DNA-Identifizierung – Transformationen einer kriminalistischen Wunderwaffe

von Detlef Nogala

Die forensische DNA-Analytik, irreführenderweise auch als ‚genetischer Fingerabdruck‘ bezeichnet, hat in der polizeilichen Praxis einen Status erreicht, der politische Initiativen für eine umfassendere Anwendung zur Folge hat. Strittig ist dabei, ob es sich lediglich um ein profanes polizeiliches Identifizierungsinstrument oder doch um einen risikoreichen Eingriff in Grundrechte handelt.

Auch mehr als 20 Jahre nach ihrer Erfindung und im Laufe ihrer weitgehend schon in Routine übergegangenen Anwendung in der kriminalistischen Alltagspraxis hat die forensische DNA-Analyse von ihrer wissenschaftlichen Faszination, aber auch von ihrem Potential für kriminalpolitische und bürgerrechtliche Kontroversen nur wenig eingebüßt. Weitgehend geklärt ist mittlerweile, dass sie ein zuverlässiges und effektives Verfahren der Identifizierung von Personen und der Zuordnung von Spurenmaterial hergibt. Hingegen wird erst durch die sich häufenden Hinweise in den Medien auf den Einsatz von DNA-Tests (etwa bei spektakulären Fällen oder prominenten Protagonisten) sowie die jüngsten Gesetzesinitiativen zur Ausweitung forensischer DNA-Datenbanken deutlicher, welche Möglichkeiten diese Technologie birgt und welche Rolle sie im gesellschaftlichen Zusammenleben in Zukunft spielen wird. Vieles deutet darauf hin, dass die forensische DNA-Analytik eine neue Entwicklungsstufe erreicht hat und dabei ist, ihr Überführungs- wie ihr Überwachungspotential weiter zu entfalten. Allerdings überdeckt die „Normalisierung“ des polizeilichen Gebrauchs nur oberflächlich die kritischen Fragen und Bedenken, die von Beginn an mit dem Einsatz dieses Mittels verknüpft waren und angesichts der technischen Weiterentwicklung anhalten. Dazu gehören neben juristisch-politischen auch kriminalethische und kriminalökonomische Einschätzungen und Positionen. In diesem Zusammenhang kann angesichts einer langen und sich fortsetzenden internationalen kontroversen Diskussion den gegenwärtig zu beobachtenden Ansätzen, einen ‚genetischen‘ als simples Äquivalent zum händischen Fingerabdruck darzustellen, nur ein untauglicher Versuch zur Reduktion von Komplexität attestiert werden.

Grundlagen und gegenwärtiger Stand der Technik

Das gegenwärtige System der DNA-Identifizierung und die gesamte Debatte darum fußt im Kern auf drei grundlegenden, uns gegenwärtig bekannten Sachverhalten:

Im Konstruktionsplan unserer körperlichen Existenz scheint – erstens – mit dem Aufbau unserer DNA ein Individualisierungsmerkmal vorzuliegen, das uns trotz der Tatsache, dass wir über 99 % der Gene mit unseren Mitmenschen teilen, von allen anderen ziemlich eindeutig unterscheidbar macht. Es sind – nach Stand geltender Erkenntnis – allein schon die sich in großer Zahl wiederholenden so genannten nicht-codierenden Abschnitte unserer DNA-Stränge, die so überaus variabel sind und sich damit „individualisierend“ auswirken. Nicht-codierend bedeutet hier, dass sie nicht funktioneller Bestandteil der eigentlichen Gene sind, die der Entwicklung unserer körperlichen Anlagen und unseres Phänotyps, also der äußeren Erscheinungsform, zugrunde liegen. Wir sind also, bei allen Gemeinsamkeiten, im Prinzip nicht nur sozial, sondern auch genetisch gesehen „markierte Individuen“.

Der Mensch ist – zweitens – eine hochgradig stoffwechselnde Spezies. In dieser Eigenschaft hinterlässt er bei einer Reihe basaler Lebensvorgänge permanent und ohne es vollständig kontrollieren oder vermeiden zu können, kleine bis kleinste Mengen an DNA-haltigem Zellmaterial. Beim Niesen, Husten, Sprechen verteilt er seine Zellen ebenso sehr in der Umgebung wie durch einfaches Schwitzen, Haarausfall oder bloßes Anfassen von Gegenständen – von reproduktiven Vorgängen ganz zu schweigen. Es ist offenbar so, als hätte die Evolution einer kriminalistischen Laune gefrönt und Vorsorge getroffen: Der Mensch ist ein pausenloser unwillkürlicher Spurenleger.

Zum dritten hat die Biotechnologie mit der DNA-Analyse ein Verfahren entdeckt und bereitgestellt, dass erstens in der Lage ist, mit hoher prinzipieller Zuverlässigkeit die Übereinstimmung von zwei DNA-Proben nachzuweisen, zweitens dies inzwischen für geringste Mengen bis hinunter auf eine einzige Zelle zustande bringt und drittens eine standardisierte Übersetzung von biostofflichen Eigenschaften in computer-kompatible und damit datenbankfähige Zahlenformate leistet.

Auch wenn man sich vergegenwärtigt, dass in die Entwicklung der biotechnischen Industrie viel profittrachtendes Kapital gesteckt wurde, ist es beachtlich, welche technischen Fortschritte bei der DNA-Analytik in relativ begrenzten Zeiträumen erreicht worden sind. Noch bis Mitte/Ende der 80er Jahre waren die Kriminaltechniker bei der Auswertung biologischer Tatortspuren auf die im Vergleich gröberen und mit niedrigpegeligen Wahrscheinlichkeiten operierende forensische Serologie verwiesen, bis sich relativ schnell die von Alec Jeffreys und seinen Mitarbeitern in England entwickelte ursprüngliche Variante der DNA-Analyse nach dem RFLP-Verfahren in den kriminaltechnischen Labors verbreitete. Bei dieser Methode waren allerdings relativ große Mengen an analysierbarem DNA-Material erforderlich und der Prozess selbst war – wenn auch sehr zuverlässig – langwierig und kostspielig. Es dauerte allerdings nicht lange, bis mit dem PCR-Verfahren eine weiterentwickelte Methode folgte, die sich ab Mitte der 90er Jahre allgemein als Standard durchsetzte und vor allem den Vorteil bot, mit weit geringeren Mengen an Ausgangsmaterial auszukommen. Hierbei werden einzelne DNA-Fragmente im Reagenzglas in beliebigen Mengen vervielfältigt – schon eine einzige intakte Zelle reicht im Extremfall aus. Erkauft wird die Verfeinerung des Verfahrens allerdings durch ein erhöhtes Risiko, dass fremde DNA die Probe „verunreinigt“ und fehlerhafte Resultate produziert. In jüngerer Zeit ist noch die Analyse so genannter mitochondrialer DNA möglich geworden, die sich als Fragment auch außerhalb des eigentlichen Zellkerns finden lässt und ein Derivat darstellt. Zwar ist die eindeutige Zuordnung hier sehr stark eingeschränkt, dafür bieten nun auch ausgefallene („telogene“, ohne Zellkern) Haare oder Knochenreste eine gewisse Basis für ein verwertbares DNA-Profil. Das Verfahren ist immer sensitiver und damit die benötigte Menge an Spuren-DNA immer kleiner geworden. Inzwischen reichen durch Hautabrieb bei Kontakt mit Gegenständen bzw. Oberflächen (Griffe, Tastaturen etc.) hinterlassene Zellpartikel, um in bestimmten Fällen verwertbare DNA-Profile zu erzeugen. Paradoxerweise ergibt sich damit für die Kriminaltechniker ein neues Problem: Nicht mehr die ausreichende Menge stellt eine Hürde dar, sondern die durch Fremdkontamination höchst anfällige Sensitivität der Erfassung von DNA: Da wir ständig Zellpartikel überall in unserer Lebenswelt verteilen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wir aus purem Zufall DNA an einem späteren Tatort hinterlassen und uns als „Falsch-Positive“ u.U. ungerechtfertigter Verdächtigungen erwehren müssen. Diese Hypersensitivität der Erfassungsinstrumente wirkt sich auf die (oft fallentscheidende) Arbeit der polizeilichen Spurensicherungsdienste ambivalent aus: Der erhöhten Fundwahrscheinlichkeit steht eine gleichermaßen gesteigerte Kontaminationsgefahr gegenüber – was den Prozess bei notwendig hohen Qualitätsansprüchen insgesamt wieder aufwands-, zeit- und kostenintensiver macht.[1]

Die eigentlichen DNA-Analysen der Spur- und Personenproben stellen heute vom Ablauf her kein eigentliches Problem mehr dar und werden heutzutage – in den großen Labors oft schon teilautomatisiert – in Mengen routinemäßig durchgeführt. Mit den Jahren hat sich eine eigene Kleinindustrie der DNA-Analytik entwickelt, die durchaus auch ein gewisses kommerzielles Eigeninteresse an der allgemeinen Akzeptanz und weiteren Verbreitung des von ihr angebotenen forensischen Instrumentariums hat. Immerhin wird heute nach internationalen Maßstäben jede personenbezogene DNA-Analyse mit 50-100 Euro kalkuliert; die Auswertung von bestimmten Tatortspuren dagegen wird mit dem bis zu 20-fachen dieser Kosten veranschlagt.

Der nächste verfahrenstechnische Sprung zeichnet sich schon seit einiger Zeit mit der (von der Firma Nanogen schon lange angekündigten, bisher aber nicht realisierten) Marktreife von handlich tragbaren Geräten ab, in denen so genannte „DNA-Chips“ das gesamte Analyseverfahren miniaturisiert abbilden und in nur noch 20 Minuten ein verwertbares DNA-Profil liefern können. Wenn es soweit ist, würden sich die Ermittler im Feld weitgehend von den Kriminaltechnikern in den Laboren unabhängig machen, und über kurz oder lang könnte jeder Laie im Prinzip von beliebigen Ausgangsproben ein DNA-Profil herstellen. Eine solche Demokratisierung hochsensibler Identifizierungstechniken hätte, als hypermoderne „Wahrheitstechnik“ auch im privaten Bereich eingesetzt, gewiss eine Reihe unerwünschter Nebenfolgen.

Jenseits der Verfahrenstechnik liegt die gegenwärtige Entwicklung aber im diffizilen Übergangsbereich von nicht-codierenden zu codierenden Teilen der DNA bei Tatortspuren; dort also, wo das Ziel der kriminalistischen Anstrengungen die Ermittlung des oder der Spurenleger(s) ist. Heikel ist das vor allem deshalb, weil die Akzeptanz der forensischen DNA-Technik nicht nur in Deutschland bislang auf der strikten Beschränkung auf die nicht-codierenden Teile der DNA beruhte. Alle beteiligten Praktiker und Politiker – zumindest in Deutschland – haben diese Beschränkung immer wieder betont und beschworen. Mittlerweile ist jedoch klar, dass bei der DNA-Analyse – contra legem – regelmäßig das Geschlecht der unbekannten Person bestimmbar ist. Ferner lassen sich technisch inzwischen Aussagen über den wahrscheinlichen Phänotyp hinsichtlich Augen-, Haar- und Hautfarbe aus einer DNA-Probe ableiten, die den Kern eines machbaren genetischen Fahndungsbilds darstellen. Der englische Forensic Science Service bietet eine solche Option schon offiziell an; die Niederlande und die Schweiz haben in ihren jüngst erlassenen Gesetzen diese Möglichkeit ausdrücklich normiert.[2] Die absehbaren Fortschritte in diese Richtung, werden in naher Zukunft ohne Zweifel einen Druck auf die bisher vorherrschenden restriktiven Regelungen ausüben und damit eine neue Ära des fahndungspraktisch erweiterten „genetischen Fingerabdrucks“ einläuten.

Das kriminalistisch-kriminalpolitische Kalkül mit der DNA

Die Auseinandersetzung über Funktionalität und Legitimität der DNA-Analyse ist über viele Jahre hinweg mit inzwischen oftmals standardisierten Argumenten geführt worden und dauert an. Idealtypisch lassen sich zwei Lager ausmachen: Dem vornehmlich aus Kriminalisten, Polizeistrategen, Forensikern, Industrielobbyisten und nicht zuletzt (politisch meist konservativ orientierten) Kriminalpolitikern gebildeten Lager der „DNA-Euphoriker“ steht eine Gruppe der „DNA-Skeptiker“ gegenüber, die sich in erster Linie aus praktizierenden wie akademischen Juristen, Datenschutzbeauftragten sowie Bürgerrechtsaktivisten rekrutiert. Während die Ersteren keine wirklichen Gefahren in den Potentialen der für reine Identifikationszwecke eingesetzten DNA-Analyse erblicken können und deshalb vehement für eine Ausschöpfung aller in der Technologie liegenden Möglichkeiten eintreten, werden die anderen nicht müde, die bürgerrechtlichen Risiken durch Missbrauchsoptionen zu betonen und beharren folgerichtig auf einer möglichst beschränkten und justiziell kontrollierten Einsatzpraxis. Die anfangs vernehmbaren Stimmen hingegen, die die kriminalistische Effektivität und forensische Brauchbarkeit der DNA-Analytik grundsätzlich in Zweifel zogen, sind heute weitgehend verstummt. Vielmehr ist die Funktionalität der DNA-Analytik als „Mittel der Verbrechensbekämpfung“ zumindest im Bereich der Kapital- und schweren Sexualdelikte von allen Teilnehmern der Debatte weitgehend anerkannt.

Einen wesentlichen Anteil daran hatten fraglos die immer wieder in der Presse publizierten Meldungen über dank einer DNA-Analyse aufgeklärte Kapitaldelikte; einige davon lange Zeit brachliegende Altfälle. Hierin liegt ein wesentliches Element, warum dem „genetischen Fingerabdruck“ der Ruf einer kriminalistischen Wunderwaffe vorauseilt. Was in langen und mühseligen konventionellen polizeilichen Ermittlungen offenbar nicht gelingen wollte, erscheint mit Hilfe des DNA-Vergleichs ein scheinbar spielerisches Unterfangen: die Identifizierung und Überführung der gesuchten Täter. Unter der Maxime, dass Fallaufklärung das oberste Ziel kriminalistischen Wirkens ist – und das bedeutet vor allem die erfolgreiche und gerichtsfeste Zuordnung von Tatortspuren zu identifizierten Tätern – hat die Forderung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nach möglichst weitgehendem Ausbau der DNA-Analyse als Ermittlungsinstrument durchaus etwas für sich.[3] Mehr noch: der genetische Fingerabdruck erfüllt in idealtypischer Weise die Erwartungen, die Ex-BKA-Präsident Horst Herold in seinen vorausschauenden Einlassungen den „objektiven Sachbeweisen“ als zentralen Elementen einer modernen Polizeiorganisation zugedacht hatte.

Der tatkräftigen Verkündigung einer kriminalistischen DNA-Erfolgs­geschichte, vor allem in Verbindung mit forensischen DNA-Daten­banken, können sich denn auch die Kriminalpolitiker nicht entziehen. So lobt Bundesinnenminister Schily in einer Fünf-Jahresbilanz die zählbaren Erfolge der beim BKA geführten DNA-Analysedatei[4] und macht sich bei dieser Gelegenheit zum Advokaten für eine Erweiterung des darin erfassten Personenkreises sowie für eine Absenkung der Erfassungsschwelle. Dahinter will die konservative Opposition nicht zurückstehen und bringt ihrerseits als vermeintliche Stimme der kriminalistischen Basis ganz aktuell einen Antrag ins Parlament, der im Wesentlichen die Abnahme einer DNA-Probe schon bei der erkennungsdienstlichen Behandlung, den Einbezug so genannter „Einstiegskriminalität“ (Drogen) in die Erfassung sowie die Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Untersuchung von anonymen Spurenmaterial aufheben will.[5]

Bei den Innenministerien des Bundes und der Länder scheint sich nun eine Position herauszuschälen, die der DNA-Analytik qua erweiterter Erfassung und Speicherung in der DNA-Datenbank des BKA im Gegensatz zur ursprünglichen Aufklärungs- nun eine deutlich gewichtigere Abschreckungs- und Präventionsfunktion zuschreibt. Der dazugehörige kriminalistische Glaubenssatz lautet: Je größer die Zahl der Datensätze in der Datenbank, desto größer die Zahl der Treffer und damit die der Aufklärungserfolge. Um aber die erfasste DNA-gemusterte Population zu erweitern, wird mit isolierten kriminologischen Erkenntnissen operiert, nach denen Sexualdelinquenten auch durch eine ganze Anzahl, teilweise weniger gravierender Straftaten in Erscheinung treten. Daher müsse konsequenterweise die Erfassungsschwelle niedriger angesetzt werden, um die Gruppe der Sexualstraftäter möglichst vollständig in der Datenbank zu registrieren, was der Ermittlung entsprechender Delikte zugute käme. Je mehr polizeiliche Aufklärung aber, so das Kalkül, umso stärker der Abschreckungs- und Disziplinierungseffekt auf potentielle und rückfällige Straftäter: nur so sei Kriminalität einzudämmen! In der Konsequenz bedeutet dies, dass sehr viel mehr Delinquenten auch für leichtere Delikte mit ihrem Identifizierungsmuster erfasst und ‚überwacht‘ werden.

Die Skeptiker sind in der Defensive und beschränken sich auf die Verteidigung des rechtlichen Status quo. Ihre Beschwörungen abstrakter Gefahren einer möglicherweise künftig drohenden genetischen Ausforschung samt der damit verbundenen Aussonderungsmechanismen verhallen ungehört angesichts der prätentiösen Versprechen der DNA-Datenbank-Apologeten, die Gesellschaft von der Plage der Kindermörder und Rückfalltäter befreien zu können. Dass diese Zusage sich als bloß zweckoptimistisch herausstellen könnte und zu einer an freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Kriminalpolitik nicht so richtig passen will, geht im verallgemeinerten rhetorischen Verbrechensbekämpfungsgetümmel schlicht unter.

Von der Wunder- zur Allzweckwaffe

Die Extensivierung der forensischen DNA-Erfassung ist nicht bloß ein deutscher, sondern ein – wenn auch nicht einheitlicher – international zu verzeichnender Trend. Weltweit sind 40 nationale Datenbanken in Betrieb, die Hälfte davon in europäischen Ländern.[6] Großbritannien zeigt sich in diesem Fall – wie auch bei der Videoüberwachung – als Vorreiter in der extensiven Nutzung technisch basierter Potentiale für polizeiliche Zwecke. Auch der polizeiliche Kooperations- und Vernetzungsgedanke ist berücksichtigt: Gut eingespielte Netzwerke von Kriminalisten und DNA-Advokaten haben dafür gesorgt, dass in Europa ein einheitliches Verfahren Anwendung findet und somit DNA-Datensätze gegenseitig austauschbar werden. Die gegenwärtige deutsche kriminalpolitische Diskussion um die Aufweichung bzw. Abschaffung der rechtlichen Restriktionen, die einem Ausbau der DNA-Datenbank entgegenstehen, ist in diesem internationalen Kontext zu interpretieren.

Deutlich zeichnet sich ein Trend ab, der die DNA-Analytik, nicht zuletzt durch die Verknüpfung über Datenbanken, von einem umstrittenen, für Ausnahmezwecke gedachten Instrument zur Klärung besonders schwerer Verbrechen, zu einem routinemäßigen, auf die kriminalistische Bearbeitung auch von mittlerer Kriminalität und Massendelikten zielenden Verfahren wandelt. Statt sich auf die Erfassung der extremen und gefährlichen Verbrecher zu beschränken, regen insbesondere die DNA-Datenbanken offensichtlich dazu an, sie als Mittel zur Kontrolle ganzer ‚aktiver krimineller Populationen‘ einzusetzen. Im Amerikanischen ist ‚function creep‘ der treffende und schwer zu übersetzende Ausdruck dafür. Die Bundesrepublik befindet sich gegenwärtig offenbar in einem Zwischenstadium, an deren funktionslogischem Ende im negativen Extremfall auch die DNA-Erfassung der gesamten Bevölkerung stehen kann. Immerhin wäre die tatsächliche Abschreckungswirkung der DNA-Verdatenbankung dann empirisch überprüfbar und auch die lästigen und teuren Massengentests blieben den Bürgern auf diese Weise erspart.

Detlef Nogala ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg.
[1] DNA-Analyse von Hautabriebspuren, in: Kriminalistik 2003, H. 8-9, S. 497-499
[2] Benecke, M.: Coding or non-coding, in EMBO reports 2002, no. 6, pp. 498-501
[3] BDK: „DNA-Gesetzgebung: Problemaufriss und Lösungsansätze aus kriminalpraktischer Sicht“ vom 24. Januar 2003; www.bdk-brandenburg.de/fa_030124.html
[4] Bundesinnenministerium: Pressemitteilung v. 7.4.2003; laut BKA-Pressestelle verzeichnete die DNA-Datenbank zum 30.9.2003 insgesamt 306.908 Datensätze, davon ca. 86 % personenbezogene Einträge. Seit Einrichtung der Datei wurden 10.766 Zuordnungen von Personen zu Tatortspuren getroffen. In 4.394 Fällen gab es Verbindungen von Tatortspuren. Ca. 87 % dieser Zuordnungen betreffen Diebstahlsdelikte.
[5] Gesetzesantrag der CDU/CSU Fraktion, BT-Drs. 15/2169 v. 9.12.2003
[6] Interpol DNA Unit: „Global DNA Database Inquiry 2002“, Interpol 2003