Verdeckte Methoden im Strafprozess – Zum Entwurf der aktuellen StPO-Novellierung

von Norbert Pütter

Bereits seit Jahren angekündigt, legte das Bundesjustizministerium im November 2006 einen Gesetzentwurf vor, der die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) über verdeckte Ermittlungsmethoden reformieren soll.[1] Indem der Entwurf versucht, ein rechtsstaatlich einwandfreies Fundament für geheime Polizeiarbeit zu liefern, wird er zu deren Ausweitung beitragen.

Nach eigenem Bekunden ist die Novelle aus drei Gründen erforderlich: Erstens verlangten technischer Fortschritt und praktische Schwierigkeiten der Strafverfolgung nach neuen und übersichtlicheren Regelungen für verdeckte Ermittlungsmethoden. Zweitens müsse der Gesetzgeber Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus der jüngeren Vergangenheit Rechnung tragen – namentlich den Urteilen zum Großen Lauschangriff, zur Erhebung von Verkehrsdaten der Telekommunikation (TK) sowie den in verschiedenen Entscheidungen formulierten Maßstäben für Rechts- und Datenschutz bei verdeckten Ermittlungen. Drittens ergäben sich die Änderungen aus den Vorgaben der Cyber­crime-Konvention des Europarats, die demnächst ratifiziert werde, sowie aus der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von TK-Verkehrsdaten.

Es ist kein Zufall, dass in dieser Motivliste die politische Diskussion um den massenhaften Einsatz verdeckter Polizeimethoden und insbesondere das ungebremste Wachstum der Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ) fehlt. Vielmehr liegt dem Entwurf die Überzeugung zugrunde, dass die Strafverfolgung grundsätzlich über alle Instrumente verfügen müsse, um die „Ermittlung des wahren Sachverhalts“ zu erreichen. Dabei gehe es nicht allein um das „Interesse an einer umfassenden Wahrheitsermittlung und die Aufklärung von schweren Straftaten“, die „wesentlicher Auftrag des Rechtsstaates“ seien. Es gehe auch „um die Möglichkeit des Beschuldigten, einen gegen ihn erhobenen Verdacht auszuräumen“. Diese Chance werde beschnitten, wenn der Polizei nicht alle Methoden zur Verfügung stünden.[2] Im Klartext bedeutet das: Alle rechtschaffenen BürgerInnen müssen die verdeckten Methoden begrüßen, denn wer nichts zu verbergen hat … So wird aus der liberalen Idee, dass die BürgerInnen in demokratischen Staaten frei von staatlicher Kontrolle leben sollen, eine Rechtfertigung umfassender staatlicher
Überwachung. In dieser Logik kann es nur darum gehen, geheime Polizeiarbeit rechtlich abzusichern – genau das versucht der Entwurf.

Die wichtigsten Neuerungen

Das Bundesjustizministerium will mit der Novelle „die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und grundrechtssichernden Ausgestaltungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen harmonisieren“. Zu diesem Zweck fasst der Entwurf die Verfahrensvorschriften für „eingriffsintensivere“ Methoden in einer gemeinsamen Vorschrift zusammen. § 101 StPO-neu betrifft die Rasterfahndung, Postbeschlagnahme, TKÜ, technische Überwachungen, Verkehrsdatenerhebung, längerfristige Observationen, Verdeckte Ermittler, Schleppnetzfahndung und polizeiliche Beobachtung. Eingeführt werden sollen

  • die Pflicht zur Kennzeichnung der verdeckt gewonnenen Daten
  • die Pflicht zur nachträglichen Unterrichtung der betroffenen Personen: Festgelegt wird hier auch der zu benachrichtigende Personenkreis. Die Zurückstellung der Benachrichtigung wird an die Zustimmung des Gerichts gebunden
  • die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes für Betroffene und
  • die Pflicht zur Löschung der verdeckt gewonnenen Daten.

Der Verfahrensschutz soll weiterhin dadurch verbessert werden, dass die gerichtliche Anordnungskompetenz an den Sitz der ermittelnden Staatsanwaltschaft gebunden wird, die Anordnungskompetenzen vereinheitlicht und die Anordnungsdauer verkürzt werden. So soll eine TKÜ nicht mehr drei Monate, sondern nur noch zwei dauern dürfen; freilich kann sie um jeweils einen Monat verlängert werden. Nach einem halben Jahr muss das übergeordnete Gericht über die Fortsetzung entscheiden.

Bedeutsam für alle verdeckten Methoden ist die Neuformulierung des § 477 StPO: Verdeckt gewonnene Daten wären demnach nur noch dann in anderen Ermittlungsverfahren nutzbar, wenn diese Straftaten betreffen, zu deren Aufklärung die jeweilige Methode ebenfalls zulässig gewesen wäre. Neu geregelt wird ferner das Zeugnisverweigerungsrecht.

Darüber hinaus enthält der Entwurf einige spezifische Bestimmungen zur TKÜ: Der Katalog der Anlassstraftaten wird neu gestaltet. Der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, der gemäß BVerfG nicht angetastet werden darf, soll auch bei einer TKÜ geschützt sein. Die jährlichen TKÜ-Statistiken erhalten eine Rechtsgrundlage in der StPO.

Insgesamt scheint der Entwurf tendenziell bürgerrechtsfreundlich zu sein. Aus diesem Rahmen fallen nur die aus dem Cybercrime-Abkom­men resultierende Ausweitung des Zugriffs auf Datenträger sowie die Vorratsdatenspeicherung, zu der die EU-Richtlinie verpflichtet.[3]

Dauerbrenner TKÜ

Betrachtet man die scheinbar liberalen Vorschläge etwas genauer, so zeigt sich jedoch sehr schnell, dass unter der Fahne „grundrechtssichernder Ausgestaltung“ nur das Minimum verfassungsgerichtlich definierter Standards realisiert werden soll, das nicht nur deutliche Leerstellen aufweist, sondern zudem durch Ausweitungen an anderer Stelle ausgeglichen wird. Die TKÜ ist das Paradebeispiel für diese Logik. Auf der einen Seite wird die Anordnungsdauer begrenzt, der Kernbereich wird geschützt und die Berichtsstatistik wird verpflichtend. Die Verkürzung der Überwachungsfrist war leichten Herzens möglich, weil – darauf weisen die Verfasser selbst hin – das Gutachten des Max-Planck-Instituts (MPI) festgestellt hat, dass Erkenntnisse in aller Regel in den ersten beiden Monaten der TKÜ anfallen.[4] Der Schutz des „Kernbereichs“ ergab sich zwingend aus den Verfassungsgerichtsentscheidungen zum Großen Lauschangriff und zum Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Immerhin erweitert der Entwurf die Berichtspflicht auf Angaben über „die Anzahl der Beteiligten der überwachten Telekommunikation“. Nimmt man dies wörtlich, so wäre zukünftig immerhin der genauere Umfang polizeilich-strafprozessualer TKÜ abschätzbar. In eckigen Klammern wird angeregt zu prüfen, ob die Statistik auch Aussagen über die Relevanz der TKÜ-Erkenntnisse für das Anlassstrafverfahren oder für andere Strafverfahren liefern soll. Da jedoch weder die Kriterien der Relevanz offen liegen, noch die entsprechende Bewertung überprüft werden kann, sind solche Angaben wenig hilfreich. Nimmt man die Befunde der MPI-Studie, so blieben rund die Hälfte aller Überwachungen ohne jeden Ertrag.[5] Die neuen Vorschriften werden an dieser Quote nichts ändern; die verkürzten Fristen werden allenfalls dafür sorgen, dass unnütze Überwachungen nicht noch länger dauern.

Besondere Sorgfalt widmet der Entwurf den Katalogtaten, zu deren Aufklärung eine TKÜ zulässig sein soll. Im Unterschied zur geltenden Fassung wird betont – auch hier den verfassungsgerichtlichen Vorgaben folgend –, dass es sich um eine im Einzelfall schwer wiegende Tat aus dem Spektrum des Katalogs handeln muss. Das historisch gewachsene Sammelsurium an Katalogtaten wird im Entwurf neu geordnet, von einigen Ladenhütern befreit, aber um neue Katalogtaten erweitert. Nicht mehr zulässig sein soll die TKÜ bei Anstiftung etc. zur Fahnenflucht, bei Straftaten gegen die NATO-Streitkräfte und bei fahrlässiger Begehung von Straftaten nach dem Waffengesetz. Demgegenüber wird der TKÜ-Katalog erweitert um:

  • eine Reihe von Korruptionsdelikten (Abgeordnetenbestechung, be­stimmte Fälle von Bestechung und Bestechlichkeit)
  • weitere bandenmäßig begangene Delikte (Fälschung von Zahlungsmitteln, Urkundenfälschungen, Schmuggel, Steuerhinterziehung, Steuerhehlerei)
  • Delikte im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Kin­derpornographie
  • alle Menschenhandelsdelikte des Strafgesetzbuchs
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bestimmte Kriegsverbrechen sowie
  • einige Betrugsdelikte (Computer-, Subventionsbetrug, Bankrott).

Diese Ausweitungen seien aus unterschiedlichen Gründen erforderlich: Zum Teil handele es sich um typische Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, zum Teil seien durch diese Delikte besonders geschützte Rechtsgüter bedroht und zum Teil müsse ein Delikt aus systematischen Gründen aufgenommen werden, weil es bislang bereits im Katalog der Wohnraumüberwachung enthalten sei und bei TKÜ nicht fehlen dürfe, da diese den „milderen“ Eingriff darstelle. Die Katalogausweitung hat Folgen über die TKÜ hinaus, weil sie auch für den „Kleinen Lauschangriff“ (Abhören außerhalb von Wohnungen), die Erhebung von Verkehrsdaten und den Einsatz des IMSI-Catchers gilt. Außerdem verweisen einige Landespolizeigesetze auf den § 100a StPO, wenn sie „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ genauer bestimmen, die wiederum das polizeirechtlich zulässige Spektrum verdeckter Methoden festlegen.

Angesichts des erheblich ausgeweiteten Katalogs der Vortaten relativiert sich auch die Bedeutung der vorgeschlagenen neuen §§ 161 Abs. 2 und 477 Abs. 2 StPO, die die Verwertung verdeckt gewonnener Daten begrenzen sollen. Denn je mehr Delikte im Katalog erfasst sind, desto größer ist die Chance, dass die verdeckt gewonnenen Zufallsfunde solche Delikte betreffen, die ebenfalls im Katalog stehen. In diesen Fällen sind zufällig verdeckt erlangte Informationen unmittelbar für Strafverfolgung und -prozess verwertbar. Die Verwertungsbeschränkungen beziehen sich zudem generell nur auf die Verwendung „zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren“. An der bestehenden Rechtslage, derzufolge Zufallserkenntnisse mittelbar genutzt werden können, indem sie Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, will der Gesetzentwurf ausdrücklich nichts ändern. Mit Ausnahme der aus dem Abhören von Wohnungen gewonnenen Daten bleiben Verwertungen zu anderen polizeilichen Zwecken weiterhin zulässig. Der neue § 477 schränkt zwar die Verwendung verdeckt gewonnener personenbezogener Informationen auf die „Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ ein (im geltenden Recht fehlt der Bezug auf die „öffentliche Sicherheit“), aber auch in der neuen Version bleibt der § 481 StPO „unberührt“. Dieser erlaubt der Polizei, Daten aus Strafverfahren nach Maßgabe ihres jeweiligen Polizeirechts zu verwenden, und ermächtigt die Strafverfolgungsbehörden personenbezogene Daten an die Polizeien weiterzugeben.

Schutz der Betroffenen

Zu den positiven Elementen des Entwurfs gehören die stärkere Beteiligung der Gerichte an der Anordnung und Kontrolle der verdeckten Methoden sowie die detaillierten nachträglichen Mitteilungspflichten, die den nachträglichen Rechtsschutz verbessern sollen. Ein besserer Grundrechtsschutz soll auch dadurch erreicht werden, dass die Informationen aus TKÜs, die aufgrund staatsanwaltschaftlicher Eilanordnungen geschaltet wurden, nur dann verwertbar sind, wenn die Maßnahme durch ein Gericht bestätigt wird. Durch die Verkürzung der Überwachungsfristen, die erwartbare Zunahme des Umfangs der Überwachungen, die Ausweitung der Benachrichtigungspflichten und die „Entwertung“ der staatsanwaltschaftlichen Eilanordnung wird die zeitliche Belastung für die Gerichte erheblich wachsen.

Die MPI-Studie zitiert einen Richter mit der Aussage, dass er und seine KollegInnen schon heute nur zwischen zehn und dreißig Minuten pro Überwachungsanordnung aufwenden.[6] Die wachsende Belastung ist deshalb kaum allein durch die Verlagerung der gerichtlichen Zuständigkeiten an den Sitz der Staatsanwaltschaften auszugleichen, von der sich der Entwurf eine Spezialisierung an den Gerichten erhofft. Wenn die neuen Regelungen nicht ins Leere laufen sollen, bedürfte es also dringend einer personellen Verstärkung der Gerichte. Ein solcher Ausbau, der nicht erwartbar ist, liefe jedoch nicht auf eine Begrenzung verdeckter Polizeiarbeit hinaus, sondern würde im Gegenteil ihren „rechtsstaatlichen Ausbau“ vervollständigen.

Im neuen § 101 StPO wird für jede der verdeckten Methoden aufgelistet, welche Personen nachträglich informiert werden müssen. Zwar erlaubt auch die nun vorgeschlagene Regelung nach wie vor, unter bestimmten Bedingungen von der Benachrichtigungspflicht abzusehen, was allerdings gerichtlich bestätigt werden muss. Die eigentliche Neuerung des Entwurfs liegt in der erheblichen Ausweitung des zu benachrichtigenden Personenkreises: So sind von einer Rasterfahndung alle Personen zu informieren, gegen die „weitere Ermittlungen“ geführt wurden. Über eine TKÜ oder Verkehrsdatenerhebung sind die „Beteiligten der überwachten (bzw. betroffenen) Telekommunikation“ zu unterrichten. Bei „kleinen Lauschangriffen“, Bildaufnahmen und technischen Überwachungen sowie beim Einsatz Verdeckter Ermittler gilt dies sowohl für die Zielpersonen als auch für die „erheblich mit betroffenen Personen“. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht werden entscheiden müssen, wann eine solche Mit-Betroffenheit gegeben ist. Damit ist eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet, aus der Benachrichtigungspflicht eine Benachrichtigungsoption für die Behörden zu machen. Auch in dieser Frage entscheiden nicht gesetzliche Normen, sondern pragmatische Zwänge.

Leerstellen

Trotz der grundrechtsfreundlichen Rhetorik und trotz einiger begrüßenswerter Elemente ist der Entwurf weit davon entfernt, Schutz- und Kontrollniveau den Gefahren verdeckter Polizeiarbeit anzupassen. Der Gesetzgeber tut nur das Nötigste, um den Forderungen des Verfassungs­gerichts nachzukommen. Nicht dass man – angesichts der Regelun­gen in den Polizeigesetzen – an einen StPO-Paragraphen über V-Per­so­nen zu hohe Erwartungen richten dürfte; auffallend bleibt aber, dass die V-Per­so­nen weiterhin ohne gesetzliche Grundlage an der Strafverfolgung mitwirken.

Wer der Verrechtlichungslogik folgt, muss auch andere Lücken im Entwurf entdecken. Nur ein Teil der verdeckten Maßnahmen sind an Straftatenkataloge gebunden. Andere (etwa die Rasterfahndung oder der Einsatz Verdeckter Ermittler) können bei bestimmten Straftatengruppen oder Begehungsformen („gewerbs- oder gewohnheitsmäßig“, „von einem Bandenmitglied“ etc.) eingesetzt werden. Letztere Variante ist erheblich behördenfreundlicher, weil das Kriterium weicher ist als das einer bestimmten Straftat. Warum aber der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers weniger streng geregelt sein sollte als die technische Überwachung außerhalb von Wohnungen, ist nicht plausibel. Denn der Verdeckte Ermittler kann erheblich intensiver in das Leben und die Rechtsgüter von Ziel- und anderen Personen eingreifen als das durch Filmen oder Tonaufnahmen in der Öffentlichkeit geschehen kann. Hier wird deutlich, wie begrenzt die Perspektive ist, wenn die verdeckten Methoden allein unter dem Gesichtspunkt des „Datenschutzes“ legalisiert werden.

Bemerkenswert ist auch, dass die Berichtspflichten (welche selbst nur an spärliche Inhalte gebunden sind) keineswegs für alle verdeckten Methoden eingeführt werden: Die Behörden sollen weder über den Umfang des Einsatzes Verdeckter Ermittler noch über die Zahl der technischen Überwachungen außerhalb von Wohnungen, der längerfristigen Observationen oder der Postbeschlagnahmen berichten müssen. Für ein transparentes Strafverfolgungssystem wäre dies selbstverständlich.

[1] s. www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/vorratsdaten/de-recht/RefE Teil1neu.pdf
[2] Allgemeine Begründung, III.3.c, S. 53, s. www.humanistische-union.de/fileadmin/hu/up
load/doku/vorratsdaten/de-recht/RefETeil2neu.pdf
[3] s. hierzu den Beitrag von Mark A. Zöller in diesem Heft, S. 21-30
[4] Albrecht, H.-J.; Dorsch, C.; Krüpe, C.: Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, Freiburg 2003
[5] ebd., S. 344 f.
[6] ebd., S. 258