von Albrecht Funk
Ob der Krieg gegen den Terror zu dem führt, was seine Kriegsherren verheißen, private Gewaltunternehmer zu vernichten und eine „pax americana“ herzustellen, ist eine Frage, die in den USA kaum ein Politiker mehr zu stellen wagt. Wer am Sinn des Krieges zweifelt, erntet – wie Präsidentschaftskandidat John Kerry im Wahlkampf – nur Verachtung für den Mangel an Siegesgewissheit.
Der Rest der Welt tut gut daran, den Krieg nicht nur als eine Metapher zu begreifen. Die USA sehen sich im Krieg und führen ihn deshalb auch mit realer kriegerischer Gewalt: Vernichtung der Feinde, Ausschaltung der Gruppen und Staaten, die diese unterstützen, Präventivschläge gegen Akteure, die nach Einschätzung der Regierung eine (terroristische) Gefahr darstellen. Nach bald vier Jahren „war on terrorism“ steht nicht mehr zur Debatte, ob Krieg herrscht, sondern nur noch, wo er stattfindet und in welcher Form er die internationale Ordnung und die politische und gesellschaftliche Normalität der USA verändert hat.
Hinsichtlich letzterer sind zunächst die organisatorischen Veränderungen der Sicherheitsapparate seit dem 11. September zu betrachten. Als im Herbst 2001 der Ruf nach einem Department of Homeland Security (DHS) übermächtig wurde, gaben auch Weißes Haus, Pentagon, CIA und FBI ihren Widerstand gegen dieses Projekt auf. Sie stellten jedoch sicher, dass das DHS im Bereich der Terrorismusbekämpfung nur eine Statistenrolle einnimmt: Die Auswertung und Analyse aller terrorismusrelevanten Informationen und die strategische Planung von Gegenmaßnahmen wies Präsident George W. Bush durch eine Executive Order dem „Terrorist Threat Integration Center“ zu, das zunächst der CIA unterstellt blieb. Das DHS ist zwar gesetzlich für die Sichtung aller für die „homeland security“ wichtigen Informationen zuständig. Was es von CIA und FBI erhält, hängt jedoch von deren guten Willen ab und der ist offensichtlich gering.[1] Das neu gegründete DHS ist ein bürokratischer Koloss, der im Gegensatz zu europäischen Innenministerien über keine Apparate mit nachrichtendienstlichen Befugnissen verfügt und dessen Polizeigewalt sich auf Grenzschutz und Einwanderungskontrolle beschränkt.
National Intelligence Reform
Was als Terrorismus eingestuft und wie bekämpft werden soll, blieb in der Zuständigkeit jener Behörden und Gremien, welche die Politik nationaler Sicherheit seit den fünfziger Jahren bestimmen: der National Security Council, das Pentagon und die Chiefs of Staff, die CIA und – soweit die territoriale Sicherheit innerhalb der USA bedroht scheint – das FBI. Die Wirksamkeit von CIA und FBI im Vorfeld der Anschläge wurde zwar in zwei Untersuchungsberichten scharf kritisiert.[2] Die Kritik an der mangelnden Kooperation der Sicherheitsbehörden – und insbesondere der Nachrichtendienste – resultierte jedoch nicht in einer Neuorganisation des komplexen Geflechts der für die äußere und innere Sicherheit zuständigen Apparate, sondern in der formellen Zusammenfassung von elf der 15 amerikanischen Nachrichtendienste unter einem „National Intelligence Director“.
Das „Terrorist Threat Integration Center“ erhielt einen neuen Namen – „National Counterterrorism Center“ –, einen eigenen Direktor und wurde von der CIA unabhängig.[3] Zugleich verpflichtete der „National Intelligence Reform Act“ alle Bundes-, Staats- und lokalen Behörden, relevante Informationen auszutauschen.[4] Ob diese Konzentration der Geheimdienste zu dem erhofften uneingeschränkten „information sharing“ führt, ist angesichts der vielen Unklarheiten des Gesetzes und den weiterbestehenden Rivalitäten zwischen den Diensten mehr als fraglich.
Fest steht jedoch, dass die rechtliche Trennung von Außen und Innen, von CIA und FBI, der Vergangenheit angehört. Alle Reformvorschläge zielen auf den unbeschränkten Austausch von Informationen. Datenfusion und „data mining in distributed systems“ sind die Schlagworte der anvisierten technischen und organisatorischen Intelligence Reform. Wie minimale Standards von Verantwortlichkeit, Transparenz und Datenschutz in dem neuen nationalen Informationssystem zu gewährleisten wären, bleibt dabei offen.
Das Ende der zeitlichen Befristung des Patriot Act
Kurz nach dem 11. September 2001 und lange bevor die Debatte um eine Organisationsreform der Sicherheitsbehörden begann, hatte die Regierung dem Kongress den Patriot Act vorgelegt, ein Sammelgesetz, das die lang gehegten Wünsche der Exekutive auf Erweiterung ihrer Befugnisse erfüllte. In der Krisenstimmung des Herbstes 2001 war an eine ernsthafte Diskussion des Gesetzes nicht zu denken. Die Skeptiker in Abgeordnetenhaus und Senat erreichten nur, dass zentrale Befugnisse zeitlich befristet wurden; sie stehen dieses Jahr zur (unbefristeten) Verlängerung an. Debattiert wird vor allem über folgende Punkte:
- die Befugnisse von Federal Agents (FBI, Secret Service, Drug Enforcement Agency – DEA), auf richterliche Anordnung Büro- und Privaträume in Abwesenheit und ohne Benachrichtigung des Eigentümers zu durchsuchen („sneak and peak searches“),
- Section 215, welche es den Sicherheitsbehörden erlaubt, mit einer pauschalen gerichtlichen Ermächtigung (rubberstamp court order) medizinische, genetische oder Unterlagen von Büchereien einzusehen und zu beschlagnahmen,
- die „National Security Letters“, die den Sicherheitsbehörden einen weiten Ermessensspielraum geben, um persönliche Daten (z.B. Kreditkarteninformationen, Kontounterlagen) einzusehen und notfalls zu beschlagnahmen – ohne adäquate richterliche Kontrolle,
- die unbestimmte und breite Definition von „domestic terrorism“,
- die bisher ungeregelte Nutzung von Methoden des „data-mining“ und der elektronischen Überwachung.
Im April 2005 fand das erste Hearing zum Patriot Act statt. Attorney General Alberto Gonzales und FBI-Chef Robert Muller beharrten erwartungsgemäß darauf, dass der Patriot Act für die Sicherheit des Landes unabdingbar sei und allenfalls Abstriche im Detail denkbar wären.
Der Protest gegen das Gesetz in seiner jetzigen Form geht weit über das liberale Lager hinaus. An der Spitze einer Koalition von „Patriots to restore checks and balances“, zu der konservative Waffenbesitzer und die American Civil Liberty Union (ACLU) gleichermaßen zählen, steht der frühere republikanische Abgeordnete Bob Barr, der 2001 selbst für das Gesetz gestimmt hatte.[5] Die von konservativ-libertär bis links reichende Koalition hat durchaus Chancen, den Kongress zu einer Präzisierung und teilweisen Rücknahme einzelner exekutiver Befugnisse zu bewegen. Wahrscheinlich bleibt es jedoch bei symbolischen Siegen (sneak and peak searches, Beschlagnahme von Bücherei- und Finanzdaten). Eine weitreichende Revision des Gesetzes, die der neuen Generation von Methoden der elektronischen Überwachung und Datenrecherchen enge rechtliche Grenzen setzen würde, ist derzeit kaum durchsetzbar.
Die neuen Regeln der Kriegsführung
Der „war on terrorism“ ist grenzenlos. Er wird global geführt – gegen jeden, den die US-Regierung zum Terroristen deklariert: in Afghanistan und im Irak, in Indonesien und Pakistan, im Kosovo oder in den Metropolen des Nahen Ostens und Europas. In ihren fortlaufenden Feinderklärungen hat die US-Regierung immer mehr Staaten zu Unterstützern des Terrorismus definiert: vom Iran und Syrien bis hin zum autokratischen, doch zweifellos demokratisch legitimierten Regime Hugo Chavez in Venezuela. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Terrorismus-Verdächtige werden aufgespürt, verhört und im weitläufigen Detention-Archipel gefangen gehalten.[6]
Grenzenlos ist der „war on terrorism“ auch deshalb, weil sich die USA in diesem Krieg über die wenigen Grenzen hinwegsetzen, die das internationale Recht der Kriegsführung souveränen Staaten auferlegt. Noch vor dem Einmarsch ihrer Truppen in Afghanistan hat die US-Regierung deutlich gemacht, dass sie den Kampf gegen den Terrorismus als Selbstverteidigungskrieg führe, nicht als ein kollektives Unternehmen der Staatengemeinschaft. Nur vier Monate später, im Januar 2002, stellte sie öffentlich klar, dass sie sich in ihrem Krieg auch nicht an die konventionellen Regeln der Kriegsführung gebunden fühle. Mit ihrer Entscheidung, die in Afghanistan gefangenen Kämpfer – wann immer sie dies für notwendig hält – nicht nach der Genfer Konventionen zu behandeln, hat die US-Regierung eine neue Klasse von Personen geschaffen, deren „rechtlichen Status (sie) total auslöscht … und die juristisch weder eingeordnet noch benannt werden können.“[7] „Enemy combatants“, „Under-privileged Enemy Combatants“, „Security Internees“, „Criminal Detainees“, „Persons Under US Forces Control“ sind die Umschreibungen für Menschen ohne klar definierte Menschenrechte, deren Wohl und Wehe im ausschließlichen Ermessen der US-Regierung steht. Sie hat damit ein Regime exekutiver Willkürherrschaft geschaffen
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Das Gefangenenlager von Guantánamo Bay ist zum Inbegriff dieses Regimes geworden. Nachdem der Supreme Court im Juni 2004 klarstellte, dass Klagen gegen die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von „enemy combatants“ sehr wohl in die Zuständigkeit von US-Gerichten fallen, finden dort Hearings statt, in denen über die Fortdauer der Haft von 540 Gefangenen aus über 35 Ländern entschieden wird – nach Regeln, die das Pentagon und das Weiße Haus diktieren. Das weltweite Interesse macht Guantánamo jedoch zu einem Sonderfall im Netz der „detention centers“, das sich von Afghanistan und Pakistan über Diego Garcia und Usbekistan bis in den Vorderen Orient erstreckt. Die genaue Zahl der Gefangenen ist unbekannt, sie liegt jedoch nach Angaben amerikanischer und britischer Militärkreise bei über zehntausend. Unbekannt ist auch, wie viele Gefangene als „ghost detainees“ selbst vor dem Internationalen Roten Kreuz versteckt werden.[9]
Haftdauer und Behandlung der Gefangenen hat die US-Regierung im Jahre 2002 zur exekutiven Ermessenssache erklärt. Der damalige Rechtsberater des Präsidenten (und heutige Justizminister) Gonzales ließ keinen Zweifel daran, dass im neuen Krieg weder die Genfer Konvention noch das US-Militär(straf)recht gelten sollten. Die Folgen waren in Abu Ghraib zu besichtigen; sie zeigen sich in 26 Fällen, bei denen Gefangene während oder nach Verhören starben (in 16 Fällen wird wegen Mord ermittelt); sie liegen offen zu Tage in der Flut von Memoranden, welche die inhumanen Verhörmethoden dokumentieren, die das internationale Recht als Folter brandmarkt. Und sie zeigen sich nicht zuletzt in den vielen glaubwürdigen Aussagen von Haftentlassenen.
Wie die Verantwortlichen früherer (schmutziger) Kriege, bestreitet auch die US-Regierung mit allen Mitteln, dass Willkür und Folter im „war on terrorism“ die logische Folge der Entgrenzung des Krieges und nicht nur einigen verrohten Soldaten zuzuschreiben sind. Ob sich die Befehlskette vom Präsidenten bis hin zum Gefangenenwärter und CIA-Verhörer in Khost oder Abu Ghraib jemals lückenlos rekonstruieren lässt, ist fraglich. Die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens sind aus der neueren deutschen Geschichte bekannt.
Mehr noch als die vielen Dokumente, welche die ACLU and Human Rights First Monat für Monat veröffentlichen, belegt das „extraordinary rendition“-Programm, dass die US-Regierung sich systematisch über bestehendes Recht hinwegsetzt und gezielt zum Mittel der Folter greift. Im heutigen Sprachgebrauch steht „rendition“ für den Akt der Wiedergabe eines Musik- oder Theaterstücks. Als einer der vielen Euphemismen der Kriegsführung gewinnt das Wort laut Webster’s Sprachwörterbuch seine „archaische“ Bedeutung zurück: als ein Akt der Auslieferung eines Gefangenen (Surrender) an eine befreundete Macht, die diesen „verstärkten“ und „vertieften“ Verhören aussetzt, bei denen zum Teil auch US-Geheimdienstagenten anwesend sind. Jane Meyer hat dieses rendition-Programm als das bezeichnet, was es ist: „out-sourcing torture“.[10] „Terrorverdächtige in Europa, Afrika, Asien und dem Nahen Osten wurden von maskierten amerikanischen Agenten entführt und dann auf einen Gulfstream V-Jet verfrachtet … Die häufigsten Ziele für die entführten Verdächtigen (rendered suspects) sind Ägypten, Marokko, Syrien und Jordanien … Bei der Ankunft im Ausland lässt man sie oft verschwinden.“ In der Zwischenzeit sind drei dieser Flugzeuge identifiziert.
Bürger als feindliche Kombattanten
Unter Berufung auf Artikel II der Verfassung und zwei Präzedenzfälle aus dem 2. Weltkrieg beansprucht die US-Regierung das Recht, auch eigene Staatsbürger als enemy combatant einzustufen und sie damit ihrer Bürgerrechte, vor allem ihres Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren (due process), zu berauben.
Der erste bekannte Fall war der des in Afghanistan gefangen genommenen John Walker Lindh. Im Rahmen eines dubiosen „plea bargaining“ erklärte die US-Regierung, in seinem Fall zukünftig auf ihr Recht zu verzichten, ihn als „unlawful enemy combatant“ zu behandeln. Walker wurde als Straftäter repatriiert. José Padillia wird der Beteiligung an einem Anschlag auf amerikanische Ziele mithilfe einer „schmutzigen“ radioaktiven Bombe bezichtigt. Bis heute hat das Justizdepartment jedoch keine Belege für seine Behauptung vorgelegt. Yaser Eser Hamdi wurde in Afghanistan gefangen genommen und nach Guantánamo verbracht. Als sich herausstellte, dass er US-Bürger ist, wurde er in die USA verlegt: Er ist auf einer Marinebasis in South Carolina interniert.[11]
Im Juni 2004 stellte der Supreme Court klar, dass Hamdi und Padilla das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren haben. Der Inhaftierte – so Sandra O’Connor für die Mehrheit des Gerichts – „hat Anspruch darauf, über die tatsächlichen Gründe dieser Einstufung (als feindlicher Kombattant) informiert zu werden, und eine faire Chance zu erhalten, den Tatsachenbehauptungen der Regierung vor einem neutralen Entscheidungsträger entgegenzutreten“ – wohlgemerkt: Entscheidungsträger, nicht Gericht. Jenseits dieser „zentralen Elemente“ ließ das Gericht der Exekutive jedoch freie Hand, Verfahren gegen feindliche Kombattanten nach den „Erfordernissen der Umstände“ zu gestalten und „in Zeiten andauernden militärischen Konflikts die Belastung der Exekutive zu mindern.“[12] Wie flexibel diese fallangepassten Regeln des Rechtsstaates sein werden, hängt nun nicht zuletzt wieder von den Gerichten ab, die über die Ermessensentscheidungen der Exekutive zu befinden haben. Diese beharrt nach wie vor darauf, dass konkrete Beweise aus Sicherheitsgründen nicht vorgelegt werden könnten, und verweigert den Anwälten der Inhaftierten und den Gerichten konkrete Informationen über vermeintliche terroristische Aktivitäten.
Das Urteil des Supreme Court hat das Lager in Guantánamo der Jurisdiktion amerikanischer Gerichte unterworfen, ohne selbst rechtsstaatliche Maßstäbe zu setzen. Die Hearings in Guantánamo bieten deshalb bis heute kein ansatzweise faires Verfahren. Padilla ist nach wie vor in Haft. Hamdi hat im September 2004 eingewilligt, ohne Prozess und unter Verzicht auf seine US-Staatsbürgerschaft nach Saudi-Arabien abgeschoben zu werden.
Die zweigeteilte Welt des „war on terrorism“
Der Präsident und seine Rechtsberater haben nach dem 11. September 2001 mit Argumenten, die Carl Schmitts Feder entstammen könnten, den Spielraum des Präsidenten als Kriegsherr und die Befugnisse der Exekutive massiv erweitert. Bürgerrechtsorganisationen, viele Militärjuristen, vereinzelt auch Abgeordnete und Senatoren haben sich dem entgegengestellt. Und der Supreme Court hat klargestellt, dass die Verfassung dem Präsidenten nicht das Recht einräumt, feindliche Kombattanten ohne Anklage unbegrenzt gefangen zu halten.
Die Exekutive kann sich nach dem Urteil den Forderungen, die Gründe für die Inhaftierung von Personen in Guantánamo vor Gerichten offen zu legen, nicht mehr völlig entziehen. Einzelne Gerichte bemühen sich, die exekutive Willkür zu begrenzen, indem sie die Regierung auffordern, Padilla entweder anzuklagen oder freizulassen, oder aber indem sie die Entlassung von Gefangenen aus Guantánamo verhindern, bevor die Gründe ihrer Inhaftierung (und nun Freilassung) gerichtlich überprüft sind.
Inwieweit die Regierung durch öffentlichen Druck und die dritte Gewalt gezwungen sein wird, ihre Gefangenenpolitik zu rationalisieren und gar zu humanisieren, ist schwer abzuschätzen. Solange sie Menschenrechte auf dem Altar ihres Krieges gegen den Terrorismus opfert und die Mehrheit der Bürger dies unterstützt oder zumindest hinnimmt, ist statt einer Änderung der Kriegsführung und des Umgangs mit den Inhaftierten nur eine Verlagerung des Problems in die Randzonen des weltweiten amerikanischen Gefängnisarchipels zu erwarten. Anders liegt der Fall nur dort, wo die Feinderklärung nicht mehr nur ausländische Feinde und feindliche „alien residents“ betrifft, sondern US-Bürger.
Teile der US-Linken malen nun das Gespenst des Faschismus oder eines totalen Überwachungsstaats an die Wand und verfehlen damit die wirkliche Gefahr – egal, wie der Streit um den Patriot Act ausgeht oder wie eng Geheimdienste und FBI ihre Netze im amerikanischen Homeland knüpfen werden. Die ersten vier Jahre des „war on terrorism“ führten nicht zu einem expansiven Sicherheitsstaat, einem zentralstaatlichen, flächendeckenden Regime Innerer Sicherheit. Entstanden ist vielmehr ein imperialer Doppelstaat, der durch exekutive Willkür gegenüber dem Feind bei gleichzeitiger Beibehaltung rechtsstaatlicher Verfahren gegenüber den Bürgern des Homeland bestimmt ist.
Der Rechtsaußen unter den Verfassungsrichtern, Antonin Scalia, hat eine menschenrechtslose, jedoch bürgerrechtsfreundliche Verfasstheit der USA zum Angelpunkt seines Minderheitenvotums gemacht. Der Schutz der Verfassung – so Scalia – erstrecke sich nur auf die US-Bürger unter den „als feindliche Kombattanten Beschuldigten, sofern sie im Zuständigkeitsbereich eines Bundesgerichts festgehalten werden.“ Der Rest könne sich nicht auf das verfassungsrechtlich verbriefte Recht eines „due process“ berufen. Selbst für US-Bürger, die außerhalb der USA gefangen genommen und inhaftiert würden, könnten – so Scalia – unterschiedliche verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Inhaftierung zur Anwendung kommen. Und ob die Regierung genügend Mittel besitze, um ihre Sicherheitsbedürfnisse zu erfüllen – „einschließlich der Notwendigkeit, durch Verhöre Erkenntnisse zu erhalten“ –, sei nicht Problem amerikanischer Gerichte und des Supreme Court, sondern allenfalls vom Kongress zu regeln.[13] Scalias Position, die von einer breiten Mehrheit der Konservativen mitgetragen wird, läuft auf eine doppelte Begrenzung des Rechtsschutzes hinaus: Nur Bürger genießen vollen Rechtsschutz. Und dies auch nur, wenn sie im „homeland“ sind. Jenseits ist Feindesland, wo die Exekutive mit Ausländern nach Gutdünken verfahren und auch die verfassungsmäßigen Rechte von Bürgern freizügig interpretieren kann. Die Rechtswirklichkeit folgt Scalia, nicht der verwaschenen Mehrheitsmeinung des Supreme Courts.[14]
Die vom Supreme Court im letzten Jahr beanspruchte Rechtsprechungshoheit über Guantánamo hatte vor allem eines zur Folge: dass die Exekutive, soweit die Gerichte nicht intervenieren, Gefangene von Guantánamo nach Afghanistan und in den Vorderen Orient verlegte. Neue Gefangene werden erst gar nicht mehr nach Guantánomo verbracht, sondern von Anfang an außerhalb der territorialen Zuständigkeit amerikanischer Gerichte inhaftiert – an Orten, wo Recherchen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten noch weniger möglich sind. „Afghanistan wurde zur neuen Guantánamo Bay”, konstatieren Levy und Scott-Clark im britischen „Guardian“ und fügen dann in ihrer Reportage über „das Folter-Netzwerk“ eine Vielzahl weiterer Orte in Asien und im Mittleren Osten hinzu.[15]
Glaubt man der Propagandamaschine des Weißen Hauses und den von ihr gespeisten Medien, dann ist der „war on terrorism“ schon halb gewonnen. „Freiheit und Demokratie sind auf dem Vormarsch“. Afghanistan sei zwar nicht befriedet, verfüge aber über eine stabile, US-freundliche Regierung. Im Irak sei nach den erfolgreichen Wahlen ein Rückgang der Anschläge auf US-Truppen festzustellen. Al Qaida habe man in die Defensive gedrängt.
Obgleich seines Sieges sicher, muss der Präsident jedoch eingestehen, dass die Mission noch nicht erfüllt ist und wohl auch die nächste Generation mit dem „war on terrorism“ beschäftigt sein wird. Wie immer auch die USA vom Kriegsglück begünstigt sein mögen, gewiss ist nur eines: Der „war on terrorism“ ist ein Krieg der langen Dauer, der off shore geführt und dessen brutale Gewalt rechtlich ausgelagert wird. Selbst wenn die Bürger im „homeland“ in Ruhe schlafen können, zu einem Ende des Terrors und der Gewalt, gar zu einer Befriedung, wird dieser Krieg nicht führen.