von Mark Holzberger und Heiner Busch
Die Terrorismusbekämpfung hat der Innen- und Justizpolitik der EU neuen Treibstoff zugeführt. Wohin die Reise gehen soll, ist einem 64 Punkte umfassenden „Fahrplan“ zu entnehmen, der seit Oktober 2001 ständig aktualisiert wird.[1]
Der Entwurf für eine gemeinsame Terrorismus-Definition hat offenbar bereits vor den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer Schublade der EU-Kommission gelegen, denn präsentiert wurde er bereits acht Tage danach. Am 22. Juni 2002 trat der entsprechende Rahmenbeschluss in Kraft.[2] Die Mitgliedstaaten haben ihn nun in ihr Strafrecht zu übernehmen; d.h. unter anderem, dass sie entweder einen Straftatbestand der „terroristischen Vereinigung“ neu einführen oder – wie Deutschland und fünf weitere EU-Staaten – bereits bestehende Regelungen anpassen müssen.
Unter Strafe zu stellen sind nicht nur das Anführen (im deutschen Strafrecht: „Rädelsführerschaft“) und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern ähnlich wie in den deutschen §§ 129a und b StGB auch deren Unterstützung. Derartige Organisationsdelikte erleichtern eine Verurteilung, weil nicht mehr der Nachweis einer konkreten Tat, sondern nur noch die Zurechnung zu einer entsprechenden „Vereinigung“ erforderlich ist. Seine wesentliche Wirkung entfaltet das politische Strafrecht jedoch erfahrungsgemäß im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens. Es ermöglicht eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren und damit die Einschüchterung sowie das systematische Ausspionieren der Betroffenen und ihres politischen Umfeldes.
Der Begriff der „terroristischen Vereinigung“ ist gekoppelt an einen Katalog von Straftaten, die in Zukunft als „terroristisch“ gelten sollen, „wenn sie mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“ Zu dem Katalog gehören nicht nur Tötungsdelikte, Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder Geiselnahmen, sondern auch „schwer wiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, … einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können.“ Die Kommission wollte in ihrem Entwurf bereits die „widerrechtliche Inbesitznahme“ solcher Einrichtungen zu einer „terroristischen Straftat“ erklären.
Nach Protesten von Bürgerrechtsorganisationen fügte der Rat u.a. in der Präambel eine Beschwichtigungsformel ein, wonach dieser Rahmenbeschluss „nicht dahin gehend ausgelegt werden kann, dass er Grundrechte oder -freiheiten wie die Versammlungs-, Vereinigungs- oder Meinungsfreiheit, einschließlich … des damit zusammenhängenden Demonstrationsrechts, schmälert oder behindert.“ Diese wohltönenden Worte verhindern allerdings nicht, dass sozialer Protest, insbesondere wenn es dabei zu größeren Sachbeschädigungen kommt, in eine terroristische Ecke gerückt wird. Zum einen hat die Präambel keinen unmittelbaren Einfluss auf die rechtliche Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch die Mitgliedstaaten. Zum anderen haben sowohl der Rat als auch die einzelnen Mitgliedstaaten anlässlich der Proteste gegen die Gipfeltreffen des letzten Jahres in Göteborg und Genua erklärt, dass gewalttätige Proteste eben nicht durch die Versammlungsfreiheit gedeckt seien.
Der jüngst veröffentlichte „Bericht über Lage und Entwicklung des Terrorismus in Europa“ nennt denn auch z.B. „kleine gewalttätige anarchistische Gruppen“ in Spanien, die, „eingebunden in eine Art internationales Netzwerk, eine reale Gefahr für spanische Institutionen“ darstellten. In Italien würden „Gruppen und Einzelpersonen“ eine „Strategie verfolgen, ‚das Establishment zu destabilisieren‘“ und öffentlich Solidarität mit inhaftierten Anarchisten bekunden. Das „terroristische“ Lagebild wird schließlich abgerundet durch die Erwähnung belgischer Tierschützer. Von rechtsextremer Seite bestehe hingegen lediglich eine abstrakte Gefahr von „Anschlägen durch Einzelpersonen“.[3]
EU-Terror-Liste
Am 27. Dezember letzten Jahres verabschiedete der Rat zwei zusammenhängende Gemeinsame Standpunkte „über die Bekämpfung des Terrorismus“ und „die Anwendung besonderer Maßnahmen“.[4] In letzterem findet sich erstmals eine öffentliche Liste von Personen und Organisationen, die die EU nun offiziell dem Terrorismus zurechnet. Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste ist nicht eine rechtskräftige Verurteilung, sondern nur, dass „eine zuständige Behörde gestützt auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Begehung bzw. Unterstützung einer terroristischen Straftat aufgenommen hat. Eine nachvollziehbare Begründung – eine Verbindung von Organisation bzw. Person und Straftaten – sind die Behörden auch nach mehrmaliger Überarbeitung der Liste schuldig geblieben.
In der ersten Fassung enthielt sie 29 Personen und 13 Organisationen, in der vom Dezember 2002 sind es 52 Personen und 33 Organisationen.[5] Der Personenkreis besteht aus 25 Arabern, einem Philippino und 26 Basken. Von den zehn aus der EU stammenden Organisationen kommen zwei aus Griechenland, sechs aus Nordirland (vier loyalistische und zwei republikanische, die IRA ist nicht aufgelistet) und zwei aus dem spanischen Staat. Der baskischen ETA werden dabei kurzerhand fünf Organisationen zugerechnet, die bis zu ihrem kürzlichen Verbot in der Legalität operierten (darunter die Gefangenenhilfsorganisation Gestoras pro amnistía). Unter den restlichen 23 Gruppierungen finden sich sieben palästinensische, zwei Siedler-Gruppierungen aus Israel, drei Gruppen aus dem arabischen Raum, zwei aus der Türkei (die PKK und Dev Sol), die Volksmudjaheddin aus dem Iran, drei Sikh-Gruppierungen aus Indien, die rechten Paramilitärs AUC und die linke Guerilla FARC aus Kolumbien, der Leuchtende Pfad aus Peru, die Aum-Sekte aus Japan und seit neuestem die Neue Volksarmee der Philippinen.
Zwei dieser Organisationen haben mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Erwähnung auf der Liste eingelegt: Die Volksmudjaheddin heben hervor, dass sie erstens nicht angehört wurden und zweitens lediglich „gegen Tyrannei und Unterdrückung“ im Iran kämpften, sich aber nicht gegen ein demokratisches Regime stellen würden. Die Bevollmächtigten der PKK verweisen u.a. darauf, dass die Organisation vor kurzem aufgelöst wurde und sich überdies seit 1999 nur noch „mit friedlichen und politischen Mitteln“ betätigt habe. Die neue Organisation KADEK figuriert – noch – nicht auf der Liste.
Die Zusammenstellung der „terroristischen Vereinigungen“ lässt kein nachvollziehbares Schema erkennen. Sie folgt offenkundig primär politischen Opportunitäten und Partikularinteressen der Mitgliedstaaten. Dies wird inzwischen auch intern moniert: Die Liste sei dahingehend zu differenzieren, inwiefern die darin aufgeführten Organisationen an Friedensverhandlungen beteiligt sind bzw. ob sie überhaupt eine Gefahr für die EU darstellen.[6] Letzteres ist übrigens – folgt man dem bereits zitierten neuesten Terrorismus-Lagebericht der EU – bei keiner einzigen der in der Liste aufgeführten außereuropäischen Organisationen der Fall.
Die rechtlichen Konsequenzen einer Erfassung in der Liste ergeben sich zunächst aus den genannten Gemeinsamen Standpunkten: Erstens wollen sich die Mitgliedstaaten eine „möglichst weitgehende Amtshilfe“ gewähren. Zu deren Optimierung beschloss der Rat auf spanischen Vorschlag einen besonderen Informationsaustausch via Europol und Eurojust.[7] Zweitens sollen die Mitgliedstaaten „vor Gewährung des Flüchtlingsstatus“ sicherstellen, „dass der betreffende Asylbewerber keine terroristischen Handlungen geplant, erleichtert oder sich daran beteiligt hat.“ Das würde bedeuten, dass sämtliche Flüchtlinge im Rahmen des Asylverfahrens politisch zu überprüfen wären. Die EU-Kommission soll dazu Vorschläge erarbeiten. Drittens sollen sämtliche „Gelder und sonstige Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen“ der aufgeführten Organisationen sowie Personen von außerhalb der EU eingefroren werden.
„Finanzierung des Terrorismus“
Was das bedeuten kann, zeigt der Fall des Führers der philippinischen Neuen Volksarmee, José Maria Sison, der seit Jahren als Asylberechtigter in den Niederlanden lebt. Die niederländische Regierung hat ihm nun sein Postscheckkonto, auf das ihm Sozialhilfe gezahlt wird, gesperrt. Die Gemeinde Utrecht entzog ihm darüber hinaus die Unterstützung für Essen, Kleidung und Krankenkasse. Zudem droht ihm die nachträgliche Aberkennung des Flüchtlingsstatus.[8]
Sison ist sowohl auf der EU-Terror-Liste als auch auf jener des UN-Sicherheitsrates aufgeführt. Die beiden Listen sind die Quellen, an denen sich Banken und Finanzinstitute für das Einfrieren von Geldern und für ihre Meldungen „terrorismus-verdächtiger“ Transaktionen zu orientieren haben. Zwischen den zentralen Geldwäsche-Meldestellen in der EU (sog. Financial Intelligence Units) hat die Multidisziplinäre Gruppe „Organisierte Kriminalität“ des Rates einen automatisierten Informationsaustausch vorgeschlagen.[9]
Politisch orientiert sich die EU weitgehend an den Vorgaben der Financial Action Task Force (FATF), einer freischwebenden Organisation, die ursprünglich auf Initiative der G8-Staaten entstand und inzwischen an das Sekretariat der OECD in Paris angebunden ist. Auf einer Tagung in Washington am 29./30. Oktober 2001, an der neben FATF-Mitgliedstaaten auch Vertreter von Europol teilnahmen, beschloss die FATF acht Empfehlungen gegen die „Finanzierung des Terrorismus“.[10] Sie ergänzen die bestehenden 40 Empfehlungen in Sachen Geldwäsche, deren Umsetzung in den einzelnen Staaten die Gruppe jeweils überprüft.
Die FATF fordert die Staaten nun nicht nur auf, die Finanzierung des Terrorismus zu kriminalisieren, sich gegenseitig Amts- und Rechtshilfe zu leisten, Informationen auszutauschen sowie Banken und Finanzintermediäre wie im Geldwäschebereich zu Verdachtsmeldungen zu verpflichten. Sie wartet vielmehr mit zwei neuartigen Empfehlungen auf: Die erste befasst sich mit informellen Überweisungssystemen jenseits des Bankenwesens. Solche Systeme, die in den meisten Fällen nicht auf schriftlichen Unterlagen, sondern auf gegenseitigem Vertrauen beruhen, werden insbesondere von (politischen) Exilgemeinschaften benutzt. Sie ermöglichen den MigrantInnen Überweisungen selbst in abgelegene oder Kriegsregionen, in denen die Banken nicht präsent sind oder für die sie völlig überhöhte Provisionen kassieren würden. Angeblich sollen aber auch terroristische Organisationen solche Wege genutzt haben. Die FATF verlangt nun, dass alle natürlichen und juristischen Personen, die solche alternativen Überweisungsdienste anbieten, registriert werden. Eine Zuwiderhandlung gegen die Registrierungspflicht sei unter Strafe zu stellen.
Zum anderen nimmt die FATF Non-profit-Organisationen aufs Korn. Sie seien besonders anfällig für Missbräuche: Terroristische Vereinigungen gäben sich als legitime Körperschaften aus. Sie benutzten Non-profit-Organisationen, um das Einfrieren ihrer Finanzen zu umgehen, sie zweigten Gelder in ihre Kassen ab. Die Staaten sollten deshalb ihre Vorschriften überprüfen. Wie das geschehen soll, erklärte die FATF im Oktober 2002 mit einer Darstellung von „best practices“.[11] Die „zuständigen Behörden“ des Staates, in dem die Organisation ihren Sitz hat, sollen mit dem Staat, in dem das Projekt stattfindet, Informationen austauschen und Ermittlungen koordinieren. Praktisch heißt das, dass z.B. Hilfsprojekte in Ländern mit repressiven Regimen nicht mehr möglich sind, weil die Identitäten von MitarbeiterInnen und Kontaktpersonen den Behörden eines solchen Staates auf dem Silbertablett der „Terrorismusbekämpfung“ präsentiert werden.
Institutionelle Aspekte
Nach den Anschlägen wurde eine Vielzahl neuer Ad-hoc-Gremien zur Terrorismusbekämpfung gegründet. Diese können hier nur skizziert werden: Dabei sind die Veränderungen innerhalb von EUROPOL noch am besten darstellbar. Die Europäische Polizeibehörde hatte bereits bei Inkrafttreten der Konvention Ende 1999 die Zuständigkeit zur Terrorismusbekämpfung erhalten. Aber erst im Schatten der Anschläge von New York und Washington gelang offenbar der institutionelle Durchbruch. Eingerichtet wurde eine zusätzliche Counter-Terrorism Task Force (CTTF), die sich zu zwei Dritteln aus Geheimdienstleuten zusammensetzt.[12] Die CTTF hat bislang eine generelle Bedrohungsanalyse sowie eine Studie über die Finanzierung des Terrorismus erarbeitet und darüber hinaus allgemeine analytische Arbeiten ausgeführt. Im November 2002 entschied der Rat, die CTTF bis März 2003 als dauerhafte Arbeitsgruppe innerhalb von EUROPOL zu institutionalisieren.[13] Zur Intensivierung seiner Anti-Terrorismus-Aktivitäten wurden EUROPOL 5 Mio. Euro zusätzlich bewilligt. Damit sollen drei Projekte finanziert werden: zwei sichere Kommunikationsnetze (zur Koordinierung bei akuten terroristischen Aktionen), ein Lagezentrum zur Nutzung bei größeren terroristischen Anschlägen sowie die Durchführung von Seminaren, bei denen eine gemeinsame Methodik der Bewertung terroristischer Bedrohungen und Risiken entwickelt werden soll.[14]
Die sog. Task Force der Europäischen Polizeichefs tagt seit Anfang 2000 in regelmäßigen Abständen. Zwar gibt es nach wie vor weder eine Rechtsgrundlage noch irgendeine Kontrolle dieses Gremiums, dafür aber seit Juli 2002 eine neue Arbeitsstruktur, die die Anti-Terroraktivitäten der Task Force verbessern soll. Auch die Leiter der nationalen Nachrichtendienste treffen sich nunmehr regelmäßig, um den gegenseitigen Informationsaustausch in Sachen Terrorismusbekämpfung zu befördern.
Nach Art. 13 des EU-Rechtshilfe-Übereinkommens können die Mitgliedstaaten gemeinsame Ermittlungsgruppen bilden. Der Vertrag ist aber bisher nur von Portugal ratifiziert. Um dennoch solche Ermittlungsgruppen bilden zu können, hat der Rat im Juni 2002 einen Rahmenbeschluss verabschiedet, den die Mitgliedstaaten bis zum 1. Januar 2003 in ihr Recht umzusetzen haben. „Nach Auffassung des Rates sollten diese Gruppen vorrangig zur Bekämpfung der von Terroristen verübten Straftaten eingesetzt werden.“ Daran sollen nicht nur Strafverfolger aus den EU-Staaten beteiligt werden, sondern auch „Vertreter von Behörden von Nichtmitgliedstaaten, insbesondere Vertreter von Strafverfolgungsbehörden der Vereinigten Staaten.“ Der Rahmenbeschluss „tritt außer Kraft, sobald das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen in allen Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist.“[15]
Neben diesen Ermittlungsgruppen, die jeweils zu Zwecken der Strafverfolgung gebildet werden und damit an das Strafprozessrecht der betreffenden Staaten gebunden sind, hat der Rat auf Initiative Spaniens die Einsetzung „multinationaler Ad-hoc-Gruppen für die Erfassung und den Austausch von Informationen über Terroristen“ empfohlen. Sie bestehen aus VetreterInnen von Polizei und Geheimdiensten und werden von EUROPOL durch Analysen und Logistik unterstützt. Sie sollen „das Vakuum bei außer- oder vorgerichtlichen Ermittlungen“ schließen und agieren damit auf einer rein polizeirechtlichen Grundlage, wenn nicht überhaupt in der Grauzone geheimdienstlicher Schnüffelei. Zu den dabei gesammelten Vorfeld-Informationen sollen gegebenenfalls auch Daten über Vorgänge gehören, die in dem Land, in dem sich die verdächtige Person aufhält, nicht strafbar sind.[16]
Standardformular
Eine Intensivierung des Informationsaustausches bezweckt auch die Einführung eines „Standardformulars über Vorfälle mit terroristischem Hintergrund“. Ein Blick in die Genese dieser von der spanischen EU-Präsidentschaft im Januar 2002 lancierten Initiative zeigt, dass hiermit ursprünglich auch ein „diffuses Umfeld“ von Gruppen in die präventive Terrorismusaufklärung einbezogen werden sollte, die ihre „rechtmäßige Existenz dazu nutzen, Nebenaufgaben zu erfüllen, mit denen sie dazu beitragen, die ureigenen Ziele von Terrororganisationen zu unterstützen“. Der empfohlene Datenaustausch sollte sich daher auch auf die „Verhütung und ggf. Verfolgung gewaltgeprägter, im städtischen Umfeld verübter Aktionen radikaler Jugendlicher“ beziehen, „die von Terrororganisationen zunehmend manipuliert und für die Erreichung ihrer Ziele instrumentalisiert werden.“[17]
Die so formulierte Absicht ging selbst der EU zu weit. So wurde zwar der ursprüngliche Bezugspunkt beibehalten: die angebliche Instrumentalisierung von Demos und anderen Großveranstaltungen durch terroristische Gruppen. Dennoch sollen nur noch Personen erfasst werden dürfen, die „die wegen terroristischer Straftaten im Sinne des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung bereits vorbestraft sind.“ Schließlich sei dafür Sorge zu tragen, dass „die auszutauschenden Informationen sich nicht auf Personen beziehen, die ihre verfassungsmäßigen Rechte … wahrnehmen“.[18] Der Datenaustausch wird über das BDL-Netzwerk betrieben, dem die Inlandsgeheimdienste und politischen Polizeien der Mitgliedstaaten angeschlossen sind.
Täterprofil und Rasterfahndung
Eine Weiterentwicklung dieser Idee stellt die von der dänischen EU-Präsidentschaft angeregte und vom Rat im November 2002 beschlossene Erstellung von Terroristenprofilen dar.[19] Dabei sollen künftig auch die Geheimdienste – so wie es die Polizeibehörden einiger Mitgliedstaaten bereits praktizieren – eine Reihe „physischer, psychologischer und verhaltensbedingter Merkmale von Personen zusammenstellen, die in terroristische Handlungen verwickelt sind.“ Diese Informationen, so schiebt der Rat vorsorglich nach, sollen „einen gewissen Aussagewert für die Zukunft besitzen.“ „Bevor terroristische Handlungen verübt werden“, wollen die Geheimdienste so Terroristen identifizieren, ihre Einreise in die EU verhindern und schließlich „Personen und Kreise ermitteln, die für die Rekrutierung neuer Terroristen von Bedeutung sind.“
Beflügelt von derartigen Vorstellungen fühlte sich Deutschland ermutigt, seinen Vorschlag für die EU-weite Einführung der Rasterfahndung zu wiederholen. Das sei geradezu die „konsequente Umsetzung“ der dänischen Initiative: Alle Mitgliedstaaten sollten ein abgestimmtes Täterprofil nach dänischer Maßgabe erstellen, anhand dessen dann ihre nationalen Datenbanken (z.B. Melde- und Ausländerregister sowie Universitäten etc.) durchforsten und sich gegenseitig über die Ergebnisse ihrer Rasterfahndungen unterrichten. Diese Profilfahndung könne von den Mitgliedstaaten in eigener Regie durchgeführt werden. Gemeinsame Datenbanken seien „weder erforderlich noch vorgesehen“.[20]
VIS und SIS
Im Hinblick auf die Anschläge des 11. September hat die EU ebenfalls damit begonnen, ihre Visa-Vorschriften erheblich zu verschärfen. Deutschland spielt auch hier eine treibende Kraft. Erstens hat das Bundesinnenministerium – in Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes – die Liste der sog. Problemstaaten erweitert. Bei sämtlichen Staatsangehörigen dieser Länder müssen die deutschen Auslandsvertretungen die Daten aus dem Visumantrag den heimischen Nachrichtendiensten zur Prüfung weiterleiten. Konsultiert werden zusätzlich die Sicherheitsdienste der Schengen-Staaten. Umgekehrt müssen die anderen EU-Staaten den deutschen Behörden ihre Daten von Visa-AntragstellerInnen aus solchen Problemländern übermitteln, auch wenn sie selbst das betreffende Drittland nicht als Problemstaat ansehen.[21]
Der Rat hat zweitens die Errichtung eines „Visa-Informations-Systems“ (VIS) beschlossen, das analog zum Schengener Informationssystem (SIS) aufgebaut werden soll.[22] Darin sollen Daten aus Visumantragsverfahren, unabhängig davon, ob das Visum schließlich gewährt oder verweigert wurde, für die Dauer von fünf Jahren gespeichert werden. Innerhalb dieses Zeitraums sollen auch Geheimdienste Zugang zu den Daten erhalten.
Drittens wurde auf deutschen Vorschlag hin vereinbart, künftig auch biometrische Daten von Fingern, Händen oder Gesicht in EU-Visa einzufügen.[23] Bis März 2003 soll die EU-Kommission eine Durchführbarkeitsstudie zum VIS und zu biometrischen Verfahren vorlegen.
Der deutschen Delegation reicht aber selbst das nicht. Sie hat daher „ergänzende Maßnahmen“ vorgeschlagen, über die aber bislang noch nicht abschließend entschieden worden ist: So möchte Berlin zum einen Erkenntnisse aus dem Visa-Konsultationsverfahren der Geheimdienste und Daten aus EURODAC für allgemeine polizeiliche Zwecke nutzen. Das Bundesinnenministerium will zum anderen weiteren Behörden eine Zugriffsberechtigung auf das SIS erteilen.[24] Diesen Forderungen ist der Rat am 7. Juni 2002 bereits weitgehend gefolgt.
Aus dem SIS der zweiten Generation sollen nun auch Europol, Eurojust, die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, die Kraftfahrzeugregisterbehörden und die Ausländerbehörden Daten abrufen können. Letztere erhalten zunächst Zugang zu den Daten über ausgeschriebene Identitätsdokumente. Diskutiert wird noch über den Anschluss der Geheimdienste, der Asylbehörden, der Sozialämter sowie nicht-staatlicher Stellen – konkret der zentralen Auskunftsstellen für das Kreditwesen (SCHUFA). Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung, insbesondere zur Terrorismusbekämpfung soll vereinfacht werden, bei Personendaten werden zusätzlich erkennungsdienstliche Informationen gespeichert.
Zudem wird es neue Datenkategorien geben u.a. für leicht identifizierbare Sachen. Grundsätzlich einig ist man sich auch, dass es einen Informationsaustausch über „violent troublemakers“ – sprich: über Fußballfans und DemonstrantInnen – geben wird, denen die Teilnahme an entsprechenden „Massenveranstaltungen“ verwehrt werden soll. Die Frage scheint nur noch zu sein, ob das SIS der richtige Ort für die Ausschreibung dieses Personenkreises ist.[25] Fazit: Der Ausbau des SIS wird zwar als Anti-Terror-Maßnahme im „Fahrplan“ der EU geführt, hat aber allenfalls am Rande mit Terrorismusbekämpfung zu tun.
Eine ganze Reihe ähnlich gelagerter Fälle fand hier aus Platzgründen keine Erwähnung – von der Abschaffung des Auslieferungsverfahrens durch den Europäischen Haftbefehl bis zur Aufbewahrung von „Verkehrsdaten“ der Telekommunikation und zum polizeilichen Zugriff darauf. Der 11. September – so ist hier festzuhalten – ermöglichte die uferlose Ausdehnung des Terrorismusbegriffes zu einem Instrument der Kriminalisierung sozialer Proteste. Der Einflussbereich der Geheimdienste wurde systematisch ausgeweitet. Demokratisch nicht kontrollierbare Gremien sind neu entstanden oder erhielten durch die „Terrorismusbekämpfung“ eine nachträgliche Rechtfertigung. Die Erhebung und der Austausch personenbezogener Daten durch Polizei und Geheimdienste wurde in geradezu atemberaubender Weise intensiviert.