gehen, wobei Wert darauf gelegt wurde, dass „keine negative Verstärkung des Begriffes Prepper erfolgt“.[19] Damit wurde der Fokus erfolgreich vom politischen Problem verschoben. Um das Nordkreuz-Netzwerk sollte es auch deshalb nicht gehen, weil dieses Gegenstand laufender Ermittlungen sei.

Mit derselben Begründung verweigert das Innenministerium zudem bis heute die Herausgabe des bisherigen Abschlussberichtes. Ursprünglich sollte dieser schon 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt werden. 2019 verklagte die Initiative fragdenstaat.de dementsprechend das Innenministerium unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz. Bislang ist auch in dieser Sache noch nicht entschieden.[20] Die taz zitiert allerdings behördeninterne Schriftwechsel, aus denen deutliche inhaltliche Mängel hervorgehen: Die Kommission bemühte sich vor allem um eine entpolitisierende Prepper-Definition, betrachtete vor allem die unpolitische, öffentliche Prepper-Szene, statt verborgen agierende rechte Netzwerke und berücksichtigte weder die Erkenntnisse von Strafverfahren des Generalbundesanwalts noch der Staatsanwalt­schaft Schwerin.[21] Im Ministerium befürchte man daher – auch vor dem Hintergrund der vielen Enthüllungen zu rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr in jüngerer Zeit – eine schlechte Öffentlichkeit zum Bericht.

Eine andere von Caffier berufene Kommission unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm widmete sich der Untersuchung extrem rechter Tendenzen im Spezialeinsatzkommando Mecklenburg-Vorpommerns. In Folge des Berichtes, der gravierende Mängel in Führung, Betriebskultur und Kommunikation feststellte, wurden zwei leitende Positionen in Landespolizei und Innenministerium neu besetzt. In einer von drei Gruppen des Spezialeinsatzkommandos wurden starke rechtsextreme Tendenzen festgestellt, bezeichnenderweise waren die betreffenden Beamten zuvor bei der Bundeswehr.[22]

Das Netzwerk besteht fort

Auch mehr als drei Jahre nach den ersten Durchsuchungen gibt es etliche Widersprüche und offene Fragen zu Aktivitäten und Umfang des Netzwerkes. Ein Verhandlungstermin gegen die beiden Beschuldigten Haik J. und Jan-Hendrik H. ist noch nicht anberaumt. Dass das Verfahren nur gegen zwei Personen aus der Gruppe geführt wird, ist unverständlich. Es trägt dazu bei, dass das Ausmaß des Netzwerkes, die Aktivitäten der analogen Regionalgruppen Süd-, Ost-, und Westkreuz, Verbindungen zu Franco Albrecht, zum Reservistenverband oder zum Kommando Spezialkräfte weiterhin im Dunkeln bleiben. Anlass, diese Verbindungen zu prüfen, gibt es genug. Aus einer Antwort auf eine Frage der Linksfraktion im Bundestag geht etwa hervor, dass der rechtsextreme KSK-Soldat Philipp S. sowohl Frank T., den Inhaber von Baltic Shooters, kennt als auch zwei Polizisten, die wie T. Mitglied der Nordkreuz-Chats waren.[23]

Mindestens ebenso interessant ist die Frage, wann welche Behörden von Nordkreuz Kenntnis hatten. Dagegen, dass das Netzwerk den Behörden erst durch eine Vernehmung im Fallkomplex Franco Albrecht im Sommer 2017 bekannt wurde, spricht neben Ungereimtheiten in dieser Geschichte[24] der Umstand, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst einräumte, schon mindestens ein halbes Jahr zuvor von dem Netz­werk gewusst zu haben.[25]

Dass das Netzwerk noch intakt ist, ist kein Geheimnis. Marko G. selbst räumte dies kürzlich gegenüber der New York Times ein.[26] Auch Infrastrukturen bleiben unangetastet: Weder der geheime Rückzugsort des Netzwerks in Mecklenburg-Vorpommern für den Bürgerkriegsfall wurde ermittelt, noch der Ort, an dem die Waffen lagern, für die die Munition bestimmt war, die bei Marko G. gefunden wurde.

Nordkreuz bleibt also gefährlich. Dabei besteht die Gefahr nicht nur darin, dass es tatsächlich zu einem Putschversuch kommen könnte. Rechtsextreme mit Zugang zu Waffen, die entweder Teil von Polizei und Bundeswehr sind oder über gute Kontakte in die Behörden verfügen, können auf unterschiedliche Weisen schweren Schaden anrichten. Sowohl gesellschaftliche als auch persönliche Krisen können Anlässe oder Auslöser für Anschläge sein.

Diese Gefahr besteht so lange, wie das Netzwerk und seine Verbindungen nicht aufgeklärt werden, so lange also, wie es an politischem Druck fehlt, diese Aufklärung gegen den Widerstand der Behörden und der politisch Verantwortlichen durchzusetzen.

[1]   Protokolle eines AfD-Politikers, taz online v. 2.11.2020
[2]   Angriff von innen, ZDFzoom v. 15.4.2020
[3]   Body Bags and Enemy Lists, New York Times online v. 1.8.2020
[4]   BT-Drs. 19/16980 v. 4.2.2020
[5]   Body Bags a.a.O. (Fn. 3)
[6]   Kommando Heimatschutz, taz online v. 20. 12. 2017
[7]   ebd.
[8]   www.nsu-watch.info/2019/11/vorkehrungen-fuer-den-tag-x-der-prozess-gegen-marco-g-1-verhandlungstag
[9]   BT-Plenarprotokoll 19/188, Antwort auf Fragen Nr. 36 und 37
[10] ebd.
[11] Eine einmalige Verfehlung, taz online v. 24. 4. 2020
[12] Bewährungsstrafe für „Nordkreuz“-Chef, NDR-Panorama v. 20.12.2019
[13] www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/Hatte-Nordkreuz-Preppergruppe-Helfer-in-Behoerde-des-Landkreises-Ludwigslust-Parchim-id28575592.html
[14] Ermittlungen gegen Prepper in MV, Ostsee-Zeitung online v. 28.6.2019
[15] Die Spur nach Güstrow, taz online v. 4.4.2020
[16] ebd.
[17] Caffier-Rücktritt, NDR online v. 18.11.2020
[18] LT MV, Drs. 7/1169
[19] Schlecht prepperiert, taz online v. 7. 11. 2019
[20] https://fragdenstaat.de/blog/2019/11/07/prepper-kommission-neue-dokumente
[21] Schlecht prepperiert, taz online v. 7. 11. 2019
[22] Halbherzige Konsequenzen, Neues Deutschland online v. 17.12.2019
[23] BT-Drs. 19/23454, Antwort auf Frage 147
[24] s. Renner, M.; Wehrhahn, S.: Schattenarmee oder Einzelfälle?, in: Bürgerrechte & Polizei/Cilip 120 (November 2019), S. 62-71
[25] Auf der Feindesliste, taz online v. 6. 7. 2019
[26] Body Bags a.a.O. (Fn. 3)

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