Chronologie

zusammengestellt von Kea Tielemann

Dezember 1990

04.12.: Der Bundesgerichtshof billigt erstmals den genetischen Fingerab-druck als ergänzende Methode zur Feststellung einer Vaterschaft. (AZ.: XII ZR 92/89)
11.12.: Berlins Innensenator erklärt auf Anfrage, daß von der Polizei 235 Personen observiert werden: 55 wegen Verdacht des Rauschgifthandels, zwei wegen Waffenhandel, eine Person wegen Falschgelddelikten und 32 stehen im Verdacht der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.
17.12.: Wegen neuerlicher Vorwürfe in bezug auf eine mutmaßliche STASI-Mitarbeit tritt Lothar de Maiziére als Bundesminister für besondere Aufgaben und von seinen Parteifunktionen zurück. Am 22.2. legt Innenminister Schäuble den offiziellen Endbericht zur Überprüfung einer STASI-Mitarbeit von de Maiziére vor, in dem dieser entlastet wird. Mitarbeiter der „Gauck-Behörde“ erklären daraufhin, der Bericht stimme nicht mit dem Schlußbericht ihrer Behörde überein. Aufgrund dieser Aussage werden sie am 2.3. entlassen.
19.12.: Todesschuß: Nach einer Auseinandersetzung zwischen Rumänen wird einer der herbeigerufenen Polizisten mit einer Gaspistole beschossen. Auf den anschl. flüchtenden Rumänen gibt der zweite Beamte einen tödlichen Schuß ab.
20.12.: Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt, daß es vor dem 3. Oktober eine Liste der 103.000 hauptamtlichen STASI-Mitarbeiter erhalten hat.
25.12.: Der Niedersächsische Disziplinarhof gibt bekannt, daß es in Niedersachsen keine Berufsverbote-Prozesse mehr geben werde. Die dort wegen DKP-Mitgliedschaft geführten Verfahren gegen sechs Lehrer werden eingestellt. (AZ: 2 NDH L 7/90)
29.12.: Die Novellierung des Bundes-Verfassungsschutz-Gesetzes (BVerfSchG), das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) und über den Militärischen Abschirmdienst (MADG) treten in Kraft. (Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr. 73)

Januar 1991

01.01.: Todesschuß: In Remseck/Bayern bedroht ein 19jähriger Amerikaner nach einem Familienstreit die herbeigerufenen Polizisten mit zwei Dolchen. Als er trotz des Einsatzes von Tränengas seinen Widerstand nicht aufgibt, geben zwei Polizisten tödliche Schüsse auf ihn ab.
07.01.: Die 11. Zivilrechtskammer des Hamburger Landgerichts gibt einer Kündigungsklage gegen den Verein Hafenstraße statt. Am 9.1. stellt die Ha-fenrand GmbH als Eigentümerin einen Antrag auf Räumung von sieben der besetzten Häuser. Am 15.3. entscheidet die Zivilrechtskammer jedoch, daß das Räumungsurteil sich zwar auf den Verein, nicht jedoch auf die einzelnen BewohnerInnen bezieht.
08.01.: Die Berliner Polizei, die aufgrund alliierter Bestimmungen über 1.462 Maschinengewehre verfügte, übergibt diese an die Bundeswehr. 9.940 Handgranaten werden an die französische Armee zurückgegeben.
09.01.: Gegen das frühere RAF-Mitglied W. Lotze beginnt in München der Prozeß mit Anklagen wegen Mordes, Mordversuches und zweier bewaffneter Raubüberfälle. Obwohl Lotze die sog. Kronzeugenregelung in Anspruch nahm und weitreichende Aussagen macht, endet das Verfahren am 31.1. mit einer zwölfjährigen Haftstrafe. Die Bundesanwaltschaft will zugunsten Lotzes in Revision gehen.
Wegen der vom irakischen Herrscher Saddam Hussein angekündigten weltweiten Terroranschläge finden in Bonn mehrere Hausdurchsuchungen bei Exil-Irakern statt.
10.01.: Anläßlich der Vorlage des neuen Landespolizeigesetzes kündigt Schleswig-Holsteins Innenminister Bull an, Polizisten dürften in Schleswig-Holstein künftig ohne Warnung schießen, wenn dies „zur Abwehr einer ge-genwärtigen Gefahr für Leib oder Leben“ notwendig sei.
Die baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze kritisiert in ihrem Jahresbericht, daß in Polizeicomputern Frauen in Zusammenhang mit dem   218 gespeichert wurden. Am 15.2. weist auch der hessische Daten-schutzbeauftragte Simitis in seinem Tätigkeitsbericht darauf hin, daß 21 Frauen und 26 beteiligte Personen gespeichert worden seien. In 29 Fällen seien die Daten aufgrund seines Protests gelöscht worden.
15.01.: Luitgart Hornstein wird in Stuttgart wegen der Beteiligung an einem 1986 auf die Firma Dornier verübten Bombenanschlag und Zugehörigkeit zur RAF zu neun Jahren Haft verurteilt.
20.01.: Aufgrund der Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der 1988 bei der Vorkontrolle einer Demonstration in Hanau in Polizeigewahrsam genommen wurde, beschließt das Bundesverfassungsgericht, daß Amtsrichter sich künftig nicht mehr mit der formularmäßigen Genehmigung eines von der Polizei ausgeführten Gewahrsams begnügen dürfen, sondern ein unabhängiges, „justizförmiges“ Verfahren und die persönliche Anhörung der Betroffenen stattfinden muß. (AZ: 2 BvR 562/88)
24.01.: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entscheidet gegen eine Beschwerde des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten. Dieser hatte es für zumutbar gehalten, daß AsylbewerberInnen bei Rückkehr in ihr Heimatland auf jegliche politische Betätigung verzichten, um so weiterer politischer Verfolgung zu entgehen. Das OVG widerspricht einer solchen Begründung. (Az: 13 A 10 205/90)
25.01.: Im „Hamburger Kessel“-Prozeß beginnt die nächste Runde, in der sich vier Polizeiführer, die den Polizeieinsatz im Juni 1986 leiteten, vor der Strafkammer wegen Nötigung und Freiheitsberaubung in 861 Fällen verantworten müssen.
28.01.: Das Landgericht Berlin stellt den Schmücker-Prozeß wegen über-langer Verfahrensdauer und wesentlicher Verfahrens-Hindernisse nach 16 Jahren ein. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht will prüfen, ob die auf Weisung des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht eingelegte Revision aufrechterhalten wird.
30.01.: In Brandenburg unterstützen 40.000 BürgerInnen mit ihrer Unter-schrift einen Aufruf der Gewerkschaft der Polizei, in dem „mehr Sicherheit für die Bürger und die schnellstmögliche Verabschiedung eines Landespoli-zeigesetzes“ gefordert wird.

Februar 1991

01.02.: Aus einer von Innensenator Pätzold (SPD) veranlaßten Untersu-chung des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz wird bekannt, daß von diesem Amt zwischen 1978 und 1987 insgesamt 65 V-Leute gegen die „Alternative Liste“ eingesetzt wurden.
Die Bundesrepublik und Frankreich unterzeichnen einen Vertrag, der den Austausch von Polizeibeamten und die gegenseitige Sprachausbildung vorsieht.
05.02.: Im Zusammenhang mit den „Sicherheitsmaßnahmen“ aufgrund des Golf-Kriegs läßt die Berliner Ausländerbehörde zwei Exil-Iraker festnehmen. Vom Haftrichter werden beide wegen zu vager Begründung des Haftantrags wieder freigelassen.
06.02: Um gegen illegale Rüstungsgeschäfte vorzugehen, beschließt die Bundesregierung, dem Zollkriminalinstitut (ZKI) Befugnisse zur Telefon-überwachung und Postkontrolle zu übertragen.
07.02.: Auf den Amtssitz des britischen Premierministers wird von der IRA ein Anschlag verübt, der vier Leichtverletzte fordert.
09.02.: PHK Siegfried Janz wärmt sich am Brandenburger Tor bei -15 Grad die Hände an einer Tasse Tee.
12.02.: Aus Anlaß irakischer Attentatsandrohungen erläßt der Berliner Innensenator ein Verbot der politischen Betätigung für Iraker und Palästi-nenser. Die Betroffenen dürfen Berlin nicht verlassen und haben sich zweimal in der Woche bei der Polizei zu melden.
13.02.: Auf die US-Botschaft in Bonn wird ein Anschlag verübt. Laut Bun-deskriminalamt hat es im Zusammenhang mit dem Golf-Krieg zu diesem Zeitpunkt weltweit über 80 Anschläge gegeben. In der BRD seien vom 17.01. bis 11.02. ca. 500 „Ereignisse“ registriert worden: 50 „unfriedliche“ Demonstrationen, 210 Bombendrohungen, 200 schwerwiegende Sachbeschädigungen, 23 Brandanschläge und ein Sprengstoffanschlag.
14.02.: In Bayern wird auf Anordnung von Innenminister Stoiber die PDS durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Zuvor hatten sich die Innenminister auf der Innenministerkonferenz am 15.12.90 nicht auf ein ge-meinsames Vorgehen einigen können.
15.02.: Die Bürgerkomitees zur STASI-Auflösung legen einen Gesetzentwurf vor, der den Umgang mit den STASI-Unterlagen regeln soll. Sie fordern u.a. ein Akteneinsichtsrecht anstelle eines Auskunftsrechtes für die Betroffenen und das Verbot geheimdienstlicher Zugriffe auf die Unterlagen.
16.02.: Die Zahl der weltweiten Anschläge ist nach Angaben der US-ameri-kanischen Beratungsfirma Business Risks International von 4.422 im Jahr 1989 um 10 % auf 3.969 im Jahr 1990 gesunken.
18.02.: Ein Sprengstoffanschlag auf den Londoner Bahnhof Victoria for-dert ein Todesopfer und mindestens 38 Verletzte.
23.02.: Rechtsradikale Gruppen überfallen ein Asylheim in Leis-nig/Sachsen. 44 Asylbewerber flüchten daraufhin aus Angst vor weiteren Anschlägen nach Hessen. Nach längeren Verhandlungen erhalten sie ein Bleiberecht in Hessen.
27.02.: Bayern und die CSFR unterschreiben einen Vertrag zur „grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung“, der sich auf die Organisierte Kriminalität, Terrorismusbekämpfung, Wirtschaftskriminalität und vor allem auf die Verhinderung der Einwanderung von AusländerInnen bezieht. Vorgesehen ist auch ein enger polizeilicher Austausch bei technischen Fragen und bei der Aus- und Weiterbildung.
Der schleswig-holsteinische Landtag verabschiedet einstimmig ein Verfas-sungsschutzgesetz: Jede Person erhält danach das Recht auf Auskunft über eigene beim VfS gespeicherte Daten; BND und MAD müssen nun detailliert begründen, warum sie personenbezogene Informationen erhalten wollen.
28.02.: Ca. 400 West-Beamte sind mit dem Aufbau des Bundesgrenzschutz-kommando-Ost befaßt, dessen Personalstärke bei 6300 Mann liegt.
Das Bündnis ’90 in Brandenburg schlägt als einen der sechs Polizeipräsidenten den nordrhein-westfälischen Kriminalkommissar a.D. M. Such vor.

März 1991

01.03.: Neuer Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird der bisherige Vertreter des Abteilungsleiters „Innere Sicherheit“ im Bundesin-nenministerium Ekkehard Werthebach.
02.03.: Ca. 100 Beamte des ehemaligen Zollgrenzdienstes sollen zum 1. April in die Berliner Schutzpolizei übernommen werden.
03.03.: Die Mehrheit des Bundesrates beschließt, den Gesetzentwurf zur „Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität“ (OrgKG) erneut den zuständigen Ausschüssen zuzuleiten. Unter anderem soll die Zulässigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittlungsmethoden an engere Voraussetzungen geknüpft werden. Notwendig sei zudem eine klare Definition der Organisierten Kriminalität.
04.03.: Laut Urteil des 12. Senats des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat die Polizei bei Vorkontrollen anläßlich einer Demonstration in Brokdorf im Juni 1986 DemonstrantInnen rechtswidrig behindert, da diese durch die schleppende Abfertigung nicht rechtzeitig das Kundgebungsgelände erreichen konnten. (AZ: 12 L 231/89)
06.03.: In Zusammenhang mit einer durch den Bundesgrenzschutz an der deutsch-niederländischen Grenze veranlaßten Zwangsuntersuchung aufgrund des Verdachts der Abtreibung stellt die Humanistische Union Strafanzeige wegen Rechtsbeugung.
Wegen der Einfuhr von 653 Kilo Kokain aus Kolumbien in die BRD wird in München ein Kapitän zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Kokaingeschäft kam durch das Landeskriminalamt mit Hilfe eines Scheinkäufers zustande. Die Besatzungsmitglieder, die erst nach der Übernahme über das Kokain informiert wurden, erhalten wegen Beihilfe Haftstrafen zwischen vier und neuneinhalb Jahren.
08.03.: Das Landgericht verurteilt das Land Berlin, 15.000 DM Schmer-zensgeld und 4927,50 DM Schadensersatz an eine Frau zu zahlen, die 1987 während einer Demonstration von einem Polizisten erheblich verletzt worden war.
Zu drei Jahren Haft wird in Berlin ein Drogenhändler verurteilt, der mit sei-ner Aussage als Kronzeuge 60 weitere Festnahmen von Drogenhändlern bewirkte.
12.03.: Bei dem Versuch, ihm die Maschinenpistole zu entwenden, wird vor der Villa des türkischen Generalkonsuls in Berlin ein Wachpolizist erschossen.
Erste Datenschutzbeauftragte in den neuen Bundesländern wird in Frankfurt/O. die 23jährige Rechtswissenschaftlerin K. Witthuhn.
15.03.: Im Startbahn-Prozeß wird Andreas Eichler wegen Totschlags in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Frank Hoffmann erhält wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ vier Jahre und sechs Monate Haft.
18.03.: Der in Zusammenhang mit der Entführung der „Achille Lauro“ ge-suchte und zu lebenslanger Haft verurteilte A. Chaled wird in Griechenland verhaftet.
Im sog. Düsseldorfer Kurdenprozeß bietet der Staatsschutzsenat des Ober-landesgerichts nach 118 Verhandlungstagen die „Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit“ gegen acht der noch 16 Angeklagten an.
In Leipzig nehmen mehr als 70.000 Menschen die Montagsdemonstrationen wieder auf und protestieren gegen die soziale Misere in den fünf neuen Bundesländern.
In Rostock kommt es nach einem Fußballspiel zu schweren Straßenschlachten zwischen 500 Fans und 700 Polizisten; 23 Personen werden verletzt und 16 festgenommen. Am 21.3. muß in Dresden ein Fußballspiel wegen Ausschreitungen abgebrochen werden. Nach stundenlangen Straßenschlachten zwischen 5000 Hooligans und 1200 Polizisten werden 26 Personen festgenommen.
19.03.: Die Wochenzeitung ‚die andere‘ beginnt mit der Veröffentlichung einer Liste der STASI-Offiziere.
20.03.: Der Landtag in Brandenburg beschließt einstimmig ein Polizeiorganisationsgesetz: Es sieht sechs Polizeipräsidien und eine weitge-hende Integration von Schutz- und Kriminalpolizei vor.
22.03.: Die Bundesrepublik und Ungarn unterzeichnen ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von „Organisierter Kriminalität, Terrorismus und Menschenhandel“.
27.03.: Fünf ehemalige STASI-Offiziere, die für eine seit Ende der 70er Jahre bestehende Ausbildung von RAF-Mitgliedern mit Schußwaffen und Sprengstoffen verantwortlich sein sollen, werden festgenommen. Vorwurf: Beihilfe zu versuchtem Mord.
Einem weiteren ehemaligen STASI-Mann gelingt die Flucht.

Kea Tielemann studiert Politologie an der FU Berlin und ist studentische Be-schäftigte der „Arbeitsgruppe Bürgerrechte“.