Archiv der Kategorie: CILIP 056

(1/1997) CASTOR-Transport, OK-Lagebilder, Berliner Polizeireform, Häusliche Gewalt u.a.

Technologische Revolution bei der Schweizer Polizei – Schnüffelstaat in Zahlen

Als die ‚Parlamentarische Untersuchungskommission über besondere Vorkommnisse im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement‘ (EJPD) 1989 die Bundesanwaltschaft und die ihr unterstellte Bundespolizei unter die Lupe nahm, fand sie vor allem riesige Mengen Papier: Karteikarten (Fichen) und Dossiers über insgesamt 900.000 Personen, die als politisch unzuverlässig ‚fichiert‘ worden waren. Heute müßte sich eine neue Kommission dagegen in Computersysteme einklinken, denn in der Folge des ‚Fichenskandals‘ baute das EJPD bestehende Computersysteme aus und neue auf. Überwacht und erfaßt wird weiterhin.

Der Scherbenhaufen des ‚Fichenskandals‘ sei beiseite geräumt, erklärte Justizminister Arnold Koller am 11. April diesen Jahres vor der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. (1) Das 1994 von der Bundespolizei, der Zentrale der politischen Polizei, in Vollbetrieb genommene ‚Staatsschutzinformationssystem (ISIS)‘ sei nicht nur effizient, sondern vor allem rechtsstaatlich einwandfrei und bestens kontrolliert. Falsche und nicht mehr benötigte Daten würden regelmäßig gelöscht. Die Bundespolizei (BUPO), so lobte Koller seine ca. 100 Bundesschnüffler, sei die „bestkontrollierte Verwaltungseinheit des Bundes“. Die gepriesene Transparenz erweist sich beim näheren Hinsehen allerdings als reiner Werbegag für das am 21. März von National- und Ständerat, den beiden Parlamentskammern, beschlossene neue Staatsschutzgesetz, gegen das vom Komitee ‚Schluß mit dem Schnüffelstaat‘ und einer breiten Koalition von linken, grünen und Gewerkschaftsorganisationen das Referendum ergriffen wurde. (2) Technologische Revolution bei der Schweizer Polizei – Schnüffelstaat in Zahlen weiterlesen

Ein Alternativkonzept für EUROPOL – Vorschläge von unerwarteter Seite

von Thilo Weichert

Angeblich bedroht die internationale organisierte Kriminalität nicht nur unser Eigentum und unser Leben, sondern auch die sozialen, demokratischen und freiheitlichen Grundlagen unseres Zusammenlebens in Europa. Konsequenz: Die Polizei braucht neue Kompetenzen für die internationale Verbrechensbekämpfung. Am 24. April 1997 erfolgte die erste Lesung des Ratifizierungsgesetzes zur Europol-Konvention im Bundestag. (1) Kurz zuvor waren bisher geheimgehaltene Unterlagen über die geplante Europäische Polizeibehörde bekannt geworden. Danach werden die Daten- und Aktenbestände von Europol für „unantastbar“ erklärt. Die Bediensteten sollen Immunität genießen. Sie seien „von der Gerichtsbarkeit (…) für ihre Handlungen“ zu befreien. Für die Revision der Maastricht-Verträge ist vorgesehen, daß Europol operative Zuständigkeiten erhält.

Die Debatte um Europol ist stark polarisiert. Während die Protagonisten in Europol die einzig mögliche Antwort auf die Herausforderungen der internationalen Kriminalität sehen, halten BürgerrechtlerInnen mit verfassungsrechtlichen Argumenten dagegen: Europol fehlt die erforderliche demokratische Legitimation und Kontrolle. Die exekutive Verantwortlichkeit ist nicht sichergestellt. Der Rechtsschutz für die BürgerInnen unterschreitet rechtsstaatliche Standards. Bei der geplanten Datenverarbeitung wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mißachtet. Schließlich wird das Subsidiaritätsprinzip verletzt. (2)
Die BürgerrechtlerInnen weisen dabei auf nicht weniger, als auf den Bruch mit allen bisherigen rechtsstaatlichen, bürgerrechtlichen und demokratischen Traditionen der europäischen Staaten hin. Ein Alternativkonzept für EUROPOL – Vorschläge von unerwarteter Seite weiterlesen

‚Europäisches Sicherheitsheits-Informations-System‘ (EuSIS) – Eigene Datenbank für privates Sicherheitsgewerbe

von Otto Diederichs

Erstaunlich spät hat das private Sicherheitsgewerbe die Möglichkeiten des Internet als Fahndungsmittel erkannt. Seit März diesen Jahres sind nun die Anfänge des ‚Europäischen Sicherheits-Informations-Systems‘ (EuSIS) aufrufbar (1) ; Entwickler und Betreiber sind die ‚Computer Programmier Service Krohn GmbH‘ (CPS) und die Detektei Peter Krohn im schleswig-holsteinischen Uetersen. Das Internet ist auch in der Bundesrepublik nicht mehr nur die Nische von Computerfreaks und Hackern.

Vorreiter bei der Internetfahndung ist das amerikanische FBI, das als erste Polizeibehörde der Welt zehn der in den USA meistgesuchten Personen über das ‚Netz der Netze‘ ausgeschrieben hatte. Im Mai 1996 konnte FBI-Direktor Louis Freeh den ersten digitalen Fahndungserfolg melden: Ein Einwohner von Guatemala hatte einen der Gesuchten erkannt. Wenngleich meist noch etwas schwerfällig, ist auch die deutsche Polizei unterdessen dazu übergegangen, die Möglichkeiten des Internet als weltweit aufrufbares Medium für ihre Zwecke zu nutzen. ‚Europäisches Sicherheitsheits-Informations-System‘ (EuSIS) – Eigene Datenbank für privates Sicherheitsgewerbe weiterlesen

Der CASTOR-Transport 1997 – Demonstrationen und Polizeieinsätze

Das ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ hat mit mindestens einem Dutzend Teilnehmenden den dialektischen Prozeß zwischen Castor-Transport, Polizei und Demonstrierenden vom 28.2. bis zum 5.3.97 beobachtet. (1) Über deren Beobachtungen hinaus stützt sich die folgende Analyse auf Presseerklärungen des Direktors der Polizei bei der Bezirksregierung Lüneburg; auf die Presseberichterstattung während des einschlägigen Zeitraums; auf Berichte von Pastorinnen und Pastoren in Lüchow-Dannenberg (2) und auf Beobachtungen und Auskünfte von Anwältinnen und Anwälten, die sich z.T. vermittelnd in das zwischen Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern und Polizeibeamtinnen und -beamten wogende Geschehen einmischten.

In aller Regel dürfen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern anläßlich einer Demonstration nicht aus dem demonstrativen Geschehen und den darauf bezogenen Aktionen und Re-Aktionen der Polizei beurteilt werden. Man muß die Voreinstimmungen kennen, wie sie in Äußerungen von Vertretern staatlicher Institutionen, von Politikern, von Polizeiverantwortlichen, von seiten derjenigen, die zur Demonstration aufgerufen haben, von Kommentaren u.s.w. kenntlich werden. Man muß darüber hinaus wissen, worum es den Demonstrierenden geht und wie es zu dem Ereignis, dem Vorfall, dem Ärgernis oder dem Problem, um dessetwillen demonstriert wird, gekommen ist. Die Unmittelbarkeit demonstrativen Geschehens kann also nur zureichend beobachtet und beurteilt werden, wenn auch der mittelbare Kontext bekannt ist und sozusagen in den beobachtenden Blick, in die Dioptrienzahl der beobachtenden Brille miteingehen kann. Gerade angesichts gewalthafter Vorfälle im Umkreis von Demonstrationen wird die konstitutive Bedeutung des vermittelnden Kontextes bis hin zu rechtlichen Einstimmungen und speziellen Verboten oder Begrenzungen von Demonstrationen durch sog. Allgemeinverfügungen oft vergessen oder unterschlagen. Dies führt zu verzerrten Wahrnehmungen der Ereignisse und zu falschen Beurteilungen. Der CASTOR-Transport 1997 – Demonstrationen und Polizeieinsätze weiterlesen

Organisierte Kriminalität in amtlichen Zahlen- Über die Aussagekraft der Lagebilder

Auf der jüngsten Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes machte dessen Vizepräsident mit kritischen Bemerkungen zu den polizeilichen Lagebildern über ‚Organisierte Kriminalität‘ (OK) Schlagzeilen. (1) Das von den Polizeien in den 80er Jahren in die Öffentlichkeit beförderte Thema habe zu „unseriösen Dramatisierungen oder Verallgemeinerungen“ geführt, in deren Folge es zu einer „Banalisierung des OK-Begriffs“ gekommen sei. Gegenüber diesen Tendenzen müsse darauf hingewiesen werden, daß selbst die von der Polizei aufwendig erstellten OK-„Statistiken Pseudoexaktheit vorspiegeln“ und „qualitative Aussagen über OK“ „ein aussagefähiges Berichtswesen und eine qualifiziertere Analyse“ voraussetzten. (2)

Daß die Polizei ihre bekannte Diagnose wachsender und zunehmend gefährlich werdender ‚Organisierter Kriminalität‘ auf eine solide, von Politikern und Öffentlichkeit nachvollziehbare Grundlage stellen wollte, stand Pate bei dem Vorhaben, ‚Lagebilder Organisierte Kriminalität‘ zu schaffen. Nachdem sich Polizei und Justiz in den OK-Richtlinien 1990 auf eine Arbeitsdefinition verständigt hatten und die politischen Auseinandersetzungen um das ‚Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität‘ (OrgKG) zunahmen, „beauftragte die AG Kripo Anfang 1992 die Kommission OK kurzfristig mit der Erstellung eines Gesamtlagebildes für das Jahr 1991“. (3) Seither erstellen die Polizeien (der BGS seit 1993) nach einheitlichen Kriterien und Verfahren jährliche ‚Lagebilder Organisierte Kriminalität‘. In ihnen soll das der Polizei bekannte Wissen über organisierte Kriminalität zusammengetragen und die OK-Bedrohung in Fakten (Statistiken und exemplarischen Fallschilderungen) dargestellt und bewertet werden. Organisierte Kriminalität in amtlichen Zahlen- Über die Aussagekraft der Lagebilder weiterlesen

Telefonüberwachung in der Bundesrepublik- Verfahren geregelt und kaum beachtet

von Antonia Wirth

Mit insgesamt 8.112 durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen (TÜ-Maßnahmen) im Jahr 1996 (1) ist ein neuer Rekord aufgestellt worden. Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurden damit die Telefongespräche von – hochgerechnet – ca. einer Million Telefonbenutzern abgehört. (2) Um den Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Grundgesetz) zu regeln, sind in der Strafprozeßordnung eine Reihe von Vorkehrungen getroffen worden, die – wenn sie von Staatsanwaltschaft und Polizei eingehalten werden – den in Gesetzesregelungen der jüngsten Zeit oft bemühten ‚Grundrechtsschutz durch Verfassungsregelungen‘ sicherstellen sollen. Die Tätigkeitsberichte verschiedener Datenschutzbeauftragter, die in den vergangenen Jahren die TÜ-Maßnahmen in abgeschlossenen Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften und der Polizei geprüft haben, lassen allerdings Zweifel an der Wirksamkeit dieser Regelungen aufkommen. (3)

Zu den in der Strafprozeßordnung (StPO) geregelten Verfahrensvorkehrungen zählt u.a. die richterliche Anordnung, der von der herrchenden Lehre eine besondere Filterfunktion gegen Mißbrauch zugewiesen wird. Der Richtervorbehalt funktioniert jedoch ähnlich wie Theaterkassen: Er verteilt „Eintrittskarten, ohne die Vorstellung zu kennen“. (4) Telefonüberwachung in der Bundesrepublik- Verfahren geregelt und kaum beachtet weiterlesen

Polizeilicher Umgang mit häuslicher Männergewalt gegen Frauen – Privatisierung als Strategie der Non-Intervention

von Martina Kant

Gewalt im öffentlichen Raum wird von Polizei und Presse regelmäßig als Problem ausgemacht. Anders ist dies bei Gewalt im sog. privaten Raum, deren Opfer zumeist Kinder und Frauen sind. Mit dem Hinweis, daß es sich hierbei um Privatangelegenheiten handele, unterbleiben in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen regelmäßig staatliche Interventionen und Sanktionen. Auch wenn es keine gesicherten Zahlen über die Verbreitung von Frauenmißhandlung gibt – Schätzungen ergeben 100.000 bis 4 Millionen mißhandelte Frauen jährlich -, so geht die Gewalt-Kommission der Bundesregierung nach den bisherigen Erkenntnissen davon aus, daß „Gewalt in der Familie“ die verbreitetste Form der Gewalt sei. (1)

Mißhandlungserfahrungen, die Frauen durch ihre (Ex-)Partner machen, reichen von verbalen Attacken, Einschüchterungen, Erniedrigungen, Psychoterror, Morddrohungen, Faustschlägen, Vergewaltigungen bis hin zu Angriffen mit Messern und anderen gefährlichen Gegenständen – zum Teil mit tödlichem Ausgang. Gerade der Polizei kommt in konkreten Mißhandlungssituationen große Bedeutung zu: Sie ist als einzige rund um die Uhr erreichbar und in der Lage, (ggf. mit Zwangsmaßnahmen) gegen den Mißhandler zu intervenieren.

Von den öffentlichen Institutionen ist die Polizei denn auch diejenige, bei der mißhandelte Frauen am häufigsten Hilfe suchen. Ihr Hilfeersuchen wird jedoch oftmals enttäuscht: Betroffene Frauen berichten darüber, daß die Polizei untätig bleibt, das Geschehen bagatellisiert, ihnen rät, nicht zu übertreiben und ihnen sogar die Schuld für die Mißhandlung oder Bedrohung gibt. (2) Von Polizisten hört man, „daß die Frau das Prügeln ja gar nicht anders will“, oder „daß die tatsächlich mal ein bißchen was verdient hat.“ (3) Polizeilicher Umgang mit häuslicher Männergewalt gegen Frauen – Privatisierung als Strategie der Non-Intervention weiterlesen

Berliner Polizeireformen- Organisationsveränderungen durch Unternehmensberatung

von Otto Diederichs

Als die schweizerische Unternehmensberatung ‚Knight-Wegenstein‘ 1971 damit beauftragt wurde, die Berliner Polizei zu untersuchen und Vorschläge für eine effektivere Organisation und Arbeitsplanung zu unterbreiten, hatte die Managementfirma bereits eine ähnliche Aufgabe bei der Hamburger Polizei durchgeführt. (1) Dennoch waren derartige Untersuchungen damals noch weitgehend Neuland. Heute hingegen ist es längst zu einem beliebten Mittel geworden, im Vorfeld einer polizeilichen Strukturreform externe Managmentberater mit millionenschweren Verträgen einzubeziehen (2) und damit sowohl Offenheit und Unvoreingenommenheit zu demonstrieren wie auch die eigene Reformunfähigkeit gekonnt zu überspielen.

Im April diesen Jahres legte Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) den Abgeordneten des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus einen „Zwischenbericht“ des Hamburger Unternehmensberaters ‚Mummert+Partner‘ zur Reform der Berliner Polizeistruktur vor. Es ist bereits das zweite Mal, daß in Berlin eine Änderung der Polizeiorganisation auf diese Weise vorbereitet wurde. Berliner Polizeireformen- Organisationsveränderungen durch Unternehmensberatung weiterlesen