Kämpfer, die wir nicht brauchen: „Grenzschutzgruppe 9“ und „Kommando Spezialkräfte“

von Stephan Stolle

Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) diene ausschließlich der polizeilichen Terrorismusbekämpfung, das Kommando Spezialkräfte (KSK) dagegen der militärischen.[1] Diese offizielle Darstellung der Kommandoeinheiten des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr ist zu einfach.

September 1973: Die neu geschaffene GSG 9 präsentiert sich der Presse: „Ein Hubschrauber schwenkt ein, die Luken öffnen sich, sechs Seile fallen heraus, acht Mann mit Bewaffnung seilen sich zum Boden ab, gehen in Deckung. Dauer der Aktion: acht Sekunden.“[2] 24 Jahre später, im September 1997, erleben die PressevertreterInnen ein Remake desselben Films. Wiederum knattern Hubschrauber heran und vermummte, bewaffnete Gestalten seilen sich ab. Allerdings sind es dieses Mal nicht GSG 9-Polizisten, die eine Showeinlage bieten, sondern Soldaten, Angehörige des neuen Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.

Die Ähnlichkeit der Bilder kommt nicht von ungefähr. Die traditionellen Unterscheidungskriterien zwischen Militär und Polizei – die Polizei gegen Straftäter oder Störer im Innern, das Militär gegen äußere Feinde – geraten bei den Spezialeinheiten durcheinander. Das KSK beteiligt sich an Festnahmeaktionen, die GSG 9 agiert auch im Ausland. Ausrüstung und Waffen gleichen sich. Militärische und polizeiliche „Eliteeinheiten“ – „kleine Kampfgemeinschaften“ unter der Führung „charismatischer Offiziere“ – lassen sich gemeinsam in bunten Bildbänden abfeiern. Handfeste Informationen sind jedoch dünn gesät, denn Geheimhaltung ist Trumpf.[3]

Die GSG 9 – von Fürstenfeldbruck nach Mogadischu

Die Geschichte der GSG 9 begann mit dem Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft am 13. September 1972. Bei der Schießerei zwischen bayerischen Landespolizisten und dem palästinensischen Kommando „Schwarzer September“ auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck starben die elf israelischen Geiseln, ein Polizist und alle Geiselnehmer. Drei Tage danach teilte der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher seinem BGS-Verbin­dungsbeamten im Ministerium, Oberst­leut­nant Ulrich K. Wegener, mit, die Regierung würde ein weiteres Fiasko dieser Größenordnung politisch nicht überstehen. Eine Spezialforma­tion müsse her, die terroristischen Angriffen wirksam begegnen könne.[4] Bereits am 26. September erging der Erlass zur „Aufstellung der Grenz­schutzgruppe 9“. Wegener, ihr erster Kommandeur, hatte kurz zuvor einen achtmonatigen Lehrgang am Nato Defense College in Rom absol­viert. Dem BGS gehörte er seit 1958 an. Die Truppe startete mit 60 Frei­willigen. Beim Pressetermin ein Jahr später im September 1973 waren 122 Mann – zwei Einheiten – einsatzreif, ausgebildet nach dem Vorbild und unter Mitwirkung der isrealischen „Sayaret Matkal“ und des briti­schen „Special Air Service“ (SAS) – beides militärische Spezialkomman­dos.[5]

Auch die Organisation der GSG 9 entspricht bis heute dem Bild einer militärischen Spezialtruppe. „Nach wie vor besteht der Verband aus einer Führungsgruppe, einer Fernmelde- und Dokumentationseinheit, einer Technischen Einheit, einer Ausbildungs-, einer Versorgungs- und den Einsatzeinheiten. Komplettiert wird das ganze durch eine Hubschrauberkette.“[6] Die vier Einsatzeinheiten – das Herzstück der Truppe – sind seit einer Umgliederung 1984 spezialisiert: Die erste und die vierte sind Zugriffs- und Observationseinheiten, die zweite ist eine „Maritime‑“ und die dritte eine „Fallschirmspringer-Einheit“. Alle vier gliedern sich wiede­rum in fünfköpfige „Spezial-Einsatz­trupps“ (SET).[7] Jede Einheit verfügt ferner über Präzisionsschützen.

Andere Staaten wie etwa Großbritannien haben Verbände dieses Musters von vornherein beim Militär angesiedelt. Die BRD hatte diese Wahl nicht, da das Grundgesetz den Einsatz des Militärs im Innern nur zulässt, wenn zuvor der Notstand ausgerufen wurde. Die GSG 9 musste daher zwangsläufig in der polizeilichen Organisation verankert werden.

Im Februar 1974 ergänzte die Innenministerkonferenz ihr „Programm für die innere Sicherheit“ um einen Absatz über die neu geschaffene Truppe und beschloss auch deren Einsatzkonzept: „Die GSG 9 ist zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben in Fällen von besonderer Bedeutung vorgesehen. Sie kann vor allem dann eingesetzt werden, wenn die Lage ein geschlossenes Vorgehen – offen oder verdeckt – unter Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Gewalttäter erfordert. Dies ist insbesondere der Fall, wenn bandenmäßig organisierte Terroristen in größerem Umfang tätig werden.“[8] Die GSG 9 gehört zum Grenzschutzkommando (heute: Grenzschutzpräsidium) West. Für sie gilt daher das Bundesgrenzschutzgesetz. Aktiv wird sie nur auf Anforderung – im Inland entweder zur Unterstützung des Bundeskriminalamts, des Zollkriminalamts und des Bundesgrenzschutzes oder eines Bundeslandes. Bei diesen Einsätzen sind die Spezial-Grenzschützer zusätzlich an die jeweiligen Polizeigesetze oder die Strafprozessordnung gebunden.

Das Auswärtige Amt kann die GSG 9 über den Bundesinnenminister auch für den Schutz deutscher Auslandsvertretungen aufbieten. Bei anderen Auslandseinsätzen hingegen bewegt sich die Truppe in einem rechtlich unklaren Raum. Dies zeigt sich an dem bis heute dramatischsten dieser Einsätze: die Erstürmung der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ und die Befreiung der Geiseln auf dem Flughafen von Mogadischu 1977 fand – so Bernd Walter, Chef des Grenzschutzpräsidiums Ost – „weit außerhalb nationaler Zuständigkeiten“ statt: „Der Einsatz der GSG 9 war ein klassischer singulärer Akt von Staatsnotwehr außerhalb der herkömmlichen Normen des positiven Rechts, der erstaunlicherweise von der ansonsten so schreibwütigen Zunft der Verfassungsjuristen bis heute kaum thematisiert wurde.“ Walter sieht diese mit Duldung und Unterstützung des somalischen Diktators Siad Barre ausgeführte Kommandoaktion durch ein „in der internationalen Staatenpraxis durchweg übliches Gewohnheitsrecht zur Rettung eigener Staatsbürger“ gedeckt[9] – ein Gewohnheitsrecht, das sich allerdings nur mächtige Staaten leisten können.

Derartige Einsätze blieben aber die Ausnahme. Zwar stand die GSG 9 diverse Male bei ähnlichen Situationen in Einsatzbereitschaft – etwa bei der Besetzung der dominikanischen Botschaft in Kolumbien durch Guerilleros der M-19 – oder beriet Spezialeinheiten anderer Staaten in solchen Situationen – wie z.B. bei der Besetzung der irakischen Botschaft in London 1980, die dann durch den SAS gewaltsam beendet wurde. Mogadischu wiederholte sich jedoch nicht. Die meisten Auslandseinsätze gelten dem Objekt- oder Personenschutz wie aktuell in Afghanistan.[10]

Unterbeschäftigte Truppe sucht Arbeit

Aber auch das tatsächliche inländische Einsatzprofil entspricht längst nicht dem Bild, das sich aufgrund des Konzeptes von 1974 erwarten ließe. Festzunehmende TerroristInnen gibt es wenige. Mit ihrer ersten Verhaftung von RAF-Mitgliedern – Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz 1982 – konnte sich die Truppe noch brüsten. Die Festnahme von Birgit Hogefeld in Bad Kleinen 1993 endete mit dem Tod von Wolfgang Grams und des GSG 9-Beamten Michael Newrzella. Geiselnahmen sind selten, und außerdem stehen für solche Situationen auch die Sonder­ein­satz­kommandos (SEK) der Länderpolizeien zur Verfügung. Zwar ist mit den Präzisionsschützentrupps der GSG 9 (und den entsprechenden Komman­dos der Länder) die polizeigesetzliche Fiktion des „finalen Rettungs­schusses“ institutionalisiert worden; dennoch haben die GSG 9-Beamten nach Angaben ihres derzeitigen Kommandeurs Friedrich Eichele bis zum Jahre 2001 nur viermal geschossen, davon zweimal auf Kampfhunde.[11] Das ist weniger ein Ergebnis der Fähigkeit, gefährliche Situationen auf andere Weise zu lösen, sondern resultiert vor allem aus der fehlenden Gelegenheit.

Von den 1.300 Einsätzen, die die GSG 9 bis 2001 absolvierte, galten über 900 der Entschärfung von Sprengmitteln und Munition.[12] 400 sonstige Einsätze in insgesamt 28 Jahren – das bedeutet einen mageren jährlichen Durchschnitt von vierzehn. Kein Wunder also, dass die Bundesregierung nach dem Debakel von Bad Kleinen nach „Arbeit für die GSG 9“ suchte und sich „nach potenziellen Bedarfsträgern“ umsah.[13] Inzwischen, so Eichele, sei die Einheit „von der reinen Anti-Terror-Gruppe zur Bundespolizei mit breitem Einsatzspektrum zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität im Einsatz.“[14]

Diese Absenkung der Einsatzschwelle war bereits in den 80er Jahren absehbar. Ergebnis dessen sind nicht nur unspektakuläre Personenschutztätigkeiten, Gefangenentransporte oder der Geleitschutz für Geldtransporte der Bundesbank, für die eine auf Kommandoaktionen trainierte Truppe nicht erforderlich ist. Das gilt auch für andere Einsätze, bei denen wegen der Spezialisierung der GSG 9 die Gefahr übermäßiger Gewaltausübung besteht. Bei der Räumung des Hüttendorfs an der Baustelle für die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf stand die GSG 9 in Bereitschaft.[15] Bei Großdemonstrationen und Räumungen besetzter Häuser soll sie ebenfalls dabei gewesen sein. Im Mai 1994 stürmte sie mit gezogenen Maschinenpistolen und unter Einsatz von Schlagstöcken eine öffentliche Veranstaltung in einem Kulturzentrum in Saarbrücken. Ziel der Aktion sei die Verhaftung eines Funktionärs der verbotenen kurdischen PKK gewesen, der allerdings nicht gefunden wurde.[16] Im Dezember 1999 half die GSG 9 bei der erfolglosen Durchsuchung des alternativen Zentrums Mehringhof in Berlin nach Sprengstoff, den die Revolutionären Zellen Jahre zuvor dort versteckt haben sollten. An diesem wie an jedem anderen Sonntag war der Gebäudekomplex fast menschenleer.[17]

Die in den 90er Jahren angeblich erfolgte Verlagerung des Schwerpunkts der heute rund 200 Mann zählenden Truppe auf Aktionen gegen die „organisierte Kriminalität“ hat ihr auch nicht viel mehr Einsätze beschert.[18] Ihre Tätigkeit besteht zum größten Teil aus dem permanenten Training für einen Ernstfall, der aber im polizeilichen Alltag nicht eintreten will.

Der Ruf, für alle nur denkbaren Fälle vorbereitet zu sein, der der GSG 9 spätestens seit Mogadischu anhing, machte die Einheit jedoch zu einem Exportschlager. Schon 1982 berichtete die Frankfurter Rundschau, Ulrich Wegener, der „weitest gereiste Polizist der Bundesrepublik“, und seine Männer hätten „seit 1977 in rund 30 Ländern etwa tausend Spezialisten ausgebildet.“[19] 1986 ließ sich Wegener, der damals nicht mehr die GSG 9, sondern das Grenzschutzkommando West befehligte, beurlauben, um zwei Jahre lang die Anti-Terror-Einheit des saudischen Militärs auszubilden. 1988 unterschied der damalige Innen-Staatssekretär Neusel vor dem Innenausschuss des Bundestages drei Formen der GSG 9-Ausbildungshilfe für andere Staaten: „Umfangreiche projektbegleitende Beratung bei Organisation, Ausrüstung und Ausbildung“ hätten die Niederlande, Somalia unter Siad Barres, Singapur, Saudi-Arabien, Thailand und die Vereinigten Arabischen Emirate erhalten. Welche Staaten Militärs oder Polizisten zu „Kurzlehrgängen“ entsandt hatten, welche sich bei „Kurzbesuchen“ über das Können der Truppe informierten, gab Neusel nicht bekannt. Die Liste wäre zu lang gewesen.[20] Nie glaubwürdig dementieren konnte das Bundesinnenministerium die Mitwirkung der GSG 9 am Aufbau einer Kommandoeinheit des türkischen Militärs für Spezialeinsätze in Kurdistan.[21] Ein demokratischer Exportschlager war die GSG 9 definitiv nicht.

Das KSK – „Elitekampftruppe der Bundeswehr“

Im April 1994 gerieten Mitarbeiter der Deutschen Welle in Ruandas Hauptstadt Kigali in die Wirren des Bürgerkriegs. Zu ihrer Rettung prüfte die Bundesregierung damals zwar u.a. den Einsatz der GSG 9, wandte sich dann aber hilfesuchend an die Nato-Partner.[22] Belgische Fallschirm­jäger holten schließlich die Deutschen aus dem umkämpften Gebiet. Dass keine deutsche Truppe für diese Evakuierung bereit stand, war nach offizieller Lesart der Anlass für den Aufbau des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Ansätze in diese Richtung hatte es schon in den 80er Jahren gegeben.[23] „Die Planungen für diese reine Elitekampftruppe der Bundeswehr“, so Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), „wurden dem Bundestag aber erst am 15. März 1995 vorgelegt und zwar im Rahmen des Strukturanpassungskonzeptes. Mit diesem Konzept wurde die Umstrukturierung der Bundeswehr konkretisiert: Sie sollte schlagkräftiger werden und ausgerichtet auf ihre neuen weltweiten Einsätze.“[24] Anfang Juni 1995 bestimmte man Calw als Stationierungsort des KSK, und am 28. September segnete der Inspekteur des Heeres das Ziel- und Planungsverfahren ab.[25] Im September 1996 begann der tatsächliche Aufbau.

Die „Rettung aus terroristischer Bedrohung und Evakuierung“ deutscher Staatsbürger aus dem Ausland ist nur eine der Aufgaben des KSK. Die weiteren, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Grünen 1997 aufzählte, präsentieren die Truppe als eine Kommando-Einheit für die „unkonventionelle“ Kriegsführung:

  • „Gewinnung von Schlüsselinformationen in Krisen- und Konfliktgebieten“; solche Daten über „Bewegungen und Dislozierungen großer Truppenkörper“ sowie „für die gegnerische und eigene Operationsführung wichtige Einrichtungen und Infrastruktur“ seien sowohl „im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung als auch bei Einsätzen im erweiterten Aufgabenspektrum“, d.h. bei Out-of-area-Einsätzen erforderlich
  • „Schutz eigener Kräfte aus Distanz und Schutz von Personen in besonderer Lage“, d.h. vor allem Schutz der eigenen Streitkräfte bei Auslandseinsätzen vor „terroristischen Angriffen“
  • „Abwehr terroristischer Bedrohung, Kampf gegen subversive Kräfte sowie verdeckte Operationen im Aufgabenbereich der Streitkräfte“; auch hier geht es um die „Sicherstellung, Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung der Operationsfreiheit eigener und/ oder alliierter Streitkräfte“
  • „Kampfeinsätze auch im gegnerischen Gebiet, einschließlich der Lähmung oder Zerstörung wichtiger Objekte“.[26]

KSK-Soldaten sollten „mit ihren Spezialwaffen hinter den feindlichen Linien abspringen, gegnerische Kommunikationsnetze zerstören oder militärische Hauptquartiere im Hinterland lahm legen,“ schrieb die „Welt“. Dazu lernten die Spezialkräfte „das Agieren aus dem Hinterhalt sowie das Vorgehen nach Handstreichmanier“ und den „Nah- und Häuserkampf“.[27]

Organisatorisches Kernstück des KSK sind die Kommandokompanien, die sich wiederum in je eine Führungsgruppe und vier „Kommandozüge“ untergliedern. Jeder Zug besteht aus vier Kommandotrupps mit je vier Soldaten. Die Trupps sollen einzeln oder zu mehreren agieren können. Die Züge sind nach der Art der „Infiltration“ ins Feindesgebiet – aus der Luft, am Boden, amphibisch – oder für den Kampf im Gebirge spezialisiert. Für seine speziellen Aufgaben erhält das KSK auch spezielle Ausrüstung und Bewaffnung. Auf dem Leib trägt der KSK-Soldat entweder eine „Splitterschutzweste“ oder eine „Weste mit speziellen Haltevorrichtungen, Magazintaschen mit besonderen Zugriffsmöglichkeiten und einem Mikrofon, das mit der Bewegung der Lippen angeschaltet werden kann.“ Nachtsichtgeräte, Blendgranaten und Scharfschützengewehre gehören zum Arsenal der Spezialeinheit ebenso wie moderne Informations- und Kommunikationstechnologie. Zum KSK gehört auch ein „Ausbildungs- und Versuchszentrum, das Material und Geräte speziell für das KSK entwickelt und testet.“[28]

Dass die Bundeswehr für diese Truppe keine Wehrpflichtigen heranzieht, versteht sich fast von selbst. Bis auf das Hilfspersonal soll sich das im Endausbau 960 Mann starke KSK aus Zeit- und Berufssoldaten zusammensetzen, die nicht älter als 32 Jahre alt sein dürfen und einem harten Auswahlverfahren unterzogen werden. Weil nur einer von vier Bewerbern die Aufnahmeprüfung in die Eliteeinheit besteht, konnte die KSK zunächst nur zwei der geplanten vier Kommandokompanien zur Einsatzreife bringen. Wann die anderen beiden bereit sind, stand im letzten Jahr noch nicht fest.[29]

Vom Rettungs- zum Kampfeinsatz

Das KSK verdeutlicht wie kein anderer Teil der Bundeswehr die veränderte militärpolitische Ausrichtung der BRD auf Auslandseinsätze entweder im Rahmen der NATO oder neuerdings der EU. Nicht umsonst ist das KSK ein zentraler Teil der rund 60.000 Mann Krisenreaktionskräfte, die die Bundeswehr bei Bedarf einem NATO- oder EU-Kom­man­do unterstellen will. Konsequenterweise holte man sich für die Ausbildung des Kommandos Hilfe vom britischen SAS und den „Special Operations Forces“ der USA.

Nur für den „Bereich Rettung/Befreiung“ griffen die Militärs auf die Hilfe der kleineren polizeilichen Schwester, der GSG 9, zurück. „Eine entsprechende Grundlagenausbildung wurde 1996 ca. 25 Angehörigen des KSK vermittelt. Die Fortsetzung dieser jeweils einmal jährlich stattfindenden Ausbildungsunterstützung in vergleichbarer Stärke ist bis 1998 geplant.“[30]

Dem „Bereich Rettung/Befreiung“ kann bisher nur der erste Einsatz der Truppe zugeordnet werden – die Operation „Libelle“, bei der das KSK im März 1997, noch vor seiner Medienpremiere, hundert ausländische Zivilisten (darunter 2 Deutsche) aus den Unruhen in der albanischen Hauptstadt Tirana evakuierte. Der Bundestag reichte wenige Tage später seine Genehmigung für den Auslandseinsatz nach.

Es folgten vier Festnahmeaktionen gegen als Kriegsverbrecher beschuldigte Serben, die dem UN-Tribunal in Den Haag überstellt werden sollten. Drei Operationen fanden in der serbisch-bosnischen Enklave Foca statt. Am 15. Juni 1998 verhafteten KSK-Soldaten den 61 Jahre alten Lagerkommandanten Milorad Krnojelec. Zur Vorbereitung der Aktion hatten sie von Mostar aus ein halbes Jahr lang die Telefone des Dorfes abgehört, bis sie schließlich Krnojelecs Stimme erkannten. Dieser ergab sich den Soldaten ohne Gegenwehr. In der Nacht vom 1. auf den 2. August 1999 nahmen sie den „Paramilitär“ Radomir Kovac gefangen. Die Festnahme von Janko Janjic am 12. Oktober 2000 ging schief. Der 43-Jährige sprengte sich mit einer Handgranate in die Luft und verletzte dabei drei KSKler schwer. In Orahovac (Kosovo) operierten KSK und niederländische Spezialeinheiten im August 1999 gemeinsam bei der Verhaftung von drei serbischen Männern.

„Hinzu kommen Einsätze der Fernspäher der KSK im serbischen Presovo-Tal, in Mazedonien, im Kosovo und möglicherweise auch in Zentralasien im Zuge des Afghanistan-Krieges. Aufklärungseinsätze dieser Komponente im Mittleren Osten oder am Horn von Afrika dürfen ebenfalls als wahrscheinlich gelten.“[31]

In Afghanistan kam das KSK auch zu seinen ersten Kampfeinsätzen. So sollen die deutschen Spezialsoldaten im Februar 2002 gemeinsam mit Delta Force-Einheiten der USA und einem britischen SAS-Regiment beim Sturm auf die Bergfestung Tora Bora beteiligt gewesen sein. Bei der Operation Anaconda im Shahi-i-Kot-Gebirge wurden US-Gebirgs­jä­ger unterstützt „durch rund 200 Mann aus den Spezialeinheiten Kanadas, Norwegens, Dänemarks, Frankreichs, Australiens und der deutschen KSK.“[32]

Ein Resümee

Von ihrem Aufbau und ihrer Ausbildung her sind sowohl das KSK als auch die GSG 9 Kommando-Einheiten. Letztere ist zwar rechtlich und von ihrer organisatorischen Anbindung an den Bundesgrenzschutz her eine polizeiliche Einheit. Sie bleibt aber in der Polizei ein Fremdkörper, der für die Wahrung der Sicherheit im Alltag nicht geeignet ist und dessen längst fällige Abschaffung kaum jemand bemerken würde. Nachdem das BGS-Gesetz von 1994 Auslandseinsätze von der Zustimmung des Einsatzstaates abhängig gemacht hat, kann die GSG 9 selbst für Operationen im „Bereich Rettung/Befreiung“ nur noch bedingt eingesetzt werden. Selbst auf diesem Sektor, auf dem sich die GSG 9 in Mogadischu profiliert hat, macht ihr mittlerweile das KSK Konkurrenz.

Dessen zentrale Aufgabe sind Kampfeinsätze im Kontext der neu-alten Kriege, die Deutschland gemeinsam mit seinen Bündnispartnern an den Rändern und außerhalb Europas führt und noch führen wird. Die Rede von der „Krisenreaktion“, den „asymmetrischen Konflikten“ und der „Terrorismusbekämpfung“ kann diese Realität nicht verdecken.

Den Inlandseinsatz des KSK konnte sich 1997 die damalige konservative Bundesregierung nur im Verteidigungsfalle vorstellen. Ihre rot-grüne Nachfolgerin hat mit den jüngsten „verteidigungspolitischen Richtlinien“ das Türchen für den militärischen „Anti-Terror-Einsatz“ im Innern ein Stück weit geöffnet. Nachdem schon die Unterstützung der GSG 9 zur Terrorismusbekämpfung auf keine Nachfrage mehr stößt, ist der Einsatz des KSK auf deutschem Boden erst recht unnötig und unwahrscheinlich. Ein dem Frieden verpflichtetes Land hat für derartige „Kampf­gemeinschaften“ keinen Bedarf.

Stephan Stolle ist Mitarbeiter bei Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 13/6639 v. 4.2.1997
[2] Die Welt v. 24.9.1973
[3] Wegener, U.: Vorwort, in: Boger, J.: Elite- und Spezialeinheiten international, Stuttgart 1987, S. 7
[4] Noss, D.: GSG 9, Frankenthal 2001 (Filmreportage, ausgestrahlt in der ARD am 9.1.2002)
[5] Froese, K.; Scholzen, R.: GSG 9, 2. Aufl., Stuttgart 1997, S. 14
[6] Diederichs, O.: Die GSG 9 – keine Truppe für den Polizeidienst, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 47 (1/1994), S. 47-52 (49)
[7] Froese; Scholzen a.a.O. (Fn. 5) S. 75-119
[8] Tophoven, R.: GSG 9 – Kommando gegen Terrorismus, Koblenz 1984, S. 11
[9] Walter, B.: Zwischen Mogadischu und Kosovo. Auslandseinsätze des Bundesgrenzschutzes, in: Magazin für die Polizei 2002, H. 7-8, S. 4-7 (4 f.)
[10] siehe zu diesen und anderen Einsätzen: Diederichs a.a.O. (Fn. 6), S. 50; Der Tagesspiegel v. 2.1.1980; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.2.2003
[11] Noss a.a.O. (Fn. 4)
[12] ebd. Bis 1996 waren es 1.092 Einsätze insgesamt, davon 798 Entschärfereinsätze, s. Froese; Scholzen a.a.O. (Fn. 5), S. 42
[13] Frankfurter Rundschau v. 9.3.1994
[14] Noss a.a.O. (Fn. 4)
[15] Innere Sicherheit Nr. 1 v. 7.3.1986
[16] Woche im Bundestag Nr. 13 v. 29.6.1994 und Nr. 15 v. 14.9.1994
[17] Der Tagesspiegel v. 20.12.1999
[18] Im März 2003 ließ sich die GSG 9 in Berlin am Rande eines der wenigen Einsätze einen Laptop aus einem Dienstfahrzeug stehlen, das noch dazu auf einem videoüberwachten Parkplatz der Polizei geparkt war; Berliner Zeitung v. 12.6.2003
[19] Frankfurter Rundschau v. 9.7.1982
[20] BT, Innenausschuss: Protokoll der 32. Sitzung v. 28.9.1988
[21] Türkische Spezialtruppen bei der GSG 9 ausgebildet, in: Blätter des IZ3W 1987, Nr. 141, S. 29; Süddeutsche Zeitung v. 19.10.1990
[22] Der Spiegel v. 18.4.1994
[23] Richter, A.: Stichwort: Kommando Spezialkräfte, Berlin Information center for Transatlantic Security (BITS)–Stichwort, 15.1.2002, www.bits.de/public/stichwort/spezialk.htm
[24] Pflüger, T.: Elitekämpfer für den Kriegseinsatz der Bundeswehr, in: Friedensforum 1997, H. 1, S. 25 f., s. www.friedenskooperative.de/themen/bw-2.htm
[25] Antwort der Bundesregierung a.a.O. (Fn. 1)
[26] ebd.
[27] zit. n. Pflüger a.a.O. (Fn. 24)
[28] Richter a.a.O. (Fn. 23)
[29] ebd.
[30] Antwort der Bundesregierung a.a.O. (Fn. 1)
[31] Richter a.a.O. (Fn. 23)
[32] Afghanistan: Kommando Spezialkräfte an vorderster Front, in: antimilitarismus-information 2002, H. 4, S. 15-25 (16)

Bild: Wikipedia (anonym, Gsg9 fast rope 2005 05 22 file 03, CC BY-SA 3.0)