Polizeiliche Todesschüsse 2002

von Otto Diederichs

Seit 1976 wird an der Polizei-Führungsakademie eine bundeseinheitliche Statistik über den Schusswaffeneinsatz der Länderpolizeien, des Bundesgrenzschutzes und des Bundeskriminalamtes geführt. Bei der früher üblichen Veröffentlichung dieser Zahlen durch den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz (IMK) vollzieht sich seit Jahren eine Entwicklung, deren Hintergründe derzeit nicht sicher zu deuten sind. Der Verdacht liegt nahe, dass die langjährige Veröffentlichungspraxis aufgeweicht ist und der jeweilige IMK-Vorsitzende nach eigenem Gutdünken verfährt.

Erstmals wich 1999 Sachsens seinerzeitiger Innenminister Klaus Har­draht (CDU) vom bis dahin üblichen Verfahren ab und veröffentlichte keinerlei Informationen zum Schusswaffengebrauch der Polizei. Im Jahr darauf ließ der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) die Zahlen zumindest auf Anfrage wieder mitteilen.[1] Seine Amtsnachfolger Manfred Püchel (SPD), damals Innenminister in Sachsen-Anhalt, und Kuno Böse (CDU) in Bremen kehrten dann wieder zur alten IMK-Praxis zurück.[2]

Zumindest dies lässt sich auch vom gegenwärtigen IMK-Vorsitzen­den, Thüringens Innenminister Andreas Trautvetter (CDU), sagen. Allerdings wählte Trautvetter den Zeitpunkt für seine Vorstellung der Schusswaffengebrauchsstatistik 2002 in Erfurt so geschickt, dass mit keiner größeren öffentlichen Aufmerksamkeit zu rechnen war. Unmittelbar vor dem Pfingstwochenende präsentiert, wurde sie denn auch nur von der Regionalpresse aufgegriffen.[3]

Offizielle Tote und das alte Problem

Danach haben deutsche Polizisten im vergangenen Jahr 4.700 Mal ihre Waffe abgefeuert (2001: 4.172). Das sind rund 11,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anstieg liegt Trautvetter zufolge daran, dass die Zahl der getöteten Tiere angestiegen ist. Gegen Menschen ist die Schusswaffe demnach in 42 Fällen eingesetzt worden. Diese Zahl liegt erheblich unter der der letzten Jahre (2001: 68, 2000: 52, 1999: 53). Getötet wurden dabei laut IMK sechs Personen. Nach Recherchen der CILIP-Redaktion waren es hingegen sieben. Der unterdessen schon üblich gewordene Widerspruch zwischen beiden Bilanzen ließ sich auch diesmal nicht klären (2001: IMK = 5, CILIP = 8; 2000: IMK = 6, CILIP = 5; 1999: IMK = unveröffentlicht, CILIP = 19). Zu vermuten ist, dass ein Fall aus Hamburg nicht mitgezählt wurde. Dabei wurde ein betrunkener Autofahrer verfolgt und schließlich auf einem Parkhausdach gestellt. Nach einem „unbeabsichtigten“ Schuss stürzte der Mann vom Dach und starb kurz darauf.[4] Seit 1983 zählt die IMK solche „unbeabsichtigten Schussabgaben“ nicht mehr mit, auch wenn sie zu tödlichen Folgen führen.[5]

Die übrigen Zahlen

Mit 115 Schussabgaben liegen die Zahlen für Warnschüsse auf dem Niveau der letzten Jahre (2002: 116, 2000: 120, 1999: 107). Gleiches gilt auch für die 40 Fälle von Schüssen auf Sachen wie beispielsweise Fahrzeuge (2001: 38, 2000: 40, 1999: 23). Insgesamt somit gar keine so schlechte Bilanz. Umso unverständlicher ist daher der merkwürdige Umgang, den die Innenminister mit der Schusswaffenstatistik zu pflegen scheinen.

[1]      vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000), S. 54 ff.
[2]     vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 70 (3/2001), S. 71 ff. und Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 72 (2/2002), S. 58 ff.
[3]     s. Thüringer Allgemeine und Thüringische Landeszeitung v. 6.6.2003
[4]     s. Fall 4
[5]     vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993), S. 81