Mit dem Inkrafttreten am 7. Januar 2022 hat auch Nordrhein-Westfalen nun ein eigenes Versammlungsgesetz. Seit der Föderalismusreform 2008 liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht bei den Ländern, wovon zuvor bereits Bayern (2008), Sachsen-Anhalt (2009), Niedersachsen (2010), Sachsen (2012), Schleswig-Holstein (2015) und Berlin (2021) Gebrauch gemacht haben. Das VersG NRW sticht vor allem gegenüber den zuletzt beschlossenen und vergleichsweise liberal ausgestalteten Landesgesetzen in Berlin und Schleswig-Holstein negativ heraus.
Nicht zuletzt zeigt ein Blick auf den Katalog der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, dass das VersG NRW zu Recht als restriktivstes deutsches Versammlungsgesetz bezeichnet wird. Zwar wurde die letztlich beschlossene Fassung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geringfügig abgeschwächt, das Gesetz enthält jedoch weiterhin tiefgreifende Kontroll- und Eingriffsbefugnisse der Polizei. Insbesondere senkt § 16 VersG NRW die Hürden für die Videobeobachtung von Versammlungen erheblich ab und erlaubt Video- und Tonaufnahmen bereits wegen der „Größe oder Unübersichtlichkeit“ zur „Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes“. Auch verdeckt angefertigte Aufnahmen sollen möglich sein; ebenso wird das Filmen durch Drohnen explizit im Gesetz genannt. Rechtsunsicherheit droht mit einem über das bundesgesetzliche Uniformverbot hinausgehende „Gewalt- und Einschüchterungsverbot“ (§ 18) sowie einem erweiterten Störungsverbot (§ 7). Letzteres soll zwar nach Angaben der Regierungsmehrheit „kommunikative Gegenproteste“ nicht umfassen, bietet aber erheblichen Interpretationsspielraum, ab wann derartige Proteste als „störend“ unterbunden werden und bußgeldbewehrt sind.
Einen ersten Anwendungsfall des VersG NRW musste das Wuppertaler „Forum gegen Polizeigewalt und Repression“ erleben. Für eine am 29. Januar 2022 durchgeführte Demonstration wollte das zuständige Polizeipräsidium den Versammlungsleiter als „ungeeignet“ ablehnen. Diese in § 12 Abs. 1 VersG NRW vorgesehene Befugnis wurde bereits von Gerichten unter Rückgriff auf die bundesgesetzliche Generalklausel in § 15 VersG für zulässig gehalten. Im Wuppertaler Fall ging der Versuch jedoch fehl. Mangels ausreichender Gefahrenprognose hob das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az. 18 L 141/22) die polizeiliche Verfügung im Wege des Eilrechtsschutzes auf.