Fragebögen und Personalkommissionen – die Entstasifizierung der Vopo

von Otto Diederichs

Ist ein politisches System derart geheimdienstlich durchzogen, wie dies in der früheren DDR der Fall war, so liegt es in der Natur der Sache, daß Tausende notwendig waren, die Geheimdienstkrake tagtäglich am Leben zu erhalten und ständig mit neuen Informationen zu füttern. Was allgemein für die Verwaltungen gesagt werden kann, gilt natürlich in weit stärkerem Maße für die Angehörigen der sog. Sicherheitsorgane. Je höher sich dort jemand auf der Karriereleiter befand, um so wahrscheinlicher ist eine mutmaßliche schuldhafte Verstrickung.

Neben den aktiven Tätern gibt es darüber hinaus allerdings eine Vielzahl von Menschen, die mit dem Dienst auf die eine oder andere Weise zwar verbunden (z.T. abhängig) waren, ohne gleich im Wortsinne als Schuldige gelten zu können. Für die entsprechenden Überprüfungen erhielten sämtliche Betroffenen eigens entwickelte Fragebögen, zu deren Auswertung Personalkommissionen gebildet wurden. Die ersten öffentlich Bediensteten der einstigen DDR, die sich den Überprüfungen unterziehen mußten, waren die Angehörigen der Volkspolizei. Die Ernsthaftigkeit des Prüfungs-Verfahrens muß jedoch als zweifelhaft gelten.

Berlin:

„Es kann nur einen Polizeipräsidenten und auch nur eine Polizeiführung geben und das wird der Westberliner Polizeipräsident und im Kern die Westberliner Polizeiführung sein“, hatte Berlins Innensenator Erich Pätzold (SPD) bereits vor der Vereinigung der beiden Stadthälften erklärt. Dementsprechend wurde der größte Teil der Ostberliner Polizeiführung nach dem 3. Oktober 1990 umgehend aus dem Polizeidienst entfernt. Rund zwei Wochen später erhielten die übrigen ca. 10.000 Vopo-Angehörigen einen 78 Punkte umfassenden Fragebogen zur Person. Bis Ende November sollten diese Bögen ausgefüllt zurückgegeben sein, um nach der Sichtung durch eine im Januar 1991 eingesetzte Personalauswahlkommission (PAK) „verschlossen in einer Beiakte der Personalakte“ aufbewahrt zu bleiben.
Am 9. Januar 1991 trat die PAK erstmalig zusammen. Ihr gehören mit 4 Beamten aus der Senatsinnenverwaltung und drei Mitarbeitern der Polizeibehörde sieben stimmberechtigte und ebensoviele beratende Mitglieder (Personalvertreter, Gewerkschaftler sowie zwei ehemalige Vopos) an. Die Kommission sollte sich „in jedem Einzelfall ein Urteil über die fachliche Qualifikation und persönliche Eignung“ des ehemaligen Volkspolizisten bilden und eine „Empfehlung über die sachgerechte Zuordnung zu einer Laufbahn, die Übernahme in ein Arbeitnehmerverhältnis oder über die Notwendigkeit einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung abgeben“. Die PAK, die ihre Entscheidungen „grundsätzlich nach Aktenlagen“ treffen sollte, hatte lediglich die 360 Angehörigen des höheren Dienstes zu überprüfen: bei etwa 40% der Betroffenen empfahl sie Mitte März eine Kündigung.
Für die Angehörigen der mittleren und unteren Dienstlaufbahnen der Vopo waren zunächst 10 Personalkommissionen geplant. Um die Verfahren zu „beschleunigen“, wurden diese im Februar von Berlins neuem Innensenator Heckelmann (CDU) auf 5 PAKs für den mittleren Dienst reduziert; der untere Rang wurde generell in die Zuständigkeiten der Polizeidirektionen gegeben. Dort entscheidet nun anstelle einer Kommission der Leiter der Direktion nach Aktenlage. Mit dem Abschluß sämtlicher Überprüfungen wird für Ende Mai gerechnet.

Brandenburg:

Die Fragebogenaktion, mit der das brandenburgische Innenministerium die Überprüfung seiner zukünftigen Polizeibeamten eingeleitet hat, sei „freiwillig, aber nicht ohne Konsequenzen“ – so beschreibt der Leiter der Polizeiabteilung, der nordrhein-westfälische Ministerialrat Hartmut Bosch, die inzwischen weitgehend abgeschlossene Aktion. Rund 10.500 dieser mit 48 Punkten nach Berlin umfangreichsten Fragebögen wurden bereits im Februar an die Personalkommission zurückgesandt; Verweigerungen hat es angesichts der absehbaren Folgen nahezu keine gegeben. Nach Abschluß der Auswertung haben inzwischen etwa 95% der brandenburgischen Polizeibediensteten einen postitiven Bescheid erhalten, der ihnen ihre vorläufige Weiterbeschäftigung und vermutliche Übernahme in ein Beamtenverhältnis in Aussicht stellt. Lediglich rund 500 Personen (hauptamtliche und inoffizielle MfS-Angehörige und ehemalige Politoffiziere) werden noch einmal „handverlesen“. Unter ihnen in überdurchschnittlichem Maße Bedienstete des Gemeinsamen Landeskriminalamtes (GLKA) der fünf neuen Länder, für das Brandenburg die Dienstaufsicht besitzt.

Bereits vor Beginn der Überprüfungsaktion, die mit den Personalvertretungen und Polizeigewerkschaften abgestimmt wurde, hatten ca. 3.000 Beschäftigte des früheren Innenministeriums den Dienst quittiert.

Da in der DDR allerdings Volkspolizei, Ordnungsbehörden, Strafvollzug und Feuerwehr unter einem organisatorischen Dach vereint waren, ist eine Umrechnung allein auf den Polizeidienst in diesem Falle seriös nicht möglich.
Anders als in Berlin ist die PAK in Brandenburg vom Innenministerium nahezu unabhängig; lediglich ihr Leiter, ein Leitender Regierungsdirektor aus Düsseldorf, wurde vom Ministerium bestellt, die übrigen Mitglieder ernannte der Innenausschuß des brandenburgischen Landtages. Bei den von ihm mit dieser Aufgabe betrauten „Persönlichkeiten des öffentlichen Vertrauens“ handelt es sich um die Generalsuperintendenten von Potsdam, Eberswalde und Cottbus sowie den Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei.

Mecklenburg-Vorpommern:

„Unser Innenminister hat großen Mut bewiesen“, lautet das Fazit an der Ostsee hinsichtlich der Überprüfungsaktion bei der einstigen Volkspolizei. Gemäß der für den öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern vereinbarten Vorruhestandsregelung sind zum Ende 1990 alle Polizeiangehörigen, die das 50. Lebensjahr erreicht oder überschritten hatten, aus dem aktiven Dienst entfernt worden. Auf diese kostspielige Art entledigte man sich im nördlichsten der neuen Länder zunächst einmal nahezu aller ehemaligen Leitungskräfte. Die verbleibenden rund 7.500 Polizeibediensteten (darunter etwa 1.500 Zivilangestellte) erhielten im Januar 1991 einen 17 Fragen umfassenden Überprüfungsbogen. Umfangreichere Bögen, wie in Berlin oder Brandenburg, wurden als „Gesinnungsschnüffelei“ abgelehnt. Für die ersten Überprüfungsschritte in der hierarchischen Folge von oben nach unten, wird ein Zeitraum von ca. 1 Jahr angesetzt. Unabhängig von dieser Dauer werden in Mecklenburg-Vorpommern – beginnend mit der Polizei – die ersten Verbeamtungen im öffentlichen Dienst noch in diesem Jahr vorgenommen. 230 ehemalige Vopos wurden unterdessen entlassen, mit weiteren ca. 60 wird gerechnet. Um darüber hinaus eine Möglichkeit zu besitzen, bei nachträglich auftauchenden Belastungen die entsprechenden Personen wieder entlassen zu können, ist mit dem Personalbogen gleichzeitig eine „Treueerklärung“ abzugeben.

Sachsen:

„Um zu verhindern, daß es später heißt, die sächsische Polizei hat sich selbst überprüft“, wurde der Vorsitz in den Personalkommissionen des Freistaates jeweils an einen dienstlich abgeordneten Westbeamten vergeben. Bei zweien der bei der Polizeidirektion angesiedelten PAKs führt ein „Leihbeamter“ aus Baden-Württemberg den Vorsitz; die dritte Kommission führt ein Bayer. Auch die Endberichte werden somit von einem Westbeamten unterzeichnet.

Die Fragebögen mit einem Umfang von ca. 15 Fragen unterscheiden bei einer früheren STASI-Tätigkeit zwischen „Kontakten“ und „dienstlichen Kontakten“. Auch hinsichtlich der Funktion in der SED „wird die Sache erst interessant“ ab einer Stellung als GO-Sekretär (Grundorganisation). Die Zahl der Entlassungen aus dem Polizeidienst liegt denn auch „im Promillebereich“, was im Klartext „unter 100“ bedeutet. Bei weiteren 350 bis 400 Personen, von den inzwischen rund 10.000 überprüften ehemaligen Volkspolizisten (von 11.500) wird wegen aufgetretener Unklarheiten eine Nachprüfung, d.h. ein Einzelgespräch erforderlich. Mit einem personellen Engpaß wird somit denn auch lediglich bei den Führungsfunktionen des Vollzugsdienstes gerechnet.
Eine politische Treueerklärung wie in Mecklenburg-Vorpommern lehnen die Sachsen für ihre Beamten ab.

Sachsen-Anhalt:

„Wir haben an einer gewissen Grenze haltgemacht“, heißt es im Magdeburger Innenministerium zur Ausführlichkeit der Fragebögen in Sachsen-Anhalt. Wo diese Grenze genau verläuft, war allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Sämtliche Bögen seien inzwischen wieder an das Ministerium zurückgegeben, und auch in der dortigen Pressestelle mochte man sich an Art und Umfang nicht mehr erinnern. Klar ist somit lediglich, daß auch die sachsen-anhaltinischen Fragebögen nicht dem Berliner oder Brandenburger Muster gefolgt sind. Wie in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wird deren Detailliertheit auch hier abgelehnt.

Vorgenommen werden die Überprüfungen der rund 10.000 Polizeibediensteten von einer Kommission, der neben einem Abteilungsleiter des Innenministeriums, Personalvertretern der Bezirksbehörden auch ein Berater aus dem Patenland Niedersachsen angehört.

Zunächst wurde von dieser Kommission das Personal des Innenministeriums überprüft; sie gilt inzwischen als abgeschlossen. Nahezu abgearbeitet ist auch der Kreis des ehemaligen Höheren Dienstes; ihm folgen werden die Angehörigen des Gehobenen Dienstes u.s.w. bis zum letzten Mann. Bis etwa Mitte 1992, so hofft man in Sachsen-Anhalt, sei die gesamte Aktion zu beenden. Sollten bei einzelnen Mitarbeitern nachträglich dann doch noch belastende Umstände bekannt werden, so hält man sich in Magdeburg die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung offen.

Thüringen:

Es dürfe nicht so weit kommen, „daß jede Falte im Leben eines Menschen untersucht wird“, hatte Innenminister Böck gleich zu Beginn der Überprüfungsaktion erklärt. Damit ein solcher Verdacht gar nicht erst aufkommen kann, umfaßt der thüringische Fragebogen denn auch lediglich 18 Fragen. Gegebenenfalls, so wird in Erfurt argumentiert, habe man ja noch die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, wie sie in der zu unterschreibenden Loyalitätserklärung festgelegt sei.

Ebenso wie in den übrigen Ländern findet die Überprüfung auch in Thüringen hierarchisch von oben nach unten statt. Vorgenommen wird sie von einem beim Innenministerium gebildeten „Beirat“. Als „sachkompetente, erfahrene und integre Personen“ gehören ihm ausschließlich Polizeiangehörige an. Vorsitzender ist ein Polizeipräsident aus dem Patenland Hessen. Geführt werden die Geschäfte vom Personalreferenten der Polizeiabteilung im Innenministerium, während als Beisitzer der Leiter des Aufbaustabes des künftigen Polizeipräsidiums, Vertreter der Gebietskörperschaften und Vertreter des jeweils betroffenen Bezirkspersonalrates fungieren. Genaue Angaben über den aktuellen Stand der Überprüfungen waren nicht zu erfahren.

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Neben den vorstehend dargestellten Verfahren ist der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, besser bekannt als die „Gauck-Behörde“, in die einzelnen Überprüfungen einbezogen. Erst wenn auch von dort eine Stellungnahme vorliegt, gilt die Überprüfung des neuen Polizeibeamten als abgeschlossen.