Die Hauptstadt der Spionage – Der BND kommt nach Berlin

Seit 1947, als er noch „Organisation Gehlen“ hieß, residierte der Bundesnachrichtendienst (BND) in einer eigenen kleinen Stadt getrennt vom bürgerlichen Ort in Pullach bei München. Mit seinen schätzungsweise 5.000 bis 6.000 MitarbeiterInnen – die genaue Zahl ist unbekannt – wird er nun an den Gardeschützenweg in Berlin Lichterfelde-West verlegt.

Wir sind spät dran. Dass zunächst eine ‚Vorausabteilung‘ von ca. 1.000 MitarbeiterInnen kanzlernah nach Berlin umziehen sollte, erfuhr man schon bald nach dem Regierungsantritt der „rotgrünen“ Koalition. Die (Teil-)Verlegung ist fast abgeschlossen. Lobenswerterweise hatte die PDS schon Mitte 2000 mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag nachgehakt. Die Antworten der Bundesregierung waren lapidar.[1] Erste Frage der PDS: „Mit welcher Begründung wird eine mit der Auswertung befasste Abteilung des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin umziehen?“ Antwort der Bundesregierung: „Der Bundesrepublik Deutsch­land ist eine erhöhte internationale Verantwortung zugewachsen; daher muss die Bundesregierung rasch und zugleich umfassend über aktuelle weltpolitische Entwicklungen, insbesondere krisenhafte Zuspitzungen, unterrichtet sein.“ Zweite Frage: „Trifft es zu, dass es in der Begründung um einen ‚kurzen Draht‘ zwischen Bundesnachrichtendienst und Bundesregierung geht?“ Antwort: „Ja.“

Wozu also schon fast Vollzogenes noch einmal kommentieren? Wozu des Aufhebens über einen bloßen Umzug? Auf einer einschlägigen Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai 2001 hat Ernst Uhrlau, Koordinator der Nachrichtendienste des Bundes im Bundeskanzleramt, den Ortswechsel mit einer gesteigerten Bedeutung des BND zu erklären versucht.[2] Wie einen riesigen Fächer breitete er dafür zunächst die im Zeichen der Informations- und Kommunikationstechnologien enorm ausgeweiteten staatlich-internationalen Sicherheitsaufgaben aus. „Mit seinem Dienstsitz in Pullach als Ergebnis seiner Entstehungsgeschichte und der Nachkriegsbesonderheiten war der BND abweichend von allen Auslandsdiensten regierungsfern positioniert und damit zugleich der Chance beraubt, integraler Bestandteil einer aufwachsenden sicherheitspolitischen Community am Regierungssitz zu werden.“ Nun sei ein Ortswechsel überfällig. „Der BND kann dann (also in Berlin „positioniert“, WDN) bedarfsgerechter, präziser, durch unmittelbare Rückkopplung und Einbeziehung in Beratungsprozesse die Auftraggeber mit Informationen und Analysen bedienen und seine vorhandenen Ressourcen, einschließlich der nachrichtendienstlichen Mittel, ziel- und sachgerechter einsetzen. Hierfür gab es“, so hebt Uhrlau hervor, „im politischen Raum eine erstaunlich breite Übereinstimmung.“

Der zentrale, also einen zentralen Ort verdienende, politische Stellenwert des BND wird durch die Beschreibung seiner extensiven, in fast alle Ressorts reichenden Aufgaben noch deutlicher: „Der Dienst stellt bei der Krisenfrüherkennung nationaler und bilateraler Konflikte eine noch stärkere Verzahnung mit transnationalen Themen fest.“ „Was verbirgt sich hinter den transnationalen Themen?“, so fragt Uhrlau selbst und gibt sogleich die Antwort: „Dazu rechnen wir: illegale Proliferation, internationaler Terrorismus sowie international operierende Organisierte Kriminalität (OK) mit den besonderen Deliktsfeldern inter­nationaler Rauschgifthandel, Waffenhandel, illegale Migration, Schleu­ser­kriminalität sowie die in großem Umfang betriebene Geldwäsche.“ Die Neuregelung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ermächtige den BND, „Informationen über Sachverhalte zu sammeln, deren Kenntnis notwendig ist“, um all den genannten Aufgaben präventiv nachzukommen. Damit „ernsthafte Störungen nationaler und internationaler Märkte“, wie „Schäden für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ durch OK u.a.m. abgewehrt werden könnten.

Auf derselben Tagung, bei der hinsichtlich des Sicherheitsbegriffs, der Sicherheitsapparate allgemein und des BND im Besonderen kritik- und problemlose Übereinstimmung herrschte, wurde Uhrlau durch BND-Chef August Hanning unterstützt. Es komme auf eine „einheitliche Perzeption“ der Sicherheitslage an.[3] Kooperation nach innen und nach außen laute dafür das Gebot. Die Grenzen zwischen militärischer und polizeilicher Sicherungsfunktion verschwämmen ebenso wie deren geographische Grenzen.

Sachlich und global umfassende „Früherkennung“ laute folglich die Devise. Dieser entspräche im Rahmen einer „modernen Sicherheitspolitik“ die Aufgabe des BND: „Erforderlich ist sowohl für den auf der politischen Bühne agierenden Entscheidungsträger als auch für den im Gefechtsfeld operierenden Soldaten, dass ihm die Information möglichst in so genannter Echtzeit zur Verfügung steht.“ Darum kommt es nicht allein darauf an, den BND instand zu setzen, „interdisziplinär … alle Krisenphänomene unter den unterschiedlichsten Aspekten … zu einem umfassenden, einheitlichen Lagebild“ zusammenzufassen. Vonnöten sei vielmehr „eine Einbindung des BND in diese sicherheitspolitische community“ und die „Stärkung“ der „noch entwicklungsfähigen“ „community“ selbst. „Die sicherheitspolitische community sollte auch die Ministerien und deren nachgeordnete Behörden umfassen, die sich bisher nicht oder kaum den sicherheitspolitischen Fragen verbunden sahen. Ich halte dies für unabdingbar“, unterstreicht Hanning, „weil wir Sicherheit heute anders und viel komplexer definieren müssen und … auch definieren.“

All dies wurde im Mai 2001 gesagt. Bald darauf gab der 11.9. Schubkraft und Legitimation, um im – kanzlergemäß – rückhaltlos unter­stütz­ten antiterroristischen Kampf die letzten gesetzlichen Ermächtigungslücken zu schließen. In der ersten Bundestagsdebatte nach der Zerstörung des World Trade Center hatte der Kanzler den motivationalen Hintergrund verkündet: Deutschland müsse seine weltpolitischen und weltökonomischen Interessen notfalls auch kriegerisch wahrnehmen.

Eine musterhafte Behörde

Um welche Institution handelt es sich aber bei diesem sicherheitspolitisch offenkundig essentiellen BND im Rahmen der politisch essentiell gewordenen umfassenden ökonomisch-politischen Sicherheit? Eine lange Geschichte. Sie ist hier nicht zu erzählen.[4] Diese Behörde ist in mehrfacher Hinsicht musterhaft. Sie ist ein Muster unaufhaltsamen bürokratischen Wachstums. Tut nichts, wenn die Aufgaben sich qualitativ, wie spätestens nach dem Ende des Kalten Krieges, ändern. Die Behörde und ihre in und außer ihr situierten Interessenten erfinden neue, sogar (siehe oben) umfassendere. Diese Behörde ist zugleich ein Muster für die deutsche, ja die westlich alliierte Kontinuität unbeschadet allen Systemwandels.[5] Von den Nationalsozialisten zur „Ostspionage“ gegen die Sowjetunion während des 2. Weltkriegs gegründet, retteten die USA das „Amt Gehlen“ und all seine mehr oder minder verkappten Nationalsozialisten in ihrem antikommunistischen Informations- und Sabotagehunger. Sie gaben das wohl bestallte Amt Mitte der 50er Jahre der sich wieder aufrüstenden, Nato-Mitglied gewordenen Bundesrepublik und ihrer Regierung. Deren ideologischer Antikommunismus verstand sich amtsexpansiv von selbst. Und nun greift dieses Amt weiter aus. Die Kommunisten, die überall drohten, sind weg. Nun drohen – wenn diese unmögliche Steigerung erlaubt ist – noch überalliger: die international aktiven Terroristen; die organisiert Kriminellen; die Drogenproduzenten, -händler und -konsumenten; die neuen Internet- und Techno-Kriegs­feinde und nicht zuletzt alle diejenigen, die ungeordnet und unerwünscht fliehen und darum die innere Vorurteilssicherheit sogar ganz Europas und der ganzen USA gefährden.

Und wie steht es mit der „rechtsstaatlichen“ Grundlage? Auch in dieser Hinsicht ist der BND in mehrfacher Hinsicht mustergültig. An ihm kann sich jede und jeder, die zu lernen verstehen, ein Vorbild nehmen. Bis Ende 1990 wuchs, gedieh und funktionierte der BND als national internationale Sicherheitsreserve des Bundeskanzlers (bzw. des Bundeskanzelamts) frei allen Gesetzes. Am 20. Dezember 1990 verabschiedete der Bundestag das BND-Gesetz. Seither arbeitet er emsig, als eine Bundesoberbehörde unmittelbar dem Chef des Bundeskanzleramts unterstellt, im normativen Großraum einer Generalklausel. „Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus.“ Einfach und schlicht: mit den „für die Aufgabenstellung notwendigen Nachrichtenzugängen“. Die datenschutzrechtlichen Modifikatiönchen fallen nicht weiter ins Gewicht.

Wie ist das „Amt“ organisiert? Wie übermittelt es seine Informationen? Wer beurteilt deren Qualität? Antworten auf diese Fragen sucht der Rechtsstaatsbeflissene, dem es um bürgerliche Rechtssicherheit, um parlamentarische, justizielle und letztlich bürgerliche Kontrolle zu tun ist, vergebens. Mit der Kontrolle, selbst der inneradministrativen, ist es schlecht bestellt – trotz mancher umfangreicher Bücher, die kennzeichnenderweise von organisationssoziologisch kaum bewanderten und politisch – verfassungswirklich – kaum erfahrenen Juristen geschrieben sind.[6]

Kontrolle welcher Art auch immer wird nicht allein durch die geheimdienstliche Hermetik und durch die bürokratische Eigenlogik des „Amts“ verhindert, die es selbst für die politische Exekutive schier unmöglich machen, diesen BND zu „steuern“. Die parlamentarisch-justiziellen Kontrollvorkehrungen sind unzureichend. Damit sie funktionieren könnten, bedürfte es einer informationellen Bringschuld des „Amtes“, die aber von den KontrolleurInnen nicht eingefordert wird. Aber selbst wenn die parlamentarisch verengten Kontrollgremien wie die berühmten Hasen liefen und liefen, würden sie sich ob der zitierten General- und Ermächtigungsklausel des BND-Gesetzes zu Tode hetzen.

Die Berlin-Verlegung des BND – auch ein sozialer Skandal

Die sechste Frage der PDS lautete: „Welche Kosten entstehen für den Umzug?“ Antwort Bundesregierung: „Über die Ausgaben der Nachrichtendienste berichtet die Bundesregierung gemäß § 10a Bundeshaushaltsordnung, § 2e Kontrollgremiumsgesetz nur dem Vertrauensmännergremium sowie dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages.“

Diese Antwort spricht mehrere Sprachen: erstens die Sprache der Verhunzung dessen, was in der BRD „Rechtsstaat“ genannt wird. Wenn nur irgendwelche Gesetze gegeben sind, auf die man sich exekutivisch wirrend beziehen kann, dann scheint alles Paletti. Hinzu kommt zweitens die Sprachlosigkeit aller Kontrolle, die wir im Abschnitt zuvor angerissen haben. Drittens schließlich belegt diese Antwort symptomatisch, dass soziale Sicherheit und soziale Kosten im Zusammenhang exekutivisch geheimdienstlich global definierter „Sicherheit“ keine Rolle spielen. Ist es nicht geradezu grotesk? An allen unteren sozialen Ecken und Enden wird gespart. Der Umzug eines dicken Amtes jedoch, dessen politisch demokratischer Sinn national und international mehr als fragwürdig ist[7], wird durchgeführt, koste er, was er wolle. Als sei dieser Umzug unabdingbar – trotz der Informations- und Kommunikationstechnologien, deren Novität sonst nicht genügsam hervorgehoben werden kann.

Mehr als eine Ortsverschiebung

Wozu also muss von dem Umzug des BND (oder eines wichtigen Teils desselben) die Rede sein, obwohl er schon fast gelaufen ist? Weil es sich nicht nur um einen Ortswechsel handelt. Der Standortwechsel enthält substantiell politische Züge. Er ist im Zusammenhang dessen zu verstehen, was am Eingang dieses Heftes von Albrecht Funk skizziert worden ist: Die Grenzen zwischen Polizei und Militär werden aufgehoben, um dauernd nach außen „kriegerisch“, nach innen „polizeilich“ zu intervenieren – zum Zwecke ökonomischer und anderer bundesdeutsch-westlicher Sicherheitsbelange.

Ins politisch exekutivische Zentrum treten, lange vorbereitet, ein umfassender Sicherheitsbegriff und seine Institutionen. Die anderen ‚Gewalten‘ – Legislative und Judikative, vom „Volk“, von dem angeblich „alle Gewalt ausgeht“, ganz zu schweigen – sind dabei nur insoweit zugelassen, als sie sich sicherheitspolitisch einfügen. Um dies zu gewährleisten, lassen sich notfalls Sicherheitspaniken aller Art als breitflächige Legitimationsteppiche wirken. Berlin, Hauptstadt exekutiv bestimmter Sicherheit.

Wolf-Dieter Narr lehrt Politikwissenschaft an der FU Berlin und ist Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] BT-Drs. 14/3499 v. 5.6.2000
[2] Uhrlau, E.: Nachrichtendienste im Zeitalter der Globalisierung, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Zeitalter der Globalisierung, Berlin 2001, S. 17-24
[3] Hanning, A.: Neue Herausforderungen für den Bundesnachrichtendienst, in: Friedrich-Ebert-Stiftung a.a.O. (Fn. 2), S. 49-58
[4] vgl. Schmidt-Eenboom, E.: Schnüffler ohne Nase. Der BND – die unheimliche Macht im Staate, 2. Aufl., Düsseldorf, Wien, New York, Moskau 1993
[5] vgl. auch Bülow, A. v.: Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, München 1998, hier bes. S. 370 ff.
[6] s. beispielhaft Hirsch, A.: Die Kontrolle der Nachrichtendienste, Berlin 1996; Brenner, M.: Bundesnachrichtendienst im Rechtsstaat, Baden-Baden 1990
[7] vgl. dazu Schmidt-Eenboom a.a.O. (Fn. 4), S. 430 ff: „Braucht unsere Demokratie Geheimdienste?“