Archiv der Kategorie: CILIP 080

(1/2005) Anti-Terrorismus – eine Zwischenbilanz

Editorial

von Heiner Busch

„Schließen wir ’nen kleinen Kompromiss …“ Kurt Tucholskys Liedchen handelte von den Kompromissen der SPD zu Beginn der Weimarer Republik. Heute bedarf es nur leichter Abwandlungen und es passt wie angegossen auf die derzeitigen Verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen. In der Hektik anti-terroristischer Gesetzgebungswut hat der Bundestag Ende 2001 ein dickes Sicherheitspaket verabschiedet, mit dem er vor allem die Geheimdienste reich beschenkte: Sie erhielten unter anderem Zugriff auf Telekom-Verbindungsdaten, auf Daten von Flugreisenden und auf die bei den Banken gespeicherten Kontendaten. Damit die Grünen KoalitionspartnerInnen „keine Kümmernis“ mit dem Kompromiss hätten, verabreichte ihnen der große sozialdemokratische Bruder eine Beruhigungspille: Das geheimdienstliche Datenzugriffsrecht ist auf fünf Jahre befristet. Jetzt steht die „Evaluation“ dieser Befugnisse an, und der Bericht, den die Exekutive dafür produziert hat, ist selbstverständlich vertraulich. Eigentlich ist er ein Nicht-Bericht. Er liegt zwar mittlerweile diversen Zeitungsredaktionen vor, ist aber noch nicht regierungsamtlich bereinigt und deshalb gibt es ihn auch nicht auf Anfrage. Editorial weiterlesen

Alter und neuer Anti-Terrorismus – Von den Entgrenzungen ungeahnten Ausmaßes

von Norbert Pütter

Der neue staatliche Anti-Terrorismus steht in ungebrochener Kontinuität zu seinem Vorgänger aus den 70er Jahren. Die Gemeinsamkeiten in der strategischen Orientierung und im reflexhaften Ruf nach dem Ausbau staatlicher Repressionsinstrumente sind unübersehbar. Der Grad der Internationalisierung, das technische Niveau der Überwachungsstrategien und die Skrupellosigkeit gegenüber demokratisch-rechtsstaatlichen Standards machen das Besondere des neuen „Kampfes gegen den Terror“ aus.

In öffentlichen Diskussionen wird häufig der Eindruck erweckt, als habe mit den Anschlägen vom 11. September 2001 die terroristische Bedrohung eine neue Qualität erlangt, die auch eine neue Qualität staatlich-polizeilicher Antworten erforderte. Blickt man zunächst auf den engeren Komplex der polizeilich-kriminalstrategischen Aktionen, so zeigt sich hier aber keine neue Qualität, sondern die forcierte Fortsetzung eines bekannten Musters: Jeder Terrorakt wird zur willkommenen Legitimation neuer polizeilicher, strafrechtlicher und/oder geheimdienstlicher Instrumente genutzt. Die Anlässe sind beliebig. Wurde gestern der Ausbau der Dienste, die Legalisierung von Straftaten Verdeckter Ermittler etc. noch mit dem Kampf gegen den internationalen Drogenhandel begründet, so muss heute die terroristische Gefahr für alles herhalten, was auf den Wunschzetteln der Exekutive und ihrer politischen Förderer steht. Terrorismus produziert die Gelegenheiten, das politisch durchsetzen zu können, was man schon immer wollte. Dass Gefahrenpotentiale dramatisiert werden, ist eine notwendige Begleiterscheinung dieses Geschäfts. Alter und neuer Anti-Terrorismus – Von den Entgrenzungen ungeahnten Ausmaßes weiterlesen

Summaries

Old and new terrorism – an introduction
by Norbert Pütter
The terrorist discourse has resurrected a well tried legitimation for the extension of the security apparatus. Strategies of proactive and infiltrating police methods are on the rise. Police, security services and military are being conflated. Liberal democratic standards are being suspended. The consensus of powerful states in the fight against terrorism is accompanied by the creation of an ‚enemy within‘. Summaries weiterlesen

BfV-Aussteigerprogramm stagniert

Über das Mitte April 2001 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) initiierte „Aussteiger-Kontakttelefon“ für Rechtsextremisten haben sich bis Ende letzten Jahres 930 Anrufer gemeldet. 300 waren es allein schon in der ersten Woche; nach elf Monaten zählte das BfV insgesamt 750 Anrufer.[1] Das Interesse ebbt offenbar stark ab. Von den 930 Anrufern seien nur etwa 220 Personen als „potentiell ausstiegswillig“ einzustufen gewesen. BfV-Aussteigerprogramm stagniert weiterlesen

Bundesverfassungsgericht billigt den Einsatz des GPS

Im Strafverfahren ist nicht nur die heimliche Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen möglich, sondern auch der Einsatz von „sonstigen besonderen für Observationszwecke bestimmten technischen Mitteln zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Täters“ (vgl. § 100 c Abs. 1 Nr. 1 b StPO). Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Urteil vom 12. April 2005[1] nicht nur dieser – unter Bestimmtheitsgesichtspunkten keineswegs unbedenklichen – Vorschrift seinen verfassungsrechtlichen Segen erteilt, sondern auch den Einsatz des „Global-Positioning-System“ (GPS) auf seiner Grundlage für unbedenklich gehalten. Im zugrunde liegenden Fall hatte die Polizei das Auto eines Verdächtigen heimlich mit einem GPS-Empfänger ausgestattet und diesen auf diese Weise beschattet. Bundesverfassungsgericht billigt den Einsatz des GPS weiterlesen

Telekommunikationsüberwachung

Am 6. April 2005 legte die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) ihre Jahresstatistik über die Telekommunikationsüberwachung für das Jahr 2004 vor.[1] Danach hat das Ausmaß der polizeilichen Überwachung des Telefonverkehrs einen neuen Höchststand erreicht. Die Zahl der Überwachungsanordnungen stieg von 29.438 im Vorjahr auf 34.374. Von diesen Anordnungen waren 40.973 „Kennungen“, d.h. Anschlüsse betroffen. Telekommunikationsüberwachung weiterlesen

G 10-Maßnahmen

Am 17.2.2005 legte das Parlamentarische Kontrollgremium dem Bundestag seinen jährlichen Bericht über die Eingriffe der deutschen Geheimdienste in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vor.[1] Nach dem G 10-Gesetz ist zwischen der Kontrolle einzelner Anschlüsse – durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) oder den Bundesnachrichtendienst (BND) –, der strategischen Fernmeldeüberwachung dem Ausland und der Überwachung der internationalen Telekommunikation zum Schutz einer im Ausland befindlichen Person zu unterscheiden, zu der allein der BND befugt ist. G 10-Maßnahmen weiterlesen

Post- und TK-Überwachung des Zolls

Am 24.1.2005 gab das Bundesfinanzministerium Auskunft über die Überwachung der Telekommunikation sowie der Postsendungen durch das Zollkriminalamt (ZKA). Seit dem Inkrafttreten der entsprechenden Befugnisse im Außenwirtschaftsgesetz am 28.2.1992 bis zum 11.3.2004 – das Bundesverfassungsgericht hatte am 3.3.2004 die Regelungen für verfassungswidrig erklärt – hatte das ZKA insgesamt 41 Überwachungs­maßnahmen beantragt. 21 dieser Maßnahmen waren vorzeitigt beendet worden: dreizehn wegen mangelnden Nachweises des Verdachts und fünf wegen der Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes. Post- und TK-Überwachung des Zolls weiterlesen