zusammengestellt von Yvette Grünberg
April 2003
09.04.: Überwachung durch den Verfassungsschutz: Nach dem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums führte das Bundesamt für Verfassungsschutz von Juli 2001 bis Juni 2002 zwischen 32 und 38 G 10-Maßnahmen durch. Im Verlauf dieser Aktionen war bei max. 232 überwachten Personen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aufgehoben.
10.04.: Razzia gegen Moslemgruppe: Die Polizei durchsucht in elf Bundesländern mehr als 80 Gebäude mutmaßlicher Mitglieder der verbotenen Islamisten-Gruppe Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung). Beschlagnahmt werden Dokumente und Computerteile. Die Aktion richtet sich in Berlin vor allem gegen die Hochschulgruppe „Aqida“.
Polizei beendet Kirchenasyl: Im brandenburgischen Tröbitz beenden 14 Polizisten das Kirchenasyl einer fünfköpfigen kurdischen Familie. Die Eltern werden in Abschiebehaft genommen, die Kinder (1, 3 und 5 Jahre) in ein Heim gebracht. Nach Protesten seitens der Kirche wird die Familie wieder zusammengeführt und die Abschiebung ausgesetzt.
11.04.: BND-Zentrale zieht nach Berlin: Nach Mitteilung der Bundesregierung wird die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin verlegt (s. S. 66 ff. in diesem Heft).
16.04.: Prozess gegen Ex-Polizeichef eingestellt: Das Landgericht Bielefeld stellt das Verfahren gegen den früheren Bielefelder Polizeipräsidenten Horst Kruse und zwei leitende Polizeidirektoren gegen Geldauflagen von 7.500 bzw. 8.000 Euro ein. Ihnen waren Duldung des Rauschgifthandels in einer Drogenanlaufstelle, Strafvereitelung im Amt sowie Förderung der Prostitution vorgeworfen worden.
17.04.: Landeskriminalamt muss Auskunft geben: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zwingt das Landeskriminalamt (LKA) zur Auskunft über verdeckte Ermittlungen. Das LKA wird in der Entscheidung vom 4.12.2002 verurteilt, einem Betroffenen mitzuteilen, ob er durch einen verdeckten Ermittler polizeilich überwacht wurde (Az.: 1 K 1478/99). Das LKA räumt die Überwachung ein, macht aber keine genauen Angaben, da die Unterlagen vernichtet worden seien.
22.04.: Extremistische Gewalttaten gestiegen: Das Bundesinnenministerium teilt mit, dass im Jahr 2002 die Zahl der registrierten rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten zugenommen hat. Die Statistik verzeichnet mit 10.903 „extremistischen Straftaten rechts“ einen Anstieg um acht Prozent. Die 772 „rechtsextremistischen Gewalttaten“ stellen einen Anstieg um neun Prozent dar. Insgesamt nahm die „politisch motivierte Kriminalität“ ab.
23.04.: Polizist stirbt nach Schießerei: Bei dem Versuch, einen mit Haftbefehl gesuchten Mann festzunehmen, werden in Berlin zwei Beamte eines Sondereinsatzkommandos (SEK) durch Schüsse verletzt. Einer der Polizisten stirbt am darauf folgenden Sonntag an seinen Verletzungen. Im Zusammenhang mit dem SEK-Einsatz wird gegen einen Polizisten wegen Strafvereitelung ermittelt.
Mai 2003
01.05.: Walpurgisnacht: Die Polizei räumt den Mauerpark zwischen den Berliner Stadtteilen Wedding und Pankow. Nachdem die Situation zwischen Polizei und 200 Störern eskaliert, werden 103 Personen verhaftet. Es werden 29 Polizisten verletzt. Ein 29-jähriger Mann wird im Juni wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands und gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.
Mai-Krawalle: In Berlin-Kreuzberg kommt es am Abend erneut zu Ausschreitungen. Von mehreren Übergriffen der Polizei gegen gekennzeichnete DemonstrationsbeobachterInnen wird berichtet. Insgesamt werden 175 Polizisten verletzt, 98 Sachbeschädigungen registriert und 196 Personen festgenommen. Es ergehen 58 Haftbefehle. Fünf der Festgenommenen werden dem rechtsextremen Lager zugeordnet. Innerhalb von drei Wochen kommt es zu 30 Anklagen und zwei Verurteilungen auf Bewährung. Erstmalig räumt der Berliner Polizeipräsident taktische Fehler ein.
Innenbehörde steht hinter Polizisten: Eine Entscheidung der Hamburger Innenbehörde wird bekannt, der zufolge Polizisten, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen Dienstverfehlungen läuft, nicht von Beförderungen ausgeschlossen werden. Vor dem Regierungswechsel hatte ein Ermittlungsverfahren gegen einen Beamten eine sofortige Beförderungssperre nach sich gezogen.
02.05.: Anstieg der Telefonüberwachungen: Nach Angaben der Regulierungsbehörde nimmt die Anzahl der Telefonüberwachungen in Deutschland weiter zu. Im Jahr 2002 wurden 21.874 Abhöraktionen durchgeführt. Das ist ein Anstieg um 10 % gegenüber dem Vorjahr.
04.05.: Streifenwagen demoliert: Durch einem Zusammenstoß mit einem Wildschwein entsteht Totalschaden an einem Polizeiauto. Nach Angaben der Polizei konnte das Schwein „unerkannt flüchten“.
Einbrecher stirbt auf der Autobahn: Bei einem Schusswechsel mit der Polizei auf der Autobahn A 620 bei Saarlouis stirbt ein 31-jähriger mutmaßlicher Einbrecher. Ein Polizist wird verletzt.
09.05.: Anklage wegen 11. September 2001: Die Bundesanwaltschaft klagt einen 30-jährigen Marokkaner an. Ihm wird Beihilfe zu den Attentaten und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Der Prozess soll im Spätsommer vor dem Oberlandesgericht Hamburg stattfinden.
Abschiebung von der Schulbank aus: In Berlin wird der 12-jährige Jasmin Ukic im Unterricht von mehreren Polizisten verhaftet. Er und seine Familie werden am selben Tag abgeschoben.
12.05.: Polizist verurteilt: Das Amtsgericht Potsdam verurteilt einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe. Der Beamte hatte im April 1998 während eines Fußballspiels einen Fan mit einem Faustschlag verletzt.
13.05.: Polizist vor Gericht: Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten muss sich ein 29-jähriger Polizist wegen Verfolgung Unschuldiger verantworten. Er hatte am 1. Mai 2001 den Demonstrationsbeobachter Wolf-Dieter Narr zu Boden geworfen und verhaftet. Der Polizist hatte in einer Strafanzeige wahrheitswidrig angegeben, dass der Hochschullehrer massiven Widerstand geleistet hatte. Das Verfahren gegen den Beamten endet mit einem Freispruch. Das Gericht sah nur ein irrtümliches Verhalten des Polizisten.
17.05.: V-Mann warnt vor Razzia: Es wird bekannt, dass ein V-Mann des brandenburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz im Februar 2001 bekannte Neonazis vor einer bevorstehenden Razzia gewarnt hatte. Die Behörden hatten diesen Vorgang zwei Jahre geheim gehalten. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Geheimnisverrats gegen unbekannt.
22.05.: Mahler freigesprochen: Ein Hamburger Gericht spricht Horst Mahler vom Vorwurf, die Attentate vom 11. September 2001 gebilligt zu haben, frei. In der Urteilsbegründung heißt es, seine Aussagen seien im Fernsehen zum Teil „vertauscht und sinnentstellt dargestellt worden“.
Skinheads verurteilt.: Das Dresdner Landgericht verurteilt fünf führende Mitglieder der rechtsextremistischen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung, Volksverhetzung und Landfriedensbruchs zu Bewährungsstrafen zwischen anderthalb und zwei Jahren. Zum ersten Mal wird eine rechtsextreme Gruppierung als kriminelle Vereinigung eingestuft. Bereits im April hatte das Gericht ein 25-jähriges SSS-Mitglied wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt. Zuvor hatte er als einziger die Taten gestanden. Den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hatte das Gericht bei ihm fallen gelassen.
Polizist erschießt seine Familie: Ein Beamter erschießt im nordhessischen Vöhl seine Frau und seine beiden Söhne mit seiner Dienstwaffe. Anschließend tötet er sich selbst.
23.05.: Skinheads verurteilt: Das Bochumer Landgericht verurteilt zwei rechtsradikale Skinheads zu sechs und fünf Jahren Haft. Sie hatten unter Alkoholeinfluss Obdachlose verprügelt und mißhandelt.
Polizisten suspendiert: Zwei Beamte des brandenburgischen LKA werden wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Betätigung suspendiert. Bei einer Hausdurchsuchung waren u.a. Fotos gefunden worden, auf denen die Beamten den Hitlergruß zeigten.
Kirchenasyl aufgelöst: In Schwalmtal-Waldniel (NRW) löst die Polizei gewaltsam ein Kirchenasyl auf. Der Vater und die zwei Söhne werden in Abschiebehaft genommen, da sie seit September 2002 ausreisepflichtig sind. Für die Mutter besteht seit Februar eine Duldung.
26.05.: Rechtsextremisten gestehen Mord: Vor dem Landgericht Neuruppin gestehen die drei Angeklagten, im brandenburgischen Potzlow den 16-jährigen Marinus S. im Juli 2002 ermordet zu haben. Die drei mutmaßlichen Rechtsextremen bestreiten ein rechtsextremes Tatmotiv.
27.05.: Metin Kaplan frei: Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf verbietet die Auslieferung des Islamistenführers Metin Kaplan an die Türkei. Das OLG vermutet, dass Kaplan in der Türkei ein Verfahren erwartet, welches mit unter Folter erlangten Zeugenaussagen geführt werden soll.
Juni 2003
04.06.: Keine Ergebnisse der Rasterfahndung: Die umstrittene Rasterfahndung nach islamistischen Terroristen hat auch in Hessen keine Ergebnisse gebracht. Nach Angaben des LKA wurden die Daten von mehr als 5.100 hessischen Studenten abgeglichen. 287 Personendaten, die in das festgelegte Raster passen, werden weiter überprüft.
05.06.: Polizisten vor Gericht: Zwei Berliner Polizisten und ein Polizeibeamter im Ruhestand müssen sich wegen Bandendiebstahls vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verantworten. Sie sollen mit Hilfe von vorgetäuschten Hausdurchsuchungen und unter Vorspiegelung einer polizeilichen Beschlagnahme Geld und Wertsachen gestohlen haben.
Gericht verhängt Geldbußen: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten stellt das Verfahren gegen zwei Polizisten gegen eine Zahlung von 1.000 bzw. 1.500 Euro ein. Im Juli 2001 hatten sie, nachdem sie in einen Unfall verwickelt worden waren, den Unfallfahrer geschlagen und beschimpft.
06.06.: Bombe im Dresdner Hauptbahnhof: Im Dresdner Hauptbahnhof wird ein Koffer mit einer Sprengstoffvorrichtung gefunden. Laut LKA waren alle notwendigen Bestandteile einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) vorhanden. Das LKA schließt einen terroristischen Hintergrund nicht aus.
10.06.: Staatsschutz ermittelt gegen Schüler: Wegen gefährlicher Körperverletzung und des Verwendens von verfassungswidrigen Symbolen ermittelt der Staatsschutz gegen einen 15-jährigen Schüler. Er hatte einer Mitschülerin mit einer Plastikkarte ein Hakenkreuz in die Schulter geritzt. Laut Polizeiangaben war am Abend nur noch eine leichte Rötung auf der Schulter zu erkennen.
11.06.: Affäre Friedman: Im Rahmen von Ermittlungen gegen ukrainisch-polnische Schleuser wegen des Verdachts des Menschen- und Rauschgifthandels werden die Wohn- und Büroräume von Michel Friedman durch den Bundesgrenzschutz (BGS) nach Drogen durchsucht. Dabei werden winzige Spuren von Kokain gefunden. Die Affäre Friedmann entwickelt sich zum öffentlichen Streit über das Vorgehen der Berliner Justiz sowie über die Berichterstattung der Medien. Das Verfahren wird im Juli gegen Zahlung von 17.400 Euro eingestellt. Friedman tritt von allen öffentlichen Ämtern zurück.
18.06.: Afghane abgeschoben: Erstmals seit 23 Jahren wird ein Afghane aus Deutschland abgeschoben. Der 32-Jährige verbüßte seit Mai 2001 eine mehrjährige Haftstrafe. Die Innenminister von Bund und Ländern hatten sich auf der Innenministerkonferenz im Mai 2003 darauf verständigt, dass der Abschiebestopp trotz der noch unsicheren Verhältnisse in Afghanistan in Einzelfällen aufgehoben werden kann.
Schüsse auf Fahrraddiebe: Bei dem Versuch, zwei Fahrraddiebe zu stellen, werden zwei Zivilbeamte mit Bolzenschneidern angegriffen. Als einer der Beamten verletzt wird, benutzen sie ihre Schusswaffen.
20.06.: Zuwanderungsgesetz abgelehnt: Der Gesetzentwurf zur Zuwanderung wird im Bundesrat erneut abgelehnt. Die Bundesregierung kündigt an, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
23.06.: Organisierte Kriminalität: Bundesinnenminister Otto Schily präsentiert das „Lagebild Organisierte Kriminalität 2002“. Demnach sank die Zahl der Verfahren im Vergleich zum Vorjahr von 787 auf 690 (12,3 %). Die Schadenshöhe verdoppelte sich auf insgesamt 3,1 Milliarden Euro.
24.06.: Erster Prozess gegen Al Tawhid-Mitglied: Vor dem OLG Düsseldorf beginnt der Prozess gegen einen 26-jährigen Jordanier wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie bandenmäßiger Passfälschung. Es sind 26 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird im September erwartet.
Skinhead-Band vor Gericht: Vor dem Berliner Kammergericht beginnt der erste Prozess gegen eine rechtsextreme Musikgruppe. Die drei Mitglieder der Band „Landser“ müssen sich u.a. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Volksverhetzung verantworten. Sie waren im Herbst 2002 festgenommen worden, nachdem die Polizei in Berlin und Umgebung 22 Häuser und Wohnungen durchsucht hatte.
25.06.: Freispruch für rabiate Polizisten: Drei SEK-Beamte werden vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen. Die Beamten waren angeklagt, bei einem Einsatz im April vergangenen Jahres in Karow-Nord Angestellte eines Sicherheitsdienstes geschlagen zu haben. Das Verfahren gegen einen weiteren SEK-Beamten wegen Misshandlung eines Kollegen des Wachmannes war wegen geringer Schuld eingestellt worden. Die beiden Wachmänner waren Opfer einer groß angelegten Polizeiaktion, die sich gegen einen als gefährlich eingestuften Verbrecher richtete. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass das Handeln der Angeklagten nicht über das Maß hinaus ging, das bei solch gefährlichen Einsätzen gerechtfertigt sei.
26.06.: Kölner Polizisten vor Gericht: Sechs Polizisten stehen wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, am 11. Mai 2002 den 31-jährigen Stephan Neisius im Polizeigewahrsam durch Fußtritte und Schläge so schwer misshandelt zu haben, dass er nach dreizehn Tagen Koma an einem Hirnödem starb. Im Mai hatte ein Gutachten festgestellt, dass die Polizeitritte maßgeblich zum Tod des Mannes geführt hatten. Die Angeklagten erklären, es sei zu unterschiedlichen Gewaltanwendungen und Zwangsmaßnahmen gekommen. Diese seien aus Notwehr und zur Brechung des Widerstandes des Festgenommenen nötig gewesen.
27.06.: Arbeitsgruppe „Sicherheit im Luftraum“: Es wird bekannt, dass die Arbeitsgruppe „Sicherheit im Luftraum“ Landebahnen für gekaperte Flugzeuge festgelegt hat. Als geeignet erscheinen die Flughäfen Hahn, Leipzig und Hannover. Auf ihnen sollen entführte Flugzeuge durch Kampfjets zur Landung gezwungen werden. Den Befehl zu einem Abschuss soll nur der Verteidigungsminister erteilen dürfen.
30.06.: Ermittlungen eingestellt: Es wird bekannt, dass die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen Atomkraftgegner aus Hamburg, Bremen und Berlin wegen der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ sowie des „gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr“ eingestellt hat. Trotz aufwendiger Observationen, Telefonüberwachungen und Durchsuchungen konnte keiner der Vorwürfe belegt werden.
Yvette Grünberg studiert Linguistik, Soziologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin.